Modehaus Schnitzler in Münster: „Wir messen den Erfolg der Aktion in der Anzahl an lächelnden Menschen“
1892 beginnt die Geschichte des Modehauses Schnitzler am ehrwürdigen Prinzipalmarkt in Münster. Hinter einer historischen Fassade und auf mehr als 2.000 Quadratmetern wird hier ein fein kuratiertes Premium-Sortiment für Damen, Herren und Kinder präsentiert. Unweit des Haupthauses befindet sich zudem der zum Unternehmen gehörende Herren-Store Weitkamp. Bis Mitte des Jahres gehörte auch noch ein Store der Marke Van Laack dazu, den Schnitzler als Franchisenehmer betrieben hat und Ende Juli zurück an die Marke übergeben hat.
Wie gelingt es, ein Modehaus mit so langer Tradition weiterzuentwickeln und für nachkommende Generationen attraktiv zu gestalten? Mit dieser Frage beschäftigt sich Andreas Weitkamp seit vielen Jahren. Er führt das Modehaus Schnitzler in der fünften Generation und steht täglich vor der Herausforderung, wie man neue Zielgruppen gewinnt, ohne die Bedürfnisse der älteren Stammkundschaft zu vernachlässigen. Seine Strategie: Barrieren abbauen und relevante Erlebnisse anbieten, die sich nicht sofort in Umsatzzahlen niederschlagen müssen, aber die in positiver Erinnerung bleiben. Dafür stellt er schon mal seine Firmenterrasse für externe Yogakursen zur Verfügung. Denn genau diese emotionale Dimension kann der stationäre Handel viel besser umsetzen als jeder Onlineshop.
Im Gespräch erklärt Weitkamp, wie sich das Kund:innenverhalten verändert hat, warum Emotion und Haltung für sein Unternehmen so wichtig sind und warum auch ein Modehaus heute politisch sein muss.
Wir sind aufeinander aufmerksam geworden aufgrund Ihres Yoga-Angebots auf der hauseigenen Terrasse und Ihrer Aussage, Sie machen das nicht, um damit Umsatz zu generieren. Wie ist die Idee entstanden?
Andreas Weitkamp: Diese Terrasse ist bisher Teil unseres Mitarbeitenden-Aufenthaltsraums, sie liegt malerisch schön zwischen Prinzipalmarkt und Domplatz. Man blickt auf die Rückseite der Prinzipalmarkthäuser, auf die Lamberti-Kirche – die Lage ist toll und für viele Besucher:innen hat sie einen Aha-Effekt. Wir haben immer nach einer Idee gesucht, wie wir diese Terrasse bewirtschaften oder beleben können und kamen so auf das Thema Yoga. Mit der befreundeten Sportagentur Strong Partners, die für ihre Kurse immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Orten ist, haben wir von Mai bis Ende September morgens Yoga-Stunden angeboten.
Was war der strategische Gedanke dahinter?
Der zweite Gedankenstrang war, dass wir immer nach Ideen suchen, die Hemmschwelle, in den Laden zu kommen, niedrig zu machen. Dazu muss man wissen, dass wir alleine durch unsere Adresse, den Prinzipalmarkt in Münster, einen elitären Anstrich haben. Dass ein Laden am Prinzipalmarkt teuer ist, ist eine Meinung, gegen die wir seit Generationen arbeiten. Wir haben eine hohe Dichte an gut ausgebildeten Mitarbeitenden im Laden und viele Kund:innen sind es heute schlicht nicht mehr gewöhnt, dass ihnen Guten Tag gesagt wird – eben vielleicht auch dreimal. Als Familienunternehmen in fünfter Generation haben wir außerdem viele Kund:innen, bei denen schon die Eltern oder Großeltern bei Schnitzler gekauft haben – da denkt die nachwachsende Generation dann naturgemäß lange „dann kann es ja kein Laden für mich sein“.
Seit ich vor rund 15 Jahren das Geschäft von meinen Eltern übernommen habe, gehört es zu meinen Aufgaben, gegen diese Hemmschwelle anzuarbeiten. Über das Thema Yoga sah ich die Chance, genau mit diesen Menschen, die vielleicht gar keinen Bezug zu uns haben und die vielleicht noch nie bei uns waren, einen positiven Erstkontakt zu schaffen. Unser 'best Case' war, dass die Leute mit dem Gefühl rausgehen: „Ah, das war jetzt ein schöner Start in den Morgen“. Das war am Ende auch das Feedback, das wir jede Woche bekommen haben.
Es hat also funktioniert? Wer kam zu den Kursen?
