BTE-Kongress 2023: Modehandel braucht mehr Taten und weniger Worte
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Totgesagte leben sprichwörtlich länger und doch ist das “Sterben der Innenstädte” und die schwindende Attraktivität vieler Standorte eines der drängenden Probleme des Modehandels, die am 28. September beim siebten BTE-Kongress "Fashion-Emotion 4.0: Zukunftsorientierte Erfolgskonzepte des Modehandels – lokal und digital" auf der Agenda standen.
Auffällig wenig thematisiert wurden Schreckgespenster wie die derzeitig Insolvenzwelle, Preissteigerungen oder der Ukraine-Krieg, vielleicht auch, weil HDE-Präsident Alexander von Preen sich “wieder mehr Leichtigkeit” in der Branche wünscht. Doch auch ohne diese Schlagworte gibt es großen Handlungsbedarf, wie die Veranstaltung verdeutlichte. Über Probleme zu lamentieren ist jedoch ohne konkretes Handeln keine Lösung – das weiß auch der frischgebackene BTE-Präsident Mark Rauschen. „Wir haben kein Erkenntnisproblem. Wir haben ein Umsetzungsproblem", sagte der geschäftsführende Gesellschafter des Osnabrücker Modehauses L&T Lengermann & Trieschmann zu Beginn des Kongresses im Gespräch mit HDE-Präsident und Intersport Deutschland Geschäftsführer Von Preen. Eine Aussage, die ihm Applaus und viel Zustimmung brachte.
Wie verschafft sich der Handel politisches Gehör?
Dass weder Rauschen und der BTE noch von Preen und HDE die zentralen Probleme des Modefachhandels alleine angehen können, ist klar, und so stand die Frage im Raum, wie beide Verbände und der Handel als Ganzes künftig an einem Strang ziehen können. „Wie können wir uns die Bälle zuspielen, im politischen Berlin?”, fragte Rauschen den HDE-Präsidenten in einem einführenden Gespräch, bei dem das politische Gehör der Modebranche im Fokus stand.
„Wir als Fashion-, als Schuhbranche, wie können wir wirken und einzahlen auf eine gemeinsame Strategie, auf eine Message, ohne dass wir im Tanzbereich des Anderen sind?”
Wie so vieles im Handel ist die Antwort darauf komplex, doch es gehe vor allem darum, in der Zukunft einheitliche Signale an die Politik zu senden, eine gemeinsame Position zu entwickeln und diese “immer wieder zu predigen”, erklärte Von Preen, denn es stelle sich immer häufiger die Frage, wie intensiv sich die Politik überhaupt mit der Modebranche beschäftige. „Wir sind jetzt dabei, sehr intensiv diese Leistungen, die der Handel, gerade auch der Non-Food-Handel bringt, die Versorgung der Menschen, die soziale Austauschplattform, die Belebung der Innenstädte, immer wieder zu transportieren.“ Unterstützung beim “predigen” bekommt der HDE künftig auch vom BTE, denn dieser hat sich entschieden bis 2025 nach Berlin zu ziehen, “damit wir eben auch mitgehen können, damit wir erreichbar sind, damit wir das Netzwerk schaffen können”, so “der Neue an der BTE-Spitze”, wie sich Rauschen selbst zu Beginn des Kongresses vorstellte.
Positive Veränderungen – sei es im Bezug auf die Innenstädte, die Nachhaltigkeit oder auch die Digitalisierung – werden Zeit kosten, sich allerdings lohnen, so das Credo der beiden Verbandspräsidenten, die durchaus positiv und mit Tatendrang in die Zukunft blicken. Von Preen fand zu Beginn der Veranstaltung optimistische Worte: „Ich glühe für den Handel und ich bin sicher, dass der Einzelhandel vor einer Renaissance steht. Wir haben es jetzt in der Hand.”
Die Rettung der Innenstädte und die Rolle der Menschen
Um eine Renaissance zu erleben zu können, braucht der Handel allerdings attraktive Innenstädte, und diese brauchen den Modehandel.
„Der Modekauf ist für nahezu zwei Drittel der Teilnehmer:innen unserer aktuellen Verbraucher:innenumfrage nach wie vor der wichtigste Anlass, in die Innenstadt zu gehen”, so die positive Nachricht von Ralf Pangels, Hauptgeschäftsführer des BTE, der Umfrageergebnisse der jüngsten BTE-Befragung vorstellte. Umso wichtiger also, dass Innenstädte weiterhin erhalten, aber vor allem auch weiterentwickelt werden. Eine Aufgabe, die, so Pangels, nicht nur an den Städten, sondern auch an den Händler:innen liegt, denn auf beiden Seiten gibt es Verbesserungspotential.
