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Schweizer Regierung setzt vorerst auf Branchenlösung bei Textilabgabe

Die Schweizer Regierung plant vorerst keine obligatorische Recyclinggebühr angesichts zunehmender Altkleiderberge. Aber wie weit ist die Branche?
Von Weixin Zha

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Bundesgebäude in Bern. Credits: Unsplash / Andreas Fischinger

In der Schweiz mehren sich die Stimmen, die Textilbranche an den Kosten der wachsenden Altkleiderberge zu beteiligen, um ein zirkuläres Verwertungssystem vor Ort zu finanzieren. Die Bundesregierung setzt bei diesem System erweiterter Produzentenverantwortung vorerst auf eine Lösung aus der Branche.

„Die Politik bevorzugt privatwirtschaftliche Lösungen. Daher wird der Bund vorläufig kein obligatorisches System einführen und die Entwicklung der privaten Branchenorganisation beobachten”, schreibt eine Sprecherin des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) auf Anfrage von FashionUnited.

Dabei verwies das BAFU auf die Brancheninitiative Fabric Loop, die sich seit November zusammengeschlossen hat. Sie baut eigenständig ein Kreislaufwirtschaftssystem auf, das mit einem vorgezogenen Recyclingbeitrag von Unternehmen finanziert werden soll.

Bund muss Branchenlösung noch anerkennen

Ganz ohne die Mitwirkung des Bundes wird es aber nicht gehen. Fabric Loop fordert, dass alle in der Schweiz tätigen Textilunternehmen das von der Branche entworfene Kreislaufwirtschaftssystem mitfinanzieren sollen. Die Entrichtung der Beiträge sollte obligatorisch sein, um “Trittbrettfahrer” zu vermeiden, sagt Nina Bachmann, Präsidentin von Fabric Loop.

Das kann aber nur geschehen, wenn der Bund die “Allgemeinverbindlichkeit einer Branchenlösung” anerkennt. Dafür muss sie ausreichend Textilunternehmen umfassen – das regelt die Marktabdeckungsvorschrift in den Änderungen des Umweltschutzgesetzes von März 2024. Eine Branchenvereinbarung muss mindestens 70 Prozent des inländischen Marktes und mindestens 50 Prozent der relevanten inländischen Marktteilnehmenden der entsprechenden Branche abdecken, heißt es dort.

Bisher hätten 16 Unternehmen die Mitgliedsvereinbarung von Fabric Loop unterschrieben, weitere seien bereits kurz davor, so Bachmann. Unternehmen wie die Outdoormarken Odlo und Mammut sowie Unterwäscheanbieter Calida gehören zu den Gründungsmitgliedern. Mindestens 50 Prozent inländische Marktteilnehmende bei Fabric Loop zu versammeln, hält sie für realistisch. Mindestens 70 Prozent des Schweizer Textil-Marktes abzudecken sei schwieriger, aber das müsse noch angeschaut werden, fügt sie hinzu.

„Es ist schwierig, das System zu erklären, es braucht auf jeden Fall viele Gespräche, viel Fleisch am Knochen und Beispiele, damit die Leute verstehen, um was es hier geht”, sagt Bachmann in einem Gespräch mit FashionUnited. „Es braucht etwas mehr Zeit, aber wir sind zuversichtlich, dass wir mehr Unterstützer:innen bekommen."

Wann könnte es losgehen?

Fabric Loop spricht seit Anfang des Jahres mit Textilsammelunternehmen, Gemeinden und dem BAFU. Die Vereinigung hofft, Anfang 2027 mit der Erhebung der Textilabgabe zu beginnen. Dafür müsste der Bund die Allgemeinverbindlichkeit einer Branchenlösung etwa in der zweiten Hälfte 2026 anerkennen.

In der Zwischenzeit hat Fabric Loop noch viel zu tun. Die Brancheninitiative untersucht, inwiefern der in der Schweiz anfallende Textilmüll beispielsweise angesichts der Energiekosten oder seiner Qualität recycelt werden kann. Eine Materialfluss-Analyse und ökologische Bewertung (Life Cycle Assessment) des Schweizer Textilmarkts ist noch in Arbeit und soll mehr Klarheit in die noch lückenhafte Datenlage bringen.

Die bisher verfügbaren Zollzahlen bezögen sich auf die Produktart der Textilien – wie Oberbekleidung oder Heimtextil – aber nicht auf ihre Materialzusammensetzung, so Bachmann. Um den Kreislauf durch Sortieren und Wiederverwertung vor Ort zu schließen, braucht es aber auch Informationen über die Art und Menge und Zusammensetzung der Materialien, welche in die Schweiz gelangen und wie diese weiter verwertet werden können.

