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Hasardeur: „Politik ist Thema in jedem Verkaufsgespräch“

Von Annette Gilles

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Mode |CEO-Interview

Hasardeur in Münster Bild: Hasardeur

Ein Hasardeur ist ein Glücksspieler, ein Draufgänger, eine leichtsinnige Person. Ist ein Modehändler, der sein Geschäft „Hasardeur“ nennt, dann genau das? Oder ist er nicht eher jemand, der die Fähigkeit hat, sein Herz in die Hand zu nehmen und couragiert zu entscheiden; jemand, der sich einlässt mit Haut und Haar, aber nie die Kontrolle verliert; jemand mit Selbstironie und jemand, der so klug ist, die Dinge immer mit Humor und doch ernst zu nehmen. Jemand wie Markus Brüning also, der seinen High Fashion Store „Hasardeur“ gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Bavendiek führt. Seit 38 Jahren am Steinweg in Münster, gut 1000 Quadratmeter groß, gehört Hasardeur zu den führenden Modegeschäften Deutschlands. Im Interview spricht Brüning über die aktuellen Herausforderungen und die Auswirkungen politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen auf sein Unternehmen und seine persönlichen und geschäftlichen Zielsetzungen.

Markus Brüning Bild: Hasardeur

Wie geht es Ihnen gerade, Herr Brüning?

Das Jahr ist mehr als herausfordernd. Der September hat zwar sehr gut funktioniert, und seit zwei Wochen kommen auch unsere Terminkundinnen und -kunden. Aber April, Mai, Juni, Juli – diese Phase war schlimmer als die Krise. Insbesondere der kalte Mai hat alles verrutschen lassen; und dann kam die Monsterhitze...

Welche Auswirkungen hat extreme Hitze und damit der Klimawandel auf Ihr Geschäft?

Große Hitze ist tödlich für uns. Starkregen oder extrem heißes Wetter sind regelrechte Verkaufsverhinderer, denn wenn sie schwitzen oder nass werden, kommt unsere Klientel erst gar nicht. Es gibt aber auch andere Entwicklungen, die problematisch sind. Die extra Ansprache der Kund:innen ist extrem schwierig geworden. Es ist inzwischen eine Riesenherausforderung, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Worauf führen Sie das zurück?

Das Isoliertsein in der Pandemie hat uns allen nicht gutgetan. In dieser Zeit hat sich unsere Gesellschaft nachhaltig verändert. Was vor Corona galt, hat nach Corona keine Gültigkeit mehr.

Was hat sich außer der Kommunikation noch verändert?

Begegnung und Zugehörigkeit sind meinem Empfinden nach sehr viel wichtiger für die Menschen geworden. Dies muss man ihnen ermöglichen – und das betrifft auch uns.

Hasardeur in Münster Bild: Hasardeur

Was meinen Sie damit?

Ich hatte in der Vergangenheit gewisse Berührungsängste mit Kundenevents... und ich muss gestehen: Ich konnte auch die Notwendigkeit nicht recht erkennen; schließlich sind wir ohnehin von morgens bis abends für unsere Kund:innen da, an sechs Tagen der Woche. Aber im Laufe dieses Jahres ist mir klar geworden, dass wir uns dem nicht mehr entziehen können. Unsere Kundschaft hat den Wunsch nach Events explizit an uns herangetragen – und gerade hatten wir Premiere: mit einer Gruppe von 25 Frauen zwischen 50 und 65 Jahren – genau unsere Zielgruppe also –, die gern zu uns kommen wollten.

Wie ist es gelaufen?

Wirklich gut! Ich hatte richtiges Lampenfieber, das muss ich zugeben. Aber als ich dann auf unserer Treppe stand und den Damen von unserem Geschäft, das wir seit 38 Jahren an diesem Standort führen, erzählt habe, ist das Eis schnell gebrochen. Wir haben dann in zwei Stunden einen super Umsatz gemacht.

Worauf kam es diesen Kundinnen besonders an?

Sie wollten vor allem wissen, wie man sich gut kleidet.

Und wie kleidet man sich gut?

Die Grundregel ist: Mantel, Schuhe und Tasche müssen teuer sein, dazwischen kann man mogeln. Das habe ich ihnen auch so vermittelt. Aber es ging bei diesem Event – wie übrigens häufig bei unseren Beratungsgesprächen – auch um Themen über Mode hinaus. Ich habe den Damen beispielsweise gesagt, dass ab einem gewissen Alter auch Lippenstift zwingend zu einem guten Look dazugehört, weil die Pigmentierung der Lippen nachlässt. Oder dass stets frisch gewaschenes Haar für das gesamte Erscheinungsbild entscheidend ist.

Bild: Hasardeur

Sie beraten also auf einer sehr persönlichen Ebene...

