Von der LKW-Plane bis zum eigenen Gemüsegarten: Ein Besuch bei Freitag in Zürich
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Vor etwa dreißig Jahren wohnten die Brüder Daniel und Markus Freitag an einer viel befahrenen Autobahn in Zürich. Jeden Morgen fuhren sie mit dem Fahrrad zur Arbeit, konnten aber keine wirklich gute Tasche für den Weg finden. Inspiriert von den Lastwagen, die sie jeden Tag von ihrer Wohnung aus vorbeifahren sahen, entwarfen sie eine eigene Tasche aus Lastwagenplanen, die für Radfahrende, aber auch für die breite Masse geeignet ist. Heute steht an der gleichen Landstraße, die die Brüder in ihren Anfangsjahren überblickten, ein hoher Stapel bunter Container, in denen Freitag-Taschen und Zubehör verkauft werden. Sie werden noch immer aus alten LKW-Planen hergestellt. Der Unterschied ist, dass sie jetzt weltweit genutzt werden.
Obwohl sich die Produktionsstätte des Unternehmens früher in der Nähe befand, wurde vor einigen Jahren ein Bauprojekt in Angriff genommen, um im Norden von Zürich eine Fabrik zu errichten, die bis ins kleinste Detail nach der Marken-DNA ausgerichtet ist. Abgesehen vom Nähen und Teilen der Zuschnitte werden alle Produktionsschritte der Taschen und anderer Accessoires der Marke in diesem Werk durchgeführt. Unter demselben Dach befinden sich auch die Hauptverwaltung und ein Freitag-Laden. Wie die Innovationen und Arbeitsweisen in einer so sorgfältig gestalteten Fabrik aussehen, wollte FashionUnited bei einem Besuch herausfinden.
Familien in der Produktionshalle und Regenwasser zum Waschen
Das große Fabrik- und Verwaltungszentrum, Nœrd genannt, erinnert an einen Universitätscampus. In der Mittagspause, als wir ankommen, isst eine große Gruppe von Mitarbeiter:innen gemeinsam an Tischen frische warme Gerichte aus der Firmenkantine, die, wie sich herausstellt, mit Produkten aus dem eigenen Gemüsegarten zubereitet werden. Die Atmosphäre ist freundlich und entspannt, was durch den Anblick von Kindergruppen, die von Mitarbeitenden durch das Gebäude geführt werden, noch verstärkt wird. Unser Besuch fällt mit dem "Zukunftstag" zusammen, einem Schweizer Konzept, bei dem Kinder im Alter von etwa zehn bis vierzehn Jahren von Familienmitgliedern oder Freund:innen zur Arbeit mitgenommen werden, um einen ersten Eindruck vom Arbeitsleben zu bekommen. Im Laufe des Tages treffen wir in den verschiedenen Abteilungen der Fabrik immer wieder auf Kinder.
Als sich der Speisesaal leert und alle ihre Arbeit wieder aufgenommen haben, beginnt unser Rundgang durch den Produktionsprozess. Er startet in einer angrenzenden großen Fabrikhalle aus Beton mit hohen Wänden (so viel Beton wie möglich wurde in dem Gebäude recycelt, aber "in Bezug auf die Tragstruktur ist es nicht möglich, nur mit recyceltem Beton zu bauen"), wo Stapel von LKW-Planen in allen möglichen Farben bereitstehen, um für die Wäsche vorbereitet zu werden. Ein arbeitsintensiver Prozess, berichten die anwesenden Journalist:innen, die ebenfalls mitarbeiten durften, um eine Plane für die Wäsche vorzubereiten. So werden beispielsweise Metallstücke, Seile und Bänder von Hand von den Planen abgezogen und abgeschnitten. Allerdings erst, nachdem geprüft wurde, ob die Planen ungefährlich sind und keine giftigen Stoffe enthalten. Danach wird das Segel in kleinere Stücke zerschnitten und kommt in die Waschmaschine.
Alle Planen kommen aus Europa, erklärt Elisabeth Isenegger, die PR-Verantwortliche von Freitag. Das ist nicht nur ökologisch vorteilhaft, sondern auch praktisch: Die Planen, die sich für die Herstellung von Taschen und anderen Accessoires eignen, sind ein europäisches Phänomen, das man zum Beispiel in Asien oder Amerika nicht findet. Früher suchten die Freitag-Brüder selbst nach den Planen, indem sie in den Gelben Seiten eingetragene Unternehmen anriefen, von denen sie annahmen, dass sie über eigene LKWs verfügten. Heute wenden sich die Unternehmen oft selbst an Freitag. Die Planen sind übrigens keine Spende. „Wir zahlen etwa dreihundert Euro für eine große Plane. Je bunter und auffälliger die Farben sind, desto mehr zahlen wir dafür", erklärt Isenegger. „Wir versuchen auch, unsere Logistikpartner:innen zu motivieren, spezielle Farben zu verwenden, aber die haben oft ihre eigenen Vorstellungen, was sie damit machen wollen." Dass Recycling nicht immer die günstigere Variante ist, obwohl das gebrauchte Material bereits "existiert", zeigt sich auch hier: „Es wäre billiger, neues Material in großen Mengen und den perfekten Farben zu produzieren."
Die Planen werden mit Regenwasser gewaschen, das in einem unterirdischen Becken neben der Fabrik aufgefangen wird. Eine Öffnung neben dem Parkplatz des Gebäudes bietet Zugang zu einem großen Raum, in dem das Regenwasser versickert und durch Rohre in die Fabrik gepumpt wird. Da das Wasser über den Kies auf dem Dach der Fabrik, der eine natürliche Filterwirkung hat, in den Boden gelangt, muss es nicht mehr gereinigt werden. Das Becken ist ein gutes Beispiel dafür, wie die komplette Selbstausstattung eines Fabrikraums für Freitag ökologische Chancen mit sich brachte. Allerdings muss vor dem Waschen etwas Seife und ein Entfetter zugegeben werden, räumt Isenegger ein.