Während es an den Kommunen und Städten sei, sich “Schandflecken” in der Innenstadt anzunehmen, sind es die Händler:innen, die dem “eintönigen Sortimentsangebots” und der fehlenden Vernetzung von “off-/online Angeboten” Entgegenwirken müssen. Auch die Erfüllung der Wünsche der Befragten liegt bei Kommune und Handel zugleich, denn vor allem mehr Events und “schönere Geschäfte” – sei es Fassade als auch die Inneneinrichtung, werden von Kund:innen gefordert. Die Umsetzung sei den Kund:innen dabei egal, doch sie fordern Veränderung, mahnte Pangels. Dabei wurde besonders die hohen Leerstände in der Innenstadt als Missfallen bei 52 Prozent der 4000 Befragten hervorgehoben.
Hier setzte Ariane Breuer von der Organisation ‘Stadtretter’ an. „Die Kommunen schaffen das nicht alleine”, so Breuer über das Problem der Leerständen und die erforderliche Transformation der Innenstädte. „Vielleicht kleiner Spoiler an dieser Stelle – auch der Handel schafft das nicht alleine, das schafft nämlich niemand alleine.“ Und genau dort agieren ‘die Stadtretter’, denn diese haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Handel und die Kommunen an einen Tisch zu bringen, um ein gemeinsames Ziel – die Attraktivität der Innenstädte – zu verfolgen. Beispiele für mögliche Attraktivität fördernde Maßnahmen hatte Breuer auch mit im Gepäck. „Wir müssen die Komplexität rausnehmen aus den Themen”, so die ‘Stadtretterin’. „Ja, es wird dauern, aber wir können es schaffen, wenn wir jetzt die richtigen Impulse setzen und wirklich gemeinschaftlich uns versammeln und dahinter stehen, dann können wir viel tun.”
Bereits getan hat das Modehaus Müller-Ditschler, das als Paradebeispiel auf der Veranstaltung erklärte, “wie man sich auch an schwierigen Standorten erfolgreich aufstellt”. Tanja Kolb, Geschäftsführerin Modehaus Müller-Ditschler, setzt hierfür besonders auf Mitarbeiter:innen. „Egal an welchem Standort wir sind und egal welche Herausforderungen oder Chancen dieser Standort hat, am Ende entscheiden die Menschen, und das in unserer heutigen Zeit noch viel mehr als je zuvor“, so Kolb. Mode, betonte Sie, sei am Ende des Tages immer noch ein “People Business” und sowohl ein “guter Standort” seine eigenen Herausforderungen, als auch ein “schlechter Standort” seine Chancen hat – man müsse diese nur nutzen.
Die Branche steht vor einem “Nachhaltigkeitsburnout”
Die Rettung der Innenstädte hat Dringlichkeit, doch, und auch das wurde auf dem BTE-Kongress immer wieder betont, “die Erde brennt”. Die Nachhaltigkeit sei nicht nur das Thema des Jahres, so Von Preen, sondern des Jahrzehnts. Das Problem ist allerdings, dass die Brache einem "Nachhaltigkeitsburnout" gegenübersteht, wie es Maike Rabe, Professorin für Textilveredelung und Ökologie an der Hochschule Niederrhein, in ihrem Vortrag formulierte. Gemeinsam mit der Unternehmensberatung Hachmeister+Partner, die während der Veranstaltung durch Principal Consultant Franziska von Becker in das Thema Nachhaltigkeit einleitete, schaffte die Professorin einen Nachhaltigkeitsindex, der gegen das “Burnout” wirken soll.
Der Index soll dabei helfen, das komplexe Thema Nachhaltigkeit messbarer zu machen, und das auf Produktebene, ein Ansatz, der auf den ersten Blick sehr kompliziert wirkt, langfristig jedoch eine willkommene Alternative zu den unzähligen, oft undurchschaubaren Nachhaltigkeits-Siegeln einzelner Produkte sein könnte. „Wir haben uns die Mühe gemacht, jedes Label, das vorhanden ist, in Bezug auf die jeweiligen ausgewählten Rohstoffe und in Bezug auf alle Prozesse in der Lieferkette genau zu analysieren”, erklärte die Professorin und betonte, dass dabei sowohl die ökologischer Bewertung als auch sozialen Kriterien auf den Prüfstand gestellt wurde.
„Der Ansatz, das Produkt zu betrachten, ist wichtig, weil die Kund:innen sorgenfrei einkaufen wollen”, so André Gizinski, Leiter Unternehmensentwicklung von L&T Lengermann & Trieschmann in seinem Vortrag über “den Weg zum nachhaltigen Modehaus”. Damit bestätigt er zwar die Zukunftschancen des Nachhaltigkeitsindexes, erklärt Kennzeichnungen jedoch zu einem Thema für die kommenden Jahre, auch mit Blick auf die sich ändernden EU-Regulierungen. „Ich teile die Wesentlichkeit und Wichtigkeit des Themas, aber es ist für mich ein Zukunftsthema, um das wir uns jetzt kümmern müssen”.