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Lieferketten in Aufruhr: Modeunternehmen stornieren Milliarden-Aufträge

Von Weixin Zha

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Business |HINTERGRUND

Textilunternehmen wie Primark haben in den vergangenen Wochen Aufträge in Milliardenhöhe bei ihren Lieferanten weltweit zurückgerufen. Die Ausbreitung der Covid-19 Pandemie zeigt auch, wie verwundbar die sonst eingespielten und global verzweigten Lieferketten der Modeindustrie sind.

Allein in Bangladesch haben führende Textilfirmen bei mehr als 1000 Fabriken Aufträge im Wert von rund 1,5 Milliarden US-Dollar (1,4 Mrd Euro) ausgesetzt oder storniert, sagte die Chefin der Vereinigung der Textilproduzenten des Landes, Rubana Huq, der Deutschen Presse-Agentur. Als Grund gaben die Firmen an, dass ihre Läden wegen der Pandemie des neuartigen Coronavirus geschlossen seien.

Bangladesch ist nach China der größte Textilproduzent der Welt mit knapp 4000 Fabriken und vier Millionen Arbeitern, darunter vorwiegend Frauen. Die meisten Textilfirmen haben ihre Produktion ausgelagert, weil die Löhne in anderen Ländern niedriger sind, aber oft ist die soziale Absicherung in Krisenzeiten schlechter. Und in Krisenzeiten werden die Probleme oft bis an das Ende der Lieferkette weitergereicht.

Modebranche im Ausnahmezustand

Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus stellt vieles in der Textilindustrie seit Wochen immer mehr auf die Probe und gleichzeitig in Frage. "Der Schaden ist immens, wir sind eine globale Industrie, unsere Lieferketten sind zusammengebrochen", sagte die Präsidentin der deutschen Textil- und Modeindustrie, Ingeborg Neumann, der "Passauer Neuen Presse" vom Montag.

Vor allem die in vielen Ländern verordneten Ladenschließungen treffen Modehändler, die ihre Waren voraussichtlich für Wochen nicht verkaufen können. Deshalb stornieren sie Aufträge für die kommenden Monate. Der irische Textildiscounter Primark verzichtet beispielsweise vorerst auf neue Warenbestellungen bei seinen Zulieferern. Die Maßnahmen dienen dazu, die Lagerbestände zu begrenzen, teilte der Mutterkonzern Associated British Foods plc (ABF) am Montag mit. Bei vielen anderen Fast Fashion Anbietern ist die Lage ähnlich. Die Modemarken, die über Händler vertrieben werden, haben selbst mit Stornierungen zu kämpfen.

Wie weit reicht die Verantwortung der Modeunternehmen für ihre Lieferanten?

Der Nachfrageeinbruch in den westlichen Ländern könnte auch schwerwiegende Folgen für die Produktionsländer haben. Viele Fabriken in den Bekleidungsherstellungsländern schließen wegen der Verknappung von Rohstoffen aus China, teilte die Kampagne für Saubere Kleidung in der vergangenen Woche mit. Weitere Fabriken schließen weil Marken aufgrund der rückläufigen Verbrauchernachfrage und der obligatorischen Schließung von Geschäften weiterhin Aufträge reduzieren. Auch die von den Regierungen der Produktionsländer empfohlenen notwendigen Vorsichtsmaßnahmen angesichts der Verbreitung des neuartigen Coronavirus führen zu weiteren Schließungen, so die Nichtregierungsorganisation.

Etwa 10 Prozent der Bekleidungsfabriken in der Region Rangoon in Myanmar seien vorübergehend geschlossen und die Arbeiter erhalten ihre Löhne nicht, sagte die Clean Clothes Campaign, die ihre Informationen aus dem eigenen Netzwerk und Medienberichten bezieht.

Die durch die Covid-19-Pandemie verursachte Wirtschafts- und Arbeitskrise könnte die weltweite Arbeitslosigkeit um fast 25 Millionen erhöhen, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation (IAO). Einen Ausblick für einzelne Industrien gibt es noch nicht.

“Während die Regierungen der Bekleidungsherstellerländer zweifellos die Pflicht haben, sich um ihre Bürger zu kümmern, haben internationale Bekleidungsmarken auch eine Verantwortung, nicht nur für die Beschäftigten in ihren eigenen Unternehmen, sondern auch für die Arbeitnehmer in ihren Lieferketten”, sagte die Fair Wear Foundation in einer Mitteilung am Montag. “Mehr als je zuvor ist es eine Zeit, in der die Bekleidungsindustrie zeigen muss, wie globales Unternehmertum wirklich aussieht.”

Was bedeutet das für Lieferketten in Zukunft?

Die Kampagne für Saubere Kleidung fordert von Modekonzernen ein, dass sie sicherstellen, dass Arbeiter unter guten gesundheitlichen Bedingungen angesichts der Ausbreitung von Covid-19 arbeiten können. Die Arbeiter sollen außerdem ihre volle Vergütung bei einer vorübergehenden Schließung der Fabriken erhalten.

Diese Forderungen klingen angemessen, können aber schwierig für viele Unternehmen sein, die selbst gerade um ihr Überleben kämpfen. So verkündete der dänische Konzern Bestseller in der vergangenen Woche, dass er 750 Stellen in seinem Heimatmarkt Dänemark streicht und auch international die Lage prüft.

Eingespielte Lieferketten sind teilweise unterbrochen. Vor der weltweiten Verbreitung ging die deutsche Modebranche noch davon aus, dass Beschaffungsengpässe in China ab Sommer Lieferprobleme bringen werden. Mit der Verbreitung von Covid-19 wurden zuletzt auch Produktionsstätten in Ländern wie Italien und Türkei geschlossen. Die Situation wird derzeit immer unübersichtlicher - wann geliefert werden kann, wird schwerer absehbar und auch wer überhaupt liefern kann.

Erste Stimmen rufen schon dazu auf, Liefertermine und Orderrunden nach hinten zu verschieben, wie der Hamburger Agentur-Inhaber Norbert Gresch. Das grüne Kölner Damenlabel Lanius gründet eine Allianz mit anderen Labeln, um den Rhythmus der Modebranche wieder zu verlangsamen.

Für die Zeit nach dem Coronavirus prognostizieren Trendforscher wie Matthias Horx, dass “die globale Just-in-Time-Produktion, mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Millionen Einzelteile über den Planeten gekarrt werden”, sich überlebt hat. Stattdessen werde in Zukunft ortsnaher produziert und die Netzwerke lokaler. Ob es nur zu einer vorübergehenden Zwangspause kommt oder langfristigen Änderungen, bleibt aber noch abzuwarten.

Bild: FashionUnited

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