Vororderquoten: „Es geht jetzt darum, genug Ware zu haben“
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Viele Modehändler:innen haben in den letzten drei Saisons pandemiebedingt ihre Vororder-Budgets reduziert und standen vor allem im letzten Herbst vor leeren Lägern. Nun steigt aktuell die Bereitschaft, die Vororderquote zu erhöhen. Emotional und auch ganz konkret in Bezug auf die Sicherung von Produktionsstandorten in Osteuropa spielt auch das aktuelle Kriegsgeschehen in der Ukraine eine Rolle.
Wir haben mit dem Handel über seine Vororder-Strategie gesprochen und die Industrie nach ihrem Lager-Service gefragt.
Das sagt der Handel
Der Ukraine-Krieg drückt auf die Stimmung in den Straßen
„Es herrscht Schockstarre“, sagt Birgit Engelmann. „Seit der Krieg in der Ukraine begonnen hat, ist es still in den Geschäften und auf der Straße.“ Die Händlerin, die in ihrer Boutique im Berliner Westend Brands wie Luisa Cerano, Marc Aurel, Ana Alcazar oder Herzen’s Angelegenheit führt, fühlt sich zwar die ganze Pandemie hindurch „sehr von meinen Kundinnen unterstützt“ und muss um ihr Geschäft nicht fürchten; doch schon rein emotional hat sich die Situation nun wieder zugespitzt, „es sind“, sagt Engelmann, „keine schönen Tage“.
Das ist nicht nur in Berlin so. „Wieder haben wir keinen Anlass zur Freude, wir kommen aus der gedrückten Stimmung wohl nicht heraus“, sagt Wolfgang Billmayer, der zwei Modehäuser in Wartenberg und Freising in Bayern führt. Natürlich machen sich die aktuellen Entwicklungen bemerkbar, „hier in Wartenberg ist die Frequenz derzeit gleich null“. Auch bei Mode Ruths in Friedberg und Bad Nauheim ist Verunsicherung zu spüren, „nicht nur bei unserer Kundschaft, sondern auch bei unseren Mitarbeiter:innen“, sagt Jochen Ruths. „Es geht uns natürlich nahe, wenn wir von Lieferanten hören, dass die Mitarbeiter ihrer Betriebe in der Ukraine nun im Krieg sind. Wir alle schätzen aber die Konzentration auf unsere alltägliche Arbeit und spüren, wie sehr unsere Kundinnen und Kunden nach jedem Stück Normalität auch beim Einkaufen lechzen.“
Nichtsdestotrotz läuft die Orderrunde für den kommenden Herbst weiter – und die Zielsetzungen des Handels haben sich nicht geändert: Viele Händler:innen wollen ihren Modegrad ausbauen, ihre Kund:innen mit spannenden Sortimenten begeistern und – nicht zuletzt infolge gestiegener Einkaufspreise – mit weniger Ware zu höheren Durchschnittspreisen mehr Umsatz machen.
Vergleichbarkeit und Gehabtes soll gemieden werden, der Handel sucht Besonderheiten, unverbrauchte Farben und frische Styles. Gleichzeitig geht es schlicht und einfach darum, über den gesamten Saisonverlauf hinweg genug Ware zu haben, um nicht wieder Umsätze liegen zu lassen wie im vergangenen Jahr. Seinerzeit haben viele die Erfahrung gemacht, dass die Läger leer waren und auf der Fläche in vielen Warengruppen Lücken klafften. Das soll nicht wieder passieren.
„Wir brauchen innovative Lager-Programme“
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Vororder-, Nachorder- und Sofort-Budgets nun de facto gewichtet werden. Hier zeigt sich ein geteiltes Bild. Da sind einerseits die Händler:innen, die ihr Vororder-Budget in gewohntem Umfang beibehalten wollen und durchaus größeren Wert auf modische Depot-, NOS-oder Lagerware legen.
Im Modehaus Holzapfel in Abensberg etwa gehört intensive Arbeit mit NOS- und Depotware zur Strategie, das Verhältnis zwischen Voroder sowie NOS- und Depot-Waren von 50:50 bis 60:40 wird daher weiterhin aufrechterhalten, man arbeitet daher eng mit den Firmen zusammen, die ein überzeugendes Depot- oder NOS-Angebot haben. „Wir setzen grundsätzlich weniger auf Vororder und bestellen täglich nach“, erklärt Ulrike Holzapfel.
