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Marken-Chef von Carl Gross: Mode ist relativ krisensicher, denn die Menschen wollen sich immer verschönern

Von Jule Scott

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Business |Interview

Thorsten Grönlund, Division Head of Carl Gross Bild: Carl Gross

Beim Hersbrucker Männermode-Spezialist Création Gross liegt Veränderung in der Luft. Nach fünf Jahren an der Spitze der Kernmarke Carl Gross verabschiedet sich Division Head Thorsten Grönlund im Frühjahr vom Unternehmen. FashionUnited traf Grönlund, der die stilistische und kreative Verantwortung für die Kernmarke des Familienunternehmens trägt, während seines letzten Auftritts im Namen von Carl Gross bei der Männermodemesse Pitti Uomo.

Warum ein Besuch auf der Florentiner Messe unerlässlich ist, wieso es heute kaum mehr Einkaufserlebnisse gibt, weshalb Trends am Ende des Tages nicht immer relevant sind, verriet Grönlund auf dem direkt am Eingang gelegenen Stand des Hersbrucker Unternehmens.

Sie haben direkt zum Beginn der Ordersaison in diesem Jahr auf der Pitti Uomo in Florenz mit einem großen Messestand stark auf Präsenz gesetzt. Warum ist ein Auftritt wie dieser gerade jetzt wichtig?

Zum einen können wir zeigen, wie wir die Mark gerne im Laden hätten. Die Art Laden, die Lust darauf macht, zu kaufen. Heutzutage sind die Frequenzen überall niedrig, in den Läden ist nichts mehr los. Das liegt natürlich daran, dass wir diese nicht genug emotionalisieren. Wenn wir einkaufen gehen, dann wollen wir ein Erlebnis haben. Da geht es ja nicht mehr wie früher darum, Bedarf zu decken.

Das Zweite ist natürlich zu zeigen, wer im Wettbewerb die Hosen anhat und zu zeigen, was man kann. Man kann nicht sagen, dass die Messe sich rechnet und man mit einer Anzahl von Neukund:innen zurück nach Hause fährt. Nein, es ist reines Marketing und das hauptsächlich für Bestandskund:innen. Man weiß allerdings nicht, wo sich die Messelandschaft hinentwickelt, da Händler:innen früher deutlich neugieriger waren. Früher waren sie immer auf der Suche nach einem neuen, interessanten Label. Das ist auch eine Sache, die leider immer weniger wird.

Carl Gross auf der Pitti Uomo Bild: Carl Gross

Hat die Risikobereitschaft in den vergangenen Jahren abgenommen?

Ja, ich glaube schon, dass die Risikobereitschaft deutlich heruntergegangen ist. Wir sind alle nicht mehr so risikobereit, wie wir es einmal waren. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Rentabilität heute eine andere ist. Es gab Zeiten, da ist die Textilbranche im Geld geschwommen. Wenn man damals zu Messen gegangen ist, beispielsweise in Köln, da stand der ganze Parkplatz voll mit teuren Autos. Das waren alles Vertreter:innen oder irgendwelche Marken. Alle haben damals mehr Geld verdient und damit war natürlich auch die Risikobereitschaft höher.

Sie meinten gerade, es geht nicht mehr darum, Bedarf zu decken. Wie sichern Sie sich bei Carl Gross das Interesse und die Kaufmotivation der Kund:innen?

Die Emotionalisierung ist definitiv eher das Thema als das Einzelteil. Also die Gesamtgeschichte zu emotionalisieren und irgendwie schön zu verpacken, dass Kund:innen wieder Lust am Kaufen haben. Das ist nicht immer einfach, denn Carl Gross steht zwar für Modernität, aber eben nicht für Trend. Ich möchte sichergehen, dass der Kunde sich bei uns nicht verkleiden kann.

Wie entscheiden Sie, welche Trends für Carl Gross relevant sind, und welche nicht?

Gewisse Trend-Spitzen lasse ich von vornherein weg. Aktuell sind das etwa die wieder sehr weit werdenden Hosen. Die sollen erst einmal im Markt ankommen und angenommen werden, dann setzen wir diese Idee auch um. Aktuell haben wir Bundfaltenhosen, die etwas cropped sind. Das ist okay für unsere Kunden, aber ich sehe sie weiterhin nicht in einer Schlaghose.

Das heißt, die Trendbereitschaft ihrer Kunden kennt eine klare Grenze?

Es hat definitiv eine Grenze. Und ich möchte auch tatsächlich nicht die Marke verjüngen, sondern ich möchte unseren Kunden optisch verjüngen. Und der Kunde, der ist nun mal gerne 50 Plus. Der klassische 50-Jährige beabsichtigt nicht wie 50 auszusehen. Ich bin auch über 50, und am Ende des Tages fühlt man sich dann cool, wenn man sich etwas jünger fühlt – ohne sich dabei zu verkleiden, denn es muss auch zu den jeweiligen Lebensumständen passen.

