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Matthias Böckmann: „Krise? Wir erleben doch gerade eine extrem spannende Zeit!“

Von Annette Gilles

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Business|CEO-Interview
Matthias Böckmann Bild: Böckmann

In den über hundert Jahren ihres Bestehens ist die im nordrhein-westfälischen Recke beheimatete Böckmann-Gruppe insbesondere in der letzten Dekade stetig gewachsen. Nun werden dem Filialnetz aus elf Modehäusern mit Verkaufsflächen zwischen 2.600 Quadratmetern – in Meppen – und 6.500 Quadratmetern – in Rhauderfehn – sowie sieben Wäsche-Häusern mit Filialgrößen von 80 bis 600 Quadratmetern, allesamt in Niedersachsen oder NRW ansässig, noch drei Modehäuser in Bassum, Syke und Vechta zugefügt, die Böckmann zum 1. Juli von der Modehaus Maas GmbH übernimmt.

Im Interview spricht Böckmann-Geschäftsführer Matthias Böckmann über die Geschäftsentwicklung, Erkenntnisse aus der Pandemie, die aktuellen Herausforderungen und Perspektiven für die Zukunft.

Womenswear-Bereich bei Böckmann in Bramsche Bild: Böckmann

Wie blicken Sie auf das letzte Jahr zurück?

2023 war vom Umsatz her unser erfolgreichstes Jahr. Flächenbereinigt konnten wir gegenüber 2019 ein mittleres einstelliges Wachstum verzeichnen. Das ist natürlich eine sehr positive Entwicklung, die zeigt, dass wir als stationäre Händler:innen eine absolute Daseinsberechtigung haben.

Soeben haben Sie die Häuser Bassum, Syke und Vechta des Modehauses Maas übernommen. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?

Es bedeutet zunächst, dass wir viele neue Menschen kennenlernen, denn wir übernehmen mit diesen Häusern auch deren 55 Mitarbeitende. Unsere primäre Aufgabenstellung ist nun, uns aufeinander einzustellen und zusammenzuwachsen. Auf diesen Prozess freuen wir uns.

Maas bringt Ihnen aber nicht nur neue Mitarbeitende, sondern auch einen Online-Shop. Darauf hat Böckmann bisher verzichtet. Warum?

Weil unser Fokus woanders liegt, nämlich im stationären Geschäft. Wir sind der Meinung, dass wir eine gewisse Fokussierung brauchen; wir halten es nicht für sinnvoll, in zu vielen Töpfen gleichzeitig zu rühren.

Dennoch denkt man doch immer wieder mal darüber nach, oder nicht?

Durchaus, schließlich ist das Online-Business ja auch ein spannendes Thema. Daher werden wir uns bei Maas anschauen, wie es gehandhabt wird. Daraus kann man nur lernen. Doch unser Fokus ist klar; und dass wir damit für uns auf einem guten Weg sind, hat sich in der Corona-Zeit unzweifelhaft bestätigt.

Wodurch genau?

In der Beziehung zu unserer Kundschaft. Unser Metier ist ein intensives persönliches Beratungsgeschäft. Hohe Beratungsqualität und -intensität sind unsere große Stärke. Unsere Kundinnen und Kunden haben uns in der Zeit der Pandemie klar gespiegelt, dass persönliche Beratung auf hohem Niveau, wie man sie bei uns erleben kann, ebenso wie enge persönliche Beziehungen sehr willkommen sind. Auch wenn uns als Branche die Systemrelevanz seinerzeit aberkannt wurde: Der stationäre Handel ist definitiv höchst erwünscht.

Außenansicht der Böckmann-Filiale in Rheine Bild: Böckmann

Ist der Anspruch an die Beratungsqualität in oder durch die Corona-Zeit weiter gestiegen?

Es gibt heute unzweifelhaft einen höheren Anspruch an die persönliche, individuelle Beratung als vor der Pandemie. Aber auch insgesamt ist das Geschäft durch die gestiegenen Ansprüche der Kundinnen und Kunden komplexer, die Klaviatur anspruchsvoller geworden. Das gilt auch für die Erfordernisse der Digitalisierung oder die behördlichen Anforderungen wie etwa höhere und komplexere Auflagen oder zusätzliche Dokumentationspflichten. Auf manches würde man hier gern verzichten, denn diese Pflichten sind meist ein Hemmschuh. Natürlich würde sich jede:r in der Zeit lieber seiner Leidenschaft widmen und unseren Kundinnen und Kunden ein besonderes Erlebnis bereiten.