Auf diese Weise vemeide man das Risiko, „zu viele Penner im Sortiment zu haben“ und bringe stets „die erwiesenermaßen richtigen Artikel auf die Fläche“. Bisher habe sie auch immer nachbekommen, was sie wollte. Und wenn die Läger doch mal leer sind, „muss man sich eben umschauen“. Diese akribische Sortimentsarbeit „ist nun mal die Aufgabe des Einkäufers“. Dennoch ist ihr bewusst: „Es ist eine Gratwanderung, man darf es auch nicht übertreiben“, müsse ein Gespür dafür haben, mit welchen Lieferanten man auf diese Weise arbeiten könne.
Bei Vohl & Meyer in Limburg beträgt das Verhältnis zwischen Vororder und Lager „bei den Herren 65:35 Prozent, bei Damen 75:25 Prozent“. Und „das soll auch so bleiben“, sagt Inhaber Martin Acht. Grundsätzlich erwartet er, dass nicht nur die Vororderware, sondern auch das Lagerangebot einen hinreichenden Neuheiten-Wert hat. „Seit der Pandemie kommt es besonders darauf an, dass es innovative Lagerprogramme gibt“, so Acht.
Speziell im Hosenbereich entscheidet das Lagerangebot auch über die Lieferantenwahl. „Bei Hosen schauen wir zuerst auf das Depot und erst dann auf die Kollektion“, sagt Acht. Ähnlich verfährt man bei Heikorn in Singen. „Bei Hosen und Anzügen in der DOB muss NOS reibungslos funktionieren“, sagt Inhaberin Bettina Kornmayer. Ist das nicht der Fall, kommt es vor, dass sie sich anderweitig orientiert. „Wenn ein Lieferant uns in Bezug auf die Lagerware hängen lässt, schauen wir, dass wir einen alternativen Anbieter finden, der liefern kann“, so Kornmayer. Dort werde dann auch vorgeordert.
Was andere Warengruppen betrifft, neigt man bei Heikorn eher dazu, die Vororder aufzustocken. „Wir hatten ein sehr gutes Jacken-Jahr“, sagt Bettina Kornmayer. Daher erhöht sie die Order hier teilweise, denn „für die Bedarfskundin hatten wir zu wenig, wir hätten mehr verkaufen können, wenn wir im Verlauf der Saison mehr Jacken gehabt hätten“.
„Wer Sicherheit sucht, hat keine spannenden Sortimente“
Auch Tim Stenger vom Modehaus Stenger in Bad Kreuznach hält am klaren Vororder-Schwerpunkt fest, das Verhältnis Vororder zu Lager-Ware wird auch im kommenden Herbst bei circa 75:25 Prozent liegen. „Wir haben zwar ein bestimmtes Kontingent an Lager- und NOS-Ware“, so Stenger. Grundsätzlich sei aber klar: „Wenn wir verstärkt Sicherheit suchen, wird das Sortiment langweiliger.“ Priorität hat für ihn jedoch, dass „das Sortiment spannend bleibt – und das geht nicht über Risikominimierung und Basics“.
Dieser Ansicht ist auch Petra Wichern von Moden Holst in Sittensen. Ihren Vororder-Anteil von 85 Prozent wird sie weiterhin pflegen, auch wenn ihre „Idealvorstellung ein Verhältnis von 60:40 wäre – aber nur wenn die Ware von unseren Stammlieferanten kommt“. Die jedoch halten nicht so viel Lagerware vor, und auch „wenn jeder von ready-to-wear redet, klappt es in der Realität doch nicht so gut“, so ihre Erfahrung. Doch „wir kommen so wie es ist ganz gut zurecht“, sagt Petra Wichern. Zudem schätzt sie es, wenn sie den Einkauf in der Vororder kompakt abhandeln kann, um sich „anschließend wieder zu hundert Prozent auf das Geschehen im Laden zu konzentrieren“. Sabine Lehman von Lehmanns in Wedel setzt zu 90 Prozent auf Vororder. Die zehn Prozent, die sie nachzieht, sind keine Neuheiten, sondern „Artikel, die wir schon verkauft haben“.
