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Retouren-Skandal: Investigativ-Journalist:innen beschuldigen Zalando

Von Regina Henkel

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Business|Aktualisiert
Foto: Zalando

Zalando ist zur Zielscheibe von Investigativ-Journalist:innen geworden, die GPS-Tracker in Retouren versteckt haben. Der Vorwurf: Zalando vernichte systematisch eine hohe Anzahl von Retouren und schicke diese unnötig durch ganz Europa. Was sagt Zalando dazu?

„Zalando täuscht seine Kund:innen und hält seine grünen Versprechen nicht ein“, schreiben Carmen Maiwald und Vanessa Materla, beide Journalistinnen beim Investigativ-Wirtschaftsmagazin Flip. Herausgefunden haben sie das in Zusammenarbeit mit dem Investigativ-Format Vollbild des Südwestrundfunks und der Wochenzeitung Die Zeit. Flip ist spezialisiert auf solche Geschichten: Schon 2021 deckte das Magazin mit der Geschichte „Sneakerjagd“ die Recycling-Lüge bei Sneakern auf, auch damals mithilfe von versteckten GPS-Trackern.

Diesmal wurde also Zalando getrackt, das auf seiner Website immerhin verkündet, dass 97 Prozent der retournierten Modeartikel nach entsprechender Prüfung sowie sorgfältiger Aufarbeitung wieder über den Zalando Shop verkauft würden. Vernichtet würden lediglich weniger als 0,05 Prozent. „Kann das stimmen?“, lautete die Frage, der die Journalist:innen nachgehen wollten.

Retouren werden ins Ausland gebracht – auch um dort vernichtet zu werden?

Mithilfe von GPS Trackern, die in zehn zurückgesendeten Kleidungsstücken versteckt wurden, hat die Gruppe die Wege mitverfolgt, die die einzelnen Retouren zurückgelegt haben. Und siehe da, sieben der zehn Kleidungsstücke sendeten nach wenigen Tagen Signale aus Polen. Der mögliche Grund dafür ist schnell gefunden: In Deutschland ist es seit 2020 verboten, neuwertige Waren und Retouren zu vernichten. Deshalb habe Zalando schon vorab begonnen, „große Teile seiner Retourenabteilung am Standort Erfurt ins Ausland zu verschieben“, schreiben die Autorinnen und berufen sich dabei auf ein Gespräch mit dem Zalando Betriebsrat. Viele Zalando-Retouren seien somit „außer Reichweite der deutschen Justiz“, heißt es weiter.

Was passiert mit den Retouren in Polen? Auch das findet das Journalist:innen-Team heraus. Sie werden sortiert, und teilweise auch vernichtet. Das zumindest ergeben Gespräche mit Angestellten des polnischen Unternehmens. Zahlen über die Menge der vernichteten Kleidungsstücke werden nicht genannt, aber es wird der Eindruck erweckt, als handele sich hierbei um weitaus mehr als nur die genannten 0,05 Prozent.

Zalando: absatzmarktnahe Retourenzentren, keine systematische Vernichtung

In einem ausführlichen, fast vierseitigen Statement und zwei Telefonaten versucht Zalando, das entstandene Bild wieder gerade zu rücken, das laut einem Sprecher von Zalando weit weg sei von der Realität. So gäbe es in Europa über 20 spezialisierte, absatzmarktnahe Retourenzentren, die keinesfalls alle in Polen lägen, wie der Bericht suggeriere, sondern beispielsweise auch in Münster, Manchester und Tallinn. „Wir versuchen den Transport der Retouren so effizient wie möglich zu gestalten, um einen schnellen Wiederverkauf der retournierten Artikel zu ermöglichen und gleichzeitig die Logistikkosten gering zu halten. Dabei stützen wir uns nicht auf theoretische Annahmen, sondern auf Daten u.a. zum Kaufverhalten unserer über 50 Millionen Kund:innen sowie fast 15 Jahre praktische Erfahrung im Retourenmanagement. Auf dieser Basis entwickeln wir unsere Prozesse kontinuierlich weiter“, schreibt Zalando in seinem Statement.

Und wie viel vernichtet Zalando tatsächlich? Zalando: „Beim Umgang mit Retouren erfüllt Zalando die Obhutspflicht gemäß des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) vollumfänglich. Uns ist wichtig, dass jeder Artikel eine Chance auf eine Wiederverwendung findet, denn: Die Vernichtung von Waren und Retouren entbehrt nicht nur jeder kaufmännischen Logik, sondern widerspricht insbesondere auch unserem Verständnis von nachhaltigem Wirtschaften.“

Zalando kam 2021 auf über 250 Millionen Bestellungen. Rund 50 Prozent der bestellten Artikel werden durchschnittlich retourniert. Bei diesen Mengen sei eine deutlich höhere Quote an vernichteten Artikeln wirtschaftlich nicht tragbar, erklärt der Sprecher. Schließlich verliert Zalando damit nicht nur Umsätze, sondern müsse auch noch die Kosten der Entsorgung tragen. Zalando bleibt also dabei: 97 Prozent der Retouren fließen tatsächlich wieder in die eigenen Shops, entweder den Zalando Shop oder die Zalando Lounge.

