Maison Ullens: Christian Wijnants über seine neue Rolle als Designer und das Modehaus
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Maison Ullens gab am Montag die Ernennung seines neuen künstlerischen Leiters bekannt: Christian Wijnants. Im Video-Interview mit FashionUnited spricht der belgische Designer über die Zusammenarbeit mit Maison Ullens und seine Vision von belgischer Mode, Luxus und kollaborativer Arbeit.
Sie wurden gerade zum künstlerischen Leiter von Maison Ullens ernannt und werden an der Seite von Myriam Ullens, der Gründerin, arbeiten. Wie wird der kreative Prozess aussehen?
Christian Wijnants: Eigentlich arbeiten wir schon seit einer Saison zusammen. Ich habe bereits vor acht Monaten mit der Sommersaison begonnen, dann habe ich die Beratung für den Winter gemacht und jetzt habe ich bei der Kollektion vollständig geholfen. Es läuft alles sehr reibungslos. Myriam und ich sprechen am Anfang über die Wünsche, die Ideen, die wir gerne realisieren würden, ich entwerfe die Kollektionen und dann geht es mit dem Kreativ- und Produktionsteam von Maison Ullens weiter. Ich gehe einmal pro Woche ins Studio – mehr oder weniger – und Myriam kommt von Zeit zu Zeit ins Büro, um mit mir die Entwicklung der Kollektion zu besprechen. Es ist wirklich eine Zusammenarbeit, bei der Myriam mir ein wenig ihre Wünsche mitteilt und mir viel von ihren Reisen erzählt. Wenn sich die Kollektion weiterentwickelt, ändern wir die Ideen ein wenig, je nach Zeitgeist und ihren eigenen Erfahrungen. Aber im Prinzip arbeite ich zu Beginn der Saison an einem Moodboard, entwerfe die Kollektionen, wähle die Materialien, Farben und so weiter aus und stelle sie ihr vor. Sie leitet mich an, indem sie mir die Boutiquen und die Kundschaft vorstellt und ich bringe die Neuheiten, Ideen und Kreationen ein.
Die Tendenz, kreative Köpfe von außen zu holen, wird in der Modebranche immer stärker. Wie beurteilen Sie dies?
Es stärkt sicherlich eine Marke. Selbst innerhalb meiner Marke ist mir die Zusammenarbeit mit anderen Menschen sehr wichtig. Das heißt, dass ich versuche, mich bei der Kollektion, bei den Schuhen und bei den Accessoires mit Menschen zu umgeben, mit denen ich kommuniziere. Jede kreative Person hat gerne einen zweiten Blick und dritten Blick – eine andere Perspektive. Es ist eine Bereicherung für beide Seiten. Es kann viel Neues bringen.
Warum sagten Sie “Ja” zu Maison Ullens?
Ich kannte Maison Ullens bereits gut, weil es in Belgien ziemlich bekannt war. Außerdem mag ich Strickwaren sehr und arbeite viel damit in meinen Kollektionen. Maison Ullens ist ein tolles Haus, weil es sehr schöne Strickwaren herstellt, die Qualität ist extrem hoch, es gibt viele tolle Fabriken, mit denen wir zusammenarbeiten. Man kann nicht “nein” zu einer Zusammenarbeit mit einem so schönen Haus sagen, das mit Fabriken arbeitet, die alle in Europa sitzen, fast alle in Italien, mit Maschinen und Techniken, die wirklich top sind. Es ist eine sehr nette Zusammenarbeit. Ich bin wirklich froh über diese Gelegenheit.
In der Pressemitteilung, in der Ihre Ernennung angekündigt wird, erklärt Maison Ullens den Willen, "den belgischen Charakter des Hauses weiter zu betonen". Was bedeutet belgisches Modedesign heute?
Es ist ziemlich schwierig zu beschreiben, weil ich selbst Belgier bin und es manchmal einfacher ist, die Ähnlichkeiten von außen zu sehen. Belgisches Design ist ziemlich vielfältig und belgische Designer:innen haben sehr unterschiedliche Stile. Man muss nicht unbedingt von einem Stil sprechen, sondern eher von einer Arbeitsweise, einem Sinn für Humor, einer Freiheit in dem Sinne, dass die belgische Mode noch nicht sehr alt ist. Es ist nicht wie in Paris oder Mailand, wo es eine Hierarchie in der Mode gibt, eine manchmal lange Geschichte in einigen Häusern. In Belgien sind die Menschen noch nicht so lange in der Modebranche tätig, sodass es etwas mehr Freiheit gibt. Als ich in einem Pariser Haus arbeitete, war es ein wenig altmodischer, es gab viel Geschichte und viel Vergangenheit. Das kann manchmal belastend sein und gerade in Belgien sind die Designer:innen vielleicht freier in Bezug auf die Geschichte.