„Wir brauchen mehr Mode und genug Ware“
„Momentan kommt es vor allem darauf an, genug Ware zu haben“, sagt Jochen Ruths. Damit es nicht wieder an Ware mangelt wie im letzten Herbst, hat er für seine beiden Modehäuser in Friedberg und Bad Nauheim diesmal „sehr ordentlich geordert“. Es gibt Lieferanten, bei denen er die Order sogar verdoppelt hat – allerdings nachdem er seine Auftragsvolumina in den drei Saisons zuvor reduziert hatte.
Bei einer Hosenorder hat er bei bestimmten Artikeln, die er als sehr stark einschätzt und die nicht ab Lager erhältlich sein werden, ein „internes NOS“ initiiert. „Wenn wir eines durch Corona gelernt haben, dann dass immer mal etwas passieren kann“, so Jochen Ruths. Daher spielt bei der Herbstorder sicher auch eine gewisse Risikoprävention eine Rolle.
„Nicht mehr so gespart wie im letzten Herbst“, hat auch Wolfgang Billmayer, der diesmal „mit einer positiveren Einstellung an die Order herangegangen“ ist und „überall ein bisschen mehr gekauft“ hat. Da „Strick gefällt und genug Hosen da sind“, ist ihm der Einkauf leicht gefallen. „Die Leute wollen sich wieder chic machen“, beobachtet Billmayer. Dabei müsse es nicht gleich der Blazer oder Anzug sein, viele Frauen seien glücklich mit Kleidern, die sie alltagstauglich mit Leggings und Lederjacke kombinieren, während die jungen Kundinnen das Kleid „eher sexy stylen“.
Quint-Chefin Birgit Engelmann hält den in den Showrooms erlebten Modegrad hingegen für steigerungsfähig. „Es fehlt sicher an Innovation“, beobachtet Engelmann. Bekanntes würde neu aufgelegt, frische Farben und von Grund auf neue Schnitte fehlten hingegen. „Die Frauen brauchen nach wie vor Anzüge und Blazer“, sagt Engelmann, „es wäre toll, wenn es ausgefallene Jacken gäbe“.
Und was das Kleid betrifft: „Mit schlichten Kleidchen ist uns auf Dauer nicht gedient.“ Ein Kleid brauche Farbe und müsse auch mal richtig ausgefallen sein. Vor diesem Hintergrund „war ich in der Order dort, wo es möglich war, so mutig, dass ich es fast ein bisschen mit der Angst bekomme“, lacht Engelmann. Insgesamt hat sie rund zehn Prozent mehr vorgeordert, denn da „die Lagerhaltung bei den Herstellern zurückgefahren wird und man nicht weiß, was als nächstes passiert, kann ich nicht sicher davon ausgehen, dass ich in diesem Jahr etwas nachbestellen kann“.
Das sagt die Industrie
Waren sicherstellen
Wie wichtig dem Handel die Lagerhaltung in bestimmten Warengruppen ist, ist der Industrie natürlich bewusst. Doch zu der bisher bekannten Thematik in Bezug auf Logistik und Währung kommt hinzu, dass einige Anbieter nun von der Ukraine-Problematik betroffen sind. Die marktstarken Lieferanten werden jedoch alle Hebel in Bewegung setzen, um in den betreffenden Warengruppen die NOS-Kapazitäten sicherzustellen.
