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Balenciaga kehrt zur Haute Couture zurück: Was dürfen wir erwarten?

Von Nora Veerman

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Mode |HINTERGRUND

52 Jahre nach der Schließung des ursprünglichen Balenciaga-Couture-Ateliers kündigt Balenciaga die Wiederbelebung der Haute Couture an. Mit anderen Worten: Demna Gvasalia wird die Verantwortung für die neue Couture-Linie des Hauses übernehmen. Zu diesem Anlass hat Balenciaga eine neue Couture-Werkstatt eingerichtet, die auf der alten Balenciaga-Werkstatt in der Avenue Georges V 10 in Paris basiert.

Die Geschichte lehrt uns, dass die Couture in historischen Modehäusern - Chanel, Dior, Givenchy - oft eine Kombination aus jahrzehntelanger Modetradition und der zeitgenössischen Vision des Chefdesigners ist. Das Haus Balenciaga hat eine reiche Geschichte von Silhouetten: vom typischen Anzug mit skulpturalem Schnitt bis hin zu voluminösen Abendkleidern. Aber auch der ehemalige Vetements-Designer Gvasalia hat eine eindringliche Handschrift, wenn auch eine eher straßennahe.

Die Kombination ist nicht neu: Gvasalia entwirft seit mehreren Jahren die Konfektionskollektionen für Balenciaga. Aber die Haute Couture hat einen anderen Status und – nicht unwichtig – einen anderen Kundenstamm. Sie erfordert richtungsweisende Ideen und herausragende Handwerkskunst. Wie wird Gvasalia diesem Anspruch gerecht? FashionUnited skizziert die Möglichkeiten anhand von zwei eigenwilligen Werken.

Modell in Balenciaga-Abendkleid, 1959. Foto: Interkontinental/AFP

Das Erbe: Balenciagas skulpturale Weiblichkeit

Der spanische Couturier Cristóbal Balenciaga eröffnete 1937 sein Pariser Couture-Haus. Die Stadt der Lichter wimmelte von erfolgreichen Couturiers, aber Balenciaga unterschied sich von seinen Kollegen durch die architektonische Qualität seiner Arbeit. Balenciagas Abendkleider sind nicht anmutig und zart wie die von Madeleine Vionnet oder verspielt und narrativ wie die von Elsa Schiaparelli. Seine Entwürfe sind abstrakter, steifer, aus schweren Stoffen wie Taft-Seide und Satin um den Körper der Frau herum modelliert. Seine Entwürfe enthalten auch oft Verweise auf seinen spanischen Hintergrund, wie Rüschen und schwarze Spitze.

In den fünfziger und sechziger Jahren brachte Balenciaga ungesehene Formen in die Modewelt: ballonförmige Kleider, voluminöse Babydolls oder als Kontrast auch geradlinige, simple Kreationen. Balenciaga balanciert das Gewicht schwerer Röcke mit der Betonung auf Schultern und dem Rücken aus, durch große Mäntel und Ärmel, Schleifen, Stehkragen oder tiefe, sexy Ausschnitte. Seine Entwürfe überraschen den Betrachter immer wieder mit unerwarteten Winkeln, Lagen und Öffnungen. Sein ikonischer Anzug hat ausgeprägte Schultern sowie ein skulpturales Element und eine charakteristische Doppelreihe von Knöpfen.

Modell im Balenciaga-Anzug, 1947. Foto: © Lipnitzki / Roger-Viollet / Roger-Viollet / AFP

Balenciaga schloss 1968 sein Couture-Haus und starb vier Jahre später, im Alter von 72 Jahren. Er wurde eine große Inspiration für spätere Couturiers, wie sein Protegé Hubert de Givenchy und Azzedine Alaïa. In der Tat ist Balenciagas Arbeit keine Couture: Der Designer weigerte sich systematisch, die Anforderungen der Chambre Syndicale de la Haute Couture zu erfüllen, wie etwa zwei Kollektionen pro Jahr mit jeweils 75 Stücken und mindestens 20 Mitarbeitern zu produzieren - und wurde daher nie in den Orden der Couturiers aufgenommen.

