#Damur: „Die Modebranche will keine Überproduktion mehr“
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Das Berliner Modelabel #Damur setzt auf auffällige High-End-Streetwear aus Deadstock-Stoffen, die unter ethischen Arbeitsbedingungen in Europa hergestellt wird. FashionUnited traf den Designer zum Gespräch über die Berliner Modewoche, die Herausforderungen des Upcycling-Geschäftsmodells und der Coronajahre für eine kleine Brand sowie die Frage, ob Fernsehshows etwas zur positiven Wahrnehmung von Mode beitragen können.
Erzählen Sie mir ein wenig über Ihren Hintergrund und Ihr Label und wie Sie dazu kamen, sich in Berlin niederzulassen?
Sicher. Hallo, ich heiße Damur, aber das ist eigentlich nicht mein richtiger Name. Aber alle nennen mich Damur, weil der Name an das französische 'd'Amour' erinnert und meine Persönlichkeit gut ausdrückt.
Ich komme aus Taiwan, habe zuerst in Taipeh studiert und dann ging ich an die Königliche Akademie der Schönen Künste in Antwerpen, um Modedesign zu studieren. Danach ging ich zur La Cambre, die ebenfalls eine der besten Modeschulen in Belgien ist.
Nach einigen Jobs in der internationalen Modewelt kam ich nach Deutschland, nach Berlin, und hatte das große Glück, innerhalb einer Woche einen Job bei Dawid Tomaszewski zu bekommen und so zog ich von Brüssel nach Berlin. Dann beschloss ich, mein eigenes Label zu gründen. Und das ist im Wesentlichen die Geschichte von #Damur.
Wo haben Sie gearbeitet, bevor Sie Ihr Label gegründet haben?
Vorher habe ich Praktika bei Alexander McQueen und in Antwerpen bei Tim Van Steenbergen und eben bei Dawid Tomszewski gemacht. Außerdem habe ich noch bei Marcell von Berlin gearbeitet, wo ich ebenfalls als Designer für Damenmode tätig war.
Was macht #Damur als Marke aus?
Wir haben uns auf Upcycling-Mode konzentriert. Und die Frage, die sich mir stellt, ist immer die, wie wir als Marke unseren Endkund:innen eine neue, andere Art des Produkts vorschlagen können. Denn schließlich geht es in der Modebranche darum, Begehrlichkeit zu schaffen, Einnahmen zu erzielen, und zuletzt sollen die Kund:innen nicht nur Showpieces kaufen, sondern auch Kleider, die sie tragen können.
Wir versuchen also, den Leuten Lust zu machen, die Kleidung zu kaufen und das Produkt zu besitzen. Und gleichzeitig sollen sie das Gefühl haben, dass sie nachhaltig, glücklich und zufrieden damit sind, weil sie das Produkt unterstützen wollen, das in Polen, in Deutschland, in Europa gesourct und hergestellt wurde.
Welche Probleme ergeben sich bei der Fertigung einer Upcycling-Kollektion?
Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir ein für uns funktionierendes System, und Partner:innen für die Herstellung und die Beschaffung gefunden haben. Ich erinnere mich noch gut an die erste Saison, als wir unserem Herstellungsbetrieb die Idee von Upcycling vorstellten. Die Antwort war „Klar, das klingt alles toll, aber das haben sie noch nie gemacht.“ Das Ergebnis war ziemlich chaotisch, aber nach ein, zwei Malen wussten unsere Produktionspartner:innen genau, wie es geht, und wir wissen, was wir unseren Kund:innen anbieten können.
Wie finden Sie eigentlich Restposten und Lagerbestände an Stoffen in Europa für Ihr Upcycling?
Wir arbeiten jetzt mit Nona Source zusammen, dem Deadstock-Lieferunternehmen von LVMH. Und wir arbeiten auch mit einem taiwanesischen Unternehmen zusammen. Und natürlich kontaktieren wir viele Textilunternehmen, um sie nach Restposten zu fragen. Viele Textilfirmen haben Lagerbestände, die sie gerne loswerden wollen und für sie ist das eine gute Möglichkeit, zusätzliche Einnahmen zu erzielen.
Was sind Ihre Bestseller und wer ist Ihre Zielgruppe?