Bei dem Hosenhersteller Brax heißt es: „Glücklicherweise haben wir die überwiegende Anzahl der NOS/SNOS Artikel bereits am Lager. Hier hatten wir sehr frühzeitig disponiert, was uns jetzt zugutekommt“, so Marc Freyberg, Geschäftsführer Vertrieb/ Marketing. „Nichtsdestotrotz schauen wir natürlich mit großen Sorgen auf unsere Partnerbetriebe in der Ukraine – in erster Linie aber wegen der Menschen, die dort arbeiten und aktuell in großer Gefahr leben. Dass wir möglicherweise einen kleineren Teil der Ware von dort nicht oder stark verspätet bekommen könnten, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.“
Einige Bekleidungsmarken setzen auf Vororder
In anderen Warengruppen, etwa im Bereich Mäntel und Jacken, ist NOS nicht annähernd so essenziell wie bei Hosen, dennoch gehört ein gewisses Angebot zum Service. So etwa bei Fuchs Schmitt „Wir verstehen uns in erster Linie als starker Vororder-Lieferant mit einer sehr umfangreichen Kollektion, klaren Themen und einem starken Storytelling“, sagt Geschäftsführerin Andrea Krumme. „Vor diesem Hintergrund und auch, um unsere Preise halten zu können, ist es unsere klare Zielsetzung, die Vororder zu forcieren.“
Dennoch biete man dem Handel darüber hinaus auch NOS-Programme für den kurzfristigen Bedarf. Zur Stunde kann Andrea Krumme bereits eine positive Bilanz ziehen: „Hinter uns liegt eine sehr erfolgreiche Orderrunde.“ In Bezug auf den Produktionsstandort Osteuropa ist man im ständigen Austausch mit den dortigen Betrieben. „Unser Mitgefühl und unsere Aufmerksamkeit gilt zurzeit der Zivilbevölkerung der Ukraine“, so Krumme. „Mit großer Sorge sehen wir die aktuelle politische Lage und gemeinsam mit unserem Partner der Produktionsbetriebe in Osteuropa, versuchen wir bestmöglich zu unterstützen und zielgerichtet Hilfe anzubieten.“
Bei der S. Oliver Group will man den Modegrad forcieren, was konkrete Auswirkungen auf die NOS-Strategie hat: „Wir haben unseren Anteil an klassischen NOS-Artikeln zuletzt reduziert, um mehr Fashion-Artikel auf die Flächen zu bringen und hier unsere Kompetenz noch stärker in den Fokus zu rücken“, sagt Director Sales Daniel Schmidt.
Verlässliches Lager-Angebot
Viele andere Hersteller pflegen hingegen bewusst ein verlässliches Lager-Kontingent. Für Rich & Royal etwa ist die Lagerware „ein wichtiger Bestandteil, wir setzen bei unseren Flächenpartnern auf ein aktives Merchandise Management“, so CEO Patrick Stupp. Der Anteil der Lagerware am Gesamtvolumen mache rund 15 bis 25 Prozent aus. Etwa in dem Umfang bewegt sich auch die Planung bei A Fish Named Fred: „Um den Bedarf innerhalb der Saison decken zu können, planen wir circa 20 Prozent des Vorordervolumens für unsere Kunden als Lagerware ein“, sagt Geschäftsführer Rob Schalker.
Bei Marc Cain sind „mit der Auslieferung „zumindest anfangs über alle Themen hinweg ausreichend Artikel zum Nachziehen verfügbar“. Grundsätzlich hält man „eine gute Nachorderverfügbarkeit für essentiell für unsere Partner, um ihr Ergebnis zu verbessern“, sagt Dirk Büscher, Geschäftsführer Gesamtvertrieb, Einzelhandel, Webstore & Logistik. „Wir beobachten jedoch genau, dass das Verhältnis Vororder/ Nachorder nicht aus dem Ruder läuft und das Risiko sich einseitig verlagert.“ Darüber hinaus habe man die Essentials/ NOS-Artikel aufgefrischt und biete dem Handel die Möglichkeit zum Warentausch. „Manche Trends und Entwicklungen kann man nicht vorhersehen, somit muss es möglich sein, kurzfristig reagieren zu können“, so Büscher.
Ausbau der Depot-Kapazitäten
Teilweise wollen die Hersteller ihre Lagerkapazitäten auch ausbauen. „Neben dem klassischen Ordergeschäft sehen wir auch im Lagerprogramm sehr viel Potential“, sagt Marc O’Polo CPO Susanne Schwenger. „Wir entwickeln beispielsweise unser BNOS-Sortiment um erfolgreiche Volumenartikel und nutzen das saisonale Must-Have-Programm, um neue Entwicklungen mit großem Potential zur Nachversorgung verfügbar zu haben.“ Dafür erweitere man das Angebot und bestücke es tiefer, „so dass eine optimale Nachversorgung sichergestellt ist“.
Auch bei Maerz Muenchen ist „die Planung ganz klar, das Lager auszubauen“, so Managing Director Katja Beibl. „Wir haben unsere Kund:innen bereits informiert, welche Artikel wir ab Lager vorhalten werden und was nur in der Vororder erhältlich ist.“ Zudem habe man bereits Garne geblockt, um kleine Flash-Programm mit achtwöchiger Lieferfrist anbieten zu können. „Es ist einfach ein Wandel da“, sagt Katja Beibl, „und diese Chance wollen wir nutzen.“