Trendforscher Boris Planer: “Es ist kein Modell für die Zukunft, einfach nur Waren zu verkaufen.“
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Die Bekleidungsbranche leidet unter dem gedämpften Konsumklima, aber welche Makrotrends stecken hinter der Kaufzurückhaltung? Boris Planer, Experte für Handel und Konsumgüter am Frankfurter Zukunftsinstitut, erklärt im Interview, was die prägenden Strömungen unserer Zeit für Mode bedeutet. Eine These: Angesichts eines Wertewandels und einer tief in den Menschen verwurzelten Unsicherheit reicht es künftig für Unternehmen nicht mehr aus, nur noch auf den Produktverkauf zu setzen.
Welches Grundgefühl der Menschen gilt es derzeit zu verstehen?
Die Menschen waren wegen der Pandemie verunsichert, dann wegen des Krieges in Europa und der Inflation. Sie haben Angst vor dem Umweltdesaster und davor, dass die Roboter und Algorithmen ihnen die Jobs wegnehmen. Und diese Verunsicherung bleibt stark, da kommt dieses tiefenpsychologische Bedürfnis nach Sicherheit und Erdung her, dass man zu den Wurzeln zurückkehrt, dass man sich sicher fühlt, dass man das Richtige tut. Das übersetzt sich in der Mode in Naturfarben und natürliche Materialien.
Bevor wir weiter über die Mode sprechen, was liegt dieser Unsicherheit eigentlich zugrunde?
Der totale Verlust von Werten und Orientierung und eines klaren Narrativs, das die Gesellschaft strukturiert. Es gab immer schon Veränderungen und plötzliche Disruptionen. Aber besonders beschleunigt hat sich das vor knapp über 20 Jahren.
Das Jahrtausend fing mit dem großen Knall an, mit 9-11 und dem Aufstieg des globalen Terrorismus. Dann kam die Finanzkrise, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, der Aufstieg des Rechtspopulismus und die Europäische Union wurde instabil. Dann kam die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die Inflationskrise.
Man muss heute schon über 30 Jahre alt sein, um eine bewusste, aktive Erinnerung an eine Welt zu haben, die nicht in einer Dauerkrise ist. Und das prägt die Leute.
Und wie wirkt sich das auf das Verhältnis der Menschen zur Mode aus?
Es gibt langfristige psychologische Studien – zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg oder aus anderen Teilen der Welt – die darauf hinweisen, dass Menschen, die in der Dauerkrise groß werden, ihr Leben lang äußerst sensibel auf Veränderungssignale reagieren.
Wenn wir das Gefühl haben, es kommt wieder eine Wirtschaftskrise, dann werden die jüngeren Leute schneller ihr Portemonnaie zumachen, als das vorherige Generationen gemacht haben, die in relativer Sicherheit aufgewachsen sind.
Das ist etwas, was die Fashion-Branche ganz, ganz stark betrifft, weil Mode eben nichts Essentielles, nichts Lebensnotwendiges ist. Es ist “nice to have”, wenn man es sich leisten kann.
Die Nachfrage bleibt also volatil – aber wonach suchen Menschen, wenn sie doch etwas kaufen?
Im Moment ist die Nachfrage tatsächlich stärker nach Nachhaltigkeit und Transparenz, nach Naturnähe, Langlebigkeit und Reparierbarkeit. Aber: Jeder ist ein Individuum und jeder Trend hat einen Gegentrend. Wenn ich sage, vielen Verbraucher:innen ist Nachhaltigkeit wichtig, sind das vielleicht 60 Prozent der Bevölkerung, je nach Definition. Das heißt aber immer noch, dass es dem Rest der Bevölkerung nicht so wichtig ist und der riesige Markt für die Fast-Fashion-Unternehmen dieser Welt weiterhin bestehen bleibt.
"Die Angst vor der finanziellen Instabilität und der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit führen dazu, dass Leute langlebigere Güter wollen."
Kann die Modebranche also so weitermachen wie bisher?
Keiner sagt, dass jeder jetzt auf Nachhaltigkeit achtet, aber es wird wichtiger und es ist so wichtig, dass man das in der Branche nicht vernachlässigen kann. Hier kommen zwei Grundbedürfnisse zusammen. Die Angst vor der finanziellen Instabilität und der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit führen dazu, dass Leute langlebigere Güter wollen, dass sie nicht mehr jedes zweite Jahr einen neuen Mantel brauchen, sondern dass ein Mantel vielleicht einfach auch mal fünf Jahre hält und dass man den weiterverkaufen kann.
