“Von der Nervensäge zum Lösungsanbieter”: CmiA-Baumwolle und Kaschmir-Standard der Aid by Trade Foundation
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Ohne Zweifel hat sich viel verändert, was die Annahme der Modebranche von zertifizierten Rohstoffen wie nachhaltiger Baumwolle und Kaschmir angeht. Für letzteren wurde vor wenigen Wochen von der Aid by Trade Foundation ein weltweit erster Standard eingeführt. FashionUnited unterhielt sich bereits im Jahr 2016 mit Tina Stridde, Geschäftsführerin der Aid by Trade Foundation, über die Initiative Cotton made in Africa (CmiA). Jetzt erzählt sie im Interview vom Good Cashmere Standard und wie es zu dessen Entwicklung kam.
Tina Stridde besucht die Unternehmen in China selbst und war bereits zweimal vor Ort, auch bei der Fact Finding-Mission, die zusammen mit Tierschutzexperten durchgeführt wurde. Der Kaschmir-Standard umfasst sowohl die Hirten als auch die nächste Stufe, die sogenannten “Buying Stations” und “Dehairing Stations”, die das Rohmaterial kaufen und dann enthaaren. Auch diese haben Kriterien zu erfüllen, wie etwa das zertifizierte Kaschmir separat zu lagern, was sehr wichtig ist.
Anders als bei den Erfahrungen mit Baumwolle wird zertifizierter Kaschmir aktiv nachgefragt und Unternehmen wollen nachhaltig erzeugten Kaschmir. Beim Kaschmir-Standard der Aid by Trade Foundation stieg zunächst Bekleidungshändler Peter Hahn ein, der jetzt ein Partner ist und bei der Entwicklung des Standards seine langjährige Kaschmirexpertise einbrachte. Inzwischen sind auch der dänische Bekleidungskonzern Bestseller, der schwedische Modekonzern Hennes & Mauritz (vor allem für die Marke Cos), das deutsche Modehaus Hugo Boss, der US-Bekleidungshändler J.Crew, die US-Damenmodemarke Madewell, die deutsche Modemarke Miles und das französische Bekleidungsunternehmen Lacoste dabei. Je unterschiedlicher die Unternehmen sind, desto unterschiedlicher sind auch ihre Kunden und deren Bedürfnisse. Das Angebot reicht daher vom erschwinglichen bis zum gehobenen Segment, aber alle bestehen auf guter Qualität.
Frau Stridde, wie wird der Kaschmir-Standard angenommen?
Noch ist die Produktion klein, aber die Nachfrage ist riesig. Das hat mich überrascht. In diesem Jahr werden unter dem Kaschmir-Standard rund 300 Tonnen enthaartes Kaschmir produziert, wobei rund drei Tonnen ungereinigter Wolle einer Tonne enthaartem Kaschmir entsprechen.
Wie verläuft der Verifizierungsprozess?
Die Verifizierungen beziehungsweise die Betriebsinspektionen werden zu unterschiedlichen Zeiten abgehalten, damit sie nicht vorhersagbar werden und damit die Zustände zu verschiedenen Zeiten geprüft werden können, etwa bei der Schur, im Winter, zur Geburtenzeit oder wenn es kalt oder nass ist und die Ziegen in ihre Behausungen müssen.
Die Hirten selbst werden von den Produktionsfirmen gemeldet. Sie geben dann eine umfangreiche Selbsteinschätzung ab und müssen drei Haupt-Ausschlusskriterien meistern, um sich zu qualifizieren - also keine Kinderarbeit verwenden, ihre Tiere nicht misshandeln und sich an eine Liste verbotener Pestizide halten, die auf keinen Fall benutzt werden dürfen. Dazu gibt es einige Zusatzkriterien, von denen einige “nice to have” sind und andere ein absolutes Muss.
Wie geht es nach der Aufnahme weiter?
Es geht nicht nur um die Abnahme von zertifiziertem Kaschmir, sondern auch um die Nennung der Kaschmir-Betriebe, mit denen die Bekleidungsunternehmen bis jetzt zusammengearbeitet haben, damit das Netzwerk wachsen kann. Angefangen haben wir mit der Erdos Cashmere Group, die ein sehr enger Partner ist, und von dessen Know-how wir viel profitiert haben. Sie ist sehr aktiv und derzeit der größte Anbieter von Kaschmir.
Bekommen die teilnehmenden Hirten eine Prämie gezahlt?
