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“Der richtige Sitz ist ein wichtiger Teil der Aussage”

Von FashionUnited

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Mode-Nachrichten

INTERVIEW_ Wer hat nicht schon einmal die perfekte Hose, Jacke oder Bluse gefunden, an der alles stimmte – Schnitt, Design, Farbe, sogar der Preis – und hat sie dann doch nicht gekauft, weil sie einfach nicht richtig passte? Leider ist dies kein Einzelfall, sondern passiert vielen frustrierten Kunden weltweit,

weil Modeunternehmen es einfach nicht schaffen, dass Kleidungsstücke richtig passen. Diese sind ebenso frustriert, weil ihre Ware in den Regalen liegen bleibt. FashionUnited wollte herausfinden, wie häufig diese Phänomen wirklich ist und sprach mit Alvanon-Chef Ed Gribbin, dem Experten für Kleidergrößen und Passformen.

FashionUnited: Ed, was ist Ihrer Meinung nach die richtige Passform eines Kleidungsstücks?
Ed Gribbin: Ich betone das Wort “Passform” häufig, da es verschiedene Bedeutungen hat. Die eine ist der eigentliche Fall oder die angestrebte Passform. Dann gibt es die kommerzielle Passform von Händlerseite, der von Trends abhängt und davon, was Kunden bereit sind zu kaufen. Dann gibt es auch noch die technische Passform und die Art, wie ein Kleidungsstück gestaltet ist.

Die angestrebte Passform muss noch dahingehend ausgeführt werden, je nachdem, wo ein Kleidungsstück verkauft werden soll, also etwa in den USA, China oder Indien. Abhängig vom Körperbau finden wir dann ein Modell, das demokratisch genug ist, um einer großen Anzahl von Leuten zu passen, bevor wir die eigentlichen Passformpuppen und 3D-Modelle (s. Fotos) erstellen. Es geht nicht unbedingt um die richtigen Maße, sondern um die richtige Passform, um Kunden zufriedenzustellen. Das ist der einzige Weg um sicherzustellen, dass auch der Designer mit den richtigen Vorgaben arbeitet.

Im Januar haben Sie in einem Interview mit dem australischen Radiosender ABC Perth gesagt, dass "wenn Marken und Einzelhändler einen Blick darauf werfen würden, wie ihre Kunden wirklich aussehen und sich auch die Daten anschauen würden, die zur Verfügung stehen, dann würden sie ihre Passformen ändern. Sie würden die Unterschiede zwischen den einzelnen Größen verändern und damit wesentlich mehr Kunden zufriedenstellen.” Wie groß ist der Unterschied zwischen Kleidergrößen und tatsächlichen Körpergrößen?
Es gibt schon seit langer Zeit einen Unterschied zwischen den Größen, der dazu geführt hat, dass zum Beispiel Größe 40 nicht nur von Marke zu Marke verschieden ist, sondern auch von Kollektion zu Kollektion. Zudem gibt es Standardmaße schon seit langer Zeit und diese sind tendenziell linear, da sie dann einfacher herzustellen sind. Menschen sind aber nicht linear, sondern fallen in der Regel zwischen zwei Größen. In den USA zum Beispiel sind die Standardmaße im allgemeinen zu klein. Die Körperform einer Frau mit Größe 44 oder 46 unterscheidet sich deutlich von einer Frau mit Größe 40; lineare Standardmaße können auf diese Unterschiede aber nicht eingehen.

Könnten Sie ein bisschen darauf eingehen, wie sich Passformen über die Jahre verändert haben und wie Passformpuppen inzwischen realistischere Körperformen und tatsächliche Maße wiedergeben?
Wir stellen seit 2001 Passformpuppen her, die sich auf richtige Personen und Körperformen beziehen. Wenn man Kleidung richtigen Körperformen anpasst, kann man sicher sein, dass die Ware nicht im Laden liegenbleibt.

War es schwierig, Marken und Einzelhändler zu überzeugen, auf Passformen zu achten?
Uns gibt es seit 13 Jahren und wir haben inzwischen Tausende von Kunden; die Leute verstehen es also inzwischen. Selbst wenn die Passform nicht richtig ist, muss man einen Weg finden, konsequent zu sein. Die Kunden müssen einer Marke mit Größen vertrauen können, die immer passen. Deshalb entscheiden sich Leute schließlich für verschiedene Marken und haben ihre Lieblingsmarken.

Könnten Sie uns erklären, wie einige der erfolgreichsten internationalen Marken und Einzelhändler den Entwicklungsprozess ihrer Produkte angepasst und sich neu ausgerichtet haben?
Die zehn erfolgreichsten internationalen Marken haben dies sicherlich getan und konsequent neue Prozesse eingeführt. Einige gleichen auch internationale Unterschiede aus, also zum Beispiel asiatische Passformen und Größen gegenüber westlichen; andere tun dies nicht. Indien und China sind heute die größten Wachstumsmärkte und die Körperformen der Kunden hier unterschieden sich recht stark von denen in den USA oder Europa.