Wie wichtig ist der Resale?
Das ist ein Riesenthema nicht zuletzt in der Luxusbranche. Überhaupt kaufen junge Leute Luxusartikel vor allem dann, wenn sie davon ausgehen können, dass sie sie auf einer Resale-Plattform weiterverkaufen können und dass Sachen eben auch repariert werden können. Man kriegt so mehr für sein Geld, und es ist gut für die Nachhaltigkeit.
Menschen interessieren sich auch stärker für die Wertschöpfungskette.
Die Leute sind verunsichert und haben das Bedürfnis, ein bisschen Kontrolle zu haben und im kleinen Kreis das Richtige zu tun. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass man auch etwas darauf achtet, was in der Lieferkette los ist. Wird Raubbau in der Natur betrieben, arbeiten die Menschen in Niedriglohnländern unter unwürdigen Bedingungen?
Das interessiert vielleicht nicht jeden, aber es interessiert die Leute mehr, als es sie vor zehn Jahren interessiert hat. Da ist ein Druck auf Händler:innen und auf Modemarken, Transparenz zu schaffen. Die Erwartungshaltung der Kund:innen wächst, dass Händler:innen und Labels diese Verantwortung übernehmen und für die Verbraucher:innen das Richtige tun, damit die Verbraucher:innen sich nicht so viele Gedanken darüber machen müssen.
Seit ein paar Jahren wird viel über nachhaltigere Kleidung gesprochen, aber der Anteil von nachhaltigeren Artikeln im konventionellen Modehandel ist noch gering. Auch die Reparierbarkeit hält sich noch in Grenzen.
Auf jeden Fall. Auch in der Verbraucherelektronik übrigens. Da gibt es noch viel zu tun. Aber dieser Erwartungsdruck von der Seite der Verbraucher:innen ist da. Und das zeigt sich dann vielleicht auch nicht so in dem Aufstieg von nachhaltigen Modelabels, die immer eine Nische sein werden. Das zeigt sich daran, dass ein C&A eine Initiative startet, nachhaltige Baumwolle zu sourcen und das auch nachzuweisen.
Aber wird das in der Kommunikation mit den Menschen reichen, dass diese das wirklich glauben und deswegen gerne dort einkaufen?
Natürlich ist die Glaubwürdigkeit in den letzten Jahren beschädigt worden. Händler:innen müssen Geld verdienen. Sie werden tun, was nötig ist und vermeiden, was sie vermeiden können. Händler:innen müssen natürlich auch zu mehr Nachhaltigkeit und besseren Arbeitspraktiken gedrängt werden. Da gibt es ja aber Druck von drei Seiten.
Welche sind das?
Es gibt nicht nur diese Erwartungshaltung von Kund:innen – insbesondere von jungen Verbraucher:innen – die den Druck erhöhen. Es gibt eben auch Druck von Seiten der Gesetzgebung, beispielsweise für Lieferketten auf Ebene der Europäischen Union. Und dann gibt es auch den Druck aus der Finanzbranche.
Wie können wir uns den Druck aus der Finanzbranche vorstellen?
Unternehmen werden es in Zukunft schwer haben, Finanzierung zu gewinnen, wenn sie keine glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategie nachweisen können. Investmentfonds und Banken achten schon heute darauf. Banken vergeben inzwischen bessere Konditionen für Kredite, wenn gewisse Nachhaltigkeits- und auch Gleichstellungsziele erreicht werden. Und deswegen kommt der Druck von mehreren Seiten, aber eben auch von der gesetzlichen Seite.
Stichwort Gesetzgebung: Wie hoch ist der Zeitdruck hier wirklich?
Die Gesetzgebung und diese Standards verschieben sich nur sehr langsam. Da muss man wirklich eher in Jahrzehnten als in Jahren rechnen. Wir sehen das zum Beispiel daran, dass die EU immer wieder zurückrudert, wenn der Druck zu groß wird.
"Die Lieferkette zu kontrollieren in Zeiten des Klimawandels ist eine Herausforderung. Wer das am besten hinkriegt, hat einen Wettbewerbsvorteil. In diesem Umfeld geht es darum, nachhaltige Materialien zu finden, die vom Klimawandel unabhängiger sind."
Woher kommt der Druck auf die Politik?
