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Neuer Bericht schlägt 33 Nachhaltigkeitsziele für ein gerechtes Modesystem vor

Von Simone Preuss

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Ist eine erneute Nutzung unserer Kleiderberge möglich? KI-generiertes Bild zur Illustration. Bild: Alicia Reyes Sarmiento//FashionUnited

Watchdog Public Eye schlägt in seinem neuen Bericht „One-Earth Fashion“ 33 konkrete Ziele für ein gerechteres Modesystem vor. Er hebt hervor, dass das Modesystem die Klimakrise, mit der die Erde konfrontiert ist, zusätzlich verschärft.

„Dies führt zu einer Situation, in der kleine, positive Schritte – zum Beispiel die Reduzierung von Plastik in Verpackungen, die Nutzung von mehr erneuerbarer Energie in Büros oder die Anhebung der Löhne der Arbeiter:innen knapp über den Mindestlohn – als Beweis dafür präsentiert werden, dass die Branche nachhaltiger wird, obwohl das Gesamtbild zeigt, dass solche Veränderungen viel zu gering sind oder durch eine erhöhte Produktion oder andere Rebound-Effekte zunichte gemacht werden“, heißt es im Bericht.

So wird eine Optimierung des alten Systems nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, daher die Forderung nach einem „neuen Betriebssystem für die Mode“. Der Bericht zielt darauf ab, die internationale Debatte über die sozio-ökologische Transformation und einen gerechten Wandel im Modesystem voranzutreiben, indem er konkrete Ziele für Veränderungen und Paradigmenwechsel vorschlägt.

Um die negativen Auswirkungen und Risiken des Modesystems zu bewältigen, hat der Bericht zwölf Brennpunkte identifiziert, die sich auf eine oder mehrere planetare Grenzen auswirken:

  • Abfall
  • Überproduktion
  • Fasern
  • Wasser- und Chemikalienverbrauch
  • Treibhausgasemissionen
  • Kunststoffe
  • Existenzsichernde Löhne
  • Sichere Beschäftigung, soziale Absicherung
  • Gewerkschaftsrechte
  • Arbeitszeiten
  • Diskriminierung, geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung
  • Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz

Für jeden Bereich haben die Expert:innen zunächst ein übergeordnetes Transformationsziel skizziert, eine langfristige Vision davon, wie ein gerechteres Modesystem – innerhalb der planetaren Grenzen – in jedem Schwerpunktbereich aussehen sollte. Anschließend formulierten sie die vorgeschlagenen 33 Ziele – spezifische und zeitgebundene Meilensteine –, die die Vision für das Ausmaß des Wandels bis 2030 ermöglichen sollen. Im Folgenden sind die Ziele und Vorgaben für jeden Schwerpunktbereich der Transformation aufgeführt, die im Bericht durch Schritte für Unternehmen, Ideen für die Gesetzgebung und potenzielle Herausforderungen unterstützt werden.

Reduzierung des Verbrauchs von Neumaterialien und Überproduktion

Ziel: Die Modebranche erreicht ihren Material-Peak. Die Menge an neu eingesetzten Materialien, insbesondere aus fossilen, nicht erneuerbaren Ressourcen, sinkt. Der Fokus der Geschäftsmodelle der Modebranche verlagert sich vom Wachstum des Materialausstoßes und der Lagerproduktion hin zu einem erhöhten Gebrauchswert aus weniger und besserem Material. Modedesign setzt auf Kreislaufwirtschaft als Schlüsselprinzip; von der Materialwahl über zeitloses Design, Qualität und Langlebigkeit bis hin zu einfacherer Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit und biologischer Abbaubarkeit.

Vorgaben:

  • Die Gesamtmenge der neu eingesetzten Materialien sinkt um 40 Prozent.
  • Der Anteil von recyceltem Fasermaterial wird auf mindestens 15 Prozent erhöht.

Verlangsamung der Mode, Abfallreduzierung

Ziel: Mode wird langsam, zirkulärer und zeitlos. Die tatsächliche Lebensdauer von Kleidungsstücken wird deutlich verlängert, und am Ende ihrer Lebensdauer werden die meisten Materialien zurückgewonnen und recycelt. Die Menge der auf Deponien und Verbrennungsanlagen entsorgten Modeprodukte wird auf ein Minimum reduziert, und die Abfallsammlung und -verarbeitung erfolgt in kontrollierten Umgebungen mit möglichst geringen Umweltauswirkungen und sicheren und menschenwürdigen Arbeitsplätzen.

