Matthias Mey: „Wäsche ist so etwas wie ein Rezessionsindikator“
Mit über 95 Jahren Unternehmensgeschichte zählt Mey zu den traditionsreichsten Wäscheherstellern Deutschlands – und zu den wenigen, die auch heute noch große Teile ihrer Wertschöpfungskette selbst kontrollieren. Das 1928 gegründete Familienunternehmen ist bis heute vollständig in Familienbesitz und wird in dritter und vierter Generation von der Familie Mey geführt.
Der Hauptsitz des Unternehmens liegt im schwäbischen Albstadt, einer Region mit langer textiler Tradition. Dort fertigt Mey rund 85 Prozent seiner Stoffe selbst. Der Produktionsrundgang beginnt mit Paletten voller hochwertiger Pima-Baumwolle, die seit Jahrzehnten aus Peru bezogen wird. Auf etwa 100 modernen Rundstrickmaschinen entstehen daraus feine Stoffe, die vor Ort weiterverarbeitet und konfektioniert werden – für den internationalen Markt im Tag- und Nachtwäschesegment sowie Dessous und Loungewear. Ergänzend betreibt Mey eigene Produktionsstätten in Ungarn und Portugal.
Wir haben mit Matthias Mey, geschäftsführender Gesellschafter und Sprecher der Geschäftsleitung, über aktuelle Entwicklungen im Wäschemarkt, neue Trends und das Wachstum des Unternehmens gesprochen – und darüber, warum sich die eigene Produktion in Deutschland für Mey nach wie vor lohnt.
Herr Mey, wie ist die aktuelle Situation im Handel? Geben die Menschen gerade Geld für Wäsche aus?
Matthias Mey: Die Situation ist insgesamt sehr herausfordernd. Es gibt Märkte, in denen der Absatz sehr gut läuft – vor allem dort, wo die Kaufkraft hoch ist. In anderen Regionen gestaltet sich das Geschäft deutlich schwieriger. Im bundesweiten Vergleich ist die Konsumstimmung eher verhalten. Wenn Menschen sparen, beginnen sie häufig bei der Wäsche – denn die sieht man nicht. Insofern ist Wäsche so etwas wie ein Rezessionsindikator.
Zusätzlich erschwert das stark gewachsene Angebot vertikaler Marken die Situation. Der Wettbewerbsdruck steigt, während die Durchschnittspreise sinken. Wir begegnen dem, indem wir auf Qualität, Passform, Langlebigkeit und Innovation setzen – zum Beispiel mit unserem „Drunterhemd“. Das ist ein Unterhemd für Herren, das unter weißen Oberhemden unsichtbar bleibt und gleichzeitig Schweiß absorbiert – so entstehen keine Flecken unter den Achseln. Ein tolles Produkt, aber die Herausforderung besteht darin, Männer auf dieses Produkt aufmerksam zu machen. Wer es einmal kennt, bleibt in der Regel dabei. Aber zunächst muss man die Zielgruppe überhaupt erreichen.
Was bedeutet die Krise der Kaufhäuser für den Wäschemarkt? Wie wirkt sich die Situation von Galeria auf Ihr Unternehmen aus?
Kaufhäuser leisten einen wichtigen Beitrag zur Attraktivität vieler Innenstädte. Natürlich müssen sie in vielen Fällen modernisiert werden, aber ihre Relevanz bleibt bestehen. Die Insolvenz von Galeria war ein tiefer Einschnitt für die gesamte Branche. Galeria war in vielen Städten der Nahversorger Nummer eins für Wäsche.
Wir haben an Standorten, an denen Filialen geschlossen wurden, gezielt Tests durchgeführt, aber den dort verlorenen Umsatz konnten wir online nicht kompensieren. Die Kund:innen orientieren sich neu. Deshalb hoffen wir sehr, dass das neue Konzept von Galeria aufgeht – Kaufhäuser bleiben ein bedeutender Vertriebsweg für uns.
In welchen Bereichen wachsen Sie?
Wir wachsen stabil – über eigene Stores, unsere Fachhandelspartner:innen, im E-Commerce und vor allem international. Unser Einzelhandelsgeschäft umfasst neben den reinen Mey-Stores auch unser Multi-Label-Konzept „Mes Amis“, das wir vor zwei Jahren eingeführt haben. Anlass war die Geschäftsübernahme eines langjährigen Partners, der keinen Nachfolger fand. Aus dieser Idee sind inzwischen neun „Mes Amis“-Stores entstanden. Insgesamt betreiben wir weltweit 38 Stores – inklusive Franchise.
Wie hoch ist Ihr Direct-to-Consumer-Anteil?
Aktuell liegt unser DTC-Anteil bei etwa 40 Prozent – vor allem durch das starke Wachstum im Online-Geschäft. Trotzdem bleibt der stationäre Handel unser wichtigster Vertriebskanal.
Warum ist der stationäre Handel für Sie so wichtig? Wäsche kauft man vielleicht lieber online und probiert sie zuhause an?