Dass der Lebensstandard in Europa angesichts der alternden Gesellschaft nicht noch stärker gesunken ist, liegt auch daran, dass gerade Bekleidung und Elektronikartikel immer günstiger wurden – dadurch, dass die Produktion nach Asien verlagert wurde. Möchte man da jetzt auch noch einen weiteren Inflationsschub produzieren? Oder möchte man wirklich jetzt die Neueinführung von Verbrennermotoren auf der Straße verbieten? Zieht die EU doch wieder den Stecker? Es gibt ja relativ wenig Planungssicherheit. Die Politiker:innen in Brüssel wollen wiedergewählt werden. Wenn der wirtschaftliche Druck zu stark wird, wird eine Nachhaltigkeitsinitiative durchaus auch einmal auf die lange Bank geschoben.
Die EU arbeitet an der Konkretisierung von grünen Richtlinien, die auch die Bekleidungsbranche treffen werden. Wie sollten Unternehmen sich darauf vorbereiten?
Will man jetzt, nachdem Lebensmittel gerade 30 Prozent teurer geworden sind, auch noch die Fashion verteuern? Ich glaube eher nicht. Deswegen vermute ich, dass viele Unternehmen sich zwar durchaus in Richtung Nachhaltigkeit orientieren werden, das aber langsam und nur schrittweise. Richtung Verbraucher:innen ist das Signal wichtig, dass man engagiert ist und am Fortschritt arbeitet, aber die Preise trotzdem unter Kontrolle hält. Ich glaube, das ist das, was der Markt ungefähr will.
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Neben den Unwägbarkeiten der Gesetzgebung sieht sich die Modebranche auch mit volatilem Wetter konfrontiert.
Die Lieferkette zu kontrollieren in Zeiten des Klimawandels ist eine Herausforderung. Wer das am besten hinkriegt, hat einen Wettbewerbsvorteil. Wir haben ja in den letzten Jahren erlebt, wie Dürre die Baumwollernte in den USA dezimiert hat und sintflutartiger Regen die Baumwollernte in Pakistan nahezu komplett zerstört hat. In diesem Umfeld geht es darum, nachhaltige Materialien zu finden, die vom Klimawandel unabhängiger sind. Das ist jetzt ein Rennen um Geschwindigkeit und Innovation.
Polyester gilt als schädlich, weil es aus Erdöl hergestellt wird und Mikroplastik abgibt. Manche Marken versuchen daher, stärker auf Naturfasern wie Baumwolle zu setzen. Aber jetzt ist diese auch problematisch…
Sich von den etablierten Materialien kurzfristig komplett zu verabschieden, ist wenig realistisch. Eine ähnliche Herausforderung haben wir auch in der Lebensmittelbranche, wo der Klimawandel der Arabica-Bohne zusetzt und jetzt Unternehmen damit befasst sind, hitzeresistente Kaffeesorten zu finden. Das dauert natürlich auch 20, 30 Jahre, bis sie als Massenware im Regal sind. Aber die Arbeit daran beginnt jetzt. Die Forschung und dann die Kultivierung im großen Stil brauchen Zeit. Das gilt auch für die Modebranche und ihre Herausforderungen.
Wie wird der Klimawandel die Kleidung beeinflussen, die wir tragen?
In der Sportswear sind das zum Beispiel Jogging-Outfits, die einen an den häufiger werdenden Tagen mit extremer Hitze vor Überhitzung schützen, oder auch Laufschuhe, die extrem starken Niederschlägen standhalten, die ja immer häufiger werden.
"Wir sind laut einer Analyse der Vereinten Nationen jetzt hier in Europa die erste Generation seit 400 Jahren, die einen niedrigeren materiellen Lebensstandard haben wird als die vorherige Generation."
Stellt der Klimawandel außer der Kleidung, die wir tragen, noch etwas fundamentaleres in der Mode in Frage?
Die Jahreszeiten sind nicht mehr so klar definiert wie früher. Wir haben es in den vergangenen Jahren immer öfter erlebt, dass der Wechsel vom Winter in den Sommer fast übergangslos war. Der Herbst als Übergangszeit, den gibt es nicht mehr so, oder zumindest kann man sich darauf nicht mehr verlassen. Als Modehändler war man ja im Prinzip lange im Wettgeschäft unterwegs. Man hat Wetten darauf abgeschlossen, wie das Wetter wird und welche Farben die Leute tragen wollen. Dann hat man das Lager voll gemacht, weil die Lieferketten so langsam waren.
