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McKinsey-Partner Achim Berg: „Die Stimmung ist schon schlechter, als wir es in den Zahlen erkennen können.”

Von Weixin Zha

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Business|Interview
Partner Achim Berg. Bild: McKinsey

Die Modebranche steuert im kommenden Jahr auf einen globalen Abschwung zu. Das erwartet die Unternehmensberatung McKinsey in ihrem jüngsten Report. Senior-Partner Achim Berg erklärt im Gespräch, was das für die verschiedenen Mode-Segmente und Regionen Europas bedeutet.

Herr Berg, ich würde gerne etwas auf den europäischen Modemarkt und zoomen. Wie nehmen Sie die Stimmung unter den Unternehmen derzeit wahr?

Achim Berg: In Summe verdüstern sich ein wenig das Bild und die Stimmung. Das Geschäft war gut bis nach dem Sommer und war auch das, was die meisten Leute erwartet haben. Die Themen Inflation und Energiepreise haben sich eher schleichend in das Bewusstsein und Handeln der Konsument:innen bewegt. Viele haben die Preissteigerungen noch gar nicht auf ihrer Strom- oder Gasrechnung gesehen.

Wann kippte das Geschäft dann?

Wir haben festgestellt, dass der September in den meisten europäischen Ländern und für die meisten Spieler schon schwieriger war, auch Oktober. Black Friday war gut, aber auch nicht der große Befreiungsschlag oder der Beweis, dass die Stimmung doch nicht so schlecht ist.

Hilft es, dass Regierungen versuchen, den Konsum mit Hilfsmaßnahmen zu stützen?

Die Stimmung ist schon schlechter, als wir es in den Zahlen erkennen können. Die Frage ist, was jetzt passiert. Die Erwartung ist, dass es sich abkühlt, aber dass wir noch nicht das große Einbrechen vor Weihnachten erleben. Aber ein Teil der Umsatzsteigerungen in den ersten sechs Monaten könnte in der zweiten Jahreshälfte doch verloren gehen. Das ist unsere Erwartung.

Was kommt 2023 auf europäische Unternehmen zu?

Wir erwarten, dass in den ersten sechs bis neun Monaten keine Verbesserung, sondern eher eine Verschlechterung eintreten wird.

Warum erwarten Sie das?

Auf der einen Seite sehen wir, dass viele Unternehmen deutlich zu viel Ware in den Läden und Lagern haben. Das ist mit einem anderen Mindset eingekauft worden, vor sechs, neun, zwölf Monaten, als alles geplant wurde. Auf der anderen Seite sehen wir, dass Order in den Produktionsländern reduziert und gestrichen werden, sowie Ware im Deep Storage landet. Alles Anzeichen dafür, dass Modeunternehmen Vorkehrungen für ein schlechtes Geschäft treffen. Das ist nunmal das Problem in der Modebranche – was von den Marken und Händlern nicht eingekauft wird, kann am Ende auch nicht verkauft werden. Deswegen gehen wir davon aus, dass wir ein schwächeres erstes Halbjahr 2023 sehen.

Gibt es auch positive Zeichen für das kommende Jahr?

Nun könnte man dagegenhalten, dass die Inflationsrate sich wieder abgeschwächt hat. Manche sagen, dass wir die Spitze schon gesehen haben. Wir sehen, dass die Beschäftigungszahlen immer noch gut sind. Wir haben also keine klassische Rezession. Das ist das, was allen Beteiligten noch etwas Hoffnung gibt. Aber nach dem sehr starken Jahr 2021 werden wir ein durchwachsenes 2022 haben und ein deutlich schwächeres 2023.

Unterscheidet sich die Stimmung auch je nach Segment?

Die großen Zugpferde der letzten paar Jahre waren Sportswear und Luxus. Luxus ist relativ gesehen immer noch stark, wird aber auch an Dynamik verlieren. Grund dafür ist eine klassische Luxuskundschaft, die weniger von Krisen betroffen sein wird. Aber gerade die jüngeren, modischeren Kund:innen, die von der Branche in den letzten Jahren gewonnen worden sind, könnten mehr Probleme bekommen und potentiell weniger kaufen.

Und wie ist es in den günstigeren Kategorien?