Unsere eine Zielgruppe, die sehr jung ist, verfolgt Mode und Trends, aber das, was sie kaufen, sind Kapuzenpullover. Unsere Hoodys verkaufen sich sehr gut. Und dann haben wir noch eine andere Art von Kundschaft, die älter ist, ich würde sagen, Millennials oder Gen X, die viel Geld für besondere Stücke ausgeben. Ein schönes Upcycling-Stück, das sonst niemand hat. Oder einen Anzug Made-to-Order. Sie wollen sich von der Masse abheben und ein kleines Unternehmen unterstützen.
Und sind die Leute bereit, für Upcycling-Mode aus Europa mehr zu bezahlen?
Das ist auch etwas, was wir versuchen, unserer Kundschaft zu vermitteln: Wenn man die Produktion in Europa, oder eine nachhaltige, oder kreislauffähige Mode unterstützen will, muss man mehr bezahlen. Denn der Mindestlohn in Europa ist höher. Man kann nicht sagen: „Ich möchte ein nachhaltiges Produkt, ökologische Stoffe, die in Portugal oder Italien hergestellt werden und von deutschen, italienischen oder polnischen Näherinnen genäht werden, aber ich will für meine Jacke nur 100 Euro zahlen.
Ich denke, dass eine kleine bis mittelgroße Modemarke, wie wir es sind, eine sehr große Verantwortung haben, der Kundschaft diese Message zu vermitteln. Wenn wir nicht in der Lage sind, zu überleben, wenn nur Unternehmen überleben, die so groß sind wie H&M und Zara, wo bleibt dann die Kreativität? Wo bleibt die Revolution?
Wie finden Ihre Kund:innen Sie, welche Kanäle nutzen sie?
Wir haben ein kleines Büro in Berlin, das uns gleichzeitig als Büro, Showroom und Laden dient. So haben wir Laufkundschaft, die direkt zu uns kommt, Locals wie Touristen, die unseren Showroom sehen und hereinkommen. Ansonsten ist unser Webshop im Moment unser stärkster Kanal: Die Kundschaft findet uns über die sozialen Medien, wie Instagram oder TikTok.
Findet man #Damur auch im Einzelhandel?
Im Moment versuchen wir, dazu zurückzukehren. Wir sind also in Gesprächen mit einigen potentiellen Einzelhandelspartner:innen. Aber im Moment denke ich, dass 2023 nicht das beste Jahr für Wholesale ist, wegen der Inflation, den Preisen für den Versand. Alle großen Unternehmen schränken ihr Budget im Moment ein. Die Rückmeldung, die wir von vielen Einkäufer:innen bekommen haben, ist, dass die Unternehmen im Moment das Budget kürzen uns abwarten. Im Moment verkaufen sie lieber das Sortiment weiter, das sie haben und kennen, anstatt etwas Neues zu bestellen.
Die Plattform, mit der wir über den Großhandel gesprochen haben, ist einer der größten italienischen E-Commerce-Anbieter. Wir haben uns auf der Pariser Modewoche im DACH-Showroom getroffen. Wir sprachen darüber, als neue Marke auf der Plattform gelistet zu werden. Aber die Behandlung kleiner Brands ist so schlecht. Man bekommt eine Anzahlung und dann am Ende der Saison die zweite Zahlung, die Abschlusszahlung, und wenn sich die Kollektion nicht verkauft, muss man 20 Prozent zurückkaufen. Und was passiert, wenn wieder ein Virus ausbricht? Dann sagen die Einkäufer:innen, es tut uns leid, wir stornieren. Und dann müssen wir unsere Produktion einstellen. Totales Chaos.
Wären Sie daran interessiert, neue Einzelhändler:innen zu finden?
Natürlich möchten wir das. Ich habe aber manchmal das Gefühl, dass der Einzelhandel Partnerschaften für Nachhaltigkeit sucht, aber das Geschäftsmodell ist nicht dafür gemacht. Also die Signalpolitik, ja. Aber für das eigentliche Upcycling-Geschäftsmodell ist der Handel gar nicht richtig aufgestellt. Im Moment setzen wir daher unser B2C-Geschäft. Dort haben wir die beste Marge. Natürlich ist unser Website-Traffic nicht mit einem Zalando oder Mr. Porter vergleichbar. Aber dort ist man auch nur eine Marke unter vielen. Junge Generationen wollen direkt von der Marke kaufen, sie wollen Teil des Prozesses sein. Das ist etwas, was Multibrand-Stores und Kaufhäuser nicht bieten können, ein wirklich einzigartiges Markenerlebnis. Gen Z ist nicht mehr am Wholesale interessiert und sie wollen nicht für die Zwischenhändler bezahlen.