Aber so geht es nicht mehr weiter?
Die Fashionbranche hat von den Jahreszeiten gut gelebt. Es gab und gibt Modeketten, die expandieren nur in Länder, wo es wirklich Jahreszeiten gibt, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Einfach damit man von diesem traditionellen Geschäft profitieren kann. Da bricht dem Fashionhandel gerade etwas was weg. Gleichzeitig achten die Leute auf absehbare Zeit auch mehr aufs Geld und die Bereitschaft sinkt, sich für drei Wochen Herbst dann noch eigene Kollektionen zu kaufen.
Saisonale Mode wird immer uninteressanter?
Ich glaube, dass die Verbraucher:innen sich generell von klaren Vorstellungen, wie Herbst- und Frühlingsmode auszusehen hat, verabschieden. Frühlingsmode bleibt vielleicht noch wichtiger, weil der Frühling emotional stärker besetzt ist. Wenn die Verbraucher:innen zum Beispiel in ihrem Modebudget etwas streichen wollen, dann wird das Herbstbudget vermutlich als erstes geopfert.
Spricht die Abkehr von den saisonalen Modezyklen für eine gewisse Konsum-Müdigkeit? Wirken sie zu dekadent oder geht es den Menschen zu schnell?
Es geht eigentlich um wirtschaftliche Unsicherheit, der Lebensstandard sinkt. Dies liegt an der schnellen Alterung der Gesellschaft, an der Notwendigkeit zu mehr Umverteilung von Einkommen. Wir sind laut einer Analyse der Vereinten Nationen jetzt hier in Europa die erste Generation seit 400 Jahren, die einen niedrigeren materiellen Lebensstandard haben wird als die vorherige Generation.
Die Leute werden also Prioritäten setzen müssen. Sie werden weniger in Urlaub fahren und sich auf die essentiellen Dinge stärker konzentrieren – bei den Verbrauchsgütern, Elektrogeräten und in der Mode. Junge Leute wissen, dass sie keine große Rente vom Staat mehr bekommen werden und passen ihre Lebensziele entsprechend an.
Mit dem Konsumwandel sehen Sie auch einen Sinneswandel einhergehen.
Die Leute suchen sich andere Lebensideen. Es findet eine Abkehr vom Materialismus statt. In den 80ern war Materialismus ein Einkommen, sozialer Status, Visitenkarte, Markenbekleidung. Das ist nichts mehr, wofür man noch bewundert wird, es sind keine echten Statussymbole mehr. Das Statussymbol für viele junge Leute ist auch nicht mehr das teure Auto. Stattdessen haben wir jetzt diesen großen Trend hin zum immateriellen Statussymbol.
Was zählt jetzt?
Die Statussymbole der Zukunft sind eher: gute Freunde, Erlebnisse, ein bisschen reisen, Bildung, körperlich gut in Schuss sein. Das ist eine Herausforderung für die Modebranche. Für Händler:innen, auch in der Modebranche, ist es kein Modell für die Zukunft, einfach nur Waren zu verkaufen. Mehr und mehr Waren zu verkaufen an Leute, die weniger Geld haben und sich außerdem vom Materialismus abwenden: Wenn man da mal zehn bis 15 Jahre in die Zukunft denkt, ist das einfach kein Wachstumsmodell.
Wie könnte eine Alternative aussehen?
Man muss sich grundsätzlich neue Geschäftsmodelle überlegen. Da wäre zum Beispiel ein Ökosystem aus Produkten und Dienstleistungen angesagt, dass man also Bekleidung verkauft, sie dann aber auch repariert. Dass man Nähkurse und Reparaturkurse für die Leute anbietet, dass man vielleicht sogar als Mainstream-Modehändler selber zum Hersteller von Nähmaschinen wird, die ein normaler Mensch bezahlen kann.
- Die anhaltende Unsicherheit durch Pandemie, Krieg und Inflation führt zu einem gedämpften Konsumklima und beeinflusst das Kaufverhalten in der Modebranche.
- Nachhaltigkeit, Transparenz und Langlebigkeit gewinnen an Bedeutung, während der Wunsch nach Reparierbarkeit und der Wiederverkauf von Kleidung zunehmen.
- Die Modebranche muss sich an veränderte Konsummuster anpassen, neue Geschäftsmodelle entwickeln und auf die wachsende Nachfrage nach Transparenz in der Lieferkette reagieren.