Re&Up-Chef: „Die nächsten zwei, drei Jahre werden die spannendsten für die europäische Textilindustrie“
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Re&Up gehört zu den Pionieren des Textil-zu-Textil-Recyclings und zu den wenigen Unternehmen, die schon vor Jahren Recycling-Technologien für Textilien im industriellen Maßstab umgesetzt haben. Das ist umso erstaunlicher, als es Re&Up gelungen ist, sogar Baumwoll-Polyester-Mischgewebe in ihre Bestandteile zu trennen und die Rohstoffe in neue Garne umzuwandeln.
Hinter dem niederländischen Unternehmen steht die Sanko Holding, einer der größten Mischkonzerne der Türkei. Deren Textilsparte, zu der der Garn- und Stoffhersteller Sanko Textile und der Denimweber Isko gehören, nutzt die Recyclinggarne von Re&Up für die eigene Produktion. Doch Re&Up hat größere Pläne. FashionUnited hat mit Andreas Dorner, General Manager von Re&Up, darüber gesprochen, wie sich das Textil-zu-Textil-Recycling weiterentwickelt hat, warum neue Kriterien für die Nachhaltigkeitsbewertung von Recyclingfasern nötig sind und was er von der künftigen EU-Gesetzgebung erwartet.
Herr Dorner, wie und wann ist die Idee zu Re&Up entstanden?
Die Technologie für Re&Up wurde vor etwa zehn Jahren aus der Notwendigkeit heraus entwickelt, einen Weg zu finden, die in der Sanko-Gruppe anfallenden Baumwollproduktionsabfälle wiederzuverwenden. Auf unserem Weg haben wir viele Entdeckungen gemacht, insbesondere im Bereich der Maschinen und der Qualitäten, die für ein erfolgreiches Recycling von Baumwolle erforderlich sind. Da Isko Denim herstellt, mussten wir uns auch mit Fragen des Färbens und Ausrüstens befassen.
Am Anfang war das Angebot an recycelten Fasern auf dem Markt sehr begrenzt – es gab hauptsächlich mechanisch recycelte, vorgefärbte Baumwolle in Rot, Blau oder Grün. Das war nicht das, was die Textilherstellenden brauchten. Also fingen wir an nachzudenken: Wie können wir diese Fasern entfärben? Und nicht nur das. Schließlich gelang es unserem F&E-Team, nicht nur die Farbe, sondern auch das Elastan aus einem baumwollreichen Stoff (zum Beispiel 80 Prozent Baumwolle, der Rest Polyester und Elastan) zu entfernen, so dass wir sowohl Baumwolle als auch Polyester wiederverwenden konnten.
Wie hoch ist nun der Anteil an recycelter Baumwolle in Ihren Garnen und Stoffen?
Unser Ziel ist es, nicht nur ein Garn aus 100 Prozent recycelter Baumwolle herzustellen, sondern Mischungen mit einem Anteil von 10 bis 30 Prozent, die eine hervorragende Leistung bieten. Isko hat ein Garn entwickelt und patentiert, dessen Kern aus einem recycelten Polyesterfilament besteht, das mit recycelter Baumwolle und Viskose umwickelt ist. Dieser Polyesterkern ist für die Stabilität des Garns unerlässlich.
Re&Up ist dann aber als eigenständiges Unternehmen etabliert worden. Warum?
Es kann schwierig sein, dieses Produkt einem Denim-Herstellenden zu erklären. Und mit der Zeit wurde klar, dass die EU bald einen bestimmten Anteil an recycelten Fasern vorschreiben könnte, was die Nachfrage auf dem Markt erhöhen würde. Das hat uns dazu veranlasst, Re&Up als eigenständiges Unternehmen außerhalb der Sanko Group zu gründen, mit offiziellem Sitz in den Niederlanden. Der Markt für recycelte Fasern wird derzeit auf etwa 40 Millionen Tonnen pro Jahr geschätzt, und wir streben eine Produktion von etwa einer Million Tonnen oder mehr an.
Sie bewegen sich also nicht mehr in der Phase der Testproduktion, wie viele andere Unternehmen?
Nein. Bei Re&Up bauen wir nicht nur Pilotanlagen für die Produktion in kleinem Maßstab, sondern wir fahren die Produktion sofort hoch. Dies war von Anfang an unerlässlich, da Isko und Sanko allein für ihre Produktion große Mengen an Next-Gen-Fasern benötigen. Die Produktion in solchen Mengen ist außerdem kosteneffizient, was für den Erfolg von recycelten Garnen und Stoffen von entscheidender Bedeutung ist.
Sie haben erwähnt, dass Sie nicht nur Baumwolle, sondern auch Polyester zurückgewinnen. Sie können auch Polyester recyceln?