Die Kurse waren fast jedes Mal ausgebucht, es gab lange Wartelisten. Das Publikum war bunt gemischt: Von Schnitzler-Kund:innen bis zu Leuten, die wir im Laden noch nie gesehen haben. Und es kamen nicht nur Menschen zwischen 25 und 35, die wir bei diesem Hemmschwellenthema in erster Linie im Blick hatten, sondern auch ältere. Alle gingen mit einem guten Gefühl.
Für uns zahlt das auf eine Vision ein, die unser Unternehmen in seiner Gesamtheit antreibt: Statt immer neuer Kaufimpulse zu setzen, wollen wir in Zugehörigkeit und Emotion investieren. Dass man später, wenn man wirklich etwas braucht oder inspiriert werden will, an diesen Ort der positiven Gefühle zurückkehrt, kommt unseres Erachtens dann sehr natürlich. Aber erst mal müssen wir ein Platz der guten Gefühle sein.
Hat sich das Format im Umsatz niedergeschlagen?
Es ist schwer quantifizierbar: Die Presse hat sehr enthusiastisch darüber berichtet, es sind Creator:innen zu den Stunden gekommen, unser langjähriger Partner Mey hat uns geholfen, ein kleines passendes Sortiment aufzubauen und es ins Gespräch zu bringen. Aber wir konnten keinen sprunghaften Anstieg des Leggings-Umsatzes verzeichnen. Doch das ist auch das falsche Maß, um den Erfolg einer solchen Aktion zu beurteilen. Wir haben verstanden, dass man diesen Erfolg nicht in Euro messen kann. Also habe ich das Ziel ausgegeben, dass wir den Erfolg der Aktion in der Anzahl an lächelnden Menschen messen, die morgens die Dachterrasse verlassen. Das ist in unseren Augen viel mehr Wert, als eine Yoga-Hose zu verkaufen.
Sie hatten zum Abschluss der Yoga-Reihe geschrieben, dass das nur der Anfang wäre. Wie geht es im nächsten Jahr weiter?
Wir werden das Thema Yoga 2026 mit Sicherheit fortsetzen. Die Yoga Aktion hat uns viel Sichtbarkeit gebracht und es liegen spannende Anfragen vor: Von Tagungen bis zu Supper Clubs oder Book Talks, dazu planen wir selbst Konzepte, die die Dachterrasse als Location einbinden.
Die Belebung der Innenstädte ist ein Thema, das seit der Pandemie von vielen Seiten diskutiert wird. Wie ist das in Münster?
Die Passant:innenfrequenz liegt knapp unter dem Niveau vor Corona und die Bettenauslastung ist in Münster höher als je zuvor. Wir haben also Gott sei Dank nicht die Probleme, die andere Innenstädte haben. Unsere Leerstandsquote ist verschwindend gering. Aber das ist kein Zufall. Wir haben in Münster ganz viele Menschen, mich inklusive, die sich ehrenamtlich für die Stadt engagieren.
Es gibt in Münster schon seit 20 Jahren die Initiative „Starke Innenstadt“, ein Zusammenschluss aus Händler:innen, Gastronom:innen und Immobilienbesitzer:innen, deren Sprecher ich bin. Wir haben einen sehr engen Draht zu Münster-Marketing [Anm. d. Red.: Amt der Stadt, zuständig für Markenführung und strategische Entwicklung der Stadt Münster] und mittlerweile auch zu den politischen Parteien. Und wir versuchen möglichst viel miteinander abzustimmen, damit es für die Besucher:innen der Stadt immer möglichst attraktiv und komfortabel ist. Das geht bis dahin, dass wir Termine für Baumaßnahmen absprechen. Das ist eines der Erfolgsrezepte überhaupt für Innenstädte, dass sich Händler:innen engagieren und Bündnisse bilden, um ihren Teil dazu beizutragen, die Aufenthaltsqualität in der Stadt zu steigern und sie langfristig attraktiv zu halten.
Wie ist bei Ihnen in Münster die Galeria-Situation gelöst worden?
Wir haben noch zwei Galeria-Standorte. Das eine Haus war früher Karstadt, das andere Kaufhof. Beide liegen sich direkt gegenüber. Und sie sind beide noch geöffnet. Nach der letzten Insolvenz haben wir wirklich fest damit gerechnet, dass eines der beiden schließt. Das ist aber nicht passiert und im Moment sieht es auch nicht danach aus.
Mit welchen Herausforderungen haben Sie als Modehaus zu kämpfen, auch wenn die Rahmenbedingungen in Münster weiterhin gut sind?
Wir haben als Mode-Einzelhändler natürlich die Probleme, die alle haben. Auch wir spüren eine Kaufzurückhaltung, weil sich das Konsumverhalten verändert hat. Besonders ältere Kund:innen, die jahrelang Modehäuser wie uns geprägt und durchs Jahr gebracht haben, haben ihren Bedarf gedeckt. Die sagen zu mir: „Seit Corona brauchen wir ja gar nichts mehr.“ Die kommen trotzdem total gerne zu uns, schauen sich um, kaufen aber nichts.
Die Herausforderung besteht also darin, wie wir die nachwachsenden Kund:innen ansprechen. Wir müssen von unten stetig anbauen, ohne unsere Stammkund:innen zu verlieren. Das ist in meinen Augen die größte Herausforderung: dieses Haus Schritt für Schritt für Schritt zu modernisieren – im Sortiment, in der Werbung, in der Ansprache – und trotzdem alle mitzunehmen. Und letztlich muss man auch aushalten können, dass jemand sagt, das ist nicht mehr mein Laden. Man muss trotzdem weiter gehen und modernisieren, man darf nicht stehenbleiben. Und so entstehen solche Themen wie beispielsweise die Yoga-Kurse.
Wie hat sich das Konsumverhalten verändert im Vergleich zu früher?
Also dieses „ich gehe jetzt los und suche einen dunkelblauen Pullover“ gibt es nicht mehr. Man geht los für das Erlebnis. Daher ist es so wichtig, im Bewusstsein der Menschen verankert zu sein. Dass sie das Gefühl haben, wenn sie in die Stadt gehen, dann müssen sie auf jeden Fall zu Schnitzler gehen. Dieses Gefühl entsteht selten über Ware oder Marken, sondern weil sich die Menschen mit uns und unseren Werten identifizieren.
Wie reagieren Sie auf die Preisentwicklung der letzten Jahre? War es ein Problem für Sie, dass die Preise so gestiegen sind?
Ja, und ich glaube, dass wir unter unseren Kolleg:innen zu den ersten gehörten, die mit großer Sensibilität nicht jede Preiserhöhung hingenommen haben. Wir haben täglich Kontakt zu den Kund:innen und selbst bei einer wohlhabenden Klientel gibt es das Ende der Fahnenstange. Wir waren seit jeher Premium, daher treffen uns die Eskapaden der Luxusmarken nicht so schlimm, aber auch in unserem Segment ist es unsere klare Haltung im Einkauf, dass wir Bodenhaftung bewahren wollen.
Welche Preislagen funktionieren?
Also wenn teuer, dann muss es entweder vom Style oder von der Qualität her so besonders sein, dass man bereit ist, dafür mehr Geld auszugeben. Wir haben uns schweren Herzens von manchen Marken getrennt und schon vor drei, vier Jahren angefangen, in deren früheren Preislagen neue Marken aufzubauen. Wir sind bewusst wieder in Anfangspreislagen gegangen. Und wir merken, dass das auf jeden Fall die richtige Entscheidung war. Die Preissensibilität macht auch vor Münster nicht halt.
Worauf setzen Sie im nächsten Winter? Gerade startet ja die Ordersaison.
Von Trends könnte ich jetzt noch nicht sprechen. Dafür habe ich noch nicht genug gesehen. Aber natürlich schauen wir schon, was haben wir gut verkauft und was wollen wir stärken. Was bei uns aber noch viel, viel wichtiger worden ist, ist, wer sind die Menschen hinter dieser Marke? Woran glauben sie, und wollen wir mit ihnen arbeiten und wachsen? Wir führen im Moment viele Gespräche mit Marken, wo wir abklopfen, wie sie menschlich ticken. Wenn wir menschlich übereinstimmen und eine gemeinsame Vision haben, wohin wir gemeinsam wollen, dann passt es.
Welche Kriterien wären Ihnen hierbei wichtig?
Ich finde Ehrlichkeit wahnsinnig wichtig, und ich will kein Marketingprodukt. Das haben wir natürlich auch mal – keine Frage – aber ich brauche auch Substanz. Wir kaufen alles auf eigenes Risiko ein, wir haben keine Concession-Flächen, deshalb müssen wir zuallererst hinter dem Produkt stehen. Denn dem Großteil der Kund:innen sind die Marken egal, sie wollen gut beraten werden und ein gutes Teil kaufen. Und es muss eine gemeinsame Vision existieren, dieser mittelfristige Glaube daran, dass man gemeinsam etwas entwickeln kann.
Nicht nur das Produkt muss stimmen, auch die Menschen dahinter müssen passen. Letztes wird für mich tatsächlich immer wichtiger. Nehmen wir mal die aktuelle Diskussion rund um den Verband der Familienunternehmer:innen. Wenn ich eine Marke führen würde, die sich für einen offenen Dialog mit der AfD entscheidet, dann wäre sie am nächsten Tag nicht mehr hier. Ganz eindeutig. Die Egal-Zeit ist vorbei. Wir müssen Haltung zeigen, und wir müssen für Dinge einstehen. Und für uns ist ganz klar, dass Themen wie Rassismus bei uns keinen Platz haben.
Das könnte aber auch einen Teil Ihrer Kund:innen abschrecken…
Es gehörte lange zur DNA von Einzelhändler:innen, dass man sich möglichst aus allem raus hält. Es hieß immer, wir sind unpolitisch. Wir bei Schnitzler sind das nicht. Wir sind sogar sehr politisch. Bestimmt nicht parteipolitisch, aber sehr politisch. Und das kommuniziere ich persönlich über jeden möglichen Kanal. In jedem Gespräch. Auch wenn ich dafür schon Morddrohungen bekommen habe. Den Gegenwind muss man aushalten können.
Was machen Sie mit den Hass-Kommentaren auf Social-Media?
Die kriegen wir gar nicht. Bisher jedenfalls. Toi, toi, toi. Wir bekommen schon mal eine Aussage wie: „Dann komme ich nicht mehr zu euch.“ Aber ganz ehrlich: Unsere Belegschaft ist ein gesundes Abbild unserer Gesellschaft. Wir haben verschiedene Alter, Religionen, sexuelle Orientierungen, Menschen aus verschiedenen Kulturen und Herkunftsländern. Wenn das jemand nicht mag, dann ist er nicht richtig bei uns. Wenn Kund:innen deswegen nicht mehr kommen, dann Gott sei Dank. Mit dem Polit-Influencer Marc Raschke gesprochen, ist das der sogenannte ‚Arschloch-Filter‘. Wenn jemand deshalb nicht mehr kommt, weil wir Vielfalt leben, macht das nichts. Und im Zweifel kommen dafür hoffentlich zwei neue, weil sie unsere Position gut finden.
Dann hätte ich zum Abschluss noch eine vergleichsweise banale Frage: Welche Marken sind im Rückblick auf die letzten Saisons überraschend gut gelaufen?
Wir machen sehr, sehr gute Erfahrungen mit NN07 aus Kopenhagen. Auch Butcher of Blue entwickelt sich gut. Profuomo haben wir relativ kurz, bei Hemden aus dem Stand etabliert, jetzt wächst auch der Total Look. Bei den Damen ist das noch nicht so eindeutig. Ich glaube, Essentiel Antwerp und Munthe haben Potenzial, und wir sind gespannt, wie der Weg bei Dorothee Schumacher weitergeht. Dann gibt es Produktspezialisten wie Allude und Hemisphere, auch da habe ich das Gefühl, dass die auf einem sehr guten Weg sind, weil sie an Qualitäten glauben.
Was läuft gerade? Sind es eher die Basics oder eher die besonderen Teile?
Das eine wie das andere, aber nichts mehr dazwischen. Also Basics ja, wenn es ein Ersatzkauf ist. Dann aber in einer anderen Preislage als früher. Wenn der Pullover früher für 199 Euro verkauft worden ist, kostet er jetzt 169 Euro. Das hat sich verändert.
Farbe und alles Besondere laufen gut. Im Herbst beispielsweise Braun und Bordeaux. Farben, die tragbar sind, und mal nicht Blau und Schwarz. Wir haben auch für den Frühling sehr darauf geachtet, Farbe und Muster einzukaufen. Man merkt, dass man Anreize schaffen und Teile zeigen muss, die die Leute nicht bereits im Kleiderschrank haben.
Wie entwickelt sich der Gegensatz Casualisierung versus mehr Tailoring?
Noch ist es eher ein Wunschgedanke. Die Männer haben wieder mehr Spaß daran, sich gut anzuziehen, und bei Schnitzler heißt das dann auch, dass der Look more dressy ist, aber die lässigen Elemente behält. Weniger Sweatshirt, mehr Strick zum Beispiel, aber der muss sich so soft und komfortabel tragen wie ein Sweater. Das gleiche bei Damen: Blazer ja, aber neu, wie zum Beispiel von Veronica Beard.
Ein anderes Bild erleben wir bei Weitkamp, unserem Laden nur für Herren. Dort ist der Maßkonfektionsanteil mittlerweile fast zu hoch. Das ermöglichen Anbieter:innen wie Munro Tailoring aus Amsterdam, wo ein Maßkonfektionsanzug preislich auf einem Niveau mit einem Ready-to-Wear Anzug ist.
ODER ANMELDEN MIT