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Wie kann Faserrecycling zum Mainstream werden? Im Gespräch mit Lenzing-Branchenveteran Michael Kininmonth

Von Anna Roos van Wijngaarden

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Business |Interview

Fasern der Lenzing AG. Bild: Markus Renner / Electric Arts

Faserrecyclingtechnologien entwickeln sich nicht über Nacht, aber die Modeindustrie braucht sie so schnell wie möglich, um die ehrgeizigen Klimaziele für 2030 zu erreichen. Für die Lenzing Gruppe, eines der ältesten Unternehmen im Bereich der Celluloseregeneratfasern, ist “Refibra” die zentrale Recycling-Innovation. Die Fasermischung besteht aus Cellulosezellstoff aus Holz und Baumwollabfällen. Trotz einiger erfolgreicher Kooperationen ist Refibra noch nicht zum Mainstream geworden.

Warum dauert es also so lange, bis sich das kommerzielle Recycling durchsetzt? FashionUnited hat Michael Kininmonth von Lenzing gefragt, welche Herausforderungen und Lösungen er in seiner 47-jährigen Karriere in der Textilbranche erlebt hat.

Sie sind für das Business Development der Lenzing Gruppe verantwortlich. Was ist die nächste große Innovation, die wir von Lenzing im Bereich Recycling erwarten können?

Wir wollen alle unsere Fasern mit recyceltem Material ausstatten. Das wird bei Viskose und Modal der Fall sein, und wir erhöhen den Recyclinganteil in Tencel x Refibra. Das nächste große Thema in diesem Bereich ist die Skalierung – nicht nur für Lenzing, sondern für die gesamte Faserrecyclingindustrie.

Michael Kininmonth. Bild: Lenzing

Können Sie uns kurz die Geschichte hinter Refibra erzählen?

Es begann 2011. Ich war zusammen mit dem dem Leiter der Forschung und Entwicklung am Lenzing-Hauptsitz. Er erzählte mir, dass er ein altes Baumwollhandtuch genommen hatte und damit experimentierte, Fasern aus diesem Baumwollabfall herzustellen. Etwa sechs Monate später traf ich Nick Ryan von Worn Again in Großbritannien, der mir erzählte, dass sie sich mit der Trennungstechnologie für Poly-Baumwoll-Mischungen befassten. Ich dachte mir: Warum können wir das als Lenzing nicht tun? Denn schließlich basierte unser Geschäft auf der Umwandlung von Zellulose.

Wir waren in der Lage, eine Doktorarbeit zu finanzieren, und beschäftigten uns zwei oder drei Jahre lang mit diesem Thema. Und schließlich bekam ich die Zustimmung des Managements. Wir fanden einen Weg, Zellstoff aus Holz und Zellstoff aus Baumwollabfällen zu mischen und gingen 2017 damit auf den Markt. Wir waren die ersten, die in der Lage waren, etwas in großem Maßstab zu produzieren.

Marken wie Patagonia und Levi's verwenden Refibra bereits. Es scheint gut zu laufen.

Wir konnten den Anteil an recyceltem Material auf dreißig Prozent erhöhen und auch einige [Post-]Consumer-Abfälle einbeziehen. Aber wir haben in den letzten fünf Jahren wahrscheinlich nur sehr wenig Gewinn mit Refibra gemacht, weil es ein zusätzlicher Schritt ist.

Wir sind es gewohnt, mit unserem perfekten Rohstoff, dem Zellstoff, zu arbeiten, und nun sollen wir ein anderes, sehr unvollkommenes Material, nämlich Baumwollabfälle, in eine Faserform zurückverwandeln und daraus neue Fasern von höherer Qualität herstellen. Außerdem müssen alle Unzulänglichkeiten wie Farbstoffe und andere Chemikalien entfernt werden.

Warum geht es recht langsam voran?

Da man viel weniger effizient arbeitet und viel geringere Mengen produziert, sind die Preise höher als bei Standardfasern. Man braucht die Zustimmung der Marken, um sehr große Produktionsstätten zu errichten, um Größenvorteile [für Hunderte von Millionen Euro] zu erzielen und den Prozess technisch zu verfeinern. Ich glaube nicht, dass dies bei irgendjemandem, der in diesem Bereich arbeitet, der Fall ist. Die Marken sagen: Wir mögen Recycling, wir müssen es haben, aber wir wollen es nicht für diesen Preis. In Wirklichkeit lehnen sie es ab.

Lyocell-Produktion. Bild: Lenzing AG

In viele der chemischen Recyclingtechnologien, von denen man heute hört, wird erst seit zehn Jahren investiert. Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Größenverhältnisse in der Faserindustrie und die Erfordernisse verstanden hat, so dass der Fortschritt extrem langsam war.

Woher kommt dieses mangelnde Verständnis?

Nur sehr wenige Menschen auf Markenebene haben tatsächlich in der Branche gearbeitet. Wenn man mit Leuten spricht, die sehr unerfahren sind, kann man ihnen keine Argumente liefern, weil sie die Probleme und Komplexitäten nicht verstehen. Stattdessen stellen sie eine Unzahl von Regeln und Zertifizierungen auf. Wenn man sich das anschaut, ist es einfach nur verwirrend. Jemand fragt, was man gegen den Kohlenstoffausstoß tut, jemand anderes fragt nach der Forstwirtschaft... Das ist nicht nur eine komplexe Situation, sondern kostet auch viel Geld.