Wie haben sich die Preissteigerungen bei Böckmann ausgewirkt?

Sicher ist: Die Menschen sind sehr sensibel, und unser Teil des Kuchens ist kleiner geworden. Nicht jeder Familienvater, der eine ganze Familie einkleiden muss, kann noch so einkaufen wie in der Vergangenheit. Daher müssen wir uns noch intensiver als in früheren Zeiten dafür einsetzen, dass die Begeisterung für Bekleidung ihren Stellenwert behält und Mode wichtig für den Lebensstil ist.

Was bedeutet diese Preissensibilität für Ihr Sortiment?

Wir müssen uns unsere Preislagenstruktur sehr genau anschauen und – bei aller Euphorie für ein Trading up – der Tatsache Rechnung tragen, dass das verfügbare Einkommen nicht mehr den früher üblichen Spielraum lässt. Dass wir einen guten Modegrad brauchen, versteht sich. Aber wir müssen eben auch berücksichtigen, dass die Durchschnittspreise gestiegen sind. Vor diesem Hintergrund ist man gut beraten, wenn man das Sortiment gut ausbalanciert.

Bedeutet das, dass Sie sich von dem einen oder anderen Lieferanten verabschieden werden?

Der Bogen wurde bei den Preiserhöhungen zwar hier und da überspannt, aber das wurde in der Regel auch erkannt, und man hat die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Zwar verzeichnen wir nach wie vor einen Preisanstieg, ich würde ihn aber als durchaus gesund bezeichnen.

Worauf wird es in den kommenden Jahren bei Böckmann besonders ankommen?

Innerhalb all der Anforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, wird es sicherlich die größte Herausforderung sein, die richtigen Menschen für unser Team zu finden und diese in der richtigen Weise weiterzuentwickeln.

Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?

Wir müssen uns sicher breiter aufstellen, entsprechende Kompetenzen aufbauen und unser Netzwerk weiterentwickeln.

Kinderabteilung der Böckmann-Filiale in Bramsche Bild: Böckmann

Und speziell in Bezug auf die Personalentwicklung?

Nun, wir haben zum Beispiel ein internes Trainerteam aufgebaut, das auf die einzelnen Filialen eingehen und individuell darauf zugeschnittene Schulungshäppchen anbieten kann. Ein wichtiger Bestandteil ist dabei auch die Persönlichkeitsentwicklung.

Können Sie ein Beispiel für die Inhalte nennen, die Sie dabei vermitteln?

Ein wichtiger Aspekt ist etwa Zeit- und Selbstmanagement. Da die Aufgaben unserer Mitarbeitenden vielfältiger und komplexer geworden sind, ist Selbstmanagement sehr wichtig. Zudem ist es sinnvoll, Resilienz aufzubauen.

Berühren solche Schulungsinhalte nicht zwangsläufig auch die Privatsphäre?

Natürlich wird dabei auch das Private tangiert. Aber das ist ja auch sinnvoll, denn es kommt darauf an, zwischen Beruf und Privatleben Harmonie zu schaffen.

Wie ist die Akzeptanz für solche Themen?

Extrem hoch. Unsere Mitarbeitenden sind offenkundig sehr daran interessiert, sich nicht nur in professioneller Hinsicht, sondern auch jenseits ihres Jobs weiterzuentwickeln. Daher wollen wir auf solche Inhalte noch weiter aufbauen.

Sagen Sie doch mal was Nettes über die Generation Z!

Da muss ich nicht lange überlegen. Wir führen ja gerade die Kennenlerngespräche mit den Menschen, die durch die Übernahme der Maas-Häuser zu uns stoßen, und sind hellauf begeistert von dem Antrieb und dem Willen, den wir dabei insbesondere auch bei den Jüngeren unter ihnen wahrnehmen. Aber natürlich haben sich die Anforderungen und Bedürfnisse geändert. Daher trifft man heute im Schnitt seltener auf ein so großes Engagement als vor 30 Jahren.

Dann fällt Ihnen sicher auch etwas Nettes zu den Boomern ein.

Auch das ist kein Problem: In dieser Generation erleben wir extrem viel Loyalität und Identifikation mit dem eigenen Job, dem Team und unserem Unternehmen, und das schätzen wir natürlich sehr.

Wie bringt man die verschiedenen Generationen zusammen?