Wir können Polyester nicht ignorieren – es ist nun einmal auf der Welt. Bei der Entwicklung unserer Polyesterkern-Garntechnologie war es uns wichtig, sicherzustellen, dass unser Recyclingverfahren auch für Polyester effektiv ist. Also haben wir ein einzigartiges Verfahren für das Textil-zu-Textil Polyester-Recycling in Zusammenarbeit mit Maschinenhersteller:innen und anderen Partner:innen entwickelt. Dadurch können wir die beiden größten Fasergruppen – Polyester und Baumwolle – als vollständig recycelte und entfärbte Textil-zu-Textil-Produkte anbieten.
Sie haben mit dem Recycling von Produktionsabfällen begonnen. Wie sieht es mit Post-Consumer-Textilien aus?
Es war klar, dass die Behandlung von Post-Consumer-Textilien eine Priorität sein musste. Hier besteht der größte Handlungsbedarf, auch aus gesetzgeberischer Sicht. Also haben wir trotz der Qualitätsprobleme, die sich aus dem Recycling von Post-Consumer-Textilien ergeben, mit dem Recycling von Alttextilien begonnen. Um die Qualität zu stabilisieren, mischen wir immer einen Teil Produktionsabfälle bei, der derzeit etwa zehn bis 15 Prozent ausmacht.
Wir würden gerne zu 100 Prozent Post-Consumer-Garne herstellen, aber das ist oft nicht machbar, weil die Molekularstruktur von Baumwolle nach dem Gebrauch zu kurz ist. Um die Qualität zu verbessern, müssen wir sie mit Post-Industrial-Abfällen ergänzen. Wir sind jedoch bereits in einem fortgeschrittenen Stadium mit unserer Technologie, die ständig verbessert wird, um auch die Festigkeit von Recyclinggarnen mit hohem Anteil von Post-Consumer-Textilien zu verbessern.
Wie sortieren Sie Post-Consumer-Abfälle? Die Sortierung wird ja oft als Herausforderung beschrieben.
Auch dafür mussten wir uns technologisch neu ausrichten. Wir haben einen Ansatz der Rückwärtsintegration gewählt und analysiert, was notwendig ist, um einen optimalen Recyclingprozess zu gewährleisten. Sortierunternehmen arbeiten nach einem auf Wiederverkauf basierenden Geschäftsmodell. Sie extrahieren etwa sieben bis zehn Prozent der Artikel, die als Secondhandware weiterverkauft werden können, und sortieren sie in bis zu 180 Fraktionen. Wir benötigen jedoch nur etwa 20 Sortierfraktionen – baumwolllastige und polyesterlastige Stoffe und einige wenige Farben. Durch die entsprechende Konfiguration der Sortieranlagen können diese viel schneller laufen und die erforderlichen Produktionsvolumen erreichen. Darüber hinaus ist dieser Ansatz kostengünstig.
Was geschieht dann mit den anderen 90 bis 93 Prozent der Produkte, die die Sortierer:innen nicht weiterverkaufen können?
Obwohl die EU die Ausfuhr von unverkauften Waren und Alttextilien reduzieren und sie innerhalb der EU weiterverarbeiten will, finden diese Fraktionen immer noch verschiedene Wege ins Ausland. Es gibt sehr unterschiedliche Kanäle, und die Europäische Umweltagentur hat am 25. März 2025 eine aktuelle Studie dazu veröffentlicht. Ein Großteil davon geht nach Pakistan und über den Nahen Osten nach Afrika. Unverwertbare Teile werden als Füllmaterial verwendet und landen leider meist auf Mülldeponien.
Bezahlen Sie für solche Post-Consumer-Textilabfälle oder erhalten Sie die kostenlos?
Das hängt von den Bedürfnissen des Unternehmens ab. Letztendlich bieten wir der Industrie eine Lösung an, weil sie normalerweise für die Entsorgung oder Verbrennung von Textilabfällen zahlen müsste. Manchmal zahlen wir dafür, weil wir ganz bestimmte Materialien benötigen, auch wenn wir manchmal bestimmte Fraktionen kostenlos erhalten können.
Man muss jedoch vorsichtig sein - wir haben die Auswirkungen beim Konkurs von Soex und anderen Unternehmen gesehen. Es ist wichtig, die Prozesse und Kosten unter Kontrolle zu halten, sonst wird der daraus entstehende Stoff zu teuer für alle, die ihn kaufen möchten. Der Markt entwickelt sich weiter, insbesondere durch die neuen europäischen Vorschriften, die den Export von Abfällen ins Ausland zunehmend erschweren. Das derzeitige Überangebot an Abfällen in Europa wirkt sich zu unserem Vorteil aus.
