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Mode-Inkubator: „Die Krise wird die Modebranche und ihr Geschäftsmodell transformieren“

Von Odile Mopin

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Mode|INTERVIEW

Woraus wird die Mode von morgen gemacht? Wird das Jahr 2021 nach einem katastrophalen Jahr für Modemarken und -einzelhändler ein wenig Hoffnung bringen? Wird die wirtschaftliche Erholung kommen und wenn ja, in welcher Form? Sind neue Geschäftsmodelle im Entstehen begriffen? All das sind Fragen, die FashionUnited Clarisse Reille, der CEO von DEFI, einem Inkubator und Wachstumsbeschleuniger der Bekleidungsindustrie in Frankreich, gestellt hat.

FashionUnited: Die Modebranche blickt auf das Ende eines Jahres, das von Schließungen, Firmenpleiten und zahlreichen Entlassungen geprägt war. Wie sieht die Bilanz in Bezug auf die Beschäftigung in diesem Sektor aus?

Clarisse Reille: Zunächst möchte ich an das wirtschaftliche Gewicht der Mode in Frankreich erinnern. Zusammen, also mit Bekleidung, Leder, Parfüm und Uhren, ist dieser Sektor 145 Milliarden Euro wert, schafft 600.000 direkte und eine Million indirekte Arbeitsplätze.

Der Verlust von Arbeitsplätzen nach dem ersten Lockdown wird auf 100.000 geschätzt. Insgesamt, so die Schätzungen, werden nach den Schließungen im November zwischen 120.000 und 150.000, allein im Bekleidungssektor zwischen 30.000 und 40.000 Arbeitsplätze verloren gehen.

Die Auswirkungen des zweiten Lockdowns waren härter als die des ersten im Frühjahr. Obwohl es schwierig war, konnten die Marken in den umsatzschwachen Monaten zur vollen Marge verkaufen, aber der Cashflow war sehr geschwächt. Zu diesem ohnehin schon schwierigen Bild kommt der zweite Lockdown hinzu, und zwar in der wichtigsten Zeit des Jahres, der Weihnachtszeit, und damit auch zu einer Zeit, in der die Marken auf Lager kaufen mussten und die Lieferanten angesichts des Kontextes nur gegen Vorauszahlung liefern wollten. Die Internetverkäufe stiegen stark an, aber nicht genug, um diese Kosten zu kompensieren.

Wie geht es mit dem Jahr 2021 weiter? Welche Gründe gibt es, auf eine Trendwende zu hoffen?

Wir erwarten 2021 eine sehr gemischte Situation. Leider wird es im Zuge der Gesundheitskrise, deren Ende noch nicht absehbar ist, weiterhin zahlreiche Insolvenzen und Entlassungen geben. Wir werden weiterhin mit dem Virus leben, was mangelnde Planbarkeit, Unsicherheit und kurzfristige Arbeit bedeutet.

Aber gleichzeitig erleben wir neue Trends, neue Modelle entwickeln sich. Die Covid-Krise wirkt wie ein Beschleuniger, sowohl in die schlechte als auch in die gute Richtung. Wir sehen derzeit eine Vervielfachung der Lösungen. Marken zeigen kreativen Elan, Agilität, sie sind gezwungen zu innovieren, um zu überleben und – oder aufzusteigen.

In Frankreich haben wir starke und zukunftsorientierte Luxuskonzerne, die eine außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit zeigen. Ich denke da zum Beispiel an die im November dieses Jahres unterzeichnete Vereinbarung zwischen der chinesischen Plattform Alibaba, Farfetch, Richemont und Kering. Diese Partnerschaft wird die Absatzmärkte dieser Luxusmarken in Asien und insbesondere in China stark beschleunigen. Es bestätigt die strategische Position, die das Digitale in der Luxusindustrie einnimmt, insbesondere im Kontext der internationalen Lockdowns.