Grundsätzlich ist es uns ein großes Anliegen, aus diesen unterschiedlichen Lebensstilen ein buntes Team mit einem gemeinschaftlichen Teamgefühl zu schaffen. Allerdings habe ich auch gar nicht den Eindruck, dass die verschiedenen Altersgruppen ein Problem miteinander haben. Im Gegenteil, bei den Events, die wir für unsere Mitarbeitenden veranstalten, spürt man, dass sie sehr gut miteinander auskommen.

Lingerie-Store von Böckmann in Ibbenbüren Bild: Böckmann

Im Privatleben macht man derzeit oft die Erfahrung, dass man mit stark von der eigenen Haltung abweichenden politischen Ansichten konfrontiert wird. Bei künftig fast 600 Mitarbeitenden dürfte diesbezüglich auch nicht immer Einigkeit herrschen. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben bestimmte Grundwerte und stehen für eine offene, bunte, liberale Gesellschaft. In dieser Hinsicht muss man zusammenpassen. Wir würden aber nicht so weit gehen, dass wir das Parteibuch sehen wollen.

Einzelhändler in Münster positionieren sich klar gegen Rechtsradikalismus, auch durch diverse Aktionen. Wäre das für Sie an Ihren Standorten auch eine Option?

So etwas ist sicherlich immer individuell pro Standort zu betrachten. Dabei geht es ja auch darum, welches überregionale Signal man als Handelsverbund eines Standorts in der Lage ist zu senden. Da sind die Möglichkeiten, aber vielleicht auch der Bedarf dazu in einer Großstadt wie Münster sicher deutlich größer als etwa in Recke. Dessen sind wir uns bewusst, weshalb wir uns auch nicht zu wichtig nehmen möchten.

Ein klares Bekenntnis zu Nachhaltigkeit legen Sie mit Ihrer Initiative „Aus Liebe Grün“ ab. Wie relevant ist das Thema Ihrem Eindruck nach derzeit für Ihre Kundschaft?

Es gibt unter den Endverbraucher:innen einen kleinen Kreis, der sich intensiv mit Nachhaltigkeit und einer entsprechenden Lebensweise beschäftigt. Insgesamt ist das Interesse daran in letzter Zeit aber eher abgeflacht. Und man kann sicher sagen, dass die Bereitschaft, für nachhaltige Produkte einen höheren Verkaufspreis zu bezahlen, auch dann überschaubar ist, wenn eine grundsätzliche Sensibilität dafür vorhanden ist. Für uns als Unternehmen jedoch gehört Nachhaltigkeit zum Selbstverständnis.

Sie sind schon als Kind in das Unternehmen hineingewachsen und sind seit zehn Jahren selbst in unternehmerischer Verantwortung. Seit knapp fünf Jahren sind wir nun im Krisenmodus…

Sind wir das? Das empfinde ich nicht so, im Gegenteil. Meine Wahrnehmung ist, dass wir gerade eine sehr spannende, chancenreiche Zeit erleben.

Diese Einschätzung lässt vermuten, dass Sie in den letzten Jahren eine enorme Resilienz aufgebaut haben!

Sicher hat man sich in der Coronazeit eine gewisse Gelassenheit angeeignet. Wenn man seine Läden schließen muss und es Monate gibt, in denen man ein Umsatzminus von nahezu 100 Prozent verzeichnet, dann führt das fast zwangsläufig dazu, dass man es nicht mehr so tragisch nimmt, wenn man mal 5 Prozent Minus macht. Aber es stimmt, wir sind sicher entspannter als vor der Pandemie.

Außenansicht der Böckmann-Filiale Papenburg Bild: Böckmann

Welche Ziele haben Sie – von der Maas-Integration abgesehen – für die nächsten drei bis fünf Jahre?

Unser Ziel ist es nach wie vor, die Idee, Menschen zu begeistern, weiter auszubauen und Begegnungsstätten zu schaffen, in denen diese Idee und auch wir gesund weiterwachsen.

Wollen Sie geographisch wachsen oder in Bezug auf neue Geschäftsfelder?

Unser Fokus ist der stationäre Handel. Darüber hinaus sind wir immer offen. Wir wissen heute nicht, welche neuen Anforderungen sich in Zukunft ergeben werden. Es kann ja durchaus sein, dass an unseren Standorten neue Dienstleistungsangebote gewünscht werden…

Denken Sie da in Richtung Hospitality?

Zum Beispiel. Vielleicht wird es aber auch erforderlich sein, das örtliche Reisebüro zu übernehmen oder Dienstleistungen für das tägliche Leben anzubieten, von Nahversorgungsplattformen bis hin zu Veranstaltungen. Wir sind offen für alles.

Matthias Böckmann
Modehandel
Modehaus Böckmann
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