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Textillogistik-Professor Markus Muschkiet: „Ohne uns geht es nicht”

Von Lara Grobosch

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Business |Interview

Bild: Unsplash

Die Logistik spielt sich oft im Hintergrund ab, aber als entscheidender Erfolgsfaktor für Modeunternehmen ist sie nicht zu vernachlässigen. Die derzeitige Pandemie und unerwartete Ereignisse wie die Blockade im Suezkanal vor einigen Wochen stellen den reibungslosen Fluss der Ware jedoch auf eine harte Probe.

Professor Markus Muschkiet, Leiter des Center Textillogistik der Hochschule Niederrhein und des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik, sprach im Interview über die Bedeutung der Bekleidungslogistik, die Auswirkungen der Coronakrise und die Zukunft der Modelogistik.

Bild: Prof. Markus Muschkiet

Warum ist Logistik ein Thema, das Modeunternehmen in Zukunft nicht außer Acht lassen dürfen?

Prof. Markus Muschkiet: In der Modeindustrie spielt die Geschwindigkeit und der Service in Richtung des Endkunden eine immer größere Rolle. Außer bei der Zielgruppe, die auf eine bestimmte Marke fixiert ist, sind die Produkte bis zu einem gewissen Grad austauschbar. In diesem Fall zählt dann zum einen natürlich der Modegrad und zum anderen die Verfügbarkeit. Wenn ich jetzt zwei Onlineshops habe, die das gleiche Produkt zum gleichen Preis anbieten, entscheidet relativ häufig eine Kombination aus unterschiedlichen Services, die stark von der Logistik abhängen.

Und da macht die Logistik den entscheidenden Unterschied?

Einen erheblichen Unterschied, ja. Wenn im stationären Handel, außerhalb von Corona-Zeiten, ein Teil nicht verfügbar ist, ich dem Kunden aber die Möglichkeit biete, dieses kostenlos nach Hause zu liefern, besteht die Chance, diesen Kunden nicht zu verlieren. Auch wenn das nicht so offensichtlich ist: Die Logistik ist für die Modebranche im Hintergrund ein ganz wichtiger Enabler, um Geschäfte überhaupt tätigen zu können und weil man sich durch diese Services letztendlich von seinen Konkurrenten unterscheidet.

Die Pandemie macht der gesamten Modebranche zu schaffen und stellt sie vor ganz neue Herausforderungen. Welche Auswirkungen hat Corona auf die Bekleidungslogistik?

Es gibt verschiedene Prozesse und Warenströme, die es so in dem Maße noch nicht vorher gegeben hat. Natürlich kennt man Retouren und einen rückwärtsgewandten Materialfluss aus dem Versandhandel, doch abgesehen von ein paar Restanten, hat es das im Einzelhandel noch nicht gegeben. Jetzt liegen dort große Mengen an nicht verkaufter Ware und auch zeitlose Never-Out-of Stock Artikel, die aber gerade keine Saison haben.

Das weiße T-Shirt oder den dunkelblauen Pullover kann man ab einer gewissen Preiskategorie mit halbwegs gutem Gewissen einlagern, aber auch das Einlagern ist ja nicht umsonst. Ganz im Gegenteil: Ich brauche qualitative Lagerstandorte, die trocken und sauber sind, wo ich die Ware bis zur nächsten Saison gut unterbringen kann – das kostet alles sehr viel Geld. Es ist jetzt nicht so, dass man es als Logistiker nicht schafft, Ware einzulagern und zu einer gewissen Saison wieder auszulagern. Die damit einhergehenden Kosten und Prozesse bei den Unternehmen und Marken sind das Problem, weil sie das so nie erlebt haben und in einer Situation getroffen wurden, in der sie sowieso schon massive Einbußen hatten. Wir haben durch Corona neue Logistikprozesse in der Branche und wir haben die damit einhergehenden Kosten in einer Zeit, wo man alles hat, nur kein Geld.

Was hat die Pandemie mit den Transportpreisen gemacht?

Neben den Kosten für die Einlagerungsprozesse haben sich in vielen Bereichen die Kosten für einen Container-Transport nach Europa vervielfacht. In der Luftfracht sind die Preise auch deutlich angestiegen. Die Transportkosten, die in der Vergangenheit häufig eine der kleinsten und damit unbedeutendsten Kostenfaktoren auf das einzelne Stück gerechnet waren, haben sich massiv erhöht.

Wie verhalten sich die Modeunternehmen nach diesen massiven Preisverschiebungen?

Auch hier gibt es keine einheitliche Antwort über die komplette Branche, aber es gibt einen Trend. Es gibt zudem einen Unterschied zwischen der Situation letztes Jahr und jetzt. Vor ein paar Monaten müssen die teilweise unterbrochenen Lieferketten mitberücksichtigt werden, was insbesondere bei Saisonartikeln zu Verschiebungen geführt hat. Aktuelle Ereignisse wie der Unfall im Suezkanal vor einigen Wochen, haben diese Situation nochmals wieder kurz wiederhergestellt. Um überhaupt liefer- und damit letztendlich verkaufsfähig zu sein, werden daher auch jetzt noch höhere Kosten zähneknirschend akzeptiert. Keiner möchte in so einer Situation einen Kunden verärgern. Im Zweifel wird dann geflogen.

Die erhöhten Kosten waren nicht die einzige Folge der Coronakrise. Es kam im vergangenen Jahr auch immer wieder zu starken Lieferverzögerungen. Hat sich die Lage mittlerweile beruhigt?

