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On Demand Production: „Wir brauchen 50 Blusen statt 5000“

Von Regina Henkel

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Business |INTERVIEW

Lectra will die Prozesse in der Modeproduktion auf ein neues Niveau heben. Statt weiter darauf zu hoffen, mit immer mehr Massenware und hohen Abschlägen den Konsumenten zum Kauf zu bewegen, sucht der Technologieanbieter aus Frankreich nach intelligenteren Lösungen, Angebot und Nachfrage wieder näher zusammen zu bringen. Holger Max-Lang ist seit Januar 2018 Geschäftsführer von Lectra Deutschland und verantwortlich für die Region Zentral- und Osteuropa mit Russland. Wir haben ihn gefragt, welche Probleme die Bekleidungsindustrie in den kommenden Jahren lösen muss, um weiter rentabel arbeiten zu können und wie er die Zukunft der Produktion sieht.

Sie sehen in der bedarfsgerechten oder On-Demand-Produktion die Zukunft der Modeindustrie - was genau meinen Sie damit?

Um die richtige Ware in der richtigen Menge auf den Markt zu bringen, gilt es, die Prozesse zu verändern. Der Produktlebenszyklus von Kleidungstücken muss neu definiert werden. Mit On-Demand Produktion kann nachfrageorientiert – den Kundenwünschen entsprechend – und in Kleinserien produziert werden. Denn der Markt verlangt kleine Mengen, die in kurzer Zeit lieferbar sind, also beispielsweise 50 Blusen alle zwei Wochen anstatt 5000 Blusen auf einen Schlag. Somit können marktrelevante Entwicklungen und Kundenwünsche zeitnah berücksichtig werden. Für bedarfsgerechte Produktion wird die Supply Chain neugestaltet um maximal variabel zu produzieren, also in Stückzahlen, die tatsächlich benötigt werden und das in einem überschaubaren Zeitrahmen.

Wir sehen es gerade: Überall hohe Rabatte in den Läden und Onlinestores. Könnte mehr Fashion on Demand das verhindern?

Heute dauert es in etwa neun bis 14 Monate bis Kollektionen in die Läden kommen. In dieser Zeit haben sich häufig Trends geändert, und die Kollektionen entsprechen nicht mehr dem eigentlichen Bedarf. Daher müssen Teile der Kollektion mit hohen Abschlägen verkauft werden, was der Branche die Margen zerstört und große Schwierigkeiten bereitet. Es wird Zeit für die Modeunternehmen umzudenken und auf agile Fertigungsprozesse zu setzen, um in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben. Und man bedenke die positiven Nebeneffekte der On-Demand Produktion: Die Margen sind höher, die Lagerkosten und das gebundene Kapital niedriger, und zudem werden die Ressourcen und damit die Umwelt geschont.

Die Digitalisierung bringt viele Umbrüche in der Supply Chain, an welcher Stufe stehen wir aktuell? In welche Art von Innovation investieren Mode-Unternehmen gerade stark?

Mode- und Textilunternehmen investieren stark in die Digitalisierung des Mode- und Textilbereichs, da der Marktdruck steigt und Produktlebenszyklen sinken. Adidas hat mit seiner Speedfactory und dem Storefactory-Konzept „Knit for You“ wegweisende Zukunftsbeispiele aufgestellt. Unsere Kunden interessieren sich besonders für die Themen 3D Virtual Prototyping und PLM, Product Lifecycle Management. Ein PLM in einer digitalen Wertschöpfungskette vernetzt alle Abteilungen eines Bekleidungsherstellers, vereinfacht die Kommunikation und beschleunigt sowohl die Entwicklung als auch die Fertigung von Produkten. Das ermöglicht es Modeunternehmen, schnell auf Trends zu reagieren. Zudem werden die Hersteller agiler und können individuelle Produkte anbieten, indem sie etwa einen Teil des Designs vom Kunden mitbestimmen lassen.

Bisher war der Zuschnitt ein Nadelöhr bei der Realisierung von mehr Individualisierung und kleinen Stückzahlen. Sie haben dafür eine Lösung entwickelt?

