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Struktur wirksam machen: KI als Kostenhebel in der Modeindustrie

So hoch der Kostendruck auch sein mag: An der Qualität sparen kommt in der Fashion-Branche nicht in Frage. Ein verlässlicher Planungsrhythmus, ein belastbares Datenfundament und praxisnahe KI-Bausteine reduzieren Reibungskosten entlang der Mode-Wertschöpfung. Bei der Einführung ist durchdachte Steuerung der Schlüssel, damit die Einsparpotenziale in der Praxis auch ankommen.

Mehrere Tendenzen treiben die Kosten in der Modebranche in die Höhe. Unter den Rohmaterialien verteuert sich Wolle, Baumwolle tritt auf der Stelle. In der Logistik hält der „Rotes-Meer-Effekt“ die Spotraten und damit die Planung volatil. Auf der Nachfrageseite wechseln Haushalte in Teilsegmenten zu günstigeren Alternativen durch Outlets, Off-Prices, Resales oder „Dupes.“ In Asien gewinnen reifere Asien-Pazifik-Märkte (APAC-Märkte) neben China an Bedeutung. In den etablierten Absatzregionen trägt die Silver Generation (Ü50) einen überproportionalen Anteil des Ausgabenwachstums. Sortimente, Pricing und Messaging müssen somit feiner differenziert werden; ohne die einheitlichen „Otto- Normalverbraucher:innen“ als Fixpunkt wird die Planung komplexer.

Mehrkosten aus steigenden Materialpreisen, unsicherer Logistik sowie strikteren Nachweispflichten lassen sich nicht ohne Weiteres an die – zunehmend preissensiblen – Konsument:innen weitergeben. Und wer an der Qualität von „unsichtbaren“ Komponenten wie Futterstoffen oder Beschlägen spart, riskiert sein Markenversprechen, insbesondere im Premium-Sektor. Kostenmanagement entsteht nicht aus Einzelmaßnahmen, sondern aus der End-to-End-Digitalisierung der gesamten Prozesskette.

Über den Autor

    Giovanni Cara ist Experte für die Bereiche Mode, Einzelhandel und Konsumgüter bei der BIP Group. Beim Beratungsunternehmen leitet er den Bereich Mode. Mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in Geschäfts- und Technologietransformationsprogrammen sorgt er für die effektive Umsetzung von Innovationstrends im Tagesgeschäft seiner Kundschaft. Er verfügt über einen Abschluss in Wirtschaftsingenieurwesen und einen internationalen MBA.

Vom Patchwork zum Datenstrang

Demografisch treffen in der Modebranche Silver Ager auf junge, digitale Manager:innen, die bei Digitalisierungsinitiativen Reflexe wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Kann ich das auch als .csv herunterladen?“ adressieren müssen. In der Praxis hält dieser „Excel-Reflex“ oft Nebenlogiken am Leben, die Entscheidungen entkoppeln und Best Practices der Nutzung digitaler Tools in Silos halten. Beispielsweise nutzen einige Modehäuser ihr PLM-System als „Sammelort“ für Skizzen und Daten – nicht als aktives Tool zum Orchestrieren von Designprozessen.

Während der Automatisierungsgrad vieler Fast-Fashion-Marken der Automotive-Branche nahekommt, steuern viele Premium- und Luxuslabels dichte Netze aus Kleinstlieferanten mit hohem Manufakturanteil. Wo Volumina schwanken, schaffen mittel- bis langfristige Rahmenverträge mit klaren Service Levels Planungssicherheit. Gleichzeitig reduziert eine konsolidierte Lieferantenbasis Komplexität und Koordinationsaufwand – ohne Abstriche bei der handwerklichen Qualität.

Von einem durchgängigen Datenstrang profitiert die gesamte Prozesskette. So speisen Angaben zur Materialherkunft, Prozess- und Standortstempel sowie vollständige Stücklisten (engl. Bill of Material, kurz: BOM) mit freigegebenen Alternativen das Forecasting, die Nachfrage- und Kapazitätsplanung, Allokation und Beschaffung – bis hin zur Kundschaftskommunikation, etwa über Auskünfte zum Digitalen Produktpass (DPP) am Point-of-Sale. Bei dem Detailgrad der Datentransparenz sind pragmatische Abstufungen möglich. Bei Standardware reicht oft Batch-Tracking; bei hochpreisigen, regulierungsrelevanten oder reputationssensiblen Artikeln bietet sich das Einzelteil-Tracking an.

Damit diese Daten ihre Wirkung entfalten, brauchen alle Funktionen eine gemeinsame Sprache: eindeutige IDs, klare Taxonomien und gepflegte Stammdaten. Erst dann kann auch Künstliche Intelligenz (KI) praktischen Mehrwert liefern – vor allem durch Kosteneinsparung.

KI ist kein Selbstzweck: 5 Anwendungen mit konkreten Einsparpotenzialen

Für echte KI-Akzeptanz darf KI kein IT-Thema bleiben. Jeder Anwendungsfall braucht einen „Sponsor“ aus dem Fachbereich. Eine Inventur- oder Logistikverantwortliche, die einen Use Case in die eigene Roadmap übernimmt, erlebt den Mehrwert von KI jenseits von Buzzwords.

