Nachhaltigkeit in der Modebranche: Was tat sich von Januar bis März 2024?
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Im ersten Quartal des Jahres 2024 sorgten einige Nachhaltigkeitsbemühungen der Textil- und Bekleidungsbranche und verwandter Industrien für Schlagzeilen. So gab es etwa viel zu lesen - gleich vier wichtige Berichte sollten Sie nicht verpassen, ebenso Änderungen in der Gesetzgebung, aber auch Interviews, die FashionUnited mit Vorreiter:innen der Branche führte, sowie Kommentare und Hintergrundartikel. Lesen Sie sich durch ein spannendes erstes Quartal!
Lesestoff
Brancheninsider:innen sollten auf keinen Fall die Ergebnisse des „Fashion Accountability Reports 2024“ verpassen, der von der gemeinnützigen Organisation Remake zum vierten Mal veröffentlicht wurde. Darin wird die Leistung von 52 großen Modeunternehmen (mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 US-Dollar) wie Fast Retailing, H&M, Inditex, Kering, LVMH und PVH in sechs Schlüsselbereichen gemessen: Rückverfolgbarkeit, Löhne und Wohlbefinden, Handelspraktiken, Rohstoffe, Umweltgerechtigkeit und Governance. In diesem Jahr kamen C&A, die US-Outdoormarke Cotopaxi, Macy's, die US-Marke für Shapewear und Bekleidung Skims und der chinesische Onlinemarktplatz Temu hinzu. Spoiler: Sie alle müssen sich noch gewaltig anstrengen.
Die Organisation für kulturelle Nachhaltigkeit Black Pearl will es „allen, die Kleidung tragen“ mit ihrem „Sustainable Style Guide for Everyone“ leichter machen, nachhaltige Modelösungen für jede Garderobe zu finden, vom Alltag über besondere Anlässe bis hin zu Veranstaltungen auf dem rotem Teppich. Dabei werden sechs Kriterien angelegt: Wer stellt unsere Kleidung her und unter welchen Umständen, wie, wo und woraus wird sie hergestellt und wohin geht sie, wenn wir sie nicht mehr wollen oder benutzen? Und schließlich, was können wir als Einzelne tun, um uns nachhaltiger zu kleiden?
Die Material Innovation Initiative (MII) gab in diesem Zeitraum gleich zwei Berichte heraus, einen zum „Brand Engagement with Next-Gen Materials 2023“, der einen Anstieg der Zusammenarbeit zwischen innovativen Materialunternehmen und Bekleidungs-, Accessoires-, Schuh- und Haushaltswarenmarken beleuchtete: .„Von Gucci bis hin zu Stella McCartney - die großen Modemarken setzten im Jahr 2023 in rasantem Tempo auf Next-Gen-Materialien“ ist das Fazit. Ein weiterer Bericht untersuchte speziell, wie Next-Gen Seide die Materialindustrie revolutioniert. Auf einem jüngst veranstalteten Symposium resümierte die globale Nachhaltigkeitsinitiative Fashion for Good, dass nachhaltige Modematerialien eine wirtschaftliche Herausforderung seien, die auf Vertrauen basiert. Der Biofabricate Summit zu Beginn des Jahres brachte mit Biomaterialien Lust an Luxusmode zurück.
Erkenntnisse des New Cotton Projekts fassten nach dreieinhalb Jahren acht Schlüsselergebnisse zusammen, die für die Branche von entscheidender Bedeutung sein werden, um die Verbreitung von Kreislaufmaterialien zu unterstützen und das Faser-zu-Faser-Recycling erfolgreich voranzutreiben.
Als Rückschritt für die Branche kann sicher angesehen werden, dass der schwedische Textilrecycler Re:NewCell AB Ende Februar einen Insolvenzantrag stellen musste. Es sei dem Unternehmen nicht gelungen, sich die nötigen Mittel zu sichern, um eine finanzielle Neuaufstellung erfolgreich abzuschließen, hieß es zu dem Zeitpunkt in einer Mitteilung. Renewcell hatte in den vergangenen Jahren hohe Investitionen in den Ausbau seiner Produktionskapazitäten getätigt und geriet aufgrund der unerwartet geringen Nachfrage nach seinen aus wiederverwerteten Textilabfällen hergestellten Fasern in finanzielle Schwierigkeiten. Im August 2022 hatte Renewcell im schwedischen Sundsvall die weltweit erste kommerzielle 100-prozentige Textil-zu-Textil-Recyclinganlage in Betrieb genommen.
