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Eine virtuelle Produktionskette: Ein niederländisches Label zeigt, wie's geht

Von Nora Veerman

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Mode|HINTERGRUND

Mit einem doppelten Mausklick öffnet Garry Dijkema eine Datei auf seinem großen Apple-Bildschirm. Auf dem Bild ist ein schwarzer Pullover mit silbernen Reißverschlüssen auf der Vorderseite zu sehen. Der Pullover ist aus geschmeidigem, weichem Jersey gefertigt, wie man an der Art erkennen kann, mit der der Stoff das Licht einfängt. So würden Sie ihn gerne haben – aber es gibt ihn noch nicht. Zumindest nicht außerhalb von Dijkemas Bildschirm. Was wir sehen, ist ein dreidimensionales Rendering eines Kleidungsstücks, das Dijkema digital entworfen hat. Dennoch wirkt es lebensecht: Wenn man die Hand nach dem Bildschirm ausstreckt, glaubt man fast, den Pullover fühlen zu können. Mit seiner Maus dreht Dijkema den Pullover. Strahlend sagt er: „Schön, nicht wahr?"

Dijkema entwickelt seit drei Jahren unter dem Namen Copiist eine vollständig virtuelle Marke, die im November vorgestellt wurde. Vom Designprozess über die Mustererstellung bis hin zum Vertrieb fließt alles in digitale 3D-Dateien ein. Diese Arbeitsmethode, prophezeit Dijkema, könnte der Modewelt helfen, Zeit, Geld und Abfall zu sparen. Er erklärt FashionUnited, wie das funktioniert und warum es so wichtig ist, den digitalen Wandel jetzt zu beginnen.

Die digitale Aufholjagd

Dijkema wurde als Industriedesigner ausgebildet und ging dann in die Modebranche. Fast zehn Jahre lang arbeitete er als Grafikdesigner und Konzeptentwickler für große Marken wie We Fashion, Chasin' und The Sting. Diese Arbeit lehrte ihn viel über die Möglichkeiten und Probleme der Branche, sagt er. Einer der größten Stolpersteine: die Ineffizienz der Produktionskette. „Nichts ist standardisiert", erklärt Dijkema. „Es gibt keinen festen Weg von A nach Z. Oft gibt es viele verschiedene Meinungen und Interessen, und wer die größte Klappe hat, hat das Sagen." Im Tauziehen geht viel Zeit verloren, findet er. „Und das alles, während Sie sich als Unternehmen für eine optimierte Arbeitsweise entscheiden können, bei der nicht die Politik, sondern Dynamik und Innovation die Weichen stellen."

Diese Arbeitsweise, meint Dijkema, ist virtuell. Mit Copiist hat Dijkema einen Anwendungsfall für eine Marke mit einer kompletten digitalen Lieferkette entworfen. Dieses Konzept ist nicht ganz neu, weiß er. Im Industriedesign ist virtuelles Prototyping "seit Jahrhunderten der Standard", und Modemarken wie Tommy Hilfiger, Arc'Teryx und Balmain arbeiten aktiv an der Einführung von virtuellem Design. Aber gerade kleine Unternehmen haben noch viel nachzuholen, bemerkt Dijkema: „Niederländische Modeunternehmen sind oft fünf bis zehn Jahre hinter solchen Big Playern zurück." Mit Copiist will Dijkema auch kleinere Unternehmen ermutigen, sich an die Digitalisierung zu wagen. Die Produkte der Marke werden noch nicht verkauft, können aber bereits produziert werden. „Copiist ist ein Weg, um zu zeigen: Es ist möglich, und es ist notwendig, das zu tun".

Eine Marke in 3D-Dateien

Eine virtuelle Produktionskette – wie funktioniert das? „Sie können den gesamten Prozess von der Skizze bis zum Online-Shop komplett virtuell durchführen, wenn Sie wollen", sagt Dijkema. „Die erste Skizze, die Sie machen, ist sofort digital, inklusive der Muster. Sie können diese digitale Quelldatei schrittweise optimieren. Sie senden es an Ihren Lieferanten, der mit seinem Fachwissen Anpassungen vornimmt und die Datei zurückschickt. Dann wird es hier überprüft, und so weiter." Die 3D-Datei dient als praktischer Referenzpunkt für alle Beteiligten, erklärt Dijkema. „Sie können sie bei jedem Treffen rausnehmen. Jeder kann sie ansehen und bearbeiten, ob nah oder fern. Auf diese Weise ziehen Sie alle am gleichen Strang."

