Von Halston bis Raf Simons: Wenn Business die Kreativität erdrückt
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Nach seinem Dokumentarfilm Dior and I aus dem Jahr 2014 beschäftigt sich Frédéric Tcheng in seinem neuesten Film Halston, der diese Woche in New York City uraufgeführt wurde, weiter mit der Welt der Mode. Es ist eine schimmernde, aber warnende Geschichte über schöne Frauen, rücksichtslose Bösewichte und einen amerikanischen Helden von den Getreidefeldern von Iowa, der es in die Großstadt schafft und zum Superstar der Mode wird.
Am Anfang seiner Karriere lud Halston sein Idol und Couturier-Freund Charles James ein, mit ihm eine Kollektion zu entwerfen. Es lief nicht gut. Während Halston James' Technik sehr bewunderte, erkannte er, dass moderner Glamour weniger Chichi sein sollte, weniger einengend, so dass der Stoff mit den Bewegungen des Körpers mitfließen konnte. James ging unterdessen in die Presse, um seinen ehemaligen Freund des Plagiats zu beschuldigen. Von diesem Moment an arbeitete Halston allein.
Halstons einzigartige Vision
Er war kein einsamer Kaiser, der an seinem roten Lacktisch in seinem Spiegelbüro hoch oben in den Wolken von Midtown Manhattan skizzierte. Er zelebrierte die Mode inmitten einer bewundernswerten Hollywood-Entourage, den “Halstonettes”, Models, die seine Kreationen trugen, und überallhin mit ihm reisten. Er gab sich als eine Kreuzung zwischen Oscar Wilde und James Stewart, sein Gesicht versteckt hinter einer Rauchwolke, die aus seinem Zigarettenhalter aufsteigt. Er brachte die Eleganz der 70er Jahre auf den Punkt, während seine matten Jersey-Kleider, seine Teenager-Hotpants, Kleider im Bias-Cut und Kaftane diese Eleganz auf seine Kundinnen übertrugen.
Der Dokumentarfilm, welcher intime Interviews mit seltenem Archivmaterial verwebt, zeigt seinen großen Durchbruch 1961, als er Jackie Kennedy für die Amtseinführung ihres Mannes einen Pillbox-Hut setzte. Ende der 60er sattelte er von der Hutmacherei auf Damenmode um. Ein Riesenerfolg, der in den 70er Jahren darin gipfelte, dass er von Parfüm, über Haushaltswaren, der Ausstattung von Fluggesellschaften, Pfadfinderunformen und sogar den Outfits für das Olympiateam 1976 in den USA alles zu designen schien. Halston war allgegenwärtig, die physische Verkörperung seiner laserscharfen Ästhetik. Er war im Studio 54, er war im Fernsehen mit Phil Donahue, er war in China mit seiner umfangreichen Entourage, gefolgt von einem Fotografen des Fachblatts Women's Wear Daily.
Aufstieg und Untergang von Halston
In einem Interview wird der Designer gefragt: "Haben Sie Spaß am Erfolg?", worauf er antwortet: "Oh sicher, es macht Spaß, und es macht keinen Spaß, und wie meine Mutter sagt, es ist der Preis, den du zahlen musst." Nachdem der Designer sein Unternehmen an Esmark verkauft hatte, motiviert durch den Wunsch, alle Amerikaner zu erreichen, stimmte er in einem umstrittenen Schritt einem eine-Milliarde-Dollar-Deal mit JC Penney zu. Die Abendnachrichten berichteten: "Halston wechselt von der Klasse zur Masse" und Bergdorf Goodman ließ ihn umgehend fallen. Luxusdesigner, die mit Kaufhäusern zusammenarbeiten, würden gegen Ende des Jahrhunderts alltäglich werden, aber in den frühen 80er Jahren war es ein riskanter Schritt. So beginnt die schwierige Zeit für ihn, hier kommt der wahre Preis, den er zu zahlen hat. Er hat das Gefühl, die kreative Kontrolle zu verlieren und kommt erst um vier Uhr nachmittags ins Büro, um Manager zu vermeiden, die es wagen, sein Blumenbudget zu kürzen.
Eine Abwärtsspirale von Kokainkonsum und eine HIV-Diagnose bilden den Nachspann dieser Geschichte, aber es ist der dritte Akt, der besonders tragisch nachklingt. Ein gescheiterter Versuch, die Kontrolle zurückzukaufen, löste die skrupelloseste Aussage der Unternehmensgeschichte aus: "Du besitzt deinen Namen nicht mehr, Kumpel, das tun wir."
Heute mag der Luxusmodesektor und der Massenmarkt-Einzelhandel nahe beieinander erscheinen, aber sie sprechen oft nicht einmal die gleiche Sprache. So war es möglich, dass während der Vertragsunterzeichnung freundliche Floskeln über die Schreibtische der Anwälte ausgetauscht wurden, man sich aber unmittelbar danach völlig falsch verstand. "Mehr Volumen!" ruft ein Manager, der sich daran erinnert, dass der Fokus bei JC Penney-Deals darin bestand, immense Mengen an Produkten an den Mann oder die Frau zu bringen. Und obgleich das Volumen eines Fledermaus-ärmligen Chiffonkleides, das aus einem einzigen Stoffstück geschnitten wurde, es war, was die Halston an die Spitze der Mode brachte, so sollte es dieses neue Volumen sein, dass sein Unternehmen zu Fall brachte.
Den eigenen Namen verlieren
Die Bemühungen von Esmark, Halston zu isolieren und den Mitarbeitern die Autorität zu übertragen, den Designer für die Entscheidungsfindung zu umgehen, sind bekannte und anhaltende Praktiken bei Mode-Übernahmen oder Rückkäufen. Ähliches geschah in diesem Jahr, als furchterregende Schlagzeilen von Machtspielen hinter den Kulissen in der jüngsten PVH/ Raf Simons-Trennung überall in den Modenachrichten zu lesen waren.
Auf eine andere Frage, die im Dokumentarfilm gestellt wurde - ist es schwieriger, nach oben zu kommen oder oben zu bleiben - hatte Halston keine Antwort. Vielleicht ist die bessere Frage: Wie vermeiden Designer es, zu nah an die Sonne heran zu fliegen, wenn die Gier der Unternehmen das Erreichen immer neuer Höhen erfordert?
Halston, Thierry Mugler, Jil Sander, John Galliano, Roland Mouret gehören zu den Designern, denen die Tür gezeigt wurde, nachdem sie gesehen hatten, wie ihre Namen ihnen entglitten, aber die Modebranche scheint nichts daraus gelernt zu haben. Die Ausstellung "Thierry Mugler Couturissime", die erste dem Designer gewidmete Show, fasziniert eine neue Generation von Fans, die sich fragen, warum die Mode heute nicht mehr so aufregend wie damals ist
Aber die vielleicht verwirrendste Ironie in Halstons Geschichte ist, dass die Marke in Halston Heritage umbenannt wurde, obwohl sie in den letzten Jahren den Besitzer ein weiteres halbes Dutzend Mal gewechselt hat. Keiner der engagierten Kreativdirektoren (die berühmteste darunter war Sarah Jessica Parker), die sich die Klinke in die Hand gaben, schaffte es, eine Begeisterung ähnlich derer zu entfachen, die ihr Namensgeber mit einem simplen Lamékleid evozieren konnte.
Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ
Bilder: Movie poster, Halston.film; Sequined Halston evening dress, 1974, USA Gift of Celanese, 80.128.12 from YSL + Halston: Fashioning the 70s Photograph by Eileen Costa © The Museum at FIT, WikimediaCommons