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Scayle-CEO: „Die Zeiten, in denen es im Commerce nur um Umsatzwachstum ging, sind vorbei“

Von Regina Henkel

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Business |Interview

Tobias Ring, Co-CEO bei Scayle. Bild: Julia Tiemann

Erstmals seit 15 Jahren sind die Umsätze im deutschen E-Commerce nicht gewachsen. Die Zeiten des Wachstums im deutschen Onlinehandel seien vorerst vorbei, lautete vor wenigen Tagen die Analyse des EHI zu den Umsätzen im Onlinehandel 2022. Dieser rückläufige Trend soll sich auch in diesem Jahr weiter fortsetzen. Wie sieht es also aktuell aus im Fashion-Onlinehandel? Und was können Unternehmen jetzt tun, um ausbleibende Umsätze zu kompensieren? Wir haben Tobias Ring, Co-CEO bei Scayle, danach gefragt. Scayle, einst das B2B Shopsystem innerhalb von About You, ist seit August ein Tochterunternehmen der Hamburger About You Gruppe und agiert eigenständig.

Herr Ring, wie geht es dem E-Commerce aktuell? Die Kaufzurückhaltung verfestigt sich, erstmals ist der deutsche Onlinehandel rückläufig. Spüren Sie das?

Tobias Ring: Der Corona-Effekt hat sich inzwischen nivelliert, sodass der E-Commerce insgesamt gesehen fast wieder dort steht, wo er vorher stand. Das spüren natürlich viele Marken und Händler:innen und damit teils auch wir, weil notwendige Migrationsprojekte vollständig verschoben oder sehr zögerlich angegangen werden. Gleichzeitig platzieren sich gerade jetzt neue große Player wie Shein oder Temu auf dem europäischen Markt mit sehr starken Plattformen und aggressiven Marketingmaßnahmen. Die Zurückhaltung der etablierten europäischen Player, in eine moderne Commerce-Plattform zu investieren, ist daher aus unserer Sicht sehr gefährlich.

Im internationalen Vergleich stehen viele europäische Länder aktuell besser da. Wie wichtig ist es, jetzt dort präsent zu sein, und lässt sich das schnell umsetzen?

Das kann man natürlich nicht so pauschal sagen. Dazu muss der Markt erst einmal evaluiert werden für die eigene Zielgruppe. Wenn man sich erst einmal für eine Internationalisierung entschieden hat, kommt es auf den eigenen Tech-Stack an. About You plant beispielsweise im Schnitt mit einem Time-to-Market von drei Monaten für einen voll lokalisierten Shop. Bei Scayle ist das möglich, da wir auf eine moderne, flexible Headless-Technologie mit API-First setzen und dies kombinieren mit einem breiten Spektrum existierender Integrationen wie zum Beispiel Zahlmethoden und umfangreichen Funktionen. Business-seitig bedeutet ein neuer Markt jedoch immer sehr hohe Aufwände bei der Entwicklung von Markenbekanntheit sowie der Neukundenakquise. Das sind Aufwände, die sich meist erst nach mehr als zwei Jahren amortisieren und daher oft in der Evaluation gegen andere Projekte, beispielsweise den Aufbau eines Loyalty-Programms, nicht als Gewinner hervorgehen.

Welche Maßnahmen sollten Retailer in solchen schwierigen Zeiten treffen?

Generell sind es zwei wesentliche Maßnahmen, die Retailer ergreifen sollten. Erstens sollten sie einen verstärkten Fokus auf ihre Profitabilität legen. Die Zeiten, in denen es im Commerce nur um Umsatzwachstum ging, sind vorbei. Jetzt gilt es, Geld zu verdienen. Dabei sollten zum einen die Total Cost of Ownership der genutzten Commerce-Technologie analysiert werden und gleichzeitig sämtliche Business-Hebel auf den Prüfstand kommen, wie Logistik, Marketingaufwendungen und so weiter. Zweitens geht es darum, die eigene Flexibilität zu erhöhen, um schnellstmöglich auf Marktveränderungen reagieren zu können. Es ist für uns alle ungewiss, was in fünf Jahren das bevorzugte Device für Endkund:innen sein wird. Ist es immer noch das Smartphone? Oder kaufen wir mit unserer Brille ein? Auf beides sollten wir vorbereitet sein.