Wenn man diese Unterschiede nicht ernst nimmt, wird man dann noch lange eine große, internationale Marke sein? Wenn man durch Mode auffallen will, ist der richtige Sitz ein wichtiger Grund, ein wichtiger Teil der Aussage.

Das ist sicherlich richtig. Könnten Sie näher darauf eingehen, wie Größen im nationalen Kontext angepasst werden, zum Beispiel in Indien?
Natürlich. Eine interessante Besonderheit in Indien ist, dass eine Marke oder ein Einzelhändler sich oft mit einem Lizenznehmer oder Produktionspartner zusammenschließt, der die Produkte für den indischen Markt nachbildet. Je nachdem, ob man in ein Geschäft in Indien oder Europa geht, wäre die Passform also unterschiedlich. Leider verlassen sich die Hersteller oft nur auf Schätzungen. Auch wenn die Technik hinter den meisten Konsumgütern hochentwickelt ist (man denke nur an Elektroartikel oder Autos), so trifft dies auf Mode nicht zu. Es sollte aber zutreffen, da die Hilfsmittel bereitstehen und Marken und Einzelhändler wirklich ihre Kundenbindung verbessern könnten, indem sie der richtigen Passform Priorität einräumen.

Das ist das Stichwort – wann wissen Marken und Einzelhändler, dass es an der Zeit ist, ihr Produkte so anzupassen, dass sie wettbewerbsfähig bleiben, ihre Integrität behalten, Kundenbindung sichern und neue Kunden vor Ort ansprechen?
Sie merken alle, dass sie ein Problem haben, wenn die Passform entweder nicht gut oder einheitlich ist oder die Fabriken Größen nicht richtig hinbekommen. In diesen Fällen haben wir einen Standardplan, ein Zehnpunkteprogramm, das die Unternehmen einhalten können. Die ersten drei Schritte sind die wichtigsten: die Zielgruppe zu definieren, herauszufinden, wie sie aussieht und dann einen Standardkörper herzustellen. Sie sollten sichergehen, dass ihre Modelle diese Körperformen wiedergeben und entsprechend Muster und Standardmaße anlegen. Sobald dies geschehen ist, müssen diese in den Fabriken eingeführt, häufig überprüft und eventuell verbessert und dann vermarktet werden. Unternehmen wie H&M und The Gap gelingt dies gut: Ihre Fabriken überprüfen bereits die Passformen vor Ort, damit das Hauptunternehmen nicht auf die Ware warten muss, um Qualitätskontrollen durchzuführen.

Fast am Ende unseres Interviews würden wir gerne noch wissen, ob die perfekte Passform in Zeiten des ‘Fast Fashion’ noch eine Rolle spielt?
Es gab traditionell zwei Saisonen, die die Modehäuser nutzten, um ihre Kollektionen vorzustellen. Zara wechselt seine Kollektionen alle zwei Wochen und hat damit 26 Mini-Kollektionen pro Jahr, was die gesamte Branche beeinflusst hat.

Es gibt ein Fast Fashion-Unternehmen (ich möchte keine Namen nennen), das keine Zeit darauf verwendet, seine Schnittmuster anzupassen. Sie haben eine ganze Sammlung davon , prüfen aber nicht, ob sie auch passen. Die Kunden wissen, dass sie Größe S, M, L oder sogar XL sein könnten, da die Größen nicht einheitlich sind. Dies gefällt bestimmten Kunden – Teenagers, jungen Leuten – da es ihnen egal ist, welche Größe sie tragen.

Auf lange Sicht ist dies jedoch kein dauerhaftes Geschäftsmodell, da es auf Kosten der Qualität geht und zudem nicht mehr funktioniert, wenn die Kunden älter und anspruchsvoller werden.

Generell musste sich die Branche früher entscheiden, ob sie schnell, günstig oder gut sein wollte. Da Modeunternehmen nicht alles drei gleichzeitig sein konnten, mussten sie immerhin zwei Aspekte abdecken. Heutzutage muss man alle drei Qualitäten haben, um vorn zu bleiben. Deshalb bekommen wir Aufträge von traditionellen Unternehmen, die schneller werden und die richtige Technik und Hilfsmittel verwenden möchten. Aber es ist schwierig, die Branche dazu zu bewegen, sich zu ändern, da jeder zu festgefahren ist.

Möchten Sie abschließend noch etwas hinzufügen, einen Rat vielleicht für unsere Leser?
Ich möchte nur noch einmal auf Konsumgüter veweisen. Viel technisches Know-how wird gerade in ihre Herstellung gesteckt und die Modebranche kann viel von anderen Branchen lernen. Wie man zum Beispiel seine Kunden besser einbindet, wie man konsequenter ist und Technik und Wissen nutzt. Ich glaube, dass die Modeunternehmen, die dies tun, wesentlich erfolgreicher sein werden.

Schließlich geht man ja nicht in ein Autohaus oder einen Apple iPad-Store und sucht direkt nach den Sonderangeboten? Wir zahlen einen fairen Preis für Qualität und das ist gut so. Doch wenn wir in ein Modegeschäft gehen, ist alles reduziert. Das heißt, dass wir uns als Branche unter Wert verkaufen.

Fotos: Alvanon

ALVANON
Ed Gribbin
Passform