Das war schon immer die Motivation für mich in meinem Job. Ich habe früher, – ich komme von der Fläche, habe bei Peek&Cloppenburg gelernt in Düsseldorf, – immer gesagt: wenn der Kunde aus der Umkleidekabine kommt, muss er besser aussehen als vorher. Das ist der Sinn von Mode. Und das ist auch das, warum Mode immer für mich relativ krisensicher ist, denn die Menschen wollen sich selbst verschönern. Das kannst du am besten mit einem Kleidungsstück machen.

Und dennoch sind Inflation und Kaufzurückhaltung derzeit in aller Munde…

Ja, das sind zwei Probleme. Auf der einen Seite, in solchen Zeiten, in denen alle über die Krise reden, wollen sich die Menschen wieder besser anziehen. Sie wollen zeigen, dass es ihnen eben nicht so schlecht geht. Gerade bei den Herren wird dann gerne mal wieder das Jackett oder ein Anzug ausgepackt. Die Probleme, die der Handel hat, sind wieder das, was ich am Anfang gesagt habe, sie emotionalisieren nicht genug. Du brauchst heute keinen Kaufhof mehr. Da bestelle ich mir meine Socken lieber im Internet, bevor ich mich da in den Kaufhof an die Kasse stelle. Das braucht keiner mehr, denn wenn ich rausgehe, dann möchte ich Emotionen. Man braucht in irgendeiner Form ein Einkaufserlebnis und das machen viele falsch. Es gibt fast nur noch 'Bedarfsdecker' und dann wundern sich alle, dass sie online abwandern und sich da ihren Bedarf decken und den Einkauf eben nicht im Laden zelebrieren.

Gibt es heutzutage noch wahrhaftige Einkaufserlebnisse?

Ein Einkaufserlebnis kann man natürlich nicht in der Menge bieten, wie das früher mal war. Deswegen wird es auch zusammenschrumpfen. Aber tatsächlich machen so Geschichten wie Galeria wirklich Angst. Insbesondere für die Innenstädte, denn wenn ich mir überlege, welche Alternativen es gibt, fällt mir nicht viel ein. Anfang der Mönckebergstraße in Hamburg gab es ein Karstadt-Sportgeschäft und auf der anderen Seite den Kaufhof. Die stehen jetzt seit anderthalb Jahren leer. Da gibt es keinen, der da reingeht. Auf der Mönckebergstraße, beste Lage, aber diese Läden sind einfach riesig. Das kann heute kaum mehr jemand füllen.

Wir sprachen gerade von Krisen, wie geht es Carl Gross aktuell?

Wir haben natürlich von der After-Corona-Zeit profitiert. Wir haben von dem unglaublichen Hochzeitstrend profitiert. Sicherlich erlebten wir 2023 einen Zenit und jetzt, 2024, können wir auf einem gesunden Niveau wachsen. Das heißt für mich ein einstelliges Wachstum und das wird sich so in den nächsten Jahren durchziehen. Wir müssen schauen, dass wir profitabel und mit den richtigen Artikeln wachsen.

Welche Aufgaben sehen Sie mit diesem Ziel vor Augen als unerlässlich an?

Unsere Aufgabe ist es nun, die Kluft zwischen dem, was wir auf den Messen präsentieren, und der Realität im Einzelhandel zu schließen. Die Sortimente müssen spannender und auf gleichem Umsatzniveau gestaltet werden.

Inwieweit können Sie die Umsetzung im Handel beeinflussen?

Die Händler:innen müssen das für sich begreifen, die Lernkurve müssen Sie selber durchlaufen. Das geht langsam los. Wenn Sie in irgendwas investiert haben, dann haben Sie in Merchandiser investiert. Aber die Frequenzen und die Drehungen heruntergehen, wächst auf der anderen Seite das Verständnis für ein schönes Visual Merchandising, für eine ansprechende Präsentation. Also ich glaube, das wird relativ schnell gehen. Also die, die da wirklich überleben wollen, die werden sich da weiterentwickeln.

Um nochmal auf Trends zurückzukommen: Wohin geht die modische Reise in der kommenden Saison für die Herren?

Das Wichtigste, was bei der Männermode ansteht, ist ganz klar ein Silhouettenwechsel. Weg von Slim-Fit, weg von schmalen Revers, weg von kurzen Sakkos, weg von engen Hosen. Das ist etwas, wo ich perspektivisch den größten Umsatz-Impact sehe. Bei den Männern dauert es ein wenig, aber wenn die Silhouette sich einmal gewechselt hat, dann haben wir meistens alle eