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„Loungewear pur ist keine Option mehr.“ Was den Modehandel zum Saisonstart umtreibt und worauf er bei der Order setzt.

Von Annette Gilles

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Einzelhandel

Fotos: Maximilian Häßner, Andrea Schütz, Christiane Döring und Michaela Lenk (von links nach rechts)

Aktuell ist die Situation in den inhabergeführten Fachgeschäften und Boutiquen so unterschiedlich wie die jeweiligen Standorte und Sortimente. Klar scheint aber: Das Jahr war vielfach nicht so schlecht wie sein Ruf. Dank kreativer Marketingmaßnahmen haben insbesondere die kleineren und mittleren Fachgeschäfte mit hohem Stammkundenanteil ihre Umsatzziele oft erreichen können. Und wie geht es nun weiter?

Der Saisonstart Frühjahr 2022 verzögert sich nicht selten aufgrund verspäteter oder ausgefallener Lieferungen. Gleichzeitig sorgt Omikron für Verunsicherung. Sicher scheint derzeit nur, dass die Ungewissheit der letzten 20 Monate auch 2022 Dauergast sein wird. Was bedeutet das nun für die Order Herbst/ Winter 2022/23?

Die Händler versuchen sich modisch auf alle Eventualitäten einzustellen. Dafür setzen sie auf ihren bewährten Lieferanten-Mix und etablierte Partnerschaften. Für Reibung dürfte das Thema Preisentwicklung und Eckpreislagen sorgen.

Andrea Schütz, Tutto in Frankfurt: „Wir brauchen Gute-Laune-Teile“

Wie die Stimmung ist? „Naja, so mittel“, sagt Andrea Schütz. Nach der Einführung von 2G war die Frequenz zunächst „wie abgeschnitten, hat sich aber schnell wieder normalisiert“. Jetzt stellt sich die Chefin der im Frankfurter Westend gelegenen Boutique für Contemporary Fashion bereits wieder auf einen eventuellen Lockdown ein. Gleichzeitig treibt die Liefersituation sie um.

Bild: Andrea Schütz, Tutto in Frankfurt.

Auf ihre deutschen Lieferanten – Schumacher und Lala Berlin sind die wichtigsten – ist zwar Verlass, doch die Italiener und Franzosen lassen auf sich warten. „Der Liefertermin November ist immer noch nicht da“, sagt Schütz. Folglich fehlt ihr Ware für den Saisonstart, Neuheiten, die sie auf Instagram posten und ihren Stammkundinnen anbieten kann, und „für die Deko haben wir auch bald nichts mehr“. Dabei gehören die inspirierenden Dekorationen in ihrer großzügigen Fensterfront zu ihren wichtigsten Marketing Tools.

Für das Frühjahr hat Andrea Schütz bewusst „ganz normal geordert“, so als stünde uns ein unbeschwerter Sommer bevor. Schließlich „kann man nicht nur im Jogging- Anzug durchs Leben gehen.“ Auch ihre Kundinnen wollen – Corona hin oder her – nicht immer nur Loungewear zum Chillen auf der Couch, „sie brauchen Inspiration, Ablenkung, die Bedürfnisse sind ja nach wie vor da“, sagt Andrea Schütz, „wenn es auch nicht ganz einfach ist, sie zu bedienen“.

Ihr Rezept für die Herbst-Order ist daher ein Casual Look für jeden Tag, der gute Laune transportiert. Und wie wirken sich die Preissteigerungen auf die Laune aus? „Da bin ich gespannt“, sagt Schütz. Bei ihren Stammlieferanten liegen „die Jeans jetzt durchweg bei fast 300 Euro“. Das ist für sie aber auch die Schallgrenze, „ein Modell, das für über 300 Euro im Laden hängt, werde ich nicht kaufen“.

Bild: Tutto in Frankfurt.

Maximilian Häßner, Textilium in Nidda: „Jogg-Pants bleiben ein Thema – wenn sie partytauglich sind“

Gut 350 Quadratmeter Mode, herzliche Atmosphäre, nahbare Sortimente – das ist Textilium, mitten in Nidda im hessischen Wetteraukreis gelegen. „Letztendlich ist das Jahr ganz gut gelaufen“, resümiert Inhaber Maximilian Häßner, „schwierig ist nur die Liefersituation.“ Von Saisonauftakt kann daher noch nicht so recht die Rede sein. „Wir müssen halt schauen, was da ist und es so präsentieren, dass es eine runde Sache wird.“

Bild: Maximilian Häßner, Textilium in Nidda.

Gerade wuppt er noch das Weihnachtsgeschäft, unter 2G-Bedingungen, die auch bei Textilium die Frequenz torpediert haben: „Es kommen deutlich weniger Kunden in den Laden“, beobachtet Häßner. Dass die Pandemie-Situation mit ihren Aufs und Abs vorläufig erhalten bleibt, darauf hat er sich mit seinem Team längst eingestellt: „Wir müssen die Kunden anders ansprechen und abholen, ihnen Zuversicht geben, sie immer wieder motivieren“, sagt Häßner. Immerhin: „Bei den Kunden, die da sind, ist die Konsumstimmung gut“. Dennoch ist die Frequenz „jeden Tag anders, wirklich planbar ist daher kaum etwas“.

Und dennoch muss auch geordert werden. Werden die Kundinnen und Kunden in seinem Sortiment mit Labels wie Only, Yaya, Someday, Levi’s, oder Marc O’Polo Denim im nächsten Herbst eher etwas fürs Sofa oder zum Ausgehen finden? „Beides“, sagt Maximilian Häßner, „wir brauchen eine gesunde Mischung, denn jeder will’s gemütlich haben – aber die Teile müssen gleichzeitig ausgehfähig sein.“ Ist das machbar mit seinen Lieferanten? „Das kriegen wir hin“.

Bild: Textilium Nidda

Christiane Döring, Drop In Moden in Lindau: „Homewear? Ist viel zu beliebig!“

„Seit 2G ist die Frequenz sehr rückläufig“, sagt Christiane Döring, Inhaberin von Drop In Moden. Das Problem: Ihr Standort Lindau liegt zwar in Bayern, jedoch an der Grenze zu Baden-Württemberg; daher sind die Kundinnen, die aus zwei Bundesländern mit unterschiedlichen Verordnungen kommen, „total verunsichert“. Dass sie 2021 trotz aller Schwierigkeiten pari abschließen konnte, darüber ist Christiane Döring selbst erstaunt.

Bild: Christiane Döring, Drop In Moden in Lindau.

Wenn es einen weiteren Lockdown gibt, „kann ich nur hoffen, dass die Kunden den Fachhandel weiterhin so unterstützen“. Auch bei Preissteigerungen geht ihre Klientel bisher mit. Es kommt eben – so ihre Erfahrung – auf die richtige Erzählung an: „Ich informiere meine Kundinnen intensiv über die Ware.“ Im Dialog mit ihren Lieferanten – Luisa Cerano, Peserico, S. Marlon, Herzensangelegenheit oder Hannes Röther sind ihre Zugpferde – spielt die Wertigkeit der Ware, die Produktionsstätten und -bedingungen daher eine wichtige Rolle, ebenso wie die Frage, ob „die Ware sich modisch hinreichend weiterentwickelt“.

Denn obwohl das neue Jahr wiederum unter dem Zeichen der Pandemie steht und man Events wie Jubiläen oder Hochzeiten nicht zuverlässig einplanen kann, „müssen wir mit ausgefallener Mode einen Ausgleich schaffen“. Daher wird es bei Drop In Moden im nächsten Herbst auch keine Homewear geben, „sondern Mode für jeden Tag“. Das heißt konkret: „Jogg-Pants ja, dann aber nicht noch ein Hoody dazu, sondern eine attraktive Bluse.“ Muss sie dafür mehr mixen, noch individueller werden? „Genau, der Mix muss noch spezieller werden“, sagt Christiane Döring, „aber das lässt sich mit meinen Lieferanten gut umsetzen“.

Michaela Lenk, Mode Lenk in Pforzheim: „Wir brauchen die Kombination von großer Kundennähe und guten Eckpreislagen im Sortiment“

Anscheinend ist alles eine Frage der Gewöhnung, auch 2G. „Zuerst hatten wir ein paar ganz stille Tage“, sagt Michaela Lenk, „aber dann wurde die Frequenz wieder sehr gut.“ Und plötzlich fanden nicht nur Stammkundinnen, sondern auch überraschend viele Laufkundinnen den Weg in ihren 200 Quadratmeter großen Store im Herzen Pforzheims. Die richtige Mode ist auch da, „selbst leicht verspätet ausgelieferte Ware konnte hervorragend ins Sortiment integriert und verkauft werden“, so Lenk. Marc Cain, Riani und Herzensangelegenheit sind die wichtigsten Lieferanten, gefolgt von Esisto, Raffaello Rossi, Tillys T-Shirts und neuerdings auch FTC.

Der Saisonstart mit Marc Cain und Riani ist gut angelaufen, „wir hatten einen Bomben-November und -Dezember“, sagt Michaela Lenk. Und wie geht es nun weiter? Falls es einen neuen Lockdown gibt, „werden wir damit leben müssen und können, denn dank der Kundennähe, die wir aufgebaut haben, werden wir auch gut durch einen weiteren Lockdown kommen“, glaubt Michaela Lenk. „Für uns Einzelhändler ist es gerade in einem Lockdown wichtig, dass wir uns weiterhin mittels Sozialer Medien um unsere Kundinnen kümmern und an uns glauben.“

Bild: Michaela Lenk, Mode Lenk in Pforzheim

Trotz der Ungewissheit hat sie fürs Frühjahr auch wieder Anlassmode gekauft, denn Kleider und Blazer haben 2021 gefehlt. Bei der Order für den nächsten Herbst will sie insbesondere darauf achten, dass die Strickthemen einen speziellen Twist haben, denn „die Classics haben sich schwergetan, die Kundin will etwas Besonderes“, so Lenk. Aber auch die Preislagen müssen stimmen, insbesondere bei Hosen und Strick. „Ich kann nicht nur Pullover für 349 oder 399 Euro in den Laden hängen, wir müssen unbedingt attraktive Eckpreislagen umsetzen.“

Birgit Engel, Birgit Engel in Grünwald: „Ich suche nach Specials – aber einen soliden Unterbau brauche ich auch“

„Wir haben ein super Jahr hinter uns“, sagt Birgit Engel, die ihren Store in dem Münchener Vorort Grünwald führt. Doch seit Omikron die Menschen verunsichert, „spürt man wieder mehr Zurückhaltung“. Da passt es dann, dass sie – da sie schon für Dezember mit einem weiteren Lockdown gerechnet hatte – die Auslieferung der ersten neuen Themen hat zurückstellen lassen.

Fürs Frühjahr hat sie zunächst legere Themen geordert, dann aber „bin ich umgeschwenkt und habe Spezialitäten gesucht“, so Engel. Insbesondere auf Sakkos, Hosen und Kleider hat sie dabei gesetzt, denn im letzten Sommer hat sich gezeigt, dass „die Frauen sofort Lust auf Kleider haben und sich chic machen wollen“, sobald man wieder ausgehen kann. Im Frühherbst waren es dann insbesondere Sakkos, die gefehlt haben.

Auch für Herbst 2022 sucht sie Specials, aber nicht ohne entsprechenden Unterbau. Außerdem „werde ich Limit kürzen, um spontan reagieren zu können“, sagt Birgit Engel. Funktioniert das in ihrem gehobenen Genre? „Ich habe ein paar Fabrikanten, die sich auf das momentane Bedürfnis eingestellt haben“, sagt Birgit Engel. „Da kann ich sensationell gut nachziehen.“

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