Vorgaben:

  • Die Anzahl der Tage, an denen Kleidung aktiv genutzt wird, wird im Durchschnitt verdoppelt.
  • Alle Textilabfälle und Altkleider werden getrennt gesammelt, und mindestens 50 Prozent der Altkleider werden in der Nähe wiederverkauft und wiederverwendet, nicht auf anderen Kontinenten.
  • Das Volumen der nicht verwerteten Kleidungsabfälle (Deponierung oder Verbrennung) wird halbiert.
  • Die Rückgewinnung, Behandlung und das Recycling von Altkleidern werden als integraler Bestandteil des Modesystems betrachtet. Infolgedessen enthalten die meisten branchenbezogenen und unternehmensbezogenen Richtlinien Maßnahmen zur Gewährleistung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen und ökologischer Nachhaltigkeit in der Nachnutzungsphase.

Zahlung existenzsichernder Löhne

Ziel: Alle Arbeiter:innen entlang der globalen Wertschöpfungsketten der Modebranche erhalten einen existenzsichernden Lohn. Dies ist der Basislohn, der in einer regulären Arbeitswoche (ohne Sonderzulagen, Prämien oder Überstunden) verdient wird, der die Grundbedürfnisse der Arbeiter:innen und ihrer Familien deckt und ihnen ein verfügbares Einkommen ermöglicht. Lohndiskriminierung wird beseitigt und die übermäßige Lohnungleichheit innerhalb von Unternehmen und entlang der Wertschöpfungsketten wird reduziert.

Vorgaben:

  • Die Löhne aller Arbeiter:innen steigen auf mindestens existenzsichernde Niveaus (+ 200 Prozent im Durchschnitt, inflationsbereinigt).
  • Die Gleichstellung der Geschlechter bei der Entlohnung wird erreicht (unbereinigter Lohnunterschied auf <5 Prozent reduziert, bereinigter Lohnunterschied auf ~0 Prozent).

Sicherstellung menschenwürdiger Arbeitszeiten

Ziel: Eine gesunde und sozial gerechte Work-Care-Life-Rest-Balance: Erwerbsarbeit soll das Leben nicht dominieren und nicht erschöpfend sein. Die Menschen sollen genügend Zeit für Pflegearbeit, soziale und gemeinschaftliche Aktivitäten (wie Bildung oder Politik), gute Ernährung und Gesundheit, Engagement in der Instandhaltung und im ökologischen Naturschutz, für Wohlbefinden, Kultur, Freizeit und Erholung haben.

Vorgaben:

  • Branchenweit wird die reguläre Arbeitszeit effektiv auf 40 Stunden pro Woche begrenzt, perspektivisch weniger.
  • Zuverlässige, langfristige und stabilere Produktionsplanung wird zur Norm in den Lieferketten der Modebranche, und die durchschnittliche Bewertung des Better Buying Index für „Planung und Prognose“ steigt auf mindestens 4 von 5 Sternen.

Schutz der Gewerkschaftsrechte

Ziel: Alle Arbeiter:innen können ihre Menschen- und Arbeitsrechte auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen frei und ohne Angst ausüben. Frei gewählte, repräsentative, unabhängige und demokratische Gewerkschaften sind in der gesamten Branche präsent und werden von Arbeitgeber:innen und Regierungen als Sozialpartner:innen respektiert.

Vorgaben:

  • Die Vereinigungsfreiheit wird nicht länger systematisch verletzt, und alle wichtigen Bekleidungsländer erreichen eine Punktzahl von 3 oder besser im ITUC Global Rights Index.
  • Tarifverhandlungen sind die Norm, und mindestens die Hälfte der Arbeiter:innen in der Wertschöpfungskette der Modebranche sind durch Tarifverträge abgedeckt, die von unabhängigen Gewerkschaften ausgehandelt wurden.
  • Die Gewerkschaftsrechte von Frauen, Migrant:innen, Heimarbeiter:innen und anderen Gruppen häufig diskriminierter Arbeiter:innen werden geachtet, und sie sind in den Gewerkschaften und ihren Führungspositionen gleichberechtigter vertreten.