Wo gibt es Hebel, die Retailer nun nutzen können, um rückläufige Umsätze zum Beispiel mit steigender Profitabilität zu kompensieren?

Im E-Commerce gibt es zahlreiche Hebel, die große Plattformen wie Zalando oder About You bereits erfolgreich umsetzen. Wir beraten unsere Kund:innen immer stärker zu diesen Themen mit unserem Business-Partnership-Team, da vor allem in ökonomisch schwierigen Zeiten die Nachfrage nach Rat sehr hoch ist. Ein Beispiel aus dem Marketing ist die Nutzung von produktbasierten Rabatten, anstatt grundsätzlich Prozente auf das gesamte Sortiment zu geben. Das ermöglicht eine genauere Steuerung, um Bestand zu reduzieren und den Umsatz zu steigern, ohne sich dabei die Margen kaputt zu machen. Top-Seller benötigen keine Rabatte, um sich zu verkaufen. Slow-Seller lassen sich mit etwas Anreiz einfach besser verkaufen – gerade wenn das Lager voll ist. Versandkosten unter einem Mindestbestellwert können auch eine Möglichkeit sein, um profitabler zu werden. Darüber hinaus ist das Thema Loyalty, also mehr aus seinen Bestandskund:innen rauszuholen, ein wesentlicher Erfolgsfaktor. In Zeiten, in denen Marketingaufwände reduziert werden und folglich weniger Neukund:innen gewonnen werden können, geht es darum, die bestehenden Kund:innen bestmöglich zu betreuen und aktiv Angebote zu bieten.

Inwieweit ist Technologie hier ein wichtiger Ansatz, um dieses Ziel zu erreichen?

Technologie spielt eine große Rolle für eine langfristige Kostensenkung und nachhaltige Profitabilität. Dazu benötigt man nicht einmal besonders ausgefallene Funktionen, die mit KI gesteuert werden. Die größten Herausforderungen sind meist sehr zentral im Kern ihres Systems verwachsen und haben eine lange Geschichte, wie etwa, dass nicht das gesamte Sortiment zentral verfügbar ist und so nicht gleichermaßen online und offline abverkauft werden kann. Das Stichwort lautet hier Differenzierung. Marken und Händler müssen die “Hände frei haben”, um sich auf differenzierende Themen zu konzentrieren, wie etwa die Aktivierung von Kund:innen mit Loyalty-Programmen. Je weniger Ressourcen und Zeit sie daher in die Basis-Funktionen für Wartung und Weiterentwicklung stecken müssen, desto mehr können sie in das investieren, was sie auf die Überholspur bringt. Klingt logisch. Ist manchmal jedoch schwer umzusetzen, wenn das eigene System nicht flexibel genug ist oder zu wenig Funktionen bietet.

Onlinehandel in Deutschland ist erstmals rückläufig. Bild: Cottonbro für Pexels

Wie entwickelt sich das Marktplatzgeschäft bei Ihren Kund:innen? Sehen Sie, dass Retailer aktuell stärker selbst Marktplatz werden möchten – um etwa Umsätze zu pushen? Oder gibt es andere Gründe?

Umsätze durch ein größeres Sortiment sind natürlich ein Argument für einen eigenen Marktplatz. Aber auch eine gesteigerte Kund:innenbindung dadurch darf man nicht unterschätzen. Ein größeres Sortiment mit kontinuierlich neuen Produkten, das genau auf die eigene Zielgruppe abgestimmt ist, sorgt natürlich dafür, dass Endkund:innen öfter Neues oder passende Zusatzartikel entdecken können – ohne hohes Investment seitens des Retailers. Darüber hinaus sind es vor allem attraktive, hoch profitable B2B-Services, die als Marktplatzbetreiber erbracht werden können, wie beispielsweise aus dem Verkauf von Werbeflächen oder Logistik-Angeboten. Aus diesen Gründen sehen wir weiterhin sehr viele Anfragen zu unseren Marktplatz-Funktionalitäten, auch wenn dies ebenfalls ein Großprojekt darstellt.