Die internationalen Lieferketten sind im Großen und Ganzen doch erstaunlich resistent. Natürlich gab es Verzögerungen, aber man muss sagen: das hat sich inzwischen in vielen Bereichen beruhigt. Die Impfungen schreiten voran, die Unternehmen haben sich mit Hygienekonzepten auf die Produktion eingestellt. Die großen Verspätungen sind vorbei, aber wenn irgendwo wieder ein lokaler Hotspot auftritt – egal ob Produktion, Logistik oder ein Hafen – kann es natürlich erneut zu Verzögerungen kommen. Da werden wir auch noch eine ganze Weile mit zu tun haben, aber es ist nicht zu vergleichen mit dem, was letztes Jahr war.

Warum hat Corona die Modebranche so hart getroffen?

Das liegt an der Schnelllebigkeit unserer Branche. Von 14 Kollektionen im Jahr bis hin zu ich habe gar keine Kollektionen mehr und bringe jeden Tag neue Ware auf den Markt, gibt es ja alles. Wenn ich das Jahr durch 14 teile, was ja ehrlicherweise eher die Taktung der langsameren Unternehmen ist, und ich dann anderthalb oder zwei Wochen Verzögerung habe, trifft das mehr oder weniger eine komplette Kollektion, die abgeschrieben werden muss.

Der Online-Handel hat durch den Lockdown einen Boom erlebt. Dadurch wurde der Endkonsument im letzten Jahr auch immer wieder mit Lieferverzögerungen konfrontiert. Warum ist das so?

Die Systeme der Kurier-Express-Paketdienstleister (KEP) liefen in vielen Bereichen auch schon im Vorjahr relativ nah am Maximum. Die KEP-Dienstleister bauen ihre Paketzentren seit Jahren kontinuierlich aus und mussten jetzt in kurzer Zeit nochmal ein riesiges Wachstum hinnehmen. Das Weihnachtsgeschäft, was für viele Unternehmen einmal im Jahr der absolute Ausnahmezustand ist, hat sich durch Corona über mehrere Monate als Dauerzustand etabliert. Dass da mal was liegen bleibt und nicht jedes Paket in der gewohnten Geschwindigkeit zugestellt werden kann, ist klar.

Da viele jetzt plötzlich auf E-Commerce umsteigen, haben sich manche KEP-Dienstleister schwergetan, weitere Kunden aufzunehmen, weil die vorhandenen Kunden ja oft schon ihre Mengen gesteigert haben. Die Kapazitäten wurden dennoch schnell erhöht. Wenn ich ein Netzwerk ungeplant oder überhaupt in kurzer Zeit skaliere, ist das nicht so effektiv, als wenn die Kapazitäten durch eine langfristig geplante Strategie erweitert werden.

Was kann man aus der Krise lernen?

Dass man sich als Unternehmen in Bezug auf die Produktion eventuell ein bisschen breiter aufstellen sollte, um flexibler zu sein. Nicht nur Single Sourcing sondern Multiple Sourcing. Eventuell auch einzelne Prozesse wieder zurück in die EU holen. Das wird natürlich in großen Teilen nicht Deutschland sein, aber zum Beispiel nach Rumänien, Bulgarien oder Portugal, um stärker innereuropäisch zu agieren und unabhängiger zu sein.

Auch der Brexit Anfang des Jahres hat die Modebranche durcheinandergebracht. Womit hat die Modelogistik jetzt zu kämpfen?

Die Wartezeiten und die ganzen Verzögerungen, die immer noch zum Teil stattfinden, sind schwierig. Die Prozeduren sind einfach noch nicht so eingespielt. Die Zollabteilungen, die sich sonst eher mit den Überseeländern beschäftigt haben, hatten plötzlich sehr viel mit Großbritannien zu tun. Die Prozesse, die dort aufgesetzt werden müssen, darf man nicht unterschätzen. Auch wenn wir ein Freihandelsabkommen haben, ist Großbritannien trotzdem nun ein Drittstaat. Auch wenn Unternehmen keine Zölle werden bezahlen müssen, haben sie natürlich trotzdem die ganzen Anmelde- und Dokumentationspflichten in dem Zusammenhang.

Wie können diese Probleme gelöst werden?

Die Situation wird sich entspannen, wenn auf allen Seiten das komplette Freihandelsabkommen umgesetzt ist und die Prozesse etabliert und in den Unternehmen als selbstverständlich angekommen sind. Nicht eingespielte, neue, komplizierte Prozesse sind für jeden Wirtschafts-Teilnehmenden teuer und ineffizient. Wenn die Prozesse einmal etabliert sind und die Kinderkrankheiten ausgebügelt sind, läuft es wieder, nur die zusätzlichen Kosten für die Prozesse bleiben. Wir haben aber auch kein großes Problem damit, mit der Schweiz oder mit Norwegen und der restlichen Welt zu handeln. Natürlich muss man ein paar Punkte beachten und man muss eine Zollabteilung dafür haben.

Wie sieht die Zukunft der Modelogistik aus?

Die Zukunft sieht kleinteilig aus. Die Nachfrage wird kleinteiliger, weil der einzelne Kunde häufiger mit kleineren Mengen beliefert wird und auch der stationäre Einzelhandel nicht mehr so stark beliefert wird. Durch den sterbenden Einzelhandel werden B2C-Transporte an Bedeutung gewinnen und es wird einen stärkeren Anteil von B2C-Transporten im Vergleich zu B2B-Transporten geben.

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