Wäsche ist erklärungsbedürftig. Wir müssen unseren Kund:innen vermitteln, warum unsere Produkte ihren Preis wert sind – durch Qualität, Tragekomfort, Langlebigkeit. Das gelingt am besten im stationären Handel, durch persönliche Beratung und geschultes Verkaufspersonal. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist diese persönliche Bindung besonders wertvoll.
Weil qualifiziertes Personal zunehmend schwer zu finden ist, haben wir die Mey Akademie gegründet – dort schulen wir unsere Handelspartner:innen und deren Teams.
In welchen Märkten sind Sie tätig?
Besonders stark wachsen wir außerhalb Deutschlands – etwa in der DACH-Region, den Benelux-Ländern sowie zunehmend in Nordamerika, Frankreich und Italien. Frankreich ist dabei ein besonderer Erfolg: Der Markt gilt als anspruchsvoll und war lange Zeit schwierig für uns. Seit der Modernisierung unserer Marke und einem höheren Modegrad gelingt uns dort der Zugang deutlich besser.
Sie haben im letzten Jahr auf der ISPO in München einen ISPO Award für Sportwäsche erhalten. Ist das ein weiteres Wachstumsziel?
Definitiv. Wir wollen im Sportfachhandel stärker Fuß fassen, auch wenn das ein langer Weg ist. Erste Erfolge sehen wir etwa bei Strolz in Lech oder Reischmann in Kempten. Wir stehen hier noch am Anfang, wollen aber hier schnell vorankommen.
Sie haben eben die Modernisierung der Marke angesprochen. Wie positionieren Sie die Marke Mey heute?
Eine Marke muss unverwechselbar sein – sonst wird sie austauschbar. Bei Mey sind es unsere Wertschöpfung, die Stoffqualität, Passform, Langlebigkeit und Nachhaltigkeit, die uns auszeichnen. Unsere Produkte sollen Lieblingsstücke werden – das ist meine persönliche Motivation.
Gleichzeitig investieren wir heute deutlich stärker in Mode, Ästhetik und emotionale Inszenierung. Rund 70 Prozent unserer Kund:innen sind Frauen – sie lassen sich stärker von Mode inspirieren. Deshalb haben wir unser Sortiment erweitert und verstehen uns heute als Bodywear- und Lifestylemarke. Wir bieten komplette Looks, abgestimmt über alle Segmente hinweg – Tagwäsche, Nachtwäsche, Dessous und Loungewear.
Wie hoch ist Ihr Fashion-Anteil heute?
Etwa 30 Prozent unserer Kollektion ist Fashion, der Rest ist NOS (Never out of Stock). Mode ist essenziell, um Basics überhaupt verkaufen zu können – Aufmerksamkeit generiert man über modische Teile. Dort sehen wir derzeit auch das stärkste Wachstum.
Gibt es bei der Wäsche aktuell einen bestimmten Trend?
Sehr stark wächst derzeit unsere neue Serie „Simply Better Invisibles“ – unsichtbare Wäsche, die sich unter der Kleidung nicht abzeichnet. Dieser Bereich wächst deutlich. Bralettes entwickeln sich dynamischer als Schalen- oder Bügel-BHs. Interessant ist: Das ist vor allem ein deutsches Phänomen – in Frankreich und Italien bleiben klassische Dessous stärker gefragt.
Wie schaffen Sie es, eine eigene Produktion in Deutschland aufrecht zu erhalten? Warum ist das für Sie wichtig?
Die Eigenproduktion bringt viele Vorteile: Wir sind flexibel, können schnell auf Veränderungen reagieren und verfügen über tiefes Produktwissen, was uns ermöglicht passgenaue Musterteile zu entwickeln um später qualitativ ausgereifte Produkte fertigen zu können. Und wenn wir zusätzlich mit Lohnfertigungsbetreiben im Ausland arbeiten, begegnen wir diesen auf Augenhöhe weil wir genau wissen, wie viel Aufwand hinter jedem Teil steckt.
Eine der größten Herausforderungen besteht heute darin, einen Ausgleich zwischen der Erreichung der Zielpreislage und den weltweit immens hohen Lohnsteigerungen zu schaffen. In Deutschland zahlen wir etwa das 16-Fache an Löhnen im Vergleich zu Bangladesch. Deshalb setzen wir auf modernste Maschinen. Unsere Nähmaschinen wurden speziell für uns weiterentwickelt, um höchste Effizienz und Qualität zu sichern. Wir haben viel investiert, um die Arbeitsplätze hier zu erhalten – dafür stand weniger Budget fürs Marketing zur Verfügung. Aber die Entscheidung war richtig.
Gründung: 1928
Eigentumsverhältnisse: 100 Prozent Familienbesitz (3. & 4. Generation)
Produktion: 85 Prozent der Stoffe aus eigener Herstellung, Werke in Deutschland, Portugal, Ungarn
Vertrieb: 38 Stores weltweit (eigene + Franchise), Online-Shop und App, DTC-Anteil 40 %
Marken: Mey, Mes Amis (Multi-Label-Store)
Wichtigste Exportmärkte: DACH, Benelux, Frankreich, Italien, Nordamerika
Mitarbeitende: über 1.000 in In- und Ausland
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