Gewährleistung sicherer und gesunder Arbeitsplätze

Ziel: Alle Arbeiter:inne im globalen Modesystem haben einen sicheren und gesunden Arbeitsplatz. Wohlbefinden ist eine Priorität bei der Produktionsplanung und Arbeitsplatzgestaltung, und der ILO-Verhaltenskodex für Sicherheit und Gesundheitsschutz in der Textil-, Bekleidungs-, Leder- und Schuhindustrie wird vollständig umgesetzt.

Vorgaben:

  • Gesundheits- und Sicherheitseinheiten, die von Arbeitsschutzausschüssen überwacht und unterstützt werden, arbeiten an allen Arbeitsplätzen im gesamten Modesystem effektiv.
  • In allen wichtigen Modeproduktionsländern sind die Arbeiter:innen durch wirksame Arbeitsschutzprogramme (u.a. für Feuer, Elektrizität, Gebäude, Druckkessel) geschützt, die die Standards des International Accord erfüllen oder übertreffen.
  • Alle Arbeiter:innen sind wirksam vor Hitze, Kälte, Überschwemmungen und anderen klimatischen Gefahren an ihren Arbeitsplätzen und vor Einkommensverlusten im Falle klimabedingter Stilllegungen und Einschränkungen geschützt.

Bereitstellung sicherer Beschäftigungsverhältnisse und sozialer Absicherung

Ziel: Arbeitsplätze im globalen Modesystem sind frei von prekären und ausbeuterischen Bedingungen und bieten den Arbeiter:innen Sicherheit, Würde und Ermächtigung durch ihre Arbeit. Unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus, ihrer Staatsbürgerschaft oder ihrem Arbeitsplatz, genießen sie volle Bandbreite der Arbeitsrechte und einen umfassenden Sozialschutz, der Gesundheitsversorgung, Krankheit, Verletzung und Behinderung, Arbeitslosigkeit und Rente, Mutterschaft und Familienunterstützung abdeckt.

Vorgaben:

  • Alle Arbeiter:innen haben formelle und faire Beschäftigungs- und Vertragsverhältnisse, die die Rechte der Arbeiter:innen, Berechenbarkeit und Sicherheit vor willkürlicher oder repressiver Entlassung gewährleisten.
  • Öffentliche Sozialschutzsysteme werden weltweit verbessert, und mindestens 75 Prozent der Arbeiter:innen im globalen Modesystem genießen Sozialschutz im Einklang mit den ILO-Mindeststandards (ILO C102).

Beendigung von Diskriminierung, geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung

Ziel: Alle Arbeiter:innen genießen gleiche Rechte und allgemeine Freiheit von Diskriminierung, Gewalt und Belästigung. Alle Arbeitsplätze in der Modebranche sind sichere Orte, die Diskriminierung nicht tolerieren. Sie verfügen über Präventionsrichtlinien, Schulungen, Beschwerdesysteme und andere Mechanismen. Arbeiter:innen erhalten gleichen Lohn für gleiche Arbeit, und die Geschlechter sind in den Führungspositionen von Unternehmen und Gewerkschaften gleichberechtigt vertreten.

Vorgaben:

  • Alle Arbeitsplätze im Modesystem implementieren inklusive und geschlechtergerechte Richtlinien und Schutzausschüsse, um Diskriminierung, Gewalt und Belästigung zu verhindern und zu beseitigen.
  • Alle Arbeiter:innen haben Zugang zu einem vertraulichen Beschwerde- und Grievance-Mechanismus gegen Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz.

Förderung eines agro-ökologischen Wandels in der Landwirtschaft der Modebranche

Ziel: Natürliche Rohstoffe für die Mode werden in fairen und nachhaltigen Landwirtschaftssystemen unter Verwendung agroökologischer Praktiken angebaut. Keine neuen Naturflächen werden in Ackerland oder Plantagen umgewandelt. Moderne Sklaverei und Kinderarbeit in landwirtschaftlichen Produktionssystemen werden ausgerottet und Eigentum und Einkommen gerechter verteilt.

