Wie weit ist die Textil-Recyclingabgabe in der Schweiz?
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Kommt bald eine Recyclingabgabe für Textilien in der Schweiz? Nach der Brancheninitiative von Fabric Loop startete die NGO Public Eye jüngst eine Petition für einen Schweizer Modefonds. Wo unterscheiden sich ihre Forderungen voneinander und was besagt der jüngste Bericht des Bundesrats? Ein Überblick.
Die Ausgangslage
In der Schweiz werden jährlich 60.000 Tonnen Altkleider, Heimtextilien und Schuhe gesammelt, heißt es in einem im April veröffentlichten Bericht im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt. Davon werden aufgrund von Personalkosten nur zwei Prozent in der Schweiz sortiert, obwohl 60 Prozent der gesammelten Textilien als Secondhand-Kleidung weiter tragbar wären, zeigt eine Studie von Quantis zu Alttextilien in der Schweiz. Rund 28 Prozent der gesammelten Ware wird verwertet – zum größten Teil werden daraus Putzlappen oder Dämmstoffe, nur aus einem geringen Anteil werden Garne für Bekleidung hergestellt.
Insgesamt werden jährlich 40.300 Tonnen an Alttextilien in der Schweiz verbrannt, weil sie als Müll entsorgt werden. Zu dieser Anzahl gelangt man, wenn man folgende Zahlen aus dem Bericht des Bundesrats addiert: 36.700 Tonnen an Textilien werden über den Hausmüll entsorgt. Dazu kommen noch etwa 3600 Tonnen an gesammelten, aber derzeit unbrauchbaren Alttextilien.
Diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß des Textilabfalls, der aus der steigenden Produktion und dem Konsum von Modeartikeln resultiert. Der Textilbranche in Europa fehlt es noch an Systemen, um Alttextilien besser zu sortieren und zu recyceln. Ein Großteil wird nach Asien und Afrika exportiert, mit teils verheerenden Folgen für die lokale Textilbranche und die Umwelt in Ländern wie Chile, Tunesien oder Ghana.
Abwartende Politik
Angesichts von gesetzlichen Initiativen in Europa, mehren sich nun auch in der Schweiz die Stimmen, die eine bessere, lokale Verwertung von Textilien im Sinne der Kreislaufwirtschaft fordern.
Bisher haben Länder wie Frankreich und die Niederlande ein System der erweiterten Herstellerverantwortung für Textilien eingeführt. In der Europäischen Union wird als Teil der Textilstrategie derzeit ebenfalls ein Gesetzesvorhaben vorbereitet, das die Modebranche stärker in die Pflicht nehmen soll, indem sie an den Kosten für Verwertung und Entsorgung von Textilabfall beteiligt wird.
In der Schweiz gibt es seit dem vergangenen Jahr neue Rechtsgrundlagen im Umweltschutzgesetz, die den Weg für Systeme mit erweiterter Produzentenverantwortung ebnen könnten. Zudem hat der Bundesrat im April den Bericht des Postulats Nordmann zur “Verwertung gebrauchter Textilien in der Schweiz” gutgeheißen. Der Sozialdemokrat Roger Nordmann hatte vor drei Jahren das Postulat eingereicht, mit dem der Bundesrat beauftragt wurde, über den Stand der Dinge bei gebrauchten Textilien Bericht zu erstatten.
Der resultierende Bericht erwähnt neben einem Lagebericht zur Schweiz auch potentielle gesetzliche Regelungen. Der Bundesrat könne Hersteller:innen, Importeur:innen und ausländische Onlinehändler:innen “dazu verpflichten, einen vorgezogenen Recyclingbeitrag an eine Branchenorganisation zu zahlen”, heißt es dort. Sowohl eine freiwillige Abgabe als auch eine obligatorische Entsorgungsgebühr für Textil-Artikel, die in der Schweiz verkauft werden, seien möglich.
Der Bundesrat könne Anforderungen an Produkte festlegen – bei Textilprodukten könnten beispielsweise “eine bestimmte Qualität und damit eine längere Lebensdauer vorgeschrieben werden.” Denkbar seien auch Vorgaben zur Rezyklierbarkeit, zum Anteil an recycelten Fasern in Neuprodukten oder für einen digitalen Produktpass.
