Wen betrifft die ‚See Now, Buy Now-Moderevolution’ eigentlich?
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Kürzlich sorgten Burberry, Tom Ford und Tommy Hilfiger, gemeinsam mit Branchen-Liebling und Vetements-Designer Demna Gvasalia mit der Ankündigung einer scheinbar radikalen Umgestaltung des Produktions- und Schauenzyklus für Aufsehen. Die ‚See Now, Buy Now-Revolution’ kommt demnach in zwei Schritten: Erstens, die Öffnung des einst exklusiven Modenschauenzirkels für die ‚Massen’, meist via Social Media, und Zweitens die sofortige Verfügbarkeit der gezeigten Kleidung nach der Show online. Wer wird von dieser Umwälzung besonders betroffen sein, und wie tiefgreifend ist sie tatsächlich?
Einkäufer bekommen eigenes Event
In erster Linie betrifft dieser augenscheinlich disruptive Moment wohl vor allem Presse und Einkäufer, weniger die Produktionskette. Jene Musterteile nämlich, die bisher auf die Laufstege kamen, werden dann einfach im stillen Kämmerchen präsentiert, während die bereits produzierte Kollektion dem breiten Publikum gezeigt wird. Für wichtige Einkäufer, beispielsweise der Einzelhandelsketten und Multibrandstores, sollen in Zukunft offenbar eigene, Social-Media-freie Events veranstaltet werden, bei denen für die nächste Saison geordert werden darf – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Für die Einkäufer bleibt also eigentlich alles beim Alten, abgesehen davon, dass die Modenschauen, wie bei Tom Ford oder Azzedine Alaïa, im kleineren Kreis stattfinden werden. Auch für die Hersteller ist nach diesen Präsentationen klar, welche Teile die voraussichtlichen Bestseller werden und sie können anschließend wie gewohnt mit den Samples auf die Messen fahren und die Ordern produzieren.
Modenschau für die Allgemeinheit
In der Vergangenheit wurden die Trends auf dem Laufsteg gezeigt, anschließend von der Presse ausgewertet und zu beginn der Verkaufssaison, dann wenn die Ware in die Regale einzog oder kurz zuvor, in den Magazinen präsentiert, damit die potenziellen KundInnen eine Orientierungshilfe für die aktuelle Saison hatten. Die Berichterstattung daher oblag damals schon einem ‚Embargo’ der Trends vom Showtermin bis zum Verkaufsstart, insbesondere aus Angst vor Kopisten, aber auch, weil die Trends sonst bei Ankunft in den Läden aus Konsumentenperspektive veraltet gewesen wären. Genau dies ist aber durch die digitale Revolution zur Norm geworden. Durch den Aufstieg der Blogger und die permanente Live-Reportage vom Catwalk hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Die Konsumenten finden ihre Trends auf Blogs, bei Instagram, oder eben direkt bei den Herstellern im Webshop und sind daher auf die einstige Orientierungshilfe durch die Presse nicht mehr im selben Maße angewiesen. Allerdings müssen sie zwischen der Präsentation und dem Kauf etwa vier Monate überbrücken, innerhalb derer die geweckte Begehrlichkeit oft schon wieder verflogen ist. Die Trends finden durch diese Organisation aber schneller ihren Weg in die Fast Fashion Filialen der Welt – mit der Folge von Umsatzeinbußen für die eigentlichen Designer der Trends, die teils deutlich später ausliefern können als die günstigere Konkurrenz.
Hin zur Erlebnis-Kultur
Das Laufsteg als ultimatives Mode-Spektakel bietet den Glamour von Celebrities, Blitzlichtgewitter und Exklusivität. Dort dabei zu sein, erhöht sofort den eigenen Status und ein Instagram-Bild vom Laufsteg garantiert den Neid der Online-Gefolgschaft. Kein Wunder, dass die einst Ausgeschlossenen gerne hineinwollen, statt bloß von außen zuzuschauen. Zunehmend wird dies durch Livestreams möglich, aber auch die tatsächliche Teilnahme ist einfacher geworden und wird zunehmend kommerzialisiert. Kanye West verkaufte die Tickets zu seiner Show und füllte damit ein ganzes Stadion. Selbst einst langweilige Branchentreffs sind zum Publikumsmagneten geworden. Karl-Heinz Müller, der Bread & Butter-Gründer, war vielleicht seiner Zeit voraus, als er die Messe für Publikum öffnen wollte und damit die Aussteller verschreckte. Im kommenden Herbst, unter Zalando-Banner, soll es nun umgesetzt werden – ein Modeevent für die ganze Familie. Es geht um das Schaffen von Erlebnissen und die Verknüpfung dieser mit einer Marke. Ist dieser emotionale Bezug einmal hergestellt, hat der Veranstalter einen neuen treuen Kunden dazu, und dessen Social Media-Influence oft gleich mitgewonnen, weil vom Modeevent live berichtet wird.
Die Rolle der Presse
Schwierig wird das Modell bei der Rolle der Modepresse. Sie muss nicht unbedingt im ‚Salon’ dabei sein, wenn die Einkäufer die Kollektion erstmals sehen. Von dort gäbe es für sie unmittelbar sowieso nichts zu berichten, da sämtliche Inhalte zu diesem Zeitpunkt noch unter einem Embargo stehen müssten, um das neue System nicht ad Absurdum zu führen. Sie erst zur Publikumsveranstaltung zuzulassen, würde allerdings für viel böses Blut sorgen, und die Marken sind trotz der digitalen Verbreitungsmöglichkeiten noch immer auf die Autorität der Modekritiker und auf die Multiplikationskraft der Modepresse angewiesen.
Nicht in erster Linie die Produktionskette, eher die Kommunikation scheint primär von dieser ‚Revolution’ betroffen. Vielleicht gibt es zukünftig ein eigenes Pre-See für die Presse? Vielleicht werden Print- und Onlinejournalisten wieder getrennt akkreditiert? Aber wie unterscheidet man in Zukunft, wer welche Kollektion wann sehen darf? Wie stellt man sicher, dass nichts nach außen dringt, bis eine fertig produzierte Kollektion auf dem Laufsteg landet? Wie mit diesen Fragen umgegangen wird, dürfte einer der spannendsten Aspekte der ‚Runway-Revolution’ werden, deren Zeugen wir ab September diesen Jahres werden sollen.