Wenn man sich die Marktplatz-Landschaft im Fashionbereich ansieht, gibt es hier neue Player am Markt? Wen sollte man im Auge behalten?

Temu und Shein hatte ich ja bereits erwähnt. Hinzu kommt noch Trendyol. Alle drei sind echte Powerhouses, was Technologie und Marketing angeht. Aktuell ist Temu im Fashion-Bereich noch vergleichsweise schwach, setzt aber konsequent auf ein Discovery-Modell, das es in sich hat mit viel Gamification und Social-Media-Marketing. Bei Shein muss man mit einem Kickstart als Marktplatz rechnen, da auch hier stark ins Marketing investiert wird, insbesondere im Bereich Influencer. Über die Qualität bei Temu und Shein kann man natürlich streiten, aber insbesondere die niedrigen Preise dort sind für viele Marken kein attraktives Umfeld. Trendyol dagegen kann man am ehesten mit etablierten Fashion-Marktplätzen bei uns vergleichen. Das “türkische Amazon” hat gerade Rückenwind, aber in puncto Internationalisierung noch einen ganzen Weg vor sich. Der Mobile-First-Ansatz spricht natürlich gerade jüngere Zielgruppen an und auch hier sehen wir hohe Marketingaufwände. In Panik verfallen sollte man als Marke jetzt jedoch nicht. Von neuen Playern kann man auch lernen – und sich gleichzeitig auf seine eigenen Stärken konzentrieren. Dazu sprechen wir aktuell mit vielen unserer Kund:innen sehr intensiv und beraten sie.

Die Business-Unit Scayle ist seit August eine eigenständige Tochtergesellschaft der About You Group. Warum haben Sie diese Änderung vorgenommen?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen stärkt die Ausgliederung von Scayle unsere Markenidentität, sodass wir uns noch genauer auf unsere Positionierung und Abgrenzung zum Wettbewerb konzentrieren können. Zum anderen schafft dieser Schritt bei unseren Teams eine klare Orientierung, wohin die Reise gehen soll als Technologie-Anbieter. Beides wird sich schlussendlich auch in einem noch besseren Produkt widerspiegeln. Und davon profitieren nicht nur wir, sondern auch unsere Kund:innen.

Warum hat die Ausgliederung gerade jetzt stattgefunden?

Das Interesse an Scayle ist in den letzten eineinhalb Jahren enorm gestiegen. Wir konnten viele namhafte Kund:innen gewinnen. Darunter zum Beispiel Deichmann, Fielmann oder der FC Bayern, die alle bei uns bereits mit Shops live gegangen sind, obwohl es sich dabei teils um große Migrationsprojekte handelt. Zudem haben wir inzwischen einen strukturellen Reifegrad erreicht, der es uns ermöglicht, unser Wachstum mit mehr Flexibilität und Autonomie noch weiter zu beschleunigen. Daher war jetzt einfach der perfekte Zeitpunkt.

Wo gibt es Berührungspunkte zwischen About You und Scayle?

Der About You Online-Fashion-Store ist nicht nur einer unserer Kund:innen, sondern auch Teil unserer Retail-DNA. Hier werden viele neue Kernfunktionalitäten zuerst getestet, sodass sie sich bei Rollout bereits am Markt bewährt haben. Und im Falle von About You sind das gleich 28 Länder in Europa. Darüber hinaus sind viele Scayle-Mitarbeiter:innen ehemalige About-You-Mitarbeiter:innen, die über ein tiefes Verständnis des Retail-Geschäfts verfügen. Dies gilt sowohl für die Produktentwicklung als auch den Service-Bereich. Es ist ein großer Vorteil, dass wir selbst aus einem Commerce-Unternehmen kommen und somit nicht nur die Probleme von Marken und Retailern sofort verstehen, sondern auch direkt die Lösungen dazu entwickeln können. Das hören wir von unseren Kund:innen immer wieder. Inzwischen arbeiten wir auch sehr eng mit anderen Kund:innen zusammen – insbesondere wenn es um die Weiterentwicklung spezieller Use Cases geht, zum Beispiel bei unserem Omnichannel-Add-on.

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