Das Modejahr 2025: Trendexperte Julian Daynov
2025 neigt sich dem Ende – höchste Zeit, sich an die vergangenen Monate zurück zu erinnern und einen Ausblick auf das kommende Jahr zu wagen. Dafür haben wir mit verschiedenen Branchenexpert:innen über ihre Erwartungen, Wünsche und Highlights gesprochen.
Julian Daynov kennt die Modebranche von vielen Seiten:als Designer, Trendexperte, Berater und früher auch als Einkäufer. Dadurch bekommt er einen ganz individuellen Blickpunkt – aus einer kreativen und geschäftlichen Perspektive – auf das zurückliegende Jahr und was uns in Zukunft erwartet.
Welche Erwartungen hatten Sie an 2025?
Meine persönlichen Erwartungen an 2025 waren von einer gewissen Ambivalenz geprägt. Auf der einen Seite hatte ich gehofft, dass sich die Branche nach den sehr lauten, teilweise erratischen Jahren zuvor wieder stärker auf Substanz, Klarheit und Haltung besinnt. Auf der anderen Seite war mir bewusst, dass echte Veränderungen Zeit brauchen – und oft nicht linear verlaufen.
Haben sich diese Erwartungen bestätigt?
Ein Teil dieser Erwartungen hat sich erfüllt, ein anderer Teil befindet sich noch klar im Prozess. Ich habe 2025 als ein Jahr erlebt, in dem viele Akteur:innen begonnen haben, sich ehrlicher mit ihrer eigenen Relevanz auseinanderzusetzen – oder sie wurden einfach dazu gezwungen. Marken stellen sich wieder grundlegendere Fragen: Warum existieren wir? Für wen arbeiten wir wirklich? Und welche Verantwortung tragen wir – kulturell wie wirtschaftlich. Diese Selbstreflexion empfinde ich als sehr positiv und notwendig.
Gleichzeitig habe ich aber auch gemerkt, wie schwer es der Branche fällt, alte Muster wirklich loszulassen. Geschwindigkeit, permanente Sichtbarkeit und kurzfristige Erfolge üben nach wie vor einen enormen Druck aus. Meine Erwartung war, dass wir uns davon schneller emanzipieren würden. Das ist nur teilweise gelungen. Dennoch sehe ich ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass dieses Modell an seine Grenzen stößt.
Wie war das Jahr für Sie selbst?
Persönlich war 2025 für mich ein sehr ereignisreiches und erfolgreiches Jahr. Ein Jahr der Schärfung – sowohl inhaltlich als auch strategisch. In meiner Arbeit habe ich bewusst den Fokus auf Projekte gelegt, die Haltung nicht nur behaupten, sondern strukturell leben. Besonders wichtig war mir, Räume zu schaffen, in denen Mode als Ausdruck von Identität, Freiheit und kultureller Bewegung verstanden wird – nicht als reines Konsumprodukt. Diese Klarheit hat mir bestätigt, dass Reduktion oft produktiver ist als Expansion.
Was mich positiv überrascht hat, ist die Offenheit vieler Gespräche. Ich habe 2025 weniger Oberflächlichkeit, dafür mehr Tiefe erlebt – vor allem im Austausch mit jungen Kreativen, aber auch mit Entscheider:innen, die bereit sind, Verantwortung neu zu denken. Das gibt mir Zuversicht.
Vom reinen "Business" her, hatte ich ein sehr starkes, vollgepacktes und äußerst intensives Jahr: viele globale Kampagnen für Kund:innen, Launches von neuen Projekten, Kollaborationen mit Brands außerhalb der Modebranche, Erfolge für die Designs der Marken, für die ich entwerfe, den Launch eines eigenen Duftes, der in vielen Ländern ab Dezember präsent ist...
Insgesamt hat 2025 meine Erwartungen nicht spektakulär übertroffen, aber es hat sie auf eine sehr ehrliche Weise bestätigt: Wandel passiert, aber er ist fragil. Und genau deshalb braucht es Menschen, Marken und Plattformen, die konsequent bleiben – auch dann, wenn der schnelle Applaus ausbleibt.
Welche Highlights bot die Modebranche für Sie in diesem Jahr?
Global betrachtet war dies ein sehr turbulentes Jahr für Business und für viele der Leading Brands, die alles diktieren, vorleben, vorgeben. Ich bin mir sicher, dass 2025 eine perfekte Inspiration für viele Documentaries und Business Consulting Books war – Designer-Shifts, Wellen von Hass gegenüber Luxuskonzernen und Intransparenz innerhalb ihrer Lieferketten und unendlich viele Insolvenzen in Deutschland. All dies ist schon sehr ernüchternd, erschütternd aber auch motivierend.
In der Modebranche lagen die Highlights in diesem Jahr weniger in einzelnen Kollektionen als in einer spürbaren Verschiebung der Perspektive. Mode beginnt wieder, Verantwortung zu übernehmen – kulturell, politisch, gesellschaftlich und auch wirtschaftlich.