Sie haben im Januar an der Berliner Modewoche teilgenommen, wie fanden Sie diese Ausgabe?
Die Saison H/W 23 war für uns etwas ganz Besonderes, denn es war die erste Kollektion, die wir nach Corona wieder in Berlin gezeigt haben. Die letzten Jahre waren verrückt. Wir hatten im Januar 2020 eine Modenschau in Berlin und danach musste die Fashion Week hierzulande geschlossen bleiben. Deshalb habe ich in den letzten Saisons auf der Taipeh Fashion Week gezeigt, die zum Glück stattfinden konnte.
Nun kehrt der europäische Markt wieder zur Normalität zurück und deshalb veranstalteten wir unsere Comeback-Modenschau im Januar endlich wieder in Berlin. Dabei hatten wir das große Glück, einer der Gewinner des Berlin Contemporary Preises des Berliner Senats, Abteilung für Wirtschaft, Energie und Betriebe in Kooperation mit dem Fashion Council Germany zu sein.
Was halten Sie von der Berlin Fashion Week und glauben Sie, dass die Unterstützung, die Sie bekommen haben, für Berlin nachhaltig ist?
Ich finde die Berlin Fashion Week toll. Wir sind nicht Paris, Mailand oder London. Das bedeutet aber nicht, dass wir keine Daseinsberechtigung haben. Eine kleine Marke wie die unsere geht bei der Pariser Modewoche doch total unter. Die ganzen großen Modehäuser sind da, und unendliche viele kleine. Man ist dort total unwichtig. Gleichzeitig ist es sehr teuer. Was soll das also bringen? Ich denke, dass es notwendig ist, diese kleineren Modewochen – wie die Modewoche in Taipeh oder Berlin – zu haben, um eine andere Auswahl zu präsentieren. Aber um das zu tun, ist auch die Finanzierung und Unterstützung durch die Regierung wichtig, denn die Kosten sind hoch: Location, Strom, Werbung. Deshalb schätze ich die Förderung und die Plattform für junge Talente und lokales Design sehr.
Die Menschen werden sich immer bewusster, dass sie Dinge kaufen wollen, die vor Ort hergestellt sind. Deshalb ist es heute das Ziel vieler Marken, die gesamte Produktionskette zurück nach Deutschland zu verlegen. Und deshalb denke ich, dass es noch wichtiger werden wird, lokale Modewochen zu haben und auch die Ausbildung und das Talent zu unterstützen, das vor Ort existiert. Jedes Jahr machen viele Modestudent:innen ihren Abschluss, aber es gibt hier nicht viele Jobs. Wohin gehen sie? Sie verlassen das Land, um in Frankreich oder Italien zu arbeiten, wo das Geschäft läuft und der Nachwuchs gefördert wird.
Wenn es also keine Berliner Modewoche gibt, gibt es auch keine Industrie, keine Schauen, keine Arbeit. Man muss immer noch wissen, wie man einen Anzug macht, wie man schneidert, wie man Textilien aufbaut, aber wenn es in ganz Deutschland keine Absolvent:innen gibt, die diese Art von Beruf erlernen wollen, dann ist das eine große Herausforderung, denke ich. Im Moment gibt es nicht viele Menschen, die eine Ausbildung zum Schneider, zur Näherin oder zu einem anderen dieser technischen Berufe in der Modebranche machen wollen. Aber wie können wir dann in Deutschland produzieren? Wenn wir keine qualifizierten Arbeitskräfte finden, wie soll dann die Produktion zurückkehren?
Was ich also sagen will, ist, dass ich die Unterstützung von Berlin Contemporary und der Berlin Fashion Week sehr schätze. Ich denke, für große Marken sind 25.000 Euro vielleicht nicht viel Geld, aber für kleine und mittelständische Unternehmen wie uns ist es wirklich eine sehr gute Gelegenheit, sich zu präsentieren und auch die lokale Modebranche zu unterstützen.
Würden Sie etwas ändern?
Auf jeden Fall den Zeitpunkt. Januar und Juli sind viel zu früh.
Nutzen Sie auch neue Materialien?