Es gibt auch viele belgische Designer:innen, die einen authentischen Stil haben. Jede:r macht ein bisschen das, was er/sie will und schaut nicht nach links und rechts, versucht nicht unbedingt, Diktaten oder Trends zu folgen. Wir sind nicht unbedingt Designende, die nach Berühmtheit und dem roten Teppich streben. Wir machen Kleidung, die im täglichen Leben getragen werden kann. Alle belgischen Designer:innen, die ich bewundere, kleiden echte Frauen, es ist nicht nur eine Silhouette, die man bei einer Modenschau sieht und dann nie wieder. Es gibt diese sehr realistische, pragmatische Seite.
„Ich denke gerne an das Maison Ullens als ein Haus, das in die Zukunft investiert.”
Das deckt sich mit einer gewissen Definition des heutigen Luxus. Was ist für Sie im Jahr 2023 Luxus?
Für mich ist Luxus mit Komfort verbunden, mit der Tatsache, dass man sich etwas gönnt. Der Luxus bei Maison Ullens besteht darin, wunderschöne Produkte zu haben. Die Qualität ist extrem hoch. Die Produkte sind so schön, dass man sie sogar nach innen oder außen tragen kann, es gibt viele wendbare Stücke. Das ist der Luxus, dass man wunderbare Qualitäten hat, die aus Italien kommen, die in schönen Werkstätten hergestellt werden, wo die Dinge von Hand und auf traditionelle Weise gemacht werden.
Und die Idee, zeitlose Stücke zu haben, ist meiner Meinung nach das, was Luxus ausmacht, Stücke, die eine Investition sind, die man 20, 30 Jahre oder sogar noch länger haben möchte, die man der nächsten Generation schenken möchte und die nicht nach einer Saison aus der Mode sind. Ich denke gerne an das Maison Ullens als ein Haus, das in die Zukunft investiert.
Können Sie ein Stück beschreiben, das Sie besonders mögen, oder das ein Bestseller bei Maison Ullens werden könnte?
Es gibt bereits Bestseller, die von Saison zu Saison fortgesetzt werden. Ich habe versucht, in dieser Saison mehrere davon zu bringen. Wir haben auch an Stücken gearbeitet, die "Travel Kit" heißen. Es handelt sich um sehr feine Maschen, eine 18er Masche. Die Strickdauer ist sehr lang. Es hat eine Farbe außen und eine andere innen, so dass man die Stücke wenden kann.
Dann gibt es eine große Strickjacke in der Kollektion, sie ist zweifarbig, sehr locker geschnitten, mit geraden Ärmeln, ohne Knöpfe, die relativ dünn, fließend und feminin ist, etwas sehr Cleanes, Einfaches. Es ist ein Stück, in dem ich am liebsten mein ganzes Leben verbringen würde. Ein Cardigan, in den man sich einkuscheln kann. Besonders mag ich daran die Idee des Komforts, des Cocoonings, wenn man in ein Flugzeug steigt oder wenn man am Sonntagnachmittag auf dem Sofa sitzt und einen Film schaut, oder auf der Straße – dieses Kleidungsstück passt immer. Es gibt auch diese Eleganz beim Gehen, diese Dramatik, wenn die Strickjacke sich öffnet und weht, weil sie sehr lang ist. Ich liebe diese Art von sehr einfachen, fast selbstverständlichen Stücken, bei denen man denkt: „Das muss ich haben.”. Das sind Stücke, die wir in der Zukunft weiterführen werden.
Wie sieht es mit der Frequenz der Kollektionen aus?
Es gibt zwei Kollektionen oder Themenkollektionen pro Jahr. Aber wir werden auch mit Kapseln arbeiten. Es wird eine erste Lieferung geben, eine zweite Lieferung. Je nach Nachfrage, je nachdem, was in den Boutiquen gefragt wird. Aber wir werden nicht in das System der Pre-Collections einsteigen. Es wird Frühling/Sommer, Herbst/Winter geben.
Wie ist Ihre Beziehung zu sozialen Netzwerken?