In meiner Arbeit fokussiere ich mich auf die Tendenzen und Entwicklungen der Branche, die eine etwas größere Welle auslösen.
Welche Tendenzen haben Sie wahrgenommen?
Ich beobachte diese stärkere Fokussierung auf Substanz: auf klare Identitäten, nachhaltige Prozesse und eine bewusste Auseinandersetzung mit Zielgruppen, die sich nicht mehr über klassische Kategorien definieren lassen.
Daynovs Tendenzen und Entwicklungen 2025 im Überblick:
- The Rise of Cultural Curatorship: Kuratorische Rollen gewannen an Relevanz, um Mode in größere gesellschaftliche Kontexte einzubetten.
- Quiet Luxury Recalibrated: Der Begriff wandelte sich von Statussymbolik hin zu handwerklicher Glaubwürdigkeit und kultureller Tiefe.
- The Decline of Trend Maximalism: Mikrotrends verloren an Macht, während klare Handschriften und langfristige Designcodes an Bedeutung gewannen.
- Fashion as Cultural Infrastructure: Modehäuser positionierten sich zunehmend als Plattformen für Kunst, Musik, Diskurs und Community.
- The Return of the Designer as Author: Kreative übernahmen wieder sichtbar Verantwortung für Narrative – jenseits reiner Marktlogik.
- New Masculinity Narratives: Männermode öffnete sich emotional, weicher und experimenteller – ohne ihre Stärke zu verlieren.
- Local Relevance Over Global Uniformity: Regionale Identitäten und kulturelle Eigenheiten wurden wichtiger als internationale Austauschbarkeit.
- Sustainability Maturity: Weniger Buzzwords, mehr reale strukturelle Veränderungen entlang der Wertschöpfung.
- Fashion Retail as Experience, Not Distribution: Stores wurden zu kulturellen Räumen – kuratiert, reduziert, dialogorientiert.
- The Re-Importance of Gender-Neutral Fashion: Gender-fluid Design wurde 2025 nicht mehr erklärt, sondern selbstverständlich getragen – auf dem Laufsteg wie im Retail.
Welche Lowlights formten 2025?
Auf der andere Seite konnte ich auch einige Low-Lights im Fashion Business 2025 verzeichnen: zynisches und heuchlerisches Handeln von globalen Brands und Fashion-Persönlichkeiten, die ein superreiches Land unterstützen, welches das Bild von Frauen und queeren Personen verurteilt; die Umwandlung vom kulturellen Veranstaltungen in Amazon Corporate Events; die Entwicklungen von Künstlicher Inteligenz in der Modebranche, bei der Kreativität und viele Jobs auf der Strecke bleiben; vielerlei Enthüllungen über Intransparenz und moderner Sklaverei in Produktionsstätten von Mega-Brands...
Schon einige alarmierende Geschehen im Business, die mich nicht kalt ließen. Aber hey, mal sehen, wie sich all das in 2026 übertragen wird.
Wohin wird sich die Modebranche im kommenden Jahr entwickeln?
2026 wird ein Jahr der Konsolidierung und Haltung für die Modebranche sein. Wir sehen bereits, dass sich der Fokus von bloßer Sichtbarkeit hin zu authentischer Relevanz verschiebt. Marken, die klar definierte Werte kommunizieren und diese in Design, Produktion und Community-Engagement leben, werden stärker wachsen.
Gender-Neutralität wird nicht nur ein Konzept, sondern eine operative Realität: Silhouetten, Größenlogiken und Präsentationsformen werden fluider, nicht um eines Trends willen, sondern weil Konsument:innen schlichtweg nach dieser Freiheit verlangen.
Die Verbindung von Kreativität und Verantwortung muss weiter an Bedeutung gewinnen – nicht nur in puncto Nachhaltigkeit, sondern als ganzheitliche Unternehmenskultur. Wer wirtschaftliche Effizienz mit kultureller Bedeutung verknüpfen kann, wird 2026 den Unterschied machen.
Für Akteur:innen der Branche heißt es nicht nur ästhetische Impulse zu setzen, sondern als Katalysator für neue Wahrnehmungen zu wirken – jenseits von Grenzen, Kategorien und tradierter Erwartungshaltungen an einer Fashion Brand, an einem Category Player...
Und was muss sich nun dringend ändern?
Was sich dringend ändern muss, ist die Geschwindigkeit, mit der Bedeutung, Newness, Coolness produziert werden sollen. Das Modebusiness hat lange Quantität mit Relevanz verwechselt. Wir brauchen weniger Zyklen, aber mehr Substanz. Weniger Reaktion, mehr Haltung. Marken müssen aufhören, kurzlebigen Tik-Tok-Trends hinterherzulaufen, und stattdessen wieder Verantwortung für ihre Narrative übernehmen und einen Standpunkt vertreten.