Der Text wird unter den Fotos fortgeführt.
Wenn jede Tasche einzigartig ist, laufen Design und Vertrieb ein wenig anders
Laut Isenegger besteht der Designprozess bei Freitag aus zwei Runden. Zunächst gibt es "klassische" Produktdesigner:innen, die die Formen der festgelegten Modelle entwerfen. Nachdem die Planen gewaschen sind, bestimmt der oder die Taschendesigner:in durch das Zuschneiden der Planen, welche Farben für welche Teile der Tasche verwendet werden. Schließlich ist jede Plane anders und damit auch jede Tasche.
Der Raum für den Zuschnitt ist unterteilt in ein Team, das von Hand schneidet, und eine große Schneidemaschine auf der anderen Seite. Beide haben ihre eigenen Vorteile, die Maschinen können beispielsweise gut berechnen, wie viel Material möglicherweise verloren geht, und bei beiden hat man die Kontrolle über die Farbauswahl.
Ein Teil des Zuschnitts wird von Externen erledigt, und auch der nächste Schritt, das Nähen der Taschen, wird an Partner:innen in Portugal, Polen, der Tschechischen Republik, Bulgarien, Rumänien und der Schweiz ausgelagert. Laut Isenegger pflegt Freitag enge Beziehungen zu seinen Partner:innen und verwendet seit einigen Jahren einen Verhaltenskodex als Leitfaden für die Auswahl der Partner:innen, der auf der Website von Freitag veröffentlicht ist.
Die Einzigartigkeit eines jeden Freitag-Produkts beeinflusst nicht nur den Designprozess, sondern auch den Vertriebsprozess. Für den Online-Shop muss zum Beispiel jede Tasche einzeln aus allen Blickwinkeln fotografiert werden, und die Freitag-Händler:innen wissen nie genau, welche Bestellungen sie erhalten werden. Mengen und Formen können vorgegeben werden, nicht aber Farbe und Muster. Stattdessen erhalten die Händler:innen einen Karton mit einer Vielzahl von Farben. Dass die Kund:innen wirklich nicht wissen können, was sie erwartet, wird in einem Lagerraum nur allzu deutlich. Hier hängt ein Vorrat an Taschen, bereit für den Versand. Es gibt Taschen mit Punkten, abstrakten Formen, einem weichen, schlichten Beige oder einem deutlich erkennbaren Grasdruck. Die Farben reichen von hell über dunkel bis hin zu pastellig. Alles scheint möglich. Sollte sich jedoch herausstellen, dass sich bestimmte Stücke bei dem betreffenden Einzelhändler nicht verkaufen lassen, können sie diese gegen eine neue (wiederum noch unbekannte) Mischung austauschen.
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Freitag erreicht hauptsächlich Kund:innen in Europa und Asien. Bemerkenswerterweise war Japan für Freitag der erste internationale Markt nach Deutschland. Als FashionUnited mit dem Mitbegründer Markus Freitag während des Besuchs in Zürich spricht, fragen wir ihn nach dieser Wahl. „Es gibt mehrere Aspekte der japanischen Kultur, die mit der Identität von Freitag übereinstimmen", erklärt er. „Zunächst einmal ist da Wabi Sabi, die Akzeptanz der Unvollkommenheit. Aber ich sehe auch eine Ähnlichkeit zwischen der Rolle des Kollektivs und der Authentizität bei den Freitag-Accessoires (jede Tasche ist eine Freitag-Tasche, aber keine Tasche ist wie die andere) und der japanischen Kultur. Das Kollektiv spielt in Japan eine große Rolle, vielleicht noch mehr als in Europa, aber gleichzeitig wird viel Wert darauf gelegt, den Dingen eine eigene, authentische Note zu geben, auch durch Ästhetik und Mode." Außerdem, so der Freitag-Gründer, sind die Japaner:innen relativ loyale Markenanhänger:innen, was langfristig von Vorteil ist. Auch Südkorea, Thailand und China sind wichtige Märkte für Freitag.
In der Fabrik befindet sich auch der Reparaturraum, die letzte Station des Produktionsprozesses. „Die Kund:innen wollen ihre eigene Tasche oft lange behalten, denn die Taschen sind einzigartig und daher sehr persönlich. Manchmal sehen wir Taschen, die bis zu zwanzig Jahre alt sind", erzählt ein:e Mechaniker:in. Wenn Sie nach ein paar Jahren immer noch eine neue Tasche brauchen, können Sie sie auch über den Freitag-Tauschservice tauschen, der im Grunde ähnlich funktioniert wie die Suche nach einem Tinder-Match. Mit dem Black Friday wird der Umtauschservice in diesem Jahr auch vor Ort in den Freitag-Filialen möglich sein. Der Online-Store hingegen bleibt am 25. November geschlossen.
Nächster Schritt: Kreislaufwirtschaft
Die LKW-Plane, die in dieser Fabrik künftig zu einzigartigen Taschen verarbeitet wird, könnte von Freitag bald selbst hergestellt werden. Die Marke arbeitet mit mehreren Partner:innen, darunter dem niederländischen Unternehmen Heytex, an einer Lkw-Plane, die auch nach einem zweiten Leben als Freitag-Tasche noch eine Funktion behält. Während Freitag heute die letzte Rolle im Upcycling-Kreislauf von LKW-Planen spielt, hofft die Marke, den Kreis in Zukunft vollständig schließen zu können.
Dieser übersetzte und bearbeitete Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.nl.