Klassischerweise haben erschwinglicher Luxus und Premium in rezessiven Zeiten einen eher schweren Stand, weil die Begehrlichkeiten etwas niedriger und die Volumina etwas höher sind. Deswegen erwarten wir hier, dass viel Ware aus diesen Segmenten im Off-Price landet oder rabattiert wird. Am Ende könnte sich Value behaupten, aber ein paar Federn zugunsten von Discount lassen. Wir werden Downtrading sehen und am unteren Ende Kund:innen haben, die so begrenzt im Budget sind, dass sie entweder gar nichts kaufen oder weiter auf das Budget fokussiert sind und im Discount bleiben.

Was bedeutet das in Zahlen für Europas Modeindustrie?

Wir erwarten in Europa im kommenden Jahr, dass wir im Nicht-Luxusbereich umsatzmäßig im Prozentbereich zwischen eins und minus vier landen. Im Luxusbereich sehen wir ein schwaches Wachstum, sodass der Gesamtumsatz für Europas Modebranche netto unverändert sein könnte.

Gibt es je nach Ländern Unterschiede? Während der Pandemie waren die Deutschen beispielsweise etwas pessimistischer.

Das Momentum oder die Stimmung in Südeuropa ist schlechter als in Nordeuropa. Wir stellen aber auch fest, dass West- besser ist als Osteuropa. Das hängt zum einen davon ab, wie stark die Inflation ist und wie stark die Energiepreise gestiegen sind. Das ist vor allem ein Thema in Osteuropa, wo wir eine sehr hohe Inflation, getrieben von Energiepreisen, sehen. Sie sind noch viel näher am Ukraine-Krieg dran, was auch die Stimmung belastet. Wir haben auch südeuropäische Länder, die nicht im gleichen Maß ihre Bürger unterstützen werden können, wie das nordeuropäische Länder tun.

Wird der Wholesale in der jetzigen Situation stärker leiden?

Das Wholesale-Geschäft ist nach wie vor wichtig. Wir sehen in unserem Bericht, dass das Thema Direct-to-Consumer weiterhin wichtig bleibt, aber dass es auch da eine Realisierung gibt, dass am Ende nicht jeder alles mit seiner Kundschaft direkt machen kann. Es braucht Wholesale und Multibrand-Online.

Der klassische Wholesale mit kleineren und mittelgroßen Handelsunternehmen ist seit Jahren unter Druck. Es gibt durchaus Marken, die sehr erfolgreich mit Wholesale arbeiten. Die strukturelle Herausforderung wird bestehen bleiben. Wholesale wird jetzt zyklisch erst einmal schwierigere Zeiten sehen und etwas länger brauchen, um sich zu berappeln. Direct-to-Consumer ist da schneller.

In Ihrer Studie scheint es 2023 um Nordamerika und den Mittleren Osten besser zu stehen und dementsprechend legen internationale Unternehmen ihren Fokus auf diese Regionen. Was bedeutet das für Europa?

Der europäische Markt wird tatsächlich herausgefordert sein. Die Binnennachfrage wird im besten Fall eher moderat sein. Wenn die Rezession sich deutlich verschärft, kann sie auch einbrechen. Der starke US-Dollar hat dazu geführt, dass wir dieses Jahr viele Touristen aus Nordamerika und dem Mittleren Osten hatten. Die helfen aber eher am oberen Ende des Marktes, im Luxusgeschäft, aber nicht im mittleren Segment, im Volumengeschäft. Deshalb glauben wir auch, dass sich Luxus besser halten wird.

Werden diese Erwartungen dazu führen, dass Modekonzerne weniger in Europa investieren?

Der Kostenfokus ist sehr hoch, jede Entscheidung zu Investitionen und Betriebsausgaben wird jetzt überprüft werden. Das führt in der Regel dazu, dass alles etwas kurzfristiger sein wird. Die Unternehmen schauen, dass alles, was sie zahlen oder investieren, relativ schnell Rückfluss generiert. Deswegen werden langfristige Themen natürlich herausfordernder und wahrscheinlich wieder einmal verschoben.

Die vielfach beschworene Insolvenzwelle in der Modebranche seit der Pandemie ist bisher ausgeblieben. Wie sieht es diesmal aus?

Unser Sample an Unternehmen im McKinsey-Fashion-Index ist schon dezimiert worden, etwa um 8 Prozent im Vergleich zu 1 bis 2 Prozent pro Jahr. Von daher gab es schon eine Konsolidierung, aber viele Länder haben ihre Unternehmen in der Pandemie gestützt und deswegen hat der ein oder andere das doch überstanden. Diese Unternehmen werden jetzt in einer rezessiven Phase doppelt herausgefordert.

2023
Achim Berg
McKinsey