Absolut. Ich habe sogar den Eindruck, dass klare Botschaften in diesem Bereich sehr gut angenommen werden. Man muss natürlich den richtigen Ton treffen. Letztendlich ist das alles ja eine Form von Entertainment; darauf kommt es an, auch tagtäglich in der Beratung: dass man unterhält.

Dabei kommen Sie Ihren Kundinnen aber offenbar auch sehr nahe...

Unsere Kundinnen und Kunden lesen lernen – das ist die immerwährende Aufgabenstellung. Was tut sich im Moment bei den Frauen? Wie empfinden sie ihr Leben in dem Alter, in dem sie gerade sind? Das herauszufinden, finde ich extrem spannend.

Was bewegt Ihre Kund:innen momentan besonders?

Ein Dauerbrenner ist natürlich das Thema Urlaub. Da wird immens viel Geld investiert – und das hat direkte Auswirkungen auf uns. Denn all diese Reisen – mehrmals im Jahr nach Mallorca, Fernreisen nach Mexico, Kolumbien, Costa Rica oder Japan – verschlingen Beträge bis in einen höheren fünfstelligen Bereich hinein, die bei uns nicht mehr investiert werden können. Der zweite Effekt ist, dass viele Kund:innen deutlich seltener etwas Neues brauchen, weil sie durch ihre Reisen klimatisch das ganze Jahr hindurch im Sommer unterwegs sind. Daher brauchen wir definitiv keine Ware mehr für Winter und Sommer, sondern vor allem für den Übergang.

Accessoires bei Hasardeur in Münster Bild: Hasardeur

Spricht Ihre Klientel auch über Politik?

Politik ist Thema in jedem Verkaufsgespräch. Zeitweise drehten sich die Gespräche hier nur noch um Wärmepumpen, Hausdämmung und Solarenergie. Schließlich sind 80 Prozent unserer Kund:innen Immobilienbesitzende. Aber es gibt auch viele andere Themen, die die Leute umtreiben, wie etwa die Inflation, die Rezession, oder die Frage, warum wir 20 Jahre brauchen, um die Bahn wieder auf Vordermann zu bringen.

Wie verhalten Sie sich bei diesen Themen?

Man kann das alles nicht mehr ausblenden; und wenn ein:e Kund:in über Politik sprechen will, kann man sich auch nicht mehr entziehen, man muss schon Stellung beziehen. Das gilt für uns hier in unserem Laden genauso wie für die Politiker:innen auf der großen Bühne: Man darf nicht wegtauchen, man muss kommunizieren. Sonst fühlen die Menschen sich allein gelassen. Und wenn man kommuniziert, dann muss man es auf die richtige Weise tun. Da gibt es momentan Defizite. Die Folge ist: Es liegt etwas Waberndes, Gallertartiges über dem ganzen Land. Die Menschen sind verunsichert. Und wenn sie verunsichert sind, sparen die Deutschen. Das spüren wir natürlich auch.

An welcher Stelle besonders?

Betroffen ist insbesondere die Klientel der gehobenen Mitte. In diesem Bereich können sich viele die gestiegenen Preise nicht mehr leisten. Da sind uns auch Kund:innen weggebrochen, das muss ich ganz klar sagen.

Gehen Sie in Ihrer Sortimentsgestaltung darauf ein oder lassen Sie diese Kund:innen ziehen?

Ich propagiere für diese Klientel jetzt offensiv den Sale. Ich spreche auch ganz offen mit ihnen darüber, dass es ihnen nicht unangenehm sein muss, nur noch im Sale zu kaufen, dass es sogar nachhaltig ist und dass sie als Kund:innen deshalb nicht weniger wichtig für uns sind. Darüber hinaus muss ich natürlich mein Warenvolumen überdenken: Wie viel Auswahl brauche ich, um kompetent zu sein? Wie viel Auswahl kann ich mir leisten?

Verunsicherung, Unzufriedenheit, dieses „Wabernde“, wie Sie die Stimmung im Land beschrieben...Gibt es eine Kollektion, die dieser Gemengelage auf genau die richtige Weise begegnet?

Oh ja, sämtliche Stricker:innen, die Strick in Kombination anbieten; auch für Männer übrigens, die inzwischen sogar Stricksakkos akzeptieren. An erster Stelle denke ich da an Iris von Arnim und Extreme Cashmere oder auch Philo-Sofie. Das sind Top- Performer:innen, die eine sehr komplette Geschichte erzählen. Natürlich muss hier auch Prada genannt werden, diese Kollektion hat eindeutig ihr Momentum. Bei Bottega Veneta sind es insbesondere die Taschen, die große Anziehungskraft ausüben. Gleichzeitig sind aber auch die Preise ein Riesenthema. Wenn ein Pullover 2400 Euro kostet, können viele das nicht nachvollziehen. Da müssen wir eine neue Balance finden.

Prada bei Hasardeur in Münster Bild: Hasardeur

Wie wollen Sie diese Balance herstellen?