Auch praktische Fragen gilt es in den folgenden Monaten noch zu klären, beispielsweise: Welche Ziele könnten sich die Mitglieder von Fabric Loop für das Kreislaufwirtschaftssystem vorstellen und wie sollte es aussehen? Wie hoch sind die Recylingbeiträge, die anfallen und wie sollen sie erhoben werden? Und welches EDV-System soll dazu genutzt werden? Was wird zuerst aus der Textilabgabe bezahlt?

Kreislaufwirtschaft als Geschäftsmodell

Bisher werden pro Jahr fast 100.000 Tonnen Textilien pro Jahr in der Schweiz weggeworfen, wie ein im April veröffentlichter Bericht des Bundesrats zusammenfasst. Fast 40 Prozent davon landen im Hausmüll und werden direkt verbrannt. Von den gesammelten 60.000 Tonnen an Altkleidern wären 60 Prozent noch weiter tragbar, aber nur ein geringer Teil wird überhaupt in der Schweiz sortiert, weil die Personalkosten zu hoch sind.

Ein lokales Kreislaufwirtschaftssystem könnte verhindern, dass Alttextilien in andere Länder exportiert werden und Schaden anrichten. Ein vorgezogener Recyclingbeitrag könnte beim Aufbau eines zirkulären Ökosystems mit automatisierten Sortieranlagen und Recyclingmaschinen in der Schweiz helfen. Diese Technologien rentieren sich bisher selten, aber könnten zukunftsweisende Geschäftszweige für die heimische Textilindustrie darstellen.

„Schweizer Textilunternehmen führen schon selbst Kreislaufprojekte durch, aber können diese kaum kosteneffizient an den Markt bringen. Das ist einfach zu teuer, wenn ein Unternehmen das alleine macht”, sagt Bachmann. Sie ist auch Mitglied in der Geschäftsführung des Branchenverbandes Swiss Textiles und dort zuständig für die Themen Nachhaltigkeit und Technologie. „Eine solche Systemlösung bietet viel größere Chancen, Verantwortung zentral zu regeln und mit eigenen Lösungen, die Unternehmen entwickeln, zu profitieren. Es kann auch ein Business Case sein."

Textilsammelunternehmen unter Druck

Die Zeit drängt, ein neues System für das Sortieren und Verwerten von Alttextilien aufzubauen. Noch scheint das bisherige System der Separatsammlung in der Schweiz zu funktionieren, aber es kommt wie in anderen europäischen Ländern unter Druck.

Die Menge der weggeworfenen Textilien steigt seit Jahren, während ihre Qualität durch mehr Billigmode abnimmt. Hinzu kommt, dass Menschen selbst in zunehmendem Maße höherwertige Kleidung online verkaufen oder in lokale Boutiquen geben. Die Einnahmen der Sammelunternehmen sinken damit pro Kilo. Stets mehr Länder untersagen auch den Import von Alttextilien, weil sie der heimischen Industrie und der Umwelt schaden, wie zuletzt Uganda.

Die erzielten Erlöse kamen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie weiter unter Druck. Während der Pandemie haben viele Menschen ihre Kleiderschränke aufgeräumt, aber zugleich waren viele Landesgrenzen für den Export geschlossen – das Überangebot führte zu fallenden Preisen für gesammelte Textilien. Als Folge bat beispielsweise Texaid die Gemeinde Freienbach zeitweise um einen Verzicht auf ihre vertraglich zustehenden Altkleidererlöse von 0,25 Schweizer Franken pro Kilo und handelte einen neuen Vertrag mit niedrigeren Abgaben aus, wie ein Auszug aus einem Gemeinderatprotokoll vom Oktober 2021 zeigt.

Eine Frage der Zeit

Es muss also bald eine Lösung her. Bisher waren die Kantone für die Entsorgung von Alttextil unter dem sogenannten Siedlungsabfallmonopol zuständig. Diese Aufgabe haben sie meist an die Gemeinden abgegeben, die wiederum private Unternehmen wie Texaid oder Tell-Tex mit der Sammlung und Verwertung von Alttextilien beauftragt haben.

Das Abfallmonopol soll nun unter bestimmten Voraussetzungen gelockert werden, dann dürften Siedlungsabfälle künftig durch private Anbieter gesammelt werden. Das sei im noch nicht rechtskräftigen Artikel 31b Absatz 4 E-USG festgehalten, darauf weist das BAFU hin.

Diese gesetzliche Änderung ebnet den Weg für ein neues und lokales Kreislaufwirtschaftssystem. In den europäischen Staaten wie Frankreich und den Niederlanden wurde bereits ein System Erweiterter Produzentenverantwortung (EPR) eingeführt, welches Textilunternehmen mit einer Recyclingabgabe an den Kosten der Entsorgung ihrer Produkte beteiligt. Die Europäische Union arbeitet ebenfalls an Regeln für die Textilbranche.

„In der EU entsteht ein EPR-System”, sagt Bachmann. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Schweizer Gemeinden nicht mehr bereit sind, die Verantwortung für die Materialverwertung zu tragen, wenn in der EU alle Unternehmen mitfinanzieren."

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