Neue Töne aus der Rattenfängerstadt: So lockt Modehändler Holger Wellner seine Kundschaft
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Holger Wellner betreibt sein gleichnamiges Modehaus in der Rattenfängerstadt Hameln. Statt sich über die ausbleibenden Frequenzen in der Innenstadt und den Leerstand in der angrenzenden Ritterpassage zu beschweren, packt er an. So wird die Passage zum multifunktionalen Concept Store. Eine von vielen Ideen, die der tatkräftige Modehändler mit einem positiven Mindset umsetzt und das trotz eines Umsatzrückgangs auf der eigenen Fläche.
Wir stellen seine Ideen vor, mit denen er die Kundschaft – ganz ohne Flöte – in die Innenstadt lockt.
Leerstehende Passage wird kooperativer Concept Store
Die ursprünglich 1984 gebaute Ritterpassage ist ein wenig in die Jahre gekommen. Daher hat Wellner zusammen mit dem Ladenbau-Spezialisten Konrad Knoblauch GmbH ein neues Konzept ausgearbeitet, das die Fläche, die mal rund 40 kleine Geschäfte beherbergt hat, wieder zu einem beliebten Anlaufpunkt in der Hamelner Innenstadt machen soll. Zu den visuellen Highlights gehört eine große Lichtwelle, die von hunderten von Lichtelementen zusammen kreiert wird.
Entstehen soll ein moderner Concept Store mit “kooperativem Ansatz”, der wie schon in der alten Passage verschiedene Bereiche wie Gastronomie, Dienstleistungen und Handel zusammenbringt, erklärt Wellner im Gespräch. Statt abgetrennten Ladenflächen planen der Modehaus-Betreiber und Knoblauch einen offenen Bereich, der sich über drei Etagen und rund 1.400 Quadratmeter verteilt.
Bestehende Elemente und Materialien der alten Passage sollen derweil möglichst wiederverwendet und in das neue Konzept integriert werden. Als Beispiel dafür nennt Wellner kleinere Treppen, die in ehemalige zweistöckige Läden in die obere Etage geführt haben und nun auch für den Concept Store genutzt werden. Zusätzlich wird es aber auch eine große, zentrale Treppe geben, die nicht nur alle Etagen als offenen Raum verbindet, sondern auch als Fläche für Produktplatzierung, Ausstellungen und andere Events dient.
Neben der inneren Verbindung wird der Concept Store auch auf allen drei Etagen an das Modehaus Wellner gekoppelt, wobei die beiden Flächen visuell klar getrennt werden sollen und jeweils über einen eigenen Eingang verfügen. Dennoch plane Wellner auch einen großen Teil der neuen Fläche mit seinem Modehaus zu bewirtschaften.
Über Modehaus Wellner:
Das Hamelner Familienunternehmen Wellner wurde erstmals 1928 als Großhändler für Schneiderei-Zubehör von Holger Wellners Urgroßvater gegründet. Zu dieser Zeit befand sich das Unternehmen noch außerhalb der Innenstadt.
In den 1970er Jahren wurde aus dem ursprünglichen Unternehmen ein Herrenmode-Händler, dessen Sortiment zehn Jahre später um Womenswear erweitert wurde. 2002 übernahm Wellner dann den ehemaligen Standort des insolventen Bielefelder Wäschespezialisten Opitz in der Hamelner Innenstadt, an dem das Unternehmen heute noch mit seinem Modehaus vertreten ist. Nach dem Umzug wurde das Sortiment dann noch um Wäsche und Strümpfe ergänzt, die heute neben Womenswear (60 Prozent), Menswear (30 Prozent) zehn Prozent des Sortiments ausmachen.
Auch das Sortiment, mit dem Wellner die neue Fläche bespielen will, ist im angrenzenden Modehaus nicht vertreten. Statt dem im mittleren bis Premium-Segment angesiedelten Portfolio soll das neue Konzept einen günstigeren Preiseinstieg bieten. Wellner nennt dabei Mango und die Marken des dänischen Bestseller Konzerns als Beispiel, zu dem unter anderem Vero Moda und Jack&Jones gehören.