„Der Bericht ist typisch diplomatisch schweizerisch. Man legt dar, was eigentlich möglich wäre, traut sich aber nicht aus der Deckung, indem man wirklich Position bezieht”, sagte David Hachfeld, Aktivist mit Schwerpunkt Mode von der Nichtregierungsorganisation Public Eye. „Man wartet, solange es möglich ist, ab. Das ist ein typisches Muster in der Schweizer Politik.”
Zukunftsfähige Textilbranche
Die NGO hofft hingegen, dass zügig Regularien erlassen werden, damit die Schweiz nicht nur geplanten Entwicklungen in den europäischen Nachbarländern folgt, sondern sie auch selbst mitgestalten kann. Es gehe dabei nicht nur um die Gestaltung einer Abgabe, sondern auch um eine Vision für eine kreislauffähige Textilwirtschaft in der Schweiz, so Hachfeld. „Für die Schweiz als Hochtechnologie-Land ist es interessant, eine Perspektive für eine zukunftsfähige Textilbranche zu entwickeln, und so etwas macht man eher, indem man diese Diskussion aktiv und kreativ mitgestaltet.”
In der Schweiz ist die Textilbranche bereits aktiv geworden. Der Aargauer Textilsammler Tell-Tex AG plant ein Recyclingzentrum in St. Margarethen in der Ostschweiz, wo nicht mehr tragbare Alttextilien vollautomatisch sortiert und mechanisch recycelt werden können. Die Anlage sei laut Geschäftsführer Ercüment Yildirim die erste ihrer Art in der Schweiz.
Sieben lokale Unternehmen – Calida, Mammut, Odlo, PKZ, Radys, Switcher und Workfashion – haben gemeinsam mit dem Branchenverband Swiss Textiles den Verein Fabric Loop im November gegründet. Die Organisation arbeitet an einem Entwurf für ein einheitliches Recyclingsystem in der Schweiz, um Kreisläufe besser zu schließen, indem mehr Abfälle im Inland wiederverwertet werden. Die Einnahmen aus einem vorgezogenen Recyclingbeitrag sollen helfen, die Infrastruktur für die Sammlung, Sortierung und Verwertung von Textilien zu verbessern.
„Wir hoffen, dass wir im Laufe des Jahres 2026 oder spätestens ab 2027 mit der Umsetzung beginnen können”, sagte Nina Bachmann, Präsidentin von Fabric Loop, in einem Beitrag auf der Seite von Swiss Textiles. Der Verein müsse noch die Höhe der Textil-Abgaben genau berechnen, aber diese dürften bei einem T-Shirt bei unter zehn Rappen liegen.
Schweizer Modefonds
Die NGO Public Eye forderte in einer Petition im Mai die Einrichtung eines Modefonds. In diese sollen Beiträge von Unternehmen fließen, die neue Textilprodukte in der Schweiz verkaufen oder importieren. Mit dem Geld sollen Maßnahmen für eine nachhaltigere Modeindustrie finanziert werden. Dazu gehören günstigere Reparaturen, mehr Angebote von Secondhand-Kleidung, ein besseres Recycling von Textilien in der Schweiz sowie die Förderung von besseren Arbeitsbedingungen und mehr Nachhaltigkeit in der Lieferkette.
Die NGO nennt ebenfalls noch keine konkreten Beträge für ihre geforderte Textilabgabe. Auf ihrer Website listet sie zur Veranschaulichung aber Werte auf, die etwas höher als die von Fabric Loop liegen dürften: Für Socken und Unterwäsche könnten es etwa 0.5 bis 1 Schweizer Franken sein und für einfache Oberbekleidung 1 bis 2 Schweizer Franken pro Stück.
Der größte Unterschied zwischen den Vorschlägen der beiden Organisation besteht aber wohl darin, dass Fabric Loop die Umsetzung eines Kreislaufsystems durch die Textilbranche befürwortet. Die zu entrichtende Textilabgabe soll ebenfalls in dieses System fließen, aber nicht in einen staatlichen Fonds, wie von Public Eye gefordert.
„Unsere Sichtweise darauf ist, dass es zu kurz gedacht ist, weil die Unternehmen, die dabei sind, nur einen kleinen Anteil im Schweizer Markt darstellen”, sagte Hachfeld. Die größten Marktanteile in der Schweiz hätten ohnehin Unternehmen wie Inditex, H&M und Bestseller oder Händler wie Zalando. „Ein staatliches System würde von vornherein klarstellen, dass jeder mitmachen muss.”
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