Rückschritte macht auch die Kreislaufwirtschaft laut der weltweit tätigen Organisation Circle Economy Foundation. Gemeinsam mit der Unternehmensberatung Deloitte gab sie Ende Januar ihren „Circularity Gap Report 2024“ heraus. Darin wird aufgezeigt, dass die weltweite Kreislaufwirtschaftsquote derzeit von 9,1 Prozent auf 7,2 Prozent sinkt, obwohl sich die Zahl der Diskussionen, Debatten und Artikel über Kreislaufwirtschaft in den letzten fünf Jahren fast verdreifacht hat. Das bedeutet, dass zwar alle davon reden, aber nur wenige tatsächlich auch handeln.
Interviews
Apropos Reden - FashionUnited sprach mit etlichen Vorreiter:innen der Branche, die in ihren jeweiligen Bereichen neue Wege beschreiten - etwa das vegane Label Melina Bucher aus Mannheim, das im vergangene Jahr auch eine eigene Täschnermanufaktur ins Leben rief - vegan natürlich, und damit die einzige in Deutschland.
Camélia Barbachi, Gründerin der französisch-tunesischen Marke Chez Nous, sprach mit FashionUnited über die Herausforderungen eines jungen, integrativen Labels, während Simon Peyronnaud und Mathieu Khouri, die Mitbegründer von Losanje, ihre Upcycling-Erkenntnisse teilen: Seit 2020 behauptet sich Losanje als Pionier des Upcyclings nach französischem Vorbild und revolutioniert die Art und Weise, wie fertige Textilprodukte, die aus unverkauften Artikeln oder aus zweiter Hand stammen, umgewandelt werden. Das Unternehmen, das sich zunächst auf seine eigenen Kollektionen konzentrierte, hat in jüngster Zeit seinen Horizont erweitert, insbesondere mit großen Unternehmen, indem es Automatisierungstechniken in einen traditionell handwerklichen Bereich einführt.
Thomas Fischer und Sara Staudt vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. (BVSE) sprachen mit FashionUnited darüber, wie es aktuell um den Altkleidermarkt steht, der im Sinne der Kreislaufwirtschaft auch zur Modeindustrie gehört und sogar immer wichtiger wird. Auf welche Neuerungen stellt sich die Branche ein und was bedeuten diese für die Modebranche insgesamt? Wie steht es um das Recycling von Altkleidern und was genau bedeutet die Vernichtung von Neuware?
Mónica Rodriguez, Gründerin des spanische Re-Commerce Start-ups Recovo sprach über die Entwicklung eines internationalen Online-Marktplatz, auf dem Modeunternehmen ihre Produktionsreste weiterverkaufen können. „Mit uns spart man nicht nur Material und CO2, sondern auch Geld“, so Rodriguez.
Anlässlich des Mondneujahrs (Jahr des Drachen) am 10. Februar 2024 schlossen sich drei chinesische Modemarken mit der gemeinnützigen Umweltorganisation Canopy zusammengetan. FashionUnited sprach mit Canopy-Gründerin und Geschäftsführerin Nicole Rycroft über die größten Nachhaltigkeitstrends, die Chinas Modeindustrie im kommenden Jahrzehnt prägen werden, und darüber, wie sich andere chinesische Modemarken inmitten eines globalen Nachhaltigkeitsschubs anpassen können.
Gesetzgebung und Hintergrund
In den ersten drei Monaten des Jahres sprach sich das EU-Parlament für strengere Regeln aus und will Hersteller:innen von Textilien künftig stärker zur Verantwortung ziehen, um Textilmüll und Verschwendung zu verringern. Eine Mehrheit der Abgeordneten sprach sich Mitte März dafür aus, dass Herstellende, die Textilien in der EU verkaufen, die Kosten für das getrennte Sammeln, Sortieren und Recyceln übernehmen müssen. Das würde für Produkte wie Kleidung und Accessoires, Bettwäsche und Teppiche gelten, aber auch Produkte, die Materialien wie Leder, Kunstleder, Gummi oder Kunststoff enthalten.
Das New Yorker Modegesetz (New York Fashion Act) wird bereits seit zwei Jahren im Ausschuss des Senats des US-Bundesstaates verhandelt. Das hat Organisationen jedoch nicht davon abgehalten, sich bereits daran zu machen, Einzelhändler:innen und Marken auf die mögliche Integration des Gesetzes vorzubereiten, da die Nachfrage der Verbraucher:innen nach ethischen und umweltfreundlichen Angeboten gestiegen ist. Frankreich diskutiert hingegen gerade eine Fünf-Euro-Steuer auf jeden verkauften Fast Fashion-Artikel — Niki de Schryver von der Nachhaltigkeitsplattform Cosh! kommentiert für FashionUnited, wie sinnvoll dies ist.
Verpassen Sie auch auf keinen Fall unsere neuen Hintergrundartikel zu Themen wie Greenwashing, die versteckten Kosten in Produkten und der Weg zu True Pricing und Upcycling.
Falls Ihnen noch nicht der Kopf schwirrt…
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- Mode und Nachhaltigkeit im Jahr 2023