Soziale Netzwerke sind eine Hassliebe von mir. Ich habe vielleicht etwas zu lange gebraucht, um die sozialen Netzwerke zu mögen. Anfangs war ich sehr kritisch und jetzt finde ich, dass es ein großartiges Tool ist, das jeder Mensch nutzen kann, um über das zu sprechen, was er mag, seine Ideen zeigen kann, seine kreative Seite. Leute, die vielleicht einen etwas langweiligen Job haben, können auf Instagram großen Einfluss haben und kreative Ideen in vielen verschiedenen Bereichen zeigen. Es hat ein wenig gedauert, aber ich finde es unglaublich, dass nicht nur Modeleute über Mode sprechen und dass man vor 10, 15 oder 20 Jahren nur einen sehr punktuellen Einblick in die Mode hatte, nur Fachleute, Journalist:innen oder Stylist:innen. Heute können wir einen anderen Blickwinkel einbringen. Ich finde das bereichernd.
Welchen Account(s) folgen Sie auf Instagram?
Ich folge nicht vielen Influencer:innen. Aber ich folge Magazinen wie GentleWoman, WWD oder FashionUnited. Es ist eine Mischung aus informativen Dingen und Hintergrundthemen. Und natürlich gibt es einige Influencer:innen, denen ich folge, weil ihr Stil mich inspiriert. Ich bin nicht den ganzen Tag in sozialen Netzwerken, aber ab und zu. Es gibt dort eine Freiheit und eine Leichtigkeit und diese Art der Demokratisierung von Informationen, die mich anfangs störte, weil ich fand, dass wahllos alles verbreitet wurde und alles sehr schnell ging. Ich habe Martin Margiela immer verehrt, weil er sich nicht zeigte, weil seine Etiketten seinen Namen nicht beinhalteten, es gab diese Diskretion. Ich habe das in der Mode immer geschätzt, wenn es ein Geheimnis gibt und man danach suchen muss.
Heute entwerfen Marken ihre Stücke sogar in Abhängigkeit davon, wie sie auf Instagram aussehen werden.
Das Erstaunliche ist, dass ich vor 15 Jahren noch keine Ahnung hatte, was mit meinen Kleidungsstücken nach dem Verkauf geschehen würde. Ich machte eine Modenschau, ich verkaufte die Kollektion, die Kollektionen wurden in die ganze Welt verschickt. Und ich hatte keine Ahnung, was danach geschah. Jetzt sehe ich meine Kund:innen, die aus Neuseeland, Japan, Hawaii und New York posten, oder die Boutiquen, die ihre Schaufenster teilen. Ich sehe Influencer:innen, der meine Kleidung auf einem Festival tragen. Ich sehe das echte Leben der Kleidung, das ich vorher überhaupt nicht sehen konnte. Es ist unglaublich zu wissen, was danach passiert, dass das Kleid zum Beispiel auf diese Weise zu einem Barbecue in Texas getragen wurde. Früher sah man ab und zu eine Schauspielerin, die ein Kleid auf einem Festival trug und das war es dann. Jetzt zu sehen, wie meine Kollektionen zum Leben erweckt werden, wie sie sich entwickeln, ist etwas Faszinierendes, das mir viel gibt. Ich verbringe nicht mein ganzes Leben damit, mir das anzusehen, aber es ist trotzdem schön zu sehen, wie die Leute sie stylen. Denn ich schlage Ideen vor, einen bestimmten Look, aber dann machen die Kund:innen damit, was sie selbst wollen. Sie bestimmen den Look, den sie dem Kleidungsstück geben möchten. Als Designer:in ist es sehr aufregend, die Kleidung, die man entworfen hat, in einem völlig anderen Kontext zu sehen.
Ihre gleichnamige Marke feiert ihr 20-jähriges Jubiläum. Was sind die Pläne für die Zukunft?
Wir haben gerade ein zweites Geschäft in Berlin eröffnet. Es stimmt, dass die Idee, Boutiquen zu eröffnen, etwas ist, das mir sehr am Herzen liegt, weil ich die Verkaufserfahrung liebe, die Erfahrung, in eine Boutique zu gehen, einzukaufen und die Produkte zu sehen. Auch wenn das Online-Geschäft gut läuft, möchte ich in den nächsten zwei oder drei Jahren einen dritten, vierten oder fünften Laden eröffnen. Und vielleicht werden wir in Zukunft auch wieder Herrenmode entwickeln. Wir haben sie während der Corona-Pandemie zurückgestellt.
Eine Ladeneröffnung in Paris vielleicht?
Wir haben es nicht unbedingt eilig. Die Eröffnung einer Boutique ist wirklich eine Frage der Gelegenheit, man muss sich in einen Ort verlieben. Aber wir haben große Lust, in den nächsten zwei oder drei Jahren einen Store in Paris zu eröffnen.
Letzte Frage: Was inspiriert Sie derzeit besonders?
In letzter Zeit hat mich eine Ausstellung über den Künstler Urs Fischer in Mexico City sehr inspiriert.
Dieser Artikel wurde ähnlich auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