Und wie sieht es bei kleinen und Mittelständischen Unternehmen aus?

Es gibt zahlreiche Unternehmen, die ständig traditionelle Modelle neu überdenken und nach innovativen Lösungen suchen. Eine teilweise lokale Neuaufstellung ist möglich. Die Lohnkosten fangen an, zu sinken. Die Kosten für Material, Energie und Logistik übersteigen sie. Wenn wir sehen, dass die Mulliez-Gruppe (Pimkie, Jules, Rouge Gorge, Grain de Malice, Bizzbee) beabsichtigt, eine Jeans-Fabrik in Frankreich zu errichten, ist das sehr ermutigend. Dies wird realistisch in einem Kontext, in dem Nähe, Transparenz über die Herkunft der Produkte und Exzellenz zur Forderung der Verbraucher wird. Und das führt zu soliden, tief gehenden Partnerschaften mit Lieferanten und auch zu schnelleren Kollektionen. Wir müssen die wichtigsten Leistungsindikatoren des Sektors neu überdenken.

Mehr Hinweise auf diesen Wandel tauchen auf. Die digitale Transformation, und nicht nur E-Commerce, der die Spitze des Eisbergs ist, muss auf allen Ebenen des Unternehmens umgesetzt werden. Das DEFI hat 13 digitale Workshops ins Leben gerufen, um Marken auf allen Ebenen zu unterstützen – von der Überwachung der Website-Effizienz, über die Überprüfung der Kapitalrendite, Segmentierung des Kundenstamms und viele weitere Bereiche. Nur wenige Unternehmen beherrschen dies alles.

Andere Technologien werden immer mehr in Mode kommen – wie Augmented Reality und Gaming, was eine neuere Technologie ist, die wir im Trend sehen. Louis Vuitton gab mit seiner League of Legends-Kapselkollektion den Ton an.

Eine weitere neue Entwicklung, die während des ersten Lockdowns an Fahrt aufgenommen hat, ist das Lifestream-Shopping, die Interaktion und der Live-Kauf zwischen Influencern und Internetnutzern. Dieses Phänomen, das in China schnell wächst, wird die Dynamik des E-Commerce weiter fördern und neue Möglichkeiten für Marken bieten.

Die Themen nachhaltige Entwicklung und Ethik, die in der Mode immer mehr im Vordergrund stehen, werden sie der harten Realität der sinkenden Kaufkraft standhalten?

Ich denke schon. Zunächst einmal ist es nicht nur eine Frage der Kaufkraft, im Gegenteil, wir sehen es am Erfolg der Second-Hand-Mode. Zweitens wird die "Herstellung" von Werten, also die Bedeutung, für jedes Modeunternehmen entscheidend. Sie wird zu einer wichtigen Achse der Kundenbindung.

In der Praxis führt dies zu einer Transformation der Wertschöpfungskette. Das Herrenlabel Bonne Gueule und Officine Générale sind Beispiele für diesen Wandel, der sich jedoch überall vollzieht, auch in großen Ketten, von Decathlon bis Armand Thiery. Die Verbraucher werden in Bezug auf die Umweltsiegel immer anspruchsvoller werden.

Wir erleben auch das Entstehen einer Vielzahl von neuen Trends und Labels, die auf Sinn und Nachhaltigkeit basieren, fernab der alten Wirtschaftsmodelle.

Ja, und ich hoffe, nein, ich glaube, wenn die Impfpläne sich positiv entwickeln, wird es die Mode auf eine sehr erfreuliche Weise beeinflussen. Wir sehen eine Explosion von sehr lokalen Labels, Unternehmen, die nicht unbedingt den Ehrgeiz haben, zu wachsen, sondern ihre Werte nach ihrer Gemeinde zu leben. Über soziale Netzwerke, die zu Shops werden, und über deren oft einzigartige Shops, die zu ihren Medien werden.

Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

Bild: DEFI - Clarisse Reille

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