Lidewij Edelkoort: "Folklore wird zum Trend; die Tunika als universelles Kleidungsstück"
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Amsterdam - Lidewij Edelkoort prognostiziert die Trends für den Sommer 2020 und folgt dabei dem Skript ihres zuvor veröffentlichten Anti-Fashion-Manifests. Entschleunigung, Vernetzung, Menschlichkeit und Gleichheit; diese Themen wurden im Rahmen des halbjährlichen Appletizer-Trendseminars "Li's" im Amsterdamer Muziekgebouw am Fluss Ij behandelt. Die Modeprophetin war in zwei Punkten unerschütterlich: Folklore wird zu einem großen Trend und die Tunika zu einem universellen Kleidungsstück. FashionUnited nahm am Seminar teil und fasst die Highlights zusammen.
Vor Beginn ihrer Präsentation gestand Li Edelkoort dem Publikum, dass sie, als sie sich über die aktuelle Situation in der Welt informierte, realisierte, wie gut es den Niederlanden tatsächlich geht. Das Publikum schwieg. "Im Moment sind Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auf der ganzen Welt weit verbreitet. Die Demokratie kann einer so großen Zahl von Autokraten nicht standhalten, die von riesigen Armeen unterstützt werden. Die Nachrichten sind voller Naturkatastrophen und die Modebranche bleibt einer der größten Umweltverschmutzer weltweit", fasste Edelkoort zusammen. Höchste Zeit für Veränderungen, fand sie, oder zumindest Zeit für eine Gegenbewegung, die nach ihrer Prognose durch das Erstarken der Folklore in der Mode geprägt sein wird.
Lidewij Edelkoort Trendseminar Frühjahr/Sommer 2020
"Die Modebranche ist blockiert. Es bleibt kaum Zeit zum Nachdenken, es wird immer weiter produziert und ausgeliefert. Das Ergebnis: Alte Modelle werden ständig als "neue Mode" angepriesen. Wir recyceln immer wieder die gleichen Designs, selbst wenn die Unterschiede vernachlässigbar sind. In einer Saison ist die Schuhsohle etwas dicker, in der nächsten sind die Nieten etwas ausgeprägter, aber im Wesentlichen hat sich nicht viel verändert", fasste Edelkoort die Branche kurz zusammen. "Wir laufen weiterhin ohne jegliche Innovation im Kreis herum."
Ein textiles "Erwachen" sei auf dem Weg, die das "Tempo und die Gier" der Modehäuser auszugleichen versuche, kündigte sie an. An den Akademien, an denen Edelkoort unterrichtet, sind die Schüler alle an ihren Webstühlen zu finden. Sie bezeichnet dies scherzhaft als die Weave Wave, nimmt das Thema aber inzwischen sehr ernst. "Die Menschen sehnen sich wieder einmal nach Kleidungsstücken mit Seele."
Das aktuelle politische Klima mit seinen Handelskriegen, der Schließung von Grenzen und der Segregation verschiedener Kulturen verlangt nach einer neuen Vision", kündigte Edelkoort an. Folkloristische Mode könnte dabei eine verbindende Rolle spielen. "Wir würden davon profitieren, in die Folklore einzutauchen und zu erkennen, dass wir mehr miteinander gemein haben, als wir vielleicht denken." An verschiedenen Orten auf der Welt wurden ähnliche Kleidungsstücke entworfen und gleichzeitig Techniken entwickelt, sagte Edelkoort dem Publikum. Diese Vorstellung könnte der Welt helfen, universell statt nationalistisch zu denken.
Laut Edelkoort würden, wenn das Thema Mode und Folklore auftaucht, die Menschen wütend. Gegenwärtig gibt es eine wachsende Debatte darüber, wem was gehört, und Muster, Farben und traditionelle Kleidung werden von verschiedenen Kulturen beansprucht. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Nachahmer sich nach Angaben der Trendforscherin nicht die Zeit nehmen oder die Neigung zeigen, ihre Inspirationsquellen, die Verwendung von Farben, die Formen und die damit verbundenen Techniken ausreichend zu recherchieren, was zu einfallslosen Reproduktionen führt. Sie betonte, dass es für Modeunternehmen wichtig sei, Verantwortung für ihre Rolle dabei zu übernehmen.
Eines der Kleidungsstücke aus der Folklore, die Edelkoort in ihrer Präsentation zitierte, ist die Tunika. Die Tunika, Kaftan oder Tunesienne wurde gleichzeitig in Afrika und Asien entwickelt und wird von Männern und Frauen getragen. Edelkoort bemerkte auch, dass der Kaftan höchstwahrscheinlich eine Rolle in der Streetwear spielen wird. Mäntel und Hemden, die immer länger werden, nehmen bereits eine ihm ähnelnde Form an.
Bei Li's Trenddarstellung wurde deutlich, dass der Kurs, den sie mit ihrem Anti-Fashion Manifest von 2015 eingeschlagen hat, zukunftsweisend ist. "Die Mode ist tot", kündigte sie damals an. Wir werden uns wieder einmal auf die Kleidung selbst konzentrieren. Dabei wird Kleidung handgemacht, mit Sorgfalt hergestellt, nicht zeitgebunden und so gemacht sein, dass sie Menschen vereint.
Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.uk veröffentlicht. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ
Fotos: Lidewij Edelkoort via Appletizer | Oscar de la Renta Frühjahr/Sommer 2019 © Laufstegbilder