Was bedeutet es für Sie, wenn große Recycler wie Soex oder neue Akteure wie Renewcell in Konkurs gehen?
Wir sind natürlich daran interessiert, den Fortbestand des Recyclingmarktes zu sichern, und was mit Renewcell und Soex passiert ist, ist ein Rückschlag für alle. Um dieses Problem zu lösen, müssen alle Beteiligten zusammenarbeiten. Deshalb sind Zusammenarbeit und das Eintreten für gemeinsame Interessen so wichtig.
Bei der Betrachtung von Lebenszyklusanalysen (LCA) schneiden Recyclingfasern nicht unbedingt besser ab als Frischfasern. Warum ist das so?
Laut Ökobilanz und PEF [Product Environmental Footprint, Anm. d. Red.] gilt Recycling als ineffizient, weil es mehr Energie erfordert. Hier vergleicht man jedoch Äpfel mit Birnen. Die eigentliche Frage lautet: Was passiert mit den Textilabfällen? Diese existieren nun mal. Ist es besser, sie zu recyceln oder nicht? Ich glaube, wir brauchen andere Messparameter. Betrachtet man zum Beispiel den Wasserverbrauch, so schneiden recycelte Baumwolle und Polyester deutlich besser ab als neue Fasern: Sie benötigen 80 bis 90 Prozent weniger Wasser und 80 Prozent weniger Land.
Wie wichtig sind die neuen EU-Vorschriften für Ihr Geschäftsmodell?
Sie sind entscheidend. Eine der wichtigsten Vorschriften ist die verpflichtende getrennte Sammlung von Textilabfällen, die ab 2025 in ganz Europa durchgesetzt werden soll. Eine weitere wichtige Vorschrift ist die Ökodesign-Richtlinie, von der wir erwarten, dass sie einen bestimmten Prozentsatz an recycelten Fasern in neuen Produkten vorschreibt. Was die Sammlung von Recyclingmaterial angeht, so arbeiten wir eng mit den Brands zusammen. Einige Brands haben einen guten Zugang zu Recyclingmaterial, und Länder wie die Niederlande, Spanien und Frankreich haben bereits starke Recyclinginfrastrukturen aufgebaut.
Die Umsetzung und die Sortierstrukturen sind jedoch von Land zu Land unterschiedlich. Eine Harmonisierung wird von entscheidender Bedeutung sein, aber es ist auch wichtig, übermäßige Bürokratie zu vermeiden. Wir brauchen einen Kompromiss, der anfangs vielleicht nicht perfekt ist, aber der uns den Einstieg ermöglicht. Mit der Zeit werden wir alle lernen, wie wir den Prozess optimieren können.
Welche gesetzlich verbindlichen Recyclingquoten halten Sie für angemessen? Was wäre ein vernünftiger Recyclinganteil für den Anfang?
Ich glaube, dass ein angemessener Prozentsatz zwischen 15 und 20 Prozent liegen würde. Dadurch wird sichergestellt, dass das Produkt in Bezug auf Leistung, Textur und Attraktivität mit Frischfasern vergleichbar bleibt. Man muss berücksichtigen, dass nicht jedes Unternehmen problemlos Recyclingmaterial in seine Produktion integrieren kann.
Daher wäre es unrealistisch, sofort einen Anteil von 50 Prozent zu fordern, zumal Europa noch nicht über das erforderliche Angebot verfügt. Schließlich könnte es auch zu Problemen führen, wenn es zu einer starken Abhängigkeit von importierten recycelten Polyester- oder Baumwollfasern käme, weil dann ja das Kernproblem nicht wirksam angegangen werden könnte. Nämlich unseren eigenen Textilabfall hier in Europa weiterzuverarbeiten. In den nächsten zwei bis drei Jahren, die wahrscheinlich die spannendsten für die europäische Textilindustrie sein werden, wird der Schwerpunkt auf der Schaffung vieler neuer grüner Arbeitsplätze liegen, um die Abfallwirtschaft in Europa effektiv zu gestalten.
Re&Up sitzt in den Niederlanden. Wo produzieren Sie Ihre Garne?
Zurzeit erweitern wir zwei bestehende Fabriken in der Türkei. Sobald diese fertiggestellt sind, werden wir auch zwei Fabriken in Europa errichten, um die Produktion innerhalb der EU zu etablieren und europäische Abfälle für europäische Märkte zu verarbeiten. Die geplanten Standorte werden voraussichtlich Frankreich und Spanien sein, mit einer Kapazität von 60.000 bis 80.000 Tonnen und der Möglichkeit einer weiteren Expansion.