Wir brauchen Ware in Preislagen, die unsere Kund:innen nicht nur bezahlen können, sondern auch wollen. Das gilt insbesondere für die Segmente, in denen kontinuierlich Bedarf ist, sprich Mäntel, Jacken, Hosenanzüge. Ich denke aber, wir haben diese Aufgabenstellung mit einigen Lieferant:innen sehr gut gelöst.

Welche Lieferant:innen sind das?

Extrem gut funktioniert bei uns Manzoni24; das ist genau die Übergangsware, die wir brauchen. Doriani verkaufen wir sehr gut. Auch Max Mara bietet genau die richtige Performance in genau der richtigen Preislage. 790 Euro für das Sakko und 490 Euro für die passende Hose – das ist ein Preisniveau, das eine hohe Akzeptanz hat.

Welchen Stellenwert hat Quiet Luxury für Hasardeur?

Der vielbesprochene leise Luxus bedeutet vor allem Beratung. Denn da geht es um feinste Details: die richtigen Proportionen, den richtigen Absatz, die fließenden Silhouetten. Der Look muss den Alltag reflektieren, darf aber keinesfalls zu sportlich sein. Weitere Hosenformen und Kleider spielen meist eine Schlüsselrolle. Zudem muss man Alternativen finden für Elemente, die für die individuelle Kundin nicht funktionieren; hohe Absätze etwa, denn die sind bei vielen unbeliebt. Funktionieren in dem Fall Ballerinas auch zu weiten Hosen? Wenn ja, welche und zu welchen weiten Hosen? Ohne kompetente Beratung wird es kaum gelingen, diese lässige Angezogenheit, für die Quiet Luxury steht, individuell überzeugend zu kreieren. Im Grunde ist Quiet Luxury auch ein Synonym für unsere besondere Expertise: Beratung, Exzellenz, Erfahrung. Das ist unser Trumpf, den müssen wir ausspielen.

Bild: Hasardeur

Ordern Sie inzwischen wieder live oder nach wie vor online?

Wir haben einen Riesenbildschirm im Büro und machen weiterhin alles online; nicht nur weil wir dann Flüge sparen und die Umwelt schonen: Ich arbeite in diesem Modus einfach auch konzentrierter und deutlich fokussierter. Die grundlegenden Fragen – wie viele Drops brauche ich, mit wie wenigen Looks kann ich arbeiten – entscheidet man viel rationaler. Ich habe tatsächlich festgestellt, dass ich online weniger Fehler mache. Vielleicht liegt das ja daran, dass ich ein hundertprozentiger Bauchmensch bin: Wenn bei der Online-Order die Emotion etwas auf der Strecke bleibt, ist das in meinem Fall eher positiv.

Bleibt nicht auch die Inspiration auf der Strecke?

Absolut nicht, die hole ich mir auf Instagram. Außerdem tausche ich mich regelmäßig in Zoom Calls und mit unseren Social Media Leuten aus, schaue jede Modenschau und sauge jede Information auf, die ich bekommen kann.

Bei all den Herausforderungen und der Komplexität der Probleme, die wir als

Gesellschaft haben und die sich unmittelbar auf Sie und Ihr Unternehmen auswirken: Wie schauen Sie heute auf Ihren Beruf?

Das, was mich grundsätzlich an meinem Beruf begeistert, ist immer noch da: Es ist immer noch die Freude am Umgang mit Menschen, die mich antreibt, und der Wunsch, ihnen in einem Bereich, von dem ich viel verstehe, nämlich der Mode, Hilfestellung zu geben. In der Vergangenheit war das Ziel dabei immer, noch erfolgreicher zu werden. Wir waren praktisch nimmersatt, wollten immer noch mehr. Heute weiß ich: Wir werden nie wieder dahin kommen, wo wir vor der Pandemie waren. Das ist eine Erkenntnis, die man erst mal verdauen muss.

Wie halten Sie vor diesem Hintergrund Ihre persönliche Motivation hoch?

Das passiert täglich in meinen Begegnungen. Am letzten Samstag zum Beispiel habe ich eine Kundin sechs Stunden lang nonstop bedient. Hinterher tat mir alles weh – und trotzdem war ich total happy. Aber natürlich muss man, wenn die Rahmenbedingungen sich so dramatisch ändern, auch selbst etwas grundsätzlich ändern, im Geschäftlichen wie im Privaten.

Privat sind wir raus aus der Stadt und in die Natur gezogen – und das tut uns unheimlich gut. Wir achten mehr auf gesunde Ernährung, kochen mehr selbst, ich übe mich in Autosuggestion... das alles hat sehr viel mit mir gemacht. Geschäftlich ist meine Zielsetzung, die Messlatte tiefer zu legen, mich auch an kleineren Umsätzen zu erfreuen. Eigentlich fällt es mir nicht schwer, mich zu motivieren. Ich liebe ja meinen Beruf – ich hätte nur gern weniger Sorgen.

Accessoires und Düfte bei Hasardeur in Münster Bild: Hasardeur
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