Dieser Bereich wird in einem flexiblen Flächenkonzept, das sich leicht für verschiedene Angebote anpassen lässt. Auf jeder Etage sollen speziell dafür ausgelegte Bereiche ihren Platz bekommen, die so flexibel sind, dass man dort immer wieder neue Themen spielen, neue Marken ausprobieren oder Produkte übergangsweise platzieren kann, erklärt Wellner. Heutzutage sei es wichtig, dass man für die Kundschaft durch Überraschungen, neue Themen und Produkte “immer wieder ein Stückchen weit attraktiv bleibt”.
Konkret haben sich für den neuen Store bereits mehrere Gastronom:innen aus der Region gemeldet, die ein Teilstück bewirten wollen. Es gibt aber auch die Überlegung, dass Wellner mit einem eigenen Gastronomie-Konzept an den Start geht. Aber auch andere Anbieter:innen wie eine Wedding Lounge, die das bestehende Sortiment von Wellners ergänzen, sollen hier einen Platz finden.
Dazu kommt eine Schneiderei, die bereits in der Hamelner Innenstadt vertreten ist, aber zwecks Platzmangel eine neue Fläche gesucht hat. Als ein “offenes Atelier" soll diese zum hauseigenen Repair-Center werden, das neben Reparaturen auch Dienstleistungen wie Personalisierungen anbietet und Kund:innen Einblick in die Arbeit gibt.
Unter welchem Namen das neue Projekt eröffnet wird, ist aktuell noch nicht bekannt. Klar ist nur, dass es die Strahlkraft des angrenzenden, fast 100 Jahre alten Händlers aufnehmen, sich aber auch als eigenständiges, innovatives Konzept abgrenzen soll. Der Name „Ritterpassage“ ist also Geschichte.
Ein offizielles Eröffnungsdatum gibt es auch noch nicht. Nach aktuellem Stand soll das Konzept in drei Phasen eröffnen. Für September/Oktober soll mit dem Keller das erste Segment eröffnen. Im kommenden März soll es dann mit dem vorderen Teil weitergehen, gefolgt vom Hauptsegment, das die größten technischen Umbaumaßnahmen erfordert und daher erst ein Jahr nach dem ersten Teilstück Kund:innen begrüßen soll.
Insgesamt soll ein siebenstelliger Betrag in den Standort fließen. Dabei wird aktuell noch abgewogen, in welchem Umfang das geplante Konzept umgesetzt wird, so Wellner. Neue Eigentümerin des Gebäudes ist Holger Wellners Immobiliengesellschaft, die die verschiedenen Flächen vermietet.
Die Gelder für das gesamte Projekt teilen sich dabei zwischen der Fremdfinanzierung von lokalen Banken, Mittel der Anteilseigner:innen vom Modehaus Wellner für den Ladenbau sowie von der Stadt Hameln auf.
Hameln unterstützt das Projekt mit seinem Förderprogramm „Hameln handelt!“, bei der sie besondere Geschäftsideen für leerstehende Flächen finanziert. Konkret übernimmt die Stadt für ein Jahr die Mieten – pro Mietvertrag bis zu 60.000 Euro. Dazu gibt es noch einen Baukostenzuschuss.
Innenstädte „brauchen weniger Verkaufsflächen“
Insgesamt ist Wellner der Meinung, dass Innenstädte eine multifunktionalere Nutzung benötigen, als es historisch der Fall war: „Das Konzept, dass die Innenstadt ein Konglomerat von Handelsflächen ist, bei dem ein Geschäft nach dem nächsten folgt, ist heute nicht mehr zeitgemäß“, erklärt der Modehändler. „Wir brauchen nicht mehr so viele Verkaufsflächen in der Stadt.“ Grund dafür sei der Onlinehandel, dessen Umsatzanteil zu einer geringeren Anzahl an benötigten stationären Verkaufsflächen führt.