Der Designer: Demna Gvasalias "Flohmarkt-Chic"

Wenigstens haben Gvasalia und Balenciaga in dieser Hinsicht etwas gemeinsam. Auch Gvasalia hielt sich von Anfang an nicht an die Regeln der Modewelt. Nach seiner Ausbildung an der Königlichen Akademie in Antwerpen arbeitete er einige Jahre lang für den Moderebell Walter van Beirendonck und dann bei Maison Margiela. Beide Marken spielen mit den Konventionen dessen, was Mode ist oder sein könnte.

Vetements Ready-to-Wear, Herbst 2018. Photo: Catwalkpictures

Philosophisch gesehen mögen Gvasalia und Balenciaga Ähnlichkeiten aufweisen, aber ästhetisch scheinen sie weit auseinander zu liegen. Im Jahr 2014 gründeten der Georgier Gvasalia und sein Bruder Gurem die Marke Vetements. Sie gehen noch einen Schritt weiter und bringen die Kleidung von den Straßen, insbesondere den Straßen Osteuropas, auf die Pariser Laufstege. Vetements überwältigt das Publikum mit Kombinationen aus Oma-Kleidern, Fußballschals, Bomberjacken, Kapuzenjacken und Oversize-Mänteln (ebenfalls ein Markenzeichen von Margiela). Das Ergebnis ist düster und sympathisch zugleich. Internationale Modemagazine bezeichnen es als "Underground-Clubby" oder "Flohmarkt-Chic".

Im Jahr 2016 erzeugt Vetements mit einem einzigen Artikel Furore: einem gelben T-Shirt mit dem Logo des Versandhändlers DHL darauf.

Gvasalia für Balenciaga: Spandex-Couture und Spiel mit Silhouetten

Im Jahr 2015 wird Gvasalia zum künstlerischen Leiter von Balenciaga. Bald wird deutlich, dass es auch im Bereich des Designs eine Überschneidung zwischen den Designern gibt. In seiner ersten Kollektion für Balenciaga präsentiert der Designer Demna Gvasalia eine Reihe von Anzügen, wie Balenciaga sie selbst hätte anfertigen können: charakteristisch in ihrer Form und vor allem perfekt geschnitten. Balenciaga offenbart die handwerkliche Kunstfertigkeit, die Gvasalia beherrscht. Dies wird möglicherweise noch mehr in den Couture-Kollektionen für Balenciaga zum Ausdruck kommen.

Balenciaga Ready-to-Wear, Herbst 2016. Foto: Catwalkpictures

Aber Gvasalia wirft auch ein neues Licht auf das Erbe Balenciagas. In seinen Ready-to-wear-Kollektionen (für Frauen und Männer) betont er die modernen und innovativen Elemente: die großen Schultern und die ausgeprägten Volumen, die heute für Gvasalia ikonisch sind, in Kombination mit seinen kontrastierenden, schmalen Sockenstiefeln mit spitz zulaufenden Schuhspitzen und schmalen Absätzen. Dieses Spiel der Formen könnte ein interessanter Ausgangspunkt für eine Couture-Kollektion sein.

Balenciaga Ready-to-wear, Frühjahr 2020 und Frühjahr 2017. Fotos: Catwalkpictures

Gvasalias Umgang mit dem Material ist ebenfalls bemerkenswert. Wie Balenciaga lässt auch Gvasalia seine Materialien für sich selbst sprechen, obwohl er sich nicht für Taft-Seide, sondern für das - deutlich weniger salonfähige - Spandex entscheidet. Die kreative Freiheit der Couture kann Gvasalia dazu herausfordern, mehr mit dieser Art von Material zu experimentieren.

In der Balenciaga-Herbstkollektion 2017, zudem die hundertste Schau der Marke, bietet Gvasalia die wohl konkreteste Vorschau auf die Couture-Kollektionen der Zukunft: eine Neuinterpretation der Abendsilhouette von Balenciaga mit ballonförmigen Schnitten. Hier könnten sich die Prinzessinnen von Balenciaga und die Postboten von Gvasalia in Zukunft treffen: an der Schnittstelle von Gala und Grunge, zwischen skulpturalen Formen und der Bravour der Straße.

Balenciaga Ready-to-Wear, Herbst 2017. Photos: Catwalkpictures

Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.uk veröffentlicht. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

Homepage image: Model in Balenciaga Design, 1955 and Photos: AFP / Catwalkpictures

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