Welche Use Cases haben sich in der Modebranche bewährt? Grundsätzlich reduziert KI am effektivsten Reibungskosten in Prozessen, die Wiederholung, Datenfülle und Entscheidungsdruck kombinieren.

  1. In wiederkehrenden Markt- und Rohstoffanalysen lassen sich mithilfe von KI- Automatisierung vier bis sechs Stunden pro Woche sparen. Da mit öffentlichen Reports und Statistiken gearbeitet wird, bleibt das Risiko für die eigenen Daten gering.

  2. Modeunternehmen verwalten Terabytes an Bildern aus Shootings, Skizzen und Visual Merchandising. Die klassische Datenbank-Suche hängt oft an der historischen Tagging-Disziplin – und ist damit ebenso zeitaufwändig wie fehleranfällig. Multimodale KI-Modelle hingegen erkennen Objekte, Formen und Farben bis hin zu präzisen Farbcodes, schlagen konsistente Tags vor und finden verwandte Motive kontextabhängig. Recherchezeiten sinken und vorhandenes Material wird häufiger wiederverwendet.

  3. Jedes Update im Regelwerk eines größeren Retailers kann Stunden von Suchaufwand nach sich ziehen. Konversationelle Large Language Models (LLMs) liefern kontextbezogene Antworten für die Praxis – etwa bei Umbau-Regeln – und markieren relevante Updates. Dies verkürzt die Einarbeitungszeit und stabilisiert die Prozesse.

  4. Konsolidierungen, Zahlungs- und Rechnungsabgleiche sowie externe Marktdatenanalysen binden viele Stunden im Backoffice. Agentenbasierte Pipelines übernehmen Abruf, Bereinigung und Standardberechnungen mit Whitelists für Quellen. Erfahrungswerte aus der Mode-Finance zeigen rund einen halben Arbeitstag Effizienzgewinn pro Woche, besonders an Monats- und Quartalswechseln.

  5. In sauber dokumentierten Rest- und Halbfertigbeständen kann KI auf Basis von freigegebener Stücklisten-Alternativen produktionsfähige Varianten ableiten, um im Sinne der Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit Vorhandenes voll auszuschöpfen.

Ein sicherer Startpunkt für die KI-Einführung sind Workflows, in denen externe Informationen verarbeitet werden. Die konsequente Überprüfung durch menschliche Mitarbeitende („Human in the loop“) verhindert, dass sich etwaige KI-Halluzinationen in die nächsten Prozessschritte fortpflanzen.

Keine Transformation ohne Leitung

Ein Digitalisierungsprojekt wie die Einführung von KI gelingt nur mit einem professionellen Change Management, das die Unternehmenskultur ebenso einbindet wie die IT. Denn solche Modernisierungen betreffen weit mehr als Design und Operations. Einkauf, Logistik, Retail, Finance und Compliance spüren die Effekte – oft Monate später, ohne vorbereitet zu sein. Frühzeitiges Onboarding reduziert Widerstände: Stakeholder werden von Beginn an informiert, Auswirkungen transparent gemacht, Feedback-Schleifen verankert.

Entscheidend für den Buy-In ist außerdem die Integration des Projekts in bestehende Gremien. Pflegt ein Unternehmen etablierte Jour-fixes oder Steering Committees, fließen Transformationsbausteine idealerweise dort ein. Wenn Neuerungen keine Meeting- Inflation nach sich ziehen, reagieren die Stakeholder erfahrungsgemäß aufgeschlossener.

Für Akzeptanz und korrekte Nutzung auf operativer Ebene sorgen Tools mit hoher Usability, sauberes Wissensmanagement und gezieltes Upskilling – vom Disponenten bis ins Store-Team. Schulungen und klare Rollenbeschreibungen unterstützen Teams, in denen langjähriges Werkbank-Wissen und digitale Verantwortung zusammenkommen.

Durchgängiger Datenzyklus statt Glaskugel

Die Wirkung der Digitalisierungsmaßnahmen zeigt sich an Abverkaufsquoten und Nichtverfügbarkeitsraten je Standort, an Inventory Turns und dem Anteil überalterter Bestände, an der Prognoseverzerrung und der Metrik zur Bewertung der Genauigkeit von Prognosemodellen (MAPE – Mean Absolute Percentage Error) je Kategorie. Liefertermintreue und Varianz je Lieferant spiegeln die Steuerungsqualität in Beschaffung und Logistik. In Content- und VM-Prozessen geben Such- und Durchlaufzeiten sowie Wiederverwendungsraten den Takt; auf Datenebene zählen DPP-Vollständigkeit und Stammdaten-Qualität.

Wenn Governance und IT an einem Strang ziehen, Daten eine gemeinsame Sprache sprechen und KI gezielt Reibungskosten adressiert, entsteht ein stabiler Steuerungsmodus. Systeme führen den Prozess und Teams entscheiden auf Basis konsistenter Signale. Dann werden Digitalisierung und KI von Kostentreibern zu konkreten Hebeln für Kosteneffizienz.


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