Der dadurch entstehende Raum könne dann für andere Zwecke wie Gastronomie, Dienstleistungen und Wohnflächen genutzt werden. „Das ganze Thema Innenstädte bricht gerade auf und wird einfach sehr viel vielfältiger.“ Diesen Trend beobachte Wellner in Hameln, aber auch in anderen Städten.
Gastronomie und Cafés werden laut der “Deutschlandstudie Innenstadt 2024” des Beratungsunternehmens Cima als zweithäufigsten Grund für den Besuch der Innenstadt angegeben. 58,3 Prozent der Befragten nannten diesen Zweck. Shopping blieb mit 70,8 Prozent aber weiterhin an der Spitze.
Doch gerade in Städten wie Hameln mit einer Einwohnerzahl von rund 59.000 Einwohner:innen (Stand: 31.12.24) setzt sich der E-Commerce als Alternative durch. Mehr als 30 Prozent der Befragten in Städten zwischen 50.000 und 200.000 Einwohner:innen gaben an, dass es bequemer ist, online zu bestellen, als ihren Einkauf in der Innenstadt zu tätigen. Dazu kommen 20,6 Prozent, die die Auswahl als zu gering empfinden.
Digitalisierung nutzen
Der Modehaus-Betreiber sieht in der Digitalisierung aber auch einen Weg, um den Point-of-Sale zu stärken. Es geht darum, „online, offline zusammenzubringen und so das Beste aus zwei Welten den Kund:innen zur Verfügung zu stellen”, so Wellner.
Das Hamelner Modehaus stattet seine Mitarbeiter:innen mit digitalen Tools auf der Fläche aus, um die Beratungsqualität anhand von Profilen von Kund:innen zu stärken. Nach eigenen Angaben generiert der Einzelhändler rund 80 Prozent seiner Umsätze mit Stammkund:innen, deren Daten wie Kauftransaktionen gesammelt werden. Damit soll ein „digitaler Zwilling“ der Kund:innen kreiert werden, der den Mitarbeitenden im Verkaufsgespräch auf der Fläche die benötigten Informationen liefert, um „individueller zu beraten“ sowie auf Unternehmensseite „höhere Bons und höhere Konversions zu erzielen“
Außerdem setzt das Modehaus Wellner auch digitale Tools ein, um die Verfügbarkeit der Produkte besser zu planen und „Out-of-Stock-Situationen zu vermeiden“. Der größte Nachteil für den stationären Handel gegenüber digitalen Anbietenden sei die begrenzte Verkaufsfläche, die online kein Limit hat, so Wellner.
Er sieht in der Vernetzung von Beständen den Ausgleich für diesen Wettbewerbsnachteil. Dafür kann das Verkaufspersonal auf der Fläche per App ein individuelles Produkt suchen und bekommen die digitale Verfügbarkeit sowie potenzielle Alternativen – für andere Farben und Größen – vorgeschlagen, die sie für die Kundschaft nachbestellen können – in den Store oder auch an die eigene Adresse.
Wellner nutzt dafür die Wholesale-Plattform Fashion Cloud, an die mehr als die Hälfte seiner Handelspartner:innen angeschlossen sind, und kann so die Produkte direkt bei den Herstellenden nachbestellen.
Er ist aber auch mit anderen Modehäusern vernetzt. Der Mitgeschäftsführer der Verkaufsplattform Modehaus.de bringt lokale Modehändler:innen digital zusammen und nutzt den Online-Marktplatz als zusätzliche Option, um die Verfügbarkeit per Bestellung zu ermöglichen. Ähnlich wie auf der Wholesale-Plattform können die Mitarbeitenden über den digitalen Marktplatz den Bestand von anderen, angeschlossenen Händler:innen prüfen und auf Wunsch in den Laden oder nach Hause bestellen. Dadurch wird neben der Zufriedenheit der Kundschaft auch eine potenzielle Rückkehr in den Store zur Abholung der Bestellung und mögliche Zukäufe geschaffen.