Das Modebusiness steht an einem Punkt, an dem kosmetische Korrekturen nicht mehr ausreichen. Was sich dringend ändern muss, ist zunächst das grundlegende Verständnis von Wert. Zu lange wurde Erfolg ausschließlich über Geschwindigkeit, Volumen und gekaufter Sichtbarkeit definiert. Dieses Modell ist nicht nur ökologisch und sozial problematisch, sondern auch wirtschaftlich kurzsichtig. Mode braucht wieder Zeit – für Entwicklung, für Handwerk, für Haltung. Weniger Drops, weniger Überproduktion, dafür klarere Konzepte und langlebigere Produkte.
Ein zweiter zentraler Punkt ist Glaubwürdigkeit. Nachhaltigkeit, Diversität oder Gender-Neutralität dürfen keine Kampagnenbegriffe mehr sein, sondern müssen sich strukturell im Unternehmen widerspiegeln – in Führungsetagen, in Designprozessen, in Casting-Entscheidungen und in der Art, wie Kollektionen präsentiert und verkauft werden. Konsument:innen sind heute extrem sensibel für Widersprüche. Marken, die Haltung kommunizieren, ohne sie zu leben, verlieren langfristig an Vertrauen und Relevanz.
Darüber hinaus muss sich die Machtverteilung innerhalb der Branche verändern. Kreative Arbeit, kulturelle Recherche und kuratorische Kompetenz müssen wieder denselben Stellenwert bekommen wie kurzfristige Verkaufszahlen. Mode ist kein isoliertes Produkt, sondern Teil eines kulturellen Diskurses. Wer diesen Diskurs ernst nimmt, investiert nicht nur in Marketing, sondern auch in Bildung, Kontext und Community.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Inklusion. Nicht als Erweiterung bestehender Normen, sondern als Neudenken von Strukturen. Körperbilder, Gender-Kategorien und Altersgrenzen müssen offener gedacht werden, auch im Retail, in Größensystemen und in der Kommunikation. Mode sollte Menschen nicht erklären, wer sie sein sollen, sondern ihnen Räume eröffnen, sich selbst zu definieren.
Schließlich braucht das Modebusiness mehr Mut zur Reduktion. Nicht jede Idee muss skaliert, nicht jede Kollektion globalisiert werden. Lokale Relevanz, kulturelle Tiefe und klare Identitäten sind heute oft wertvoller als maximale Reichweite. Wenn Mode wieder als kulturelles Gut verstanden wird – mit ökonomischer Verantwortung und gesellschaftlicher Wirkung –, entsteht ein stabileres, ehrlicheres und zukunftsfähiges System. Genau dieser Paradigmenwechsel ist aus meiner Sicht überfällig.
Was haben Sie sich für 2026 vorgenommen?
Für 2026 habe ich mir bewusst vorgenommen, Tiefe vor Tempo zu stellen. Mein Fokus liegt darauf, meine bestehenden Partnerschaften und Plattformen weiterzuentwickeln. Neudeutsch wird sich stärker als kuratorischer Raum positionieren – nicht nur für Mode, sondern für kulturelle Relevanz im weiteren Sinne. Es geht mir darum, Dialoge zwischen Mode, Kunst, Design und Gesellschaft sichtbarer zu machen und diese Diskurse physisch erlebbar werden zu lassen. Es stehen Shows an in Berlin zum Gallery Weekend und Art Week, in Kopenhagen und eventuell eine Show in Miami. Diese Momente bieten eine enorme Chance, Mode stärker in den Kontext zeitgenössischer Kunst einzubetten und neue Zielgruppen anzusprechen. Mich interessiert besonders, wie Mode als kulturelles Medium innerhalb dieser Formate funktionieren kann – nicht illustrativ, sondern dialogisch.
Ein zentraler Schwerpunkt wird die Weiterentwicklung von meinen Retail Consulting, Store Design und Coaching Projekten sein, die Shopping nicht nur als Transaktion, sondern als kulturelle Erfahrung begreifen und Retail Spaces neu denken.
Für meine Zusammenarbeit mit internationalen Fashion Brands möchte ich neue Formen der Begegnung schaffen – bewusst reduziert, hochwertig und inhaltlich klar positioniert.
Meine Projekte als Designer und Creative Director für Fashion und Accessory Brands werde ich noch weiter ausbauen – ich bin sehr stolz auf den Erfolg von Rossi und darüber, dass wir mit der Marke eine Art "Blueprint für modernes Brand Building" von Deutschland heraus geschrieben haben; mein Design-Credo für genderneutrale Silhouetten und Styles geht nun von Hemden, Hosen, Taschen über Interieur bis hin zu Düften.
Ich glaube fest daran, dass nachhaltige Relevanz nur dort entsteht, wo Vertrauen und gemeinsame Haltung die Grundlage bilden – 2026 geht es mir mehr darum, Strukturen zu schaffen, die Bestand haben – Plattformen, die sich weiterentwickeln können, ohne ihre Identität zu verlieren. 2026 sehe ich als ein Jahr, in dem Kuratieren, Vernetzen, Beraten, gemeinsam Kreieren nicht nur Methoden, sondern Haltung sind: aufmerksam, verbindend und konsequent in der Qualität.
Dieses Interview wurde schriftlich geführt.
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