Energie, Flair, Rebellion: Mary Quant-Retrospektive in London
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Der Name Mary Quant steht für Minirock, Bubikragen und Regenmäntel aus PVC. Eine Retrospektive im Londoner V&A will nun zeigen, dass das Vermächtnis der britischen Modeschöpferin weit über den Minirock hinausgeht.
Der Drang, die Dinge zu verändern, keimte schon früh in Mary Quant. Die britische Modeschöpferin, die den Minirock in den 1960er Jahren zum Symbol für Rebellion und gesellschaftlichen Wandel erhob, schrieb 1945 als 15-Jährige in ihr Tagebuch: «London ist von Bomben zerstört und nur der Sommerflieder blüht. Der Nebel überlagert alles. Ich sehe nur Bahnhöfe, Teebeutel, Nylonstrümpfe und Strumpfhalter.»
Zehn Jahre später eröffnete Quant auf der King's Road in London «Bazaar», ihre erste Boutique und löste damit eine «Revolution in Design, Lebensstil und Mode aus», wie V&A-Direktor Tristram Hunt vor der Eröffnung sagte. Sie habe die Jugendbewegung der 1960er Jahre genutzt und gezeigt, «wie Mode den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben kann». Die inzwischen von der Queen zur «Dame» ernannte Quant (85) schrieb seinerzeit zu dem Ereignis: «Wir wussten, wir mussten es selber machen, sonst würde nichts passieren.»
Swinging Sixties
In der Ausstellung über zwei Etagen kann der Besucher zunächst mit Filmen und einer Reihe von «Schaufenstern» in die «Swinging Sixties» eintauchen. Die auf Wunsch ihrer Eltern zunächst zur Kunstlehrerin ausgebildete Quant setzte mit knalligen Farben, Streifen und Punkten, Reißverschlüssen und Hotpants neue Akzente. Sie nähte anfangs über Nacht in ihrem möblierten Zimmer die Ware für den nächsten Tag, stöberte in Fabriken Stoffe auf und zeigte viel Humor: Zwischen die Mannequins im Schaufenster platzierte sie ausgestopfte Vögel, Goldfische im Glas und einen toten Hummer an der Leine - Passanten blieben wie angewurzelt stehen.
In der Ausstellung sind rund 120 Kleidungsstücke, Accessoires, Kosmetik, Skizzen und Fotos zu sehen, von denen viele laut V&A nach einem bisher beispiellosem Zugang zum Quant-Archiv erstmals gezeigt werden. Auf eine Crowdfunding-Kampagne unter dem Hashtag #WeWantQuant reagierten rund 1000 ehemalige Quant-Fans, die dem V&A 35 «Lieblingskleider» und zahlreiche Fotos zur Verfügung stellten. «Mein Regenmantel war im Sturm nicht immer praktisch», schrieb eine Frau. «Aber er war ein Statement.» Eine andere Spenderin fand: «In den 1960er Jahren hatten alle Frauen Kurven. Mary Quant gab mir das Gefühl, ich selbst zu sein.»
Quant war auch bei Geschäftspraktiken ihrer Zeit voraus
In der Vitrine mit grellen PVC-Stiefeln der Marke «Quant Afoot», die nur mit Reißverschluss anzubekommen sind, ist zu lesen: «Sie sahen lustig aus, waren aber unbequem und schwitzig.» Auch die viel verwendeten Synthetik-Materialen und die Anpreisung von Pelzmänteln «für jede Frau» dürften heute nicht mehr ankommen. Andere Exponate, wie Plattformschuhe und Faltenröcke, sind dagegen hoch aktuell.
Quant war auch in ihren Geschäftspraktiken der Zeit voraus: Sie schuf ihr eigenes Gänseblümchen-Logo, ließ Label in Zusammenarbeit anfertigen und propagierte die Massenproduktion. «Der Snobismus hat sich überlebt», erklärte sie und verkündete, dass ihre Mode gleichermaßen für «Herzoginnen und Stenotypistinnen» gemacht sei. Quant brach mit Klischees und überwand Gendergrenzen mit der Integration maskuliner Linien in ihren Stil nach dem Motto: «Von den Jungens abgeguckt.»
«Ich wollte nie erwachsen werden»
Ob Jerseykleider mit Bubikragen, Trägerröcke und Latzhosen, Rüschen oder Schottenmuster - die Assoziation mit britischer Tradition lag nie weit. «Ich wollte nie erwachsen werden, vielleicht hat es damit etwas zu tun», schrieb sie zu ihren Trägerröcken mit Falten und Rollkragenpulli, die einer Schuluniform ähneln. Material wie Jersey wurden in Rugby, Fußball und Kricket, Streifen im Militär, Nadelstreifen in der City und Mäntel mit abnehmbaren Cape-Kragen von Sherlock Holmes verwendet.
Ein Foto nach der Auszeichnung durch die Queen 1966 zeigt Quant im simplen beigen Jersey-Minikleid mit Faltenrock, Handschuhen und beiger Baskenmütze. «Komischer Aufzug für den Palast», kritisierte die «Daily Mail». Quant, die im Februar 85 Jahre alt wurde, zog sich im Jahr 2000 aus ihrem weltweiten Imperium zurück. (dpa)
Fotos: mit freundlicher Genehmigung des V&A