Außerdem gibt es eine Wissenslücke beim chemischen Recycling. Die chemische Trennung ist eine Sache; die Beibehaltung der für ein Faserunternehmen erforderlichen Eigenschaften ist etwas anderes. In der Anfangszeit hatten wir Vertraulichkeitsvereinbarungen mit Unternehmen, die uns das Zeug wie eine Suppe schickten, ohne die Möglichkeit, daraus eine Faser zu spinnen, weil sie dabei die Zellulose fast zerstörten. Sie verstanden die Bedürfnisse der Spinnereien nicht und hatten keine Textilfachleute, sondern Chemiker:innen.

Wie sieht es jetzt aus?

Und genau das passiert jetzt auch. Es gibt eine Menge großartiger Aktivitäten, und ich applaudiere Organisationen wie Fashion for Good, die eine Plattform sind, um Innovator:innen einzubinden. Aber wenn man sich viele der Innovationen anschaut, gibt es keinen Hinweis darauf, dass sie mit der Textilindustrie zusammengearbeitet haben.

Es herrscht eine Kultur des Standpunkts “große Unternehmen sind schlecht, kleine Unternehmen sind gut”, wobei letztere stark im Mittelpunkt stehen und unterstützt werden. Die kleinen Start-ups brauchen aber auch die großen Unternehmen. Unternehmen wie Lenzing haben ihre Fähigkeiten über Jahrzehnte hinweg verfeinert.

Wie sieht es mit den Machtverhältnissen aus? Hemmen sie die Skalierung von Recyclingtechnologien?

Es gibt viele relativ kostengünstige technologische Lösungen, aber niemand kann es sich leisten, sie zu übernehmen, weil das Geld in die Lieferkette geflossen ist. Alle arbeiten mit sehr niedrigen Gewinnspannen, und die Erlöse werden in der Lieferkette nicht gleichmäßig verteilt. Alle fordern eine Situation, in der wir den Wettbewerb beiseite lassen und alle zusammenkommen und unser Wissen teilen. Die Realität ist, dass hier ein Kräfteverhältnis von Macht und Geld ausbalanciert werden muss.

Was bedeutet das konkret?

Marken wollen mitmachen, aber nur, wenn die Lösungen bereits fertig sind, und diese müssen kostenneutral sein. Das ist ein Euphemismus, um zu sagen: Wir wollen nicht dafür bezahlen. Innovator:innen betreiben jahrelange Forschung und Entwicklung, was viel Geld kostet, aber sie können nicht mehr Geld verlangen. Als ich in den 1970er Jahren für Stofffabriken arbeitete, hatten sie Macht. Sie konnten einer neuen Marke oder einem Einzelhandelsunternehmen sagen: Wenn ihr das Produkt diese Woche nicht zu diesem Preis kauft ... [werden wir uns für jemand anderen entscheiden].

Könnten Regierungen die Spielregeln ändern?

Regierungen könnten eine Art Abgabe von fünf oder zehn Cent auf Kleidungsstücke erheben und dieses Geld für Forschung und Entwicklung in die Industrie zurückfließen lassen. Ich glaube, darüber wurde schon vor einigen Jahren gesprochen, zum Beispiel im schwedischen Parlament, aber es ist nicht geschehen.

Regierungen neigen auch dazu, langsam vorzugehen. Sollten wir mehr Bewegung auf der Investorenseite erwarten?

Es scheint insofern eine gewisse Dynamik zu geben, als dass einige Recyclingunternehmen recht gute Investitionen erhalten: Millionen von Investmentgesellschaften und Stiftungen, wie der H&M Foundation oder der C&A Foundation. Ich glaube, die Dinge beginnen sich zu beschleunigen, und Unternehmen haben begonnen, sich zusammenzuschließen. Nehmen Sie zum Beispiel Lenzing, wir haben dieses Joint Venture Södra Group und wir arbeiten mit Unternehmen wie Renewcell zusammen.

Ich denke, eine der Gefahren besteht darin, dass es in unserem Geschäftsfeld viele verschiedene Möglichkeiten gibt, die Chemie zu nutzen. Wenn man sich die Herstellung von Viskose anschaut – ein über hundert Jahre altes Verfahren –, dann gibt es nicht zehn Möglichkeiten, sie herzustellen, sondern nur eine. Daher werden einige Unternehmen leider auf der Strecke bleiben. Wenn Marken mehrere komplizierte Technologien einkaufen, ist das meiste davon für die Branche verschwendet.

Was ist Ihrer Meinung nach der heilige Gral zur Lösung dieses Problems?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Ausbildung der Weg nach vorne ist. Bei der Nachhaltigkeit geht es um Wissenschaft und Chemie, und das ist kompliziert. Wer versteht die Ansprüche wirklich auf allen Ebenen? Kaum jemand. Aber wenn Kinder damit aufwachsen würden, wären sie in einer besseren Position, um eine rationale Entscheidung beim Kauf ihrer Kleidung zu treffen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.uk. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.

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