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Ohne Schwitz- und Pinkelflecken: Kostümsammlung sucht Museum

Von DPA

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Kultur

Mehr als 30 Jahre sammeln Martin Kamer und Wolfgang Ruf historische Kleider und Stoffe und bilden mit ihrer einzigartigen Sammlung die komplette Modeentwicklung seit 1710 ab. Jetzt suchen sie ein Museum.

Der eine näht als achtjähriger Junge in den 50er Jahren nach Fotos aus Modemagazinen Schottenröcke für seinen Teddy. Der andere fängt als Teenager im linken Revoluzzerjahr 1968 damit an, Orgeln zu sammeln. Dass der Schweizer Martin Kamer und der Deutsche Wolfgang Ruf keine gewöhnliche Karriere hinlegen würden, hat sich da wohl schon angedeutet. Heute sitzen sie auf einem Millionenschatz: Sie haben aus Faszination für alte Stoffe und Kostüme und einer Leidenschaft fürs Sammeln eine der größten privaten Kostüm- und Textilsammlungen der Welt zusammengetragen. Die soll nun weg.

Kamer (75) und Ruf (69) suchen ein Museum für ihre Schätze. «Wir sprechen mit Interessenten in der Schweiz, in China und anderswo», sagt Ruf. Die Stoffe und Kleider, die sich in unzähligen Schubladen und auf dicht behängten Kleiderstangen in Lagern in der Schweiz verbergen, stellen eine lückenlose Sammlung sämtlicher Moderichtungen von 1710 bis 1920 dar. Darunter sind mehr als 600 Männer- Frauen- und Kinderkleider sowie 800 Accessoires wie Hüte, Schuhe, BHs und Korsetts, ergänzt durch mehr als 1300 Textilien von 1430 bis 2010.

«Diese Sammlung ist auf Augenhöhe mit den besten der Welt: im Metropolitan Museum New York, im Los Angeles County Museum, im Kyoto Costume Institute oder im Victoria & Albert Museum London», sagt Ruf, der in Beckenried am Vierwaldstättersee wohnt. Das Auktionshaus Christie's bezeichnet sie als «unvergleichlich». Historische Kostüme werden bei Auktionen rar. Teile kosten leicht 200 000 Euro. «Dies ist definitiv die letzte große Sammlung, der Markt ist leer», sagt Kamer.

Die beiden haben nur tadellos erhaltene Teile gesammelt. Zum Beispiel ein Goldbrokat-Kleid von etwa 1793 aus dem Besitz der Gattin des britischen Premierministers, Mary Watson Wentworth, mit großem Dekolleté und golddurchwirkter Schleppe. Oder den bestickten Anzug eines deutschen Adelsherren von etwa 1780, mit Weste und Stehkragen, über einer Knickerbockerhose aus Seide. Die Jacke hat Knöpfe aus gedrechseltem Holzkern, die mit handbestickter Seide überzogen sind.

Das mit der Qualität ist bei alten Kostümen gar nicht so einfach, zum Beispiel wegen des damaligen Mangels an Toiletten in den Schlössern. Wenn Not am Mann war, ließ so mancher Nobelherr den Dingen einfach seinen Lauf. «Wie viele Männeranzüge auf dem Markt total verpinkelt sind», seufzt Ruf. Kleider mit Schwitzflecken wollten sie auch nicht.

Die Kleider konnten früher nicht gewaschen werden, die Farben waren nicht wasserfest. Viele wurden nur ein-, zweimal getragen. Anderes ist beschädigt oder unvollständig. «Kostümbälle sind die größten Feinde historischer Kostüme», sagt Kamer. Da haben Nachkommen die Teile von Ur-Oma vom Dachboden geholt, sind ihnen rücksichtslos mit der Schere zu Leibe gerückt und haben daraus fesche Fummel für Partys gemacht.

Unter den Stoffen ist ein spätgotischer Seidensamt von etwa 1480. Er dürfte ursprünglich als Wanddekoration gewebt worden sein und überlebte, weil er später in einer Kirche als Antependium zur Verkleidung eines Altarunterbaus genutzt wurde. Auch Andy Warhol ist in der Sammlung, mit einem Stoff mit Zirkus-Thema. «Es gab Zeiten, in denen Warhol noch Geld verdienen musste», sagt Ruf. «In der Zeit hat er auch Stoffmuster entworfen.»

Kamer, seiner frühen Faszination für Mode folgend, wird erst Bühnen- und Kostümbildner und arbeitet auf Bühnen in aller Welt. «Ich habe erst alte Kostüme als Inspiration gekauft», sagt er. Irgendwann wächst das zur Leidenschaft. «Erst ist man noch Herr seiner Sammlung, dann wird die Sammlung irgendwann Herr über dich», sagt er.

Ruf steigt trotz früher Orgelleidenschaft erst als Betriebswirt in das elterliche Möbelgeschäft ein. Ein Freund bringt ihn darauf, dass der Handel mit alten Kostümen eine lukrative Marktlücke sein könnte. Ruf vertieft sich in die Textil-Materie, gründet eine Galerie und beginnt zu sammeln. «Ohne Leidenschaft keine Sammlung», sagt er.

Die beiden begegnen sich auf Auktionen. Sie leben jahrelang in gepflegter Konkurrenz zueinander, bis sie sich vor 20 Jahren schließlich zusammentun, wie sie erzählen. Ihre Leidenschaft ist spürbar, wenn sie Prunkstücke aus den Lagern zum Vorschein holen.

Kamer zeigt ein Schwangerschaftskleid von etwa 1780. Man sieht die Haken, mit denen die Dame das Kleid erweitern konnte. Oder den Morgenmantel eines kleinen Jungen von 1710, dann einen Damen-Radfahranzug von 1890, dessen Rock in Wirklichkeit eine Hose ist. Einen Handwärm-Muff aus Entenbalg, mit Rechnung von 1898: 1,50 Pfund kostete das gute Stück damals. Das Wentworth-Kleid hat ihm besonderes Vergnügen bereitet: bei einer Auktion in London in den 90er Jahren tat eine Expertin das Teil als Karnevalsrobe ab, doch Kamer erkannte den wahren Wert und kam so an ein Schnäppchen.

Ruf fährt mit der Hand vorsichtig über einen Renaissance-Samt mit Goldbrokat von 1530, gut 100 mal 80 Zentimeter groß. Mit der Lupe offenbart sich das Wunderwerk: man sieht den mit feinstem Goldblatt umwickelten Seidenfaden, aus dem das Stück gewebt ist - wie viele tausend Stunden Handarbeit darin stecken, lässt sich erahnen.

Kamer und Ruf haben über die Jahre viel an Museen verkauft. Etwa Zweidrittel der heute gerühmten Kollektion des Kyoto Costume Institutes stamme aus Kamer/Ruf-Beständen, sagt Kamer. Andere Stücke gingen nach Boston, Los Angeles, Berlin, Hamburg, Köln, Karlsruhe, München und Stuttgart. Das war, um Platz für Neues zu schaffen. Seit zwei Jahren haben sie aber nichts mehr gekauft. Jetzt wollen sie die Kollektion geschlossen verkaufen. Das Sammeln lassen sie aber nicht: Bei Ruf sind es Instrumente, bei Kamer unter anderem Modefotos. (dpa)

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