Generation Praktikum: Wie steht es um Praktika in der Modebranche?
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Die Modebranche ist ein begehrter Arbeitsmarkt. Ihre Strahlkraft lockt viele junge Menschen in eine Berufswahl, die von außen oft glamouröser aussieht, als sie es im Allltag tatsächlich ist. Praktika sind ein fester Teil des Berufseinstiegs, einen Job in der Modebranche gibt es ohne „Berufserfahrung“, sprich zuvor absolvierte Praktika, noch immer kaum. Hinter den Kulissen werden zahlreiche unbezahlte Nachtschichten geschoben, hierarchische Strukturen sorgen für ein hohes Stresslevel und die Bezahlung ist oft niedrig oder nicht existent. Eine realistische Erwartungshaltung für ein Praktikum in der Modebranche ist daher geboten.
Zuerst einmal: Was ist das überhaupt, ein Praktikum? Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass ein Praktikant – in Abgrenzung zu einem Arbeitnehmer „in der Regel vorübergehend in einem Betrieb praktisch tätig ist, um sich die zur Vorbereitung auf einen Beruf notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen.“ Und weiter: „In einem Praktikantenverhältnis findet zwar keine systematische Ausbildung statt, jedoch steht der Ausbildungszweck im Vordergrund. Die Vergütung ist deshalb der Höhe nach eher eine Aufwandsentschädigung oder Beihilfe zum Lebensunterhalt, sofern sie überhaupt gewährt wird.“ Seit 2015 ist auch für Praktika ein Mindestlohn vorgeschrieben, wenn es sich nicht um Pflichtpraktika während des Studiums handelt.
Laut der Broschüre „Praktikum und Mindestlohn: Der Faktencheck“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wurden im Jahr 2016 in Deutschland ingesamt circa 600.000 Praktika absolviert. Aktuellere oder auch gesonderte Zahlen für die Kultur- und Kreativbranche zu Praktika liegen auch dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anfrage nicht vor.
Wie gestaltet sich so ein Praktikum in der Mode im Alltag? Drei Frauen aus der Generation Praktikum berichten von ihren Erfahrungen.
Generation Praktikum, das ist ein Schlagwort, das 2005 in einem Artikel der Zeit zum ersten Mal auftauchte und eine ganze ausgebeutete Generation definierte, die sich auf der Suche nach einer Festanstellung von einer prekären Beschäftigung zur nächsten hangelte. Drei Erfahrungsberichte.
Marketing
Eine Marketingfachfrau berichtet von ihrem Praktikum in New York, das sie 2011 bei einem aufstrebenden Designer absolvierte: „Ich studierte an der Parsons School of Design in New York und wir wurden ermutigt, Praktika in der Modebranche zu absolvieren. Ich wurde bei einem Designer in der Marketingabteilung angenommen. Mir wurde versprochen, dass ich in der Social-Media-Abteilung mitarbeiten und das ‚Daily Business‘ eines kleinen Designerlabels kennenlernen würde. Ich war total aufgeregt und übereifrig. Gleich am ersten Tag kam die große Enttäuschung: Ich sollte sauber machen. Ich meine damit nicht, Kleider sortieren oder so etwas, wo man die Kollektion kennenlernt. Nein, man ließ mich die Böden wischen und den Showroom putzen. Kaffee schickte man mich auch regelmäßig holen. Ich wollte wirklich einen guten Eindruck machen und Einsatz zeigen – so habe ich am Ende noch den Kaffee für alle bezahlt.“
Rückblickend findet sie nicht, dass das Praktikum ihr geholfen hat: „Man hat mich für meine manuelle Arbeit unentgeltlich ausgebeutet. Zum Teil gebe ich auch der Schule daran die Schuld, weil sie mit den Unternehmen einen Deal eingeht und ihnen kostenlose Arbeit zur Verfügung stellt, in der Hoffnung, später Absolventen an sie vermitteln zu können.“
Ein zweites Praktikum hat sie bei Calvin Klein absolviert: „Dort habe ich mehr gelernt. Ich war Teil des Social-Media-Teams und der PR und habe viel vom Tagesgeschäft mitbekommen, aber auch dort musste ich sauber machen und Besorgungen in der ganzen Stadt erledigen. Ich verstehe, das gehört auch zum Beruf, aber wenn man die Praktikantin schickt, die auf eigene Kosten, mit ihrem Metroticket, durch die Stadt fährt, spart man sich auch einen Kurier. Ich finde, dass das kompensiert werden müsste.“
Ihr Fazit: „Die Modebranche in New York ist sehr cliquenhaft und wer am Ende eingestellt wird, hängt stark davon ab, wen man kennt, oder aus welcher Familie man kommt. Es gibt durchaus Raum für Praktika, die bereichernd sein können. Dafür bräuchte es – auch im internationalen Raum - mehr Regulierung und man müsste sicherstellen, dass die Praktikanten echte Berufserfahrung sammeln, anstatt zu putzen und Kaffee zu holen.“
Modejournalismus
Eine Journalistin berichtet von einem Praktikum im Rahmen ihres Studiums, für das sie vier Monate in New York bei einer amerikanischen Modezeitschrift verbrachte, ebenfalls 2011. „Zusammen mit zwölf weiteren Praktikanten,“ wie sie berichtet. „Psychospielchen und Hierarchien“ sowie „Stutenbissigkeit untereinander“ seien an der Tagesordnung gewesen. Ihr habe es geholfen, sich „durch Freundlichkeit, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit einen guten Ruf zu verdienen“, was dazu führte, dass die Aufgaben, die sie bekam, interessanter wurden. Aber „Kaffee holen und im Blizzard bei Minus 25 Grad durch die Stadt fahren, um Kleider zu retournieren“ hätten ebenfalls zum Alltag gehört. „Es war eine aufregende Zeit und ich habe viel erlebt., sagt sie. Rückblickend würde sie sich nicht mehr so viel gefallen lassen und mehr Lerninhalte einfordern.
Im Vergleich dazu sei ein Praktikum in Deutschland bei einer Wochenzeitung deutlich positiver und hierarchiefreier abgelaufen. „Nach zwei Wochen im Praktikum hatte ich eine Titelstory im Feuilleton, so etwas gibt es der New Yorker Fashion-Blase nicht,“ zieht sie ihr Resümee. „Beide Praktika waren unbezahlt, das würde ich heute nicht mehr mitmachen. Die Arbeit eines (Pflicht-)praktikanten sollte zumindest mit einem Mindestlohn entlohnt werden. Das Unternehmen bekommt einen Gegenwert und der sollte vergütet werden.“
Styling
Eine Stylistin berichtet von ihrem Praktikum bei einem Indie-Magazin in London. Auch dort zeigen sich Parallelen im Bezug auf strenge Hierarchien und Arbeiten, bei denen der Ausbildungszweck kaum im Vordergrund gestanden habe, wie die Betreuung des Büro-Haustiers. Wenn man sich bei diversen körperlichen Arbeiten aber bewiesen habe, bekam man bessere Aufgaben zugewiesen und durfte „Assistentinnenarbeiten übernehmen“ oder auch mal „zu kleineren Fashion Shows gehen.“ Auch sie kann bestätigen, dass das Praktikum in Deutschland angenehmer gewesen sei und „im Vergleich gut bezahlt“.
„Ich denke, der Wettbewerb ist im Ausland stärker, weil Leute aus aller Welt dorthin wollen,“ so ihre Einschätzung. Auch komme es darauf an, wer sich die unbezahlte Arbeit am längsten leisten könne. „Allein die Unterkunft in London zu bezahlen, setzt ein gewisses Level an finanzieller Unterstützung, zum Beispiel durch die Eltern, voraus. Dadurch haben einkommensschwächere Schichten quasi keine Chance, einen Job in der Modebranche zu bekommen. Echte Diversity kann so nicht erreicht werden“, resümiert sie.
Auch wenn sie es per se befürwortet, stellt sie fest, dass ihr persönlich das Mindestlohngesetz den Einstieg in die Arbeitswelt nach der Ausbildung erschwert habe. Denn nach dem Abschluss sei ein weiteres Praktikum oft der Schlüssel zur Festanstellung gewesen. „Die Arbeitgeber, bei denen ich mich beworben habe, haben dann aber lieber Pflichtpraktikanten genommen, die sie nicht bezahlen mussten.“
Ihr Fazit: „Man sollte sich im Praktikum wirklich mit allen 'connecten', die man kennenlernt. Auch auf dem Level der Mitpraktikanten. Jeder Kontakt kann später hilfreich sein. Und man muss ein dickes Fell haben. Man sollte von sich selbst überzeugt sein, aber auch wissen, wann man sich zurücknimmt und seinen Platz kennen.“
Was hat sich durch das Mindestlohngesetz getan?
2015 wurde das Mindestlohngesetz (MiLoG) in Deutschland eingeführt. 8,50 Euro Stundenlohn außerhalb des Pflichtpraktikums, so die Neuregelung. Hat es der Generation Praktikum geholfen? „Der Mindestlohn hilft vielen Praktikantinnen und Praktikanten nicht, denn 73 Prozent aller Praktika finden während des Studiums statt. Dort hat der Gesetzgeber aber massive Ausnahmen vom Mindestlohn zugelassen“, stellt DGB-Bundesjugendsekretär Florian Haggenmiller im DGB Praktika-Check von 2016 fest. „Vor allem die Qualität der angebotenen Praktikumsplätze schwankt: Schriftlich vereinbarte Lerninhalte werden nicht eingehalten, Vergütungen häufig einfach nicht gezahlt, Betreuer fehlen, Arbeitszeiten werden oft überschritten,“ moniert der Bericht.
Erhalten Praktikanten heute eine bessere Bezahlung?
Ja und nein. „In mittleren und großen Unternehmen hat der gesetzliche Mindestlohn die Praktikumsvergütung tendenziell erhöht“, heißt es dazu im Dezember 2020 veröffentlichte Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit dem Titel „Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Praktikumsverhältnisse“. Allerdings hat es wohl gleichzeitig auch die gegenteilige Wirkung gehabt: „Die Wirkung der Einführung des MiLoG für Praktika scheint durch vielfältige, teils illegale Ausweichmöglichkeiten unterlaufen zu werden, deren Ausmaß allerdings nicht bekannt ist,“ lautet dort das Fazit.
Finden Absolventen heute schneller eine feste Anstellung?
Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) kommt in seiner Student-Life-Cycle-Befragungsreihe zu dem Schluss, dass sich „eine signifikante Veränderung der Praktikumsstrukturen […] in den genannten Kohorten des Absolventenpanels nicht konstatieren“ lässt. „In der Absolventenkohorte 2009 gaben 11,9 Prozent der Befragten an, nach dem Studienabschluss mindestens ein Praktikum absolviert zu haben, für die Absolventen der Kohorte 2017 traf dies mit 12,3 Prozent in ähnlichem Umfang zu (Kohorte 2013: 12,2 Prozent).
Praktika sind ein wichtiger Bestandteil der Arbeitswelt, und in der Modebranche, wo die Konkurrenz groß ist, sind Praktika weiterhin unumgängliche Praxis. Um ein möglichst positives Erlebnis zu erhalten, sollten Praktikanten ihre Rechte kennen. Für die Branche stellen sie eine wertvolle Ergänzung zur Belegschaft dar, es wird Zeit, sie auch konsequent so zu behandeln.
Bilder: Screenshots aus dem Forschungsbericht 559 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: "Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Praktikumsverhältnisse"