Ich war auf letzten Ausgabe der Première Vision und habe dort ‚Seawool‘ entdeckt. Es handelt sich dabei nicht um eine tierische Faser, sondern um eine natürliche Faser aus Algen. Ich liebe Wollpullover, aber sie sind sehr warm, manche Leute mögen das Gefühl von Wolle auf der Haut nicht und außerdem bekommen sie immer Löcher. Deshalb prüfen wir, wie diese Wolle aus dem Meer nutzen können. Sie ist biologisch abbaubar und hat eine bessere Leistung als ein Heattech-Gewebe. Bei #Damur wollen wir mit Leuten zusammenarbeiten, die Innovationen entwickeln.
Was waren sonst Ihre Beobachtungen auf der Première Vision?
Mir ist aufgefallen, dass viele Stoffunternehmen auf der Suche nach Kundschaft sind. Ein großer Unterschied ist, dass viele von ihnen vor der Pandemie keinen Stop-Service angeboten haben, sie wollten keine kleinen Verträge abschließen. Ich war sehr überrascht, denn an vielen Textilständen stand nurn ‚Stop-Service‘. Aber vor der Pandemie boten vielleicht zehn oder 20 Prozent eines Unternehmens einen solchen Service an. Jetzt sind es, schätze ich, fast 50 Prozent der Unternehmen. Die Unternehmen ändern sich also auch ein wenig im Sinne der Nachhaltigkeit.
Früher musste man immer eine Mindestmenge von 50, 100 oder 200 Metern eines jeweiligen Stoffes bestellen, je nachdem, bei welchem Unternehmen man die Bestellung aufgibt. Manchmal lag die Mindestmenge also bei 300 Metern und wir mussten die gesamte Menge kaufen. Nach mehreren Saisons haben wir diesen Stoff immer noch nicht aufgebraucht. Für kleine Unternehmen ist das verrückt.
Warum, glauben Sie, hat sich das geändert?
Die Modebranche hat gesehen, was passiert, wenn die Lieferkette unterbrochen wird und setzt nun nicht mehr auf so große und risikoreiche Bestellungen. Sie wollen auch keine Überproduktion mehr. Das könnte daran liegen, dass es einerseits nachhaltiger ist, andererseits aber auch daran, dass sie gesehen haben, wie schnell große Unternehmen Aufträge kündigen können.
Wie hat Corona Ihre Umsätze beeinträchtigt?
Vor Corona hatten wir rund 100.000 Euro an Umsatz pro Jahr, dieser ist in den Corona-Jahren auf ein Drittel gesunken. Im vergangenen Jahr waren wir wieder bei 70 Prozent und ich hoffe, dass wir schnell wieder auf das Niveau vor Corona zurückkehren können. Aber ich habe das Gefühl, dass dieses Jahr noch schwieriger werden könnte, als die Corona-Jahre, denn alles ist teurer geworden, so dass die Leute weniger Geld in der Tasche haben.
Sie haben als Gastjuror an der Serie ‚Glow Up – Deutschlands nächster Make-up Star‘ teilgenommen. Wie war das für Sie und glauben Sie, dass diese TV-Formate, ob Mode oder Make-up, etwas in der Gesellschaft verändern, oder etwas für die Mode tun können?
Mir hat das sehr viel Spaß gemacht. Ich bin kein typisch deutsches Gesicht und mein Deutsch ist auch nicht so gut, dennoch habe ich mitmachen können. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen in Deutschland offener für so etwas und auch für Mode sind als noch vor zehn Jahren.
Ich glaube, vor zehn Jahren dachten die Leute „Mode, das ist oberflächlich, etwas für bunte Hunde“. Aber ich habe das Gefühl, dass die Leute heute über andere Aspekte der Mode reden – ökologische, intellektuelle, nachhaltige. Es geht um Stil, Haltung, Eleganz. Ich denke, die Kultur und die Einstellung dazu hat sich verändert, auch was die Berliner Modewoche betrifft.
Wir haben auch festgestellt, dass wir nach ‚Glow up‘ Bestellungen aus ganz Deutschland hatten. Ich glaube also fest daran, dass diese Art von Shows einen viel größeren Markt für die gesamte Branche in Deutschland schaffen und die Einstellung der Menschen zu Mode aus dem eigenen Land verändern kann. Sehen Sie sich nur China an. In China gibt es viele solcher Formate, um den Heimatmarkt zu stärken und chinesische Designer:innen bekannt zu machen.