Vorgaben:

  • Keine Abholzung oder andere Landnutzungsänderung für Faserpflanzen oder Leder.
  • Umstellung von mindestens 50 Prozent der Naturfaserproduktion auf agro-ökologische Systeme.
  • Reduzierung der natürlichen Neumaterialien um 10 Prozent.
  • Vollständiger Ausstieg aus hochgefährlichen Pestiziden (PAN-Liste der HHPs) und 75-prozentige Reduzierung der verbleibenden Agrochemikalien (Volumen und toxische Einheiten).
  • Ausrottung moderner Sklaverei und Kinderarbeit in Produktionssystemen für Baumwolle und andere Rohstoffe für die Mode.
  • Referenzpreise für existenzsichernde Einkommen für Baumwolle werden als Mindeststandards in mindestens 50 Prozent der Baumwollbeschaffung etabliert.

Minderung der Treibhausgasemissionen

Ziel: Das Modesystem befindet sich auf einem 1,5-Grad-Pfad. Fossile Brennstoffe werden auslaufen gelassen und die Treibhausgasemissionen in allen Phasen des Lebenszyklus von Kleidungsstücken – von Rohstoffen, Herstellung, Logistik, Einzelhandel, Nutzung und Nachnutzung – werden drastisch reduziert, um die planetaren Grenzen einzuhalten. Das kohlenstoffarme Modesystem ist auch gerechter. Es wird durch einen gerechten Übergang erreicht, bei dem die Arbeiter:innen aktiv beteiligt und geschützt sind.

Vorgaben:

  • Reduzierung der absoluten Treibhausgasemissionen aus der Mode um mindestens 60 Prozent im Vergleich zu 2019 (im eigenen Betrieb und in den gesamten Wertschöpfungsketten und ohne Kompensationsregelungen).
  • Mindestens die Hälfte der Unternehmen im Modesystem entwickelt Dekarbonisierungsstrategien im echten sozialen Dialog mit Arbeiter:innen und Gewerkschaften, die auf grüne und menschenwürdige Arbeitsplätze abzielen und niemanden zurücklassen.

Beendigung der Kunststoffsucht der Modebranche

Ziel: Die Kunststoffsucht der Modebranche wird gestoppt. Die Verwendung von Kunststoffen aus fossilen Brennstoffen und Materialien, die sich in der Umwelt nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums natürlich zersetzen, wird zur Ausnahme. Wo die Verwendung von Kunststoffen unvermeidbar ist, werden sie überwiegend aus recycelten Textilien hergestellt und so gestaltet, dass sie das Recycling erleichtern und die Freisetzung von Mikroplastik in die Umwelt reduzieren.

Vorgaben:

  • Reduzierung der Neumaterialien aus fossilen Brennstoffen um 60 Prozent.
  • Halbierung der Freisetzung von Mikroplastik in die Umwelt.

Sicherstellung einer nachhaltigen Wasser- und Chemikaliennutzung

Ziel: In allen Phasen des Lebenszyklus von Modeprodukten werden Wasserressourcen nachhaltig genutzt, geschont und für zukünftige Generationen wiederhergestellt. Die Wassernutzung der Modebranche verschärft die Wasserknappheit nicht, sondern priorisiert den Schutz von Ökosystemen und den lebenswichtigen menschlichen Wasserbedarf. Die Menge und Gefährlichkeit der in der Mode verwendeten Chemikalien wird reduziert, und die verbleibenden Chemikalien werden in kontrollierten Kreisläufen eingesetzt, die die Sicherheit der Arbeiter:innen, der Gemeinden, der Wassersysteme und der Umwelt im Allgemeinen gewährleisten.

Vorgaben:

  • Die gefährlichsten Chemikalien werden in der gesamten Lieferkette der Modebranche verboten (Detox-Priorität gefährliche Chemikalien und hochgefährliche Pestizide gemäß PAN).
  • Alle Abwässer und Schlämme aus den Prozessen der Modebranche werden behandelt, geprüft und transparent überwacht, um negative Umweltauswirkungen zu reduzieren.
  • Alle Arbeiter:innen haben freien und ständigen Zugang zu sicherem Trinkwasser und angemessenen Sanitär- und Hygieneeinrichtungen an Arbeitsplätzen und in Schlafstätten.

Der vollständige Bericht kann auf der Website von Public Eye eingesehen werden. Das Ziel, eine globale Diskussion zu eröffnen, wird durch eine Online-Diskussionsreihe mit dem Titel „One-Earth Fashion: Wie kommen wir dorthin?“ gestartet, die von Januar bis April 2025 läuft.

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