Parlament lässt Kompromiss zu EU-Lieferkettengesetz platzen
Ein umstrittener Kompromiss zur Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes ist vorerst geplatzt. Eine knappe Mehrheit der Abgeordnet:innen stimmte dafür, noch keine finalen Verhandlungen mit den EU-Staaten aufzunehmen. Damit muss das Parlament im November erneut über den Inhalt des Vorhabens abstimmen. Es könnte in den entscheidenden Verhandlungen mit den EU-Staaten für strengere oder deutlich schwächere Regeln eintreten.
An der Entscheidung ist besonders brisant, dass die EVP, ein Zusammenschluss von christlich-demokratischen und konservativen Parteien in Europa, zu der auch CDU und CSU gehören, die Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen eigentlich im Rechtsausschuss vorher einen Kompromiss ausgehandelt hatten. Die drei Fraktionen arbeiten eigentlich in einer Art informeller Koalition zusammen. Sie haben eine knappe Mehrheit im Parlament. In der geheimen Abstimmung müssen aber Abgeordnete aus den eigenen Reihen von der jeweiligen Fraktionslinie abgewichen sein.
Bei der heutigen Abstimmung im Europäischen Parlament hat es somit keine Mehrheit für das Verhandlungsmandat zur EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) gegeben.
Erpressungsvorwürfe und scharfe Kritik
Der Initiative Lieferkettengesetz zufolge gilt das Scheitern als direktes Resultat einer destruktiven Politik der Europäischen Volkspartei. Diese habe die Richtlinie im Rechtsausschuss systematisch entkernt und zentrale Ambitionen zum Schutz von Menschenrechten und Klima geopfert, so eine Mitteilung am Mittwoch.
„Anstatt Verantwortung zu übernehmen, hat die EVP die Richtlinie so kompromisslos ausgehöhlt, dass selbst Parteien der demokratischen Mitte und die Von-der-Leyen-Koalition nicht mehr zustimmen konnten. Dieses Ergebnis ist nicht Ausdruck fehlender Einigkeit – es ist die Konsequenz der Erpressungstaktik der EVP“, erklärte Heike Drillisch von der Initiative Lieferkettengesetz.
Zudem wirft die Initiative dem EVP-Verhandlungsführer Jörgen Warborn vor, in den Verhandlungen zentrale Bestandteile der CSDDD – von der europaweiten Haftungsregelung bis hin zum Anwendungsbereich – stark eingeschränkt und die Richtlinie damit ihres Kerns beraubt und in eine weitgehend wirkungslose Hülle verwandelt zu haben.
Warborn soll außerdem in den Verhandlungen damit gedroht haben, durch eine Mehrheit mit rechten bis rechtsextremen Kräften noch stärkere Änderungen an dem Vorhaben zu fordern. Auf die Kritik angesprochen, sagte Warborn jüngst bei einer Pressekonferenz: „Ich bin sehr auf die Ergebnisse fokussiert.“ Es sei gut, dass es im Rechtsausschuss eine Mehrheit mit Sozialdemokraten und Liberalen gebe, da sich Europa in einer problematischen Situation befinde.
Drillisch fordert nun, dass die demokratischen Parteien im Europäischen Parlament zügig an den Verhandlungstisch zurückkehren. „Jetzt braucht es echte Kompromissbereitschaft der EVP und konstruktive Gespräche mit den Parteien der demokratischen Mitte“, so Drillisch weiter. Nur so könne das Ziel der Richtlinie – der Schutz von Menschenrechten und Umwelt in globalen Lieferketten – wieder gestärkt werden.
Grüne spricht von Super-GAU
„Das ist der Super-GAU für die EVP“, teilte die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini kurz nach der Abstimmung mit. Das sei ein Denkzettel für die Erpressungstaktik und Drohungen der EVP, mit Rechtsaußen abzustimmen. Auch Sozialdemokraten hätten gegen das Vorhaben gestimmt. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) spricht von einer vertanen Chance, den industriellen Mittelstand zu entlasten.
Im Rechtsausschuss war unter anderem vereinbart worden, dass die Vorgaben nur noch für Großunternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro gelten. Ursprünglich waren als Grenze 1.000 Mitarbeitende und eine Umsatzgrenze von 450 Millionen Euro vorgesehen. Zudem sollen Unternehmen, die gegen die Regeln verstoßen, auf EU-Ebene keiner zivilrechtlichen Haftung mehr unterliegen.
Ziel der EU-Richtlinie ist der Schutz von Menschenrechten
Das europäische Lieferkettengesetz wurde eigentlich bereits vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Nach Kritik von Unternehmen sollen Teile der Richtlinie vereinfacht werden, noch bevor sie angewendet werden. (DPA/FashionUnited)
Dieser Artikel wurde am 22.Oktober um 15.35 mit einer Mitteilung der Initiative Lieferkettengesetz aktualisiert.
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