Tourist:innen-Fang
Gerade in Zeiten, in denen die Frequenzen in den kleineren Innenstädten rückläufig und auch für Hameln sowie Wellner „herausfordernd“ sind, ist eine solche Kund:innen-Bindung wichtig. Dennoch versucht er auch die Tagestourist:innen zu fassen, die die Rattenfängerstadt wegen der Sage, Altstadt und dem Weserradweg besuchen. Diese seien bei ihrem kurzen Stop aber meist eher an Kaffee, Kuchen oder einem Eis interessiert, stellt Wellner fest.
Für längere Aufenthalte, die auch mal über mehrere Tage gehen, und den Besucher:innen die Möglichkeit geben, die Shopping-Meile richtig zu erkunden, sei das touristische Angebot zu gering. Auch das Thema Übernachtung sei in Hameln ein Problem, da es nicht genügend Hotels gibt oder diese zu teuer sind. Da würden besonders privat geführte Ferienwohnungen eine Abhilfe schaffen. Im eigenen Projekt, der Ritterpassage, sei für ein solches Konzept allerdings kein Platz, auch wenn es diese Idee bereits vom Voreigentümer gab.
Stattdessen will man die Kundschaft mit einer Eventfläche anlocken, auf der Konzerte, Workshops und andere Events stattfinden. Dafür hat Wellner im vergangenen Jahr bereits eine eigene Mitarbeiterin eingestellt, die solche Events – vom Fashion-Frühstück mit 20 Leuten bis zur Modenschau mit 500 Gästen – im Modehaus Wellner sowie später nebenan organisiert.
Neben solchen Events sollen aber auch die verschiedenen Kooperationen, die für das neue Konzept geplant sind, sowie Kund:innen-Termine die Frequenz unter der Woche steigern. Von Montag bis Donnerstag fehlt im Vergleich zu Freitag und Samstag die Kundschaft.
Darüber hinaus würde sich Wellner auch mehr verkaufsoffene Sonntage wünschen, von denen es mal vier, in diesem und im letzten Jahr allerdings nur zwei bis drei in Hameln gab. Da er selber aber lange im Stadtmarketing aktiv gewesen und Sprecher für den Handelsverband Hameln-Pyrmont ist, weiß er, wie umfangreich der Prozess mit dem Ladenschutzgesetz und den Behörden ist. Auch einen passenden Termin zu finden, der die verschiedenen Branchen abholt, ist nicht so einfach. So bräuchten die Möbelhäuser einen ganz anderen Termin als die Modehändler:innen, während kleinere Unternehmen einen zusätzlichen Tag personell nicht stemmen könnten.
Positives Mindset
Neben sinkenden Frequenzen – gegenüber dem Pre-Corona-Jahr 2019 um bis zu 20 Prozent – hat der Einzelhändler auch mit einem Umsatzrückgang von 30 Prozent zu kämpfen. Zusätzlich zur aktuellen Konsumlaune spielt dabei aber auch eine kleinere Verkaufsfläche eine Rolle.
Aktuell befinden sich rund 50 Prozent des Modehauses – 1500 Quadratmeter Verkaufsflächen – nach einem Wasserschaden in Umbauarbeiten. Demnach würde der Modehändler mit den bestehenden Besucher:innen eine höhere Konversion erzielen sowie höhere Bons generieren, was auch auf die Inflation zurückzuführen ist. Laut Wellner liegt es aber auch an der „guten Arbeit“ der Mitarbeiter:innen in den Beratungsgesprächen, die dafür fortlaufend weitergebildet und trainiert werden.
Wellner versucht als Modehändler ein positiver Gegenpol in schwierigen Zeiten zu sein. Damit hat er schon in der Corona-Zeit angefangen. Wenn die Gesamtsituation von Krisen und negativen Schlagzeilen überschwemmt wird, sei es wichtig, dass die Kundschaft bei ihm eine gute Zeit hat. Dafür rückt dann auch das Produkt etwas in den Hintergrund. Eine Feel-Good-Managerin soll derweil dafür sorgen, dass auch das Team gut gelaunt ist.