Unser Fokus liegt jedoch nicht nur auf Europa. Wir erwägen auch eine Expansion nach Asien und in den Nahen Osten, wo große Abfallströme zusammenlaufen. Dort könnte eine Drehscheibe eingerichtet werden, um Textilabfälle zu sammeln, bevor sie nach Afrika transportiert werden. Darüber hinaus laufen derzeit Gespräche über Indien und Bangladesch.
In welchem Umfang verwendet der Denimweber Isko recycelte Materialien?
Isko bietet eine breite Palette von Kollektionen mit unterschiedlichen Anteilen an recycelten Materialien an, angefangen bei 20 Prozent. Wir verwenden jedoch immer einen Polyesterkern im Garn. Einige Stoffe enthalten bereits bis zu 80 Prozent recyceltes Material, um zu zeigen, was möglich ist. Das ist zwar noch kein kommerzieller Mainstream, aber auf Nachhaltigkeit bedachte Marken setzen auf höhere Anteile.
Warum ist die Denim-Industrie bei der Verwendung von Recyclingfasern weiter fortgeschritten als andere Branchen?
Denim hat mehrere Vorteile. Garne mit einem Polyesterkern sind für die Spinnereien leichter herzustellen, da sie etwas gröber sein können, was sie für Denim geeigneter macht als für feinere Stoffe. Außerdem ist die Denim-Community sehr umweltbewusst. Es gibt ein starkes Bewusstsein für die Reduzierung des Wasserverbrauchs, wasserfreie Färbeverfahren und die Minimierung des Chemikalieneinsatzes. Ich glaube, das ist der Grund, warum die Recycling-Bewegung in der Denim-Industrie schon viel früher Fuß gefasst hat.
Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie einen Teil Ihres Recyclingmaterials direkt von den Brands beziehen. Könnte es sich dabei auch um neue, unverkaufte Ware handeln?
So wie ich die aktuellen EU-Vorschriften verstehe, gibt es eine klare Richtlinie, dass das Ausgangsmaterial aus Post-Consumer-Ware bestehen muss. Unbenutzte oder überschüssige Bestände sind nicht erlaubt. Würde die EU diese Warenkategorie für das Recycling zulassen, würde sie weiterhin die Überproduktion fördern, was den Grundprinzipien des Green Deal widerspricht.
Wie weisen Sie nach, dass Ihre Stoffe tatsächlich recycelte Fasern enthalten?
Wir verwenden Tracer. Als Faserhersteller befürworten wir physikalische Tracer sehr. Auf diese Weise können wir überprüfen, ob in einem Produkt recycelte Fasern enthalten sind, und einen physischen Nachweis erbringen. Marken hingegen argumentieren oft, dass ein massenbilanziertes, digitales System zur Rückverfolgbarkeit ausreichend wäre. Ich denke aber, auch wenn ein übermäßiger bürokratischer Aufwand vermieden werden sollte, müssen wir doch in der Lage sein, die Frage zu beantworten: Ist der angegebene Inhalt tatsächlich im Produkt enthalten?
Die Verbraucher:innen entscheiden sich bewusst für nachhaltige Produkte, um einen positiven Beitrag zu leisten. Wenn sich herausstellt, dass der angegebene Recyclinganteil nicht stimmt, schadet das dem Vertrauen und verlagert den Fokus allein auf den Preis, was zu einem Wettlauf nach unten führt. Rückverfolgungssysteme sind keine Raketenwissenschaft mehr - jeder kann sie einsetzen.
Aber die Verwendung von Tracern erhöht die Produktionskosten, das scheuen viele.
Natürlich, aber es gewährleistet die Produktsicherheit. Wenn wir den Inhalt eines Produkts in jeder Phase der Lieferkette überprüfen können, bietet dies Sicherheit und schützt die Marken. Stellen Sie sich vor, eine NGO testet ein Produkt und stellt fest, dass es weniger recycelte Fasern enthält als angegeben. Der Imageschaden für die Marken wäre groß, und in den USA könnten sie mit Klagen in Millionenhöhe konfrontiert werden. Ich glaube, es führt kein Weg an der Verwendung von Tracern vorbei.
Was ist Ihr Ziel oder Ihre Vision für die nächsten fünf Jahre?
Unsere Vision ist es, bis 2030 mehr als eine Million Tonnen zu produzieren. Dies hätte enorme Auswirkungen und würde die globalen CO2-Emissionen erheblich reduzieren. Heute entstehen durch Textilabfälle 2,5 Milliarden Kubikmeter CO2 und über eine Milliarde Kubikmeter Abwasser. Ein Großteil davon stammt aus der Baumwollproduktion. Unser Ziel ist es, diese Auswirkungen zu verringern und die Textilabfallberge in Ghana, der Atacama-Wüste und Kenia zu beseitigen.