Nein. Was das Profitmodell angeht, so lehnt sich der Kaschmir-Standard an den CmiA-Standard an und läuft über eine Lizenzgebühr, die die abnehmenden Unternehmen zahlen. Die Hirten zahlen nichts, denn sie sollen ja vom Standard profitieren. Sie müssen sich jedoch verpflichten, dass der gesamte produzierte Kaschmir zertifiziert ist. Dafür können sie in Schulungen ihr Wissen verbessern, etwa was die Veterinärmedizin angeht, die verwendete Ausrüstung oder den Zugang der Tiere zu Wasser durch Tränken.
Wieweit sind die Hirten in den Prozess eingebunden?
Die Kommunikation mit den Hirten ist gut und sie werden voll mit eingebunden; sogenannte “Extension Officers” der Produzenten haben täglich mit ihnen zu tun. Die Hirten haben förmlich auf den Kaschmir-Standard gewartet und waren gleich bereit, dabei zu sein. Sie wollen beweisen, dass Kaschmir auf gute Weise produziert wird, damit Kaschmir zukunftsfähig ist. Verbraucher und Unternehmen brauchen durch den neuen Standard nicht auf Kaschmir zu verzichten und können zertifizierte Kaschmirprodukte mit gutem Gewissen tragen.
Wie groß ist das Netzwerk bis jetzt?
Wir haben eine unglaubliche Transparenz geschaffen. Wir haben etwa 1.500 Händler erfasst, wovon der kleinste ein Familienbetrieb mit 14 Ziegen ist und bis zum größten mit Zehntausenden Ziegen reicht. Entsprechend werden die Tiere als wichtige Einkommensquelle oder sogar als Familienmitglied gesehen.
Derzeit umfasst der Kaschmir-Standard nur Betriebe in der Inneren Mongolei. Gibt es Pläne, dieses Gebiet auszuweiten?
Das ist im Moment noch Zukunftsmusik. Zudem ist die Innere Mongolei mit ihren Ziegenfarmen das wichtigste Anbaugebiet, auf das wir uns derzeit konzentrieren. Darauf ist der Standard angepasst. In anderen Gebieten wie etwa der Mongolei gibt es nomadische Systeme oder es sieht mit der Landnutzung oder zum Beispiel der Versteppung in China anders aus, daher kann der Standard nicht einfach übernommen werden.
Wurde der Kaschmir-Standard schneller angenommen als etwa CmiA-Baumwolle?
Viele Unternehmen haben Angst vor dem zivilgesellschaftlichen Druck und haben deshalb unheimlich aufgedreht, was ihre Nachhaltigkeitsbemühungen angehen. Es besteht Interesse auf Unternehmensseite und es gibt Erwartungen auf Konsumentenseite. Daher läuft es rundum gut.
Gibt es inzwischen weitere Partner auf Händlerseite für CmiA-Baumwolle?
CmiA ist auf jeden Fall auf dem Weg nach vorn; wir verzeichnen inzwischen ein Plus von 20 Prozent und rund eine Million Bauern produzieren 600.000 Tonnen CmiA-Baumwolle pro Jahr. Dabei hat geholfen, dass große Discounter wie Aldi an Bord gekommen sind. Sie nehmen einfach sehr große Stückzahlen ab und das macht es einfacher in der gesamten Lieferkette.
Inzwischen ist afrikanische Baumwolle auch bekannter und Unternehmen fragen gezielt nach. Trotzdem haben wir jedoch die Situation, dass derzeit bei Baumwolle mehr zertifizierte Ware produziert wird als Nachfrage da ist. Sie wird auf jeden Fall verkauft und die Bauern bekommen es finanziell nicht zu spüren. Wenn keine Lizenzgebühr hereinkommt, fängt das die Aid by Trade Foundation auf. Aber dementsprechend steht dann weniger Geld für Schulungen und andere Zusatzleistungen zur Verfügung.
Wie steht es allgemein mit der Nachhaltigkeit, hat sich seit unserem letzten Gespräch vor dreieinhalb Jahren etwas geändert?
Ja, auf jeden Fall. Was Aid by Trade schon vor zehn Jahren propagiert hat, ist jetzt angekommen. Wir sind begeistert, wie tief das Thema eingedrungen ist. Während wir früher noch Präsentationen zum Thema “Warum Nachhaltigkeit?” halten mussten, setzen sich Unternehmen jetzt ernsthaft mit dem Thema auseinander. Auch die Verpflichtung ist da, zum Beispiel organisch zu werden, und Unternehmen sind bereit, diesen steinigen Weg zu gehen. Früher war es schwieriger, diese Art von Commitment zu erhalten. Wir werden als Lösungsanbieter gesehen und nicht mehr als Nervensäge.
Dieser Text wurde mit Angaben der Aid by Trade Foundation aktualisiert.
Fotos: M. Kuhn für Aid by Trade Foundation