Ja. Auch der Zuschnittraum geht in Richtung Industrie 4.0 – digital, vernetzt und intelligent. Die Robotik spielt da sicher eine Rolle, aber einen Automatisierungsgrad wie in der Automobilindustrie werden wir im Mode-Bereich nicht so schnell erreichen. Denn am Ende ist Kleidung immer noch sehr individuell und wird von Menschen unterschiedlichsten Alters und Größen getragen.

Wo sehen Sie derzeit die größten Hürden für die Modeindustrie?

Die größte Herausforderung für Modeunternehmen ist es, immer schneller und agiler zu werden. Größen wie Amazon, aber auch neue digitale Startups heben die Messlatte weiter an. Das ist ein Grund, warum Lectra seine aktuellen Lösungen, wie die Lectra Fashion PLM, 4.0-konform entwickelt hat. Die modularen Lösungen werden den neuen Anforderungen der Unternehmen gerecht und passen sich ihren veränderten Geschäftsmodellen an.

3D-Simulationen ersetzen Prototypen und sparen beim Design enorm Zeit. Wie gut sind die Programme inzwischen?

Das 3D-Design basiert auf simulierten 2D-Schnittteilen, sodass vom Designer entwickelte Schnitte nicht mehr per Hand anprobiert werden müssen. Richtig umgesetzt, sind mit der 3D-Simulation Prototypen nicht mehr notwendig. Das spart Zeit und Geld. Diese Arbeitsweise ist ein großer Schritt hin zum digitalen Entwicklungsprozess. Besonders Unternehmen für DOB und HAKA nutzen die Lectra 3D-Lösung Modaris, da unser System einen Pool an vorgefertigten Schnitten bietet. Darauf basiert entwickeln Designer ihre Schnitte weiter. Auch alle darauffolgenden Abteilungen profitieren davon, da Informationen, wie die Gradierung automatisiert umgesetzt und weitergegeben werden.

Wie weit geht die Digitalisierung: Können bald von der Zeichnung allein Schnitte erstellt werden?

Im Möbel- und Automobilbereich basieren 3D-Simulationen bereits alleine auf Skizzen. Im Modebereich gestaltet sich diese Konstruktion aber etwas schwerer, da der Abstand vom Stoff zum Körper berücksichtigt werden muss. Der Trend geht dahin, dass Designer direkt in 3D entwickeln.

Sie arbeiten intensiv mit der Möbel- und Automobilindustrie, die in den Bereichen Digitalisierung und Automation schon weiter sind. Wie stellen Sie sich die Bekleidungsproduktion in zehn Jahren vor?

Der Nachholbedarf der Modeindustrie kann zu einem großen Vorteil werden. Er bietet die Chance, jetzt vieles gleich richtig zu machen und das Beste von heute und morgen zu verbinden. Der Mensch als Arbeitskraft wird dennoch weiterhin Teil der textilen Wertschöpfungskette bleiben. Wir bewegen uns stark in Richtung mobile Fertigungsstraßen. Vorstellbar sind zum Beispiel Container-Lösungen, die an einen Pop-Up-Store angegliedert werden – individuelle Produktion für den lokalen Verkauf, ermöglicht durch Automatisierung und Robotik. Maßgebend wird die Frage sein, welche Funktionen unsere Kleidung in Zukunft übernimmt. Hier verschmelzen zwei Bereiche immer mehr, die Nanotechnologie und die Textilindustrie. Das Ergebnis sind sogenannte Smart Textiles, intelligente Stoffe mit eingewobener Elektrotechnik. Die damit entstehenden Möglichkeiten werden die Bekleidungsbranche und die Produktion umkrempeln.

Was bedeutet die Digitalisierung der Produktionskette für die Produktions-Standorte weltweit?

Eine digitalisierte vernetzte Produktionskette verbindet Abteilungen direkt ortsunabhängig miteinander. Das vereinfacht und beschleunigt die Produktentwicklung und Fertigung enorm. Die Auslieferung der Ware wird da zum Flaschenhals der Produktionskette. Nahgelegene Produktionsstandorte gewinnen stark an Bedeutung, das sehen wir an der Region Osteuropa.

Bild: 1) Photo by Artem Beliaikin from Pexels 2) Lectra / Holger Max-Lang und 3) Headquarter von Lectra in Frankreich

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