Doch eine Sache muss Zalando einräumen: Als Plattform kann Zalando natürlich nur für die Retouren sprechen, die es selbst abwickelt. Die kommunizierte Zahl 97 Prozent gilt also nur für die Artikel aus dem Zalando Wholesale-Geschäft sowie für Artikel von den Partnern, die Zalando Logistics Solutions nutzen. Von den über 1.600 Marken und Händler:innen des Zalando Partnerprogramms nutzen derzeit rund die Hälfte die Zalando Logistics Solutions und wickeln also Retouren über Zalando ab. Was die anderen mit ihren Retouren machen, weiß Zalando nicht, nennt diese Einschränkung aber auch nicht explizit.

LKWs als Retourenlager: Schickt Zalando LKWs unnötig durch ganz Europa?

Die Investigativ-Recherche erhebt noch einen weiteren Vorwurf: Zalando nutze LKWs im Sinne von „Predictive Analytics“, also vorhersagender Analytik. Denn eine Retoure kommt während des Trackings auf eine Wegstrecke von rund 7.000 Kilometern – von Polen nach Schweden, nach Dänemark, Deutschland und wieder nach Polen. Der Verdacht: „Jede Fahrt mit dem Lkw beruhe auf einer Spekulation, wo das Kleidungsstück als Nächstes am ehesten bestellt werden könnte. Die Vorhersagen treffe ein Algorithmus, der darauf programmiert sei, für eine möglichst schnelle Lieferung zu sorgen. Die Transporter kreisten dafür ständig durch ganz Europa. Zalando bestätigt diese Vorgehensweise“, schreibt Flip. Zudem seien die Retourenzentren von Mode-Onlinehändlern mitunter überfüllt, zitiert Flip einen Experten, und „was nicht mehr reinpasst, werde daher schnell wieder in einen Lkw verfrachtet und auf eine Reise quer durch die Absatzmärkte geschickt.“ Das heißt: „Die Lkw dienen im Endeffekt als Lagerräume für Zalando“.

Was sagt Zalando? Zwar arbeite man beim Retourenmanagement datengestützt, sagt Zalando. Und auch der Versand der Retouren erfolge nicht direkt aus den Retourenzentren heraus, sondern wiederum aus spezialisierten Logistikzentren, von wo aus die Produkte die Reise zu den Kund:innen antreten. Aber die Vorstellung, Zalando schicke eine Armada an LKWs als Retourenlager durch Europa, stimme jedoch nicht, so der Sprecher. Das sei schon deshalb widersinnig, weil Zalando keine eigene LKW-Flotte betreibe. Zudem sei Zalando ja selbst Logistik-Unternehmen, das als Dienstleister für Partner arbeite. Hätte man keine Kapazitäten, würde man das nicht machen.

Wie kommen also die 7.000 Kilometer zustande? Zalando erklärt: „Die bearbeiteten Retouren werden für die nächste Bestellung nicht direkt aus den Retourenzentren verschickt, sondern zunächst in großer Stückzahl gebündelt und innerhalb unseres Netzwerks wieder in eines der Logistikzentren gebracht, wo sie dann die Reise zu unseren Kund*innen antreten. In welchem unserer Logistikzentren die Artikel eingelagert werden, entscheiden wir unter anderem danach, wie wahrscheinlich ein Wiederverkauf in der Region des entsprechenden Standortes bzw. Marktes ist. Es kann daher vorkommen, dass ein retournierter Artikel vergleichsweise längere Strecken zurücklegt, um den Wiederverkauf und somit die weitere Nutzung zu ermöglichen: Das erklärt auch die beobachteten Transportwege der nachverfolgten Artikel."

Versuch eines Fazits

Zalando wehrt sich gegen den Vorwurf, seine Kund:innen bewusst zu täuschen und Greenwashing zu betreiben. Das war nicht weiter überraschend. Warum also die ganze Geschichte? Zum einen erscheint der Standpunkt von Zalando zumindest in einigen Punkten plausibel und daher berichtenswert. Zum anderen ist es auch aufschlussreich, welche Strecken einzelne Produkte offenbar zurücklegen und wie schwer es für Mode-Onlinehändler ist, nachhaltiger zu werden und CO2-Emissionen zu senken. Denn auch die Kompensation von Emissionen ist ja inzwischen fragwürdig geworden, das wissen wir auch nur dank investigativer Journalist:innen. Der weitaus wichtigere Punkt für diesen ausführlichen Bericht ist aber folgender: Letztlich dient diese Diskussion dem Erkenntnisgewinn. Es ist daher durchaus ratsam, den Investigativ-Bericht zu lesen und selbst zu beurteilen, ob so die Realität des Modehandels aussieht, und wenn ja, ob sie so bleiben soll. Nachhaltigkeit ist wichtig, aber sie ist auch „Work in Progress“. Wer sich auf den Weg macht, nachhaltiger zu werden, und darüber spricht, macht sich immer auch zur Zielscheibe. Auch das muss man dabei berücksichtigen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag wurde am 3. März um 16.25 Uhr mit Informationen von Zalando aktualisiert.
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