Abury: durch Mode erleben und verändern
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"Ich komme eigentlich gar nicht aus dem Fashion-Bereich und hatte eine kleine Beratungsagentur für alles, das nicht klassische Werbung ist. 2007 bin ich nach Marrakesch gegangen, um ein Riad zu renovieren, ein traditionelles marokkanisches Haus, um einen Inspirationstreffpunkt aufzubauen. Unser Motto ist “Transformation through experience”, das heißt, man verändert sich nur, wenn man Erfahrungen macht. Marrakesch ist der perfekte Ort dafür.
Ich war zwei Jahre permanent in Marrakesch und habe auf der Baustelle mitgearbeit, auch viel mit traditionellen Handwerkern. Da fing die Faszination mit Handwerk und Menschen an. Seit 2006 setze ich mich bereits mit dem “Social Business” auseinander und sehe darin viel verstecktes Potential. Früher haben Kunsthandwerker nur billig für die Souks produziert, die traditionellen arabischen Märkte und kommerziellen Zentren einer Stadt. Das ist dann ein schneller Prozess, wie bei uns auch. Die Hauptprobleme bestehen in der Qualität und dem Qualitätsmanagement sowie der Verbindung mit modernem Design und Logistik.
Der Grundstein für Abury wurde gelegt, nachdem ich eine alte Berbertasche geschenkt bekommen habe. Ich habe dann angefangen, sie zu sammeln, und damit auch die Geschichten, die hinter jeder Tasche stecken: wem sie gehört hat, für wen sie gemacht wurde, ob ein besonderer Sticker daran gearbeitet hat oder ob besondere Muster verwendet wurden.
Als ich wieder zu Hause in Deutschland war, waren meine Fashionista-Freundinnen ganz begeistert und wollten unbedingt auch eine Berbertasche; sie fanden sie toll. Die kommerzielle Herstellung solcher Taschen wäre eine große Industrie, mit großer Zielgruppe und so kann schnell die Ausbeutung von Natur und Umwelt entstehen, andererseits steigt die Awareness. So entstand ganz langsam die Idee für Abury, wirklich über Jahre: 2009 bekam ich die erste Tasche geschenkt, dann fing ich an, sie zu sammeln und hatte bald verschiedene Modelle; 2011 wurde dann Abury gegründet. Das Ziel war die Bewahrung alten Handwerks, und junges Avantgarde-Design mit altem Handwerk zusammenzubringen. 'To create a new generation of luxury style', das heißt, wir wollten den Kunsthandwerkern etwas zurückgeben; die faire Bezahlung allein reicht nicht."
"Wir haben eine Schule in Marrakesch, die sich durch die Abury Foundation und Spenden finanziert. Durch die Schule können wir ziemlich genau bestimmen, was eine Schulstunde kostet. Davor haben wir anhand laufender Kosten geschätzt, also wieviel Miete Abury zahlt und was Bücher, Hefte und Lehrergehälter kosten. Etwa 50 Prozent des Profits wird in die Foundation gesteckt. Das klingt abstrakt, wird aber durch die Schule konkreter."
Wer geht in die Abury-Schule?
"Das sind nicht nur die Kinder der Arbeiterinnen, sondern auch Projektfremde. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, da uns alle Personen direkt bekannt sind. Das sind ja Dorfstrukturen mit vielleicht 500-600 Leuten in einem Dorf und jeder kennt jeden. Wir haben derzeit 17 Frauen und 27 Kinder in unserer Schule, Jungen und Mädchen. Es war der Wunsch der Frauen, eine Vorschule für ihre Kinder zu haben. Und da in Marokko die meisten Männer Lesen und Schreiben können, konzentriert sich unsere Schule für Erwachsene auf Frauen."
Jetzt
"Ich habe damals viel von der Arbeit gelernt. Wir haben viel mit Holz und Metall gemacht und Lampen und Geländer anfertigen lassen und viel mit Stoffen gemacht. Mit den Frauen entstand der Kontakt durch die Berbertasche. Wir haben mit Marokko angefangen, und dann realisiert, dass es dieses spezielle Kunsthandwerk, diese speziellen Fertigkeiten überall auf der Welt gibt. Der nächste Schritt war dann die Internationalisierung der Kulturen."
In welche Kultur planen Sie als nächstes einzutauchen?
"Als nächstes visieren wir Asien und Osteuropa an."
Erzählen Sie uns ein bisschen mehr zum Stipendium für junge Designer, das hört sich wirklich spannend an.
"Wir wollen durch Avantgardedesigner, die sich auf den interkulturellen Austausch einlassen, spannende und eine für den Modebereich spannende Art Mode und Accessoires machen. Die Designer leben dann wirklich für drei Monate in einer neuen Kultur und entwickeln ihre Kollektionen zusammen mit den Kunsthandwerkern vor Ort."
"2012 haben wir unseren ersten “Pitch” gemacht und planen jetzt Ende des Jahres unsere erste internationale Ausschreibung. Diese Bewerbung wird auch ein Motivationsvideo einschließen, da es auch eine psychologische Herausforderung darstellt, für drei Monate intensiv in eine neue Kultur einzutauchen.
Ich muss sagen, dass ich einen Riesenspaß an der jungen Generation habe, die heranwächst – die 25- bis 30-Jährigen, die viel Leidenschaft und Engagement zeigen. Zudem wollen sie nicht unbedingt schnell Karriere machen und viel Geld verdienen, sondern ihr Wissen und Können dort einsetzen, wo sie etwas bewegen können."
Nach Berberbags und verschiedenen Taschen gibt es jetzt auch Pullover, Ponchos und Accessoires. Haben Sie vor, mehr Bekleidung anzubieten?
"Sagen wir mal so, unser Hauptfokus sind Taschen und Accessories und dazwischen gibt es einzelne Fashion-Artikel. Wir wollen mehr Mode nicht ganz ausschliessen, aber insgesamt ist es einfacher, mit Unisex-Sachen zu arbeiten. Kleidungsstücke erfordern verschiedene Größen, etc. Das ist schwierig in den Communities umzusetzen, da sie keine automatisierten Prozesse benutzen.
Für die neue Kollektion aus Ecuador haben wir Schnittmuster erstellt, die jetzt vorliegen. Oft sind die Näherinnen und Stickerinnen visuell wahnsinnig begabt, das heißt, sie sehen auf einen Blick, was sie machen müssen, wenn sie eine Vorlage haben. Nur muss es diese erst einmal geben, nur eine Beschreibung reicht da nicht aus. Bei den Taschen haben wir z.B. viele Modelle aus Pappe oder Papier gebastelt."
Einige Ihrer Produkte sind bereits vergriffen. Was sind die derzeitigen Renner im Programm?
"Die neue Kollektion wurde gerade erst gelauncht, aber derzeit sind die Shopper Bags aus feinstem Ziegenleder sehr beliebt. Sie eignen sich auch als Laptoptasche und sind flexibel einsetzbar. Wir haben über sie wirklich viel positives Feedback bekommen, gerade auch über die Farben Karamel und Saffran, die kommen super an."
"Die Zielgruppe, die wir ansprechen, sucht etwas, womit sie sich gut fühlen kann. Zudem braucht man die Sachen, die wir herstellen, nicht jede Woche. Und da sind wir relativ wettbewerbsfähig, wir bieten einen hohen “value for money”; viele sagen sogar 'das könnte auch teurer werden'.
Zu den Herausforderung gehört sicherlich, die richtigen Leute anzusprechen und die richtigen Leute zu finden. Es gibt auch eine Fan-Community, die weiß, dass Abury eine spezielle Mission hat. Mund-zu-Mund-Propaganda wirkt auf jeden Fall. Es ist auch immer ein Erlebnis, wenn zwei Kunden sich mit der gleichen Tasche sehen; sie wird zum Erkennungszeichen. Wir haben tolle und außergewöhnliche Produkte und sehr transparente Strukturen, was Handwerker angeht. In unseren 'Designer Diaries' können die teilnehmenden Designer mitteilen, was sie erlebt haben. Zudem haben wir Blogs, die unsere Kunden auf dem Laufenden halten, damit gewinnen wir Vertrauen. Zudem fliege ich immer noch alle acht Wochen nach Marrakesch, um zu schauen, wie’s läuft. Deshalb haben die Leute bei Abury das Gefühl, da ist das drin, was drauf ist."
Wo sind Abury Produkute - außer über die Website und den Showroom - noch erhältlich und wie machen Sie auf Abury aufmerksam?
"Wir sind als nächstes auf der Premium in Berlin vertreten und dann auf der Who's Next in Paris. Inzwischen haben wir auch zehn Geschäfte in Deutschland und jeweils eins in der Schweiz, Großbritannien und den USA. Zudem sind wir auf Online Marketplaces wie Fashion Compassion vertreten und starten mit ShopLatitude und Avasha in Asien. Zudem sind wir auf Facebook, Twitter, Instagram und Pinterest. Da wir aber kein Geld in die Werbung stecken, bauen wir unsere Fanbase sehr langsam auf."
Sehen Sie Abury als Antwort auf den Fast Fashion-Trend?
"Zum Teil vielleicht mit unserem Anspruch an hohe Qualität. Auf der anderen Seite wollen wir den Leuten nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen, sondern mit der Lebensfreude aus den Kulturen. Zu lernen, nicht alles so wichtig zu nehmen, erstmal einen Tee zu trinken und das Leben zu Leben genießen."