Dabei ist es nicht notwendig, mit physischen Mustern zu arbeiten. „Digital kann man schon eine ganze Menge sehen. Wenn ich ein virtuelles Kleidungsstück auf einen Avatar lege und ihn herumlaufen lasse, kann ich mit einer Heatmap genau sehen, wo Spannung im Stoff ist. Alle Teile, die rot sind, brauchen noch mehr Luft, alle Teile, die blau sind, sind ok". Erst wenn es eine digital und technisch korrekte Version gibt, wird ein Muster erstellt. Die digitale Quelldatei kann mit dieser verknüpft werden. „Im Gegensatz zu physischen Mustern kann man sie wenigstens nicht verlieren", lacht Dijkema. „Vorausgesetzt, Sie bringen Ihren Datenstrom in Ordnung. Etwas Ordnung muss sein. Das liebe ich."

Mit einem solchen Arbeitsprozess kann viel Zeit gewonnen werden, sagt Dijkema. „Normalerweise dauert ein Designprojekt zehn, zwölf Wochen. Wenn Sie in der ersten Woche bereits das Konzept mit Mustern haben und in der vierten Woche Ihre gesamte Kollektion in 3D, dann haben Sie viel gewonnen". Es mag nicht vom ersten Tag an von alleine laufen, gibt er zu. „Die ersten Durchgänge sind etwas gewöhnungsbedürftig, aber dann kann man anfangen zu optimieren und zu standardisieren." Damit meint Dijkema, dass bestimmte Elemente im Konstruktionsprozess erfasst werden können, wie zum Beispiel Abmessungen. „Angenommen, Sie haben die Abmessungen Ihrer Marke festgelegt, dann können Sie den Avatar im Programm entsprechend anpassen. Dann können Sie die Kleidung entsprechend gestalten und anschließend einen Messbogen ausrollen. Dann brauchen Sie nicht unendlich viele Blätter. Größen, Farben, Garnituren, Nähte, Artworks... Sie können alles in die Quelldatei einfügen".

Bild: Heatmap einer Copiist-Jacke.

Dann wird auch Platz für andere Dinge sein, so Dijkema weiter. „Die Weiterentwicklung Ihrer Marke oder Kollektion zum Beispiel, aber auch Innovationen im Bereich Design. Vielleicht könnten Marken endlich mit dem ganzen Kopieren aufhören". Dijkema selbst blickt "mit einem Lächeln und einer Träne" auf die Kopierpraktiken internationaler Modeunternehmen. Obwohl der Name Copiist einen Bezug zu diesen Praktiken suggeriert, betont er, dass dies nicht der Fall ist. Copiist ist ein Begriff aus der Typografie, einer Kunstform, in der Dijkema viel Inspiration findet. Der Begriff bildet die Grundlage für die Identität der Marke. Obwohl es sich bei allen Kleidungsstücken um Originalentwürfe handelt, leiten sich Proportionen und Details von der gleichen, wiederkehrenden Grundform ab: einem rechteckigen Raster, das ebenfalls von der Typografie abgeleitet ist und die Formensprache der Marke und aller Ausdrucksformen garantiert.

Made-to-order und die Zukunft des E-Commerce

Nach Ansicht von Dijkema kann auch der E-Commerce eine Modernisierung vertragen. Wenn es nach ihm geht, wird der Verkauf in Zukunft größtenteils über Webshops stattfinden, die keine Bilder von bestehenden Kleidungsstücken zeigen, sondern 3D-Abbildungen von Artikeln, die erst noch produziert werden müssen. Made-to-Order im eigentlichen Sinne des Wortes. Dijkema: „Es ist eigentlich dasselbe, als würde man ein Haus, das noch gebaut wird, auf der Basis von 3D-Visualisierungen kaufen – allerdings mit Kleidungsstücken.”

Eine weitere Möglichkeit ist der Verkauf in einem physischen Geschäft – allerdings nach einem anderen Konzept. Dijkema: „Das Geschäft wird kleiner sein und eine eher optikerähnliche Form annehmen. Mit anderen Worten: Das Geschäft wird eine kleine Anzahl von White-Label-Mustern haben, die vorzugsweise in den Niederlanden produziert werden. Diese Muster können auf die Größe und Form des Kunden zugeschnitten werden. Aus einem Stofffächer kann der Kunde dann einen Lieblingsstoff und eine Lieblingsfarbe auswählen. Oder Sie können virtuelle Anprobespiegel verwenden, mit denen Sie verschiedene Drucke und Materialien auf das weiße Muster" projizieren können. Das Kleidungsstück wird im Laden bestellt und dann produziert und nach Hause geschickt.

Dieser Ansatz ist sowohl für Kunden als auch für Händler attraktiv, sagt Dijkema. Der Kunde erhält die Kontrolle über das Kleidungsstück und ein exklusives Endprodukt. Der Händler kann die Daten und Vorlieben der Kunden erfassen und so Kundenbindung erzeugen und seine Produkte verbessern. „Und wenn Sie nur das produzieren, was bestellt wird, haben Sie keinen Überbestand mehr, der auf der Mülldeponie landet.

Dieser übersetzte und gekürzte Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.nl.

Bild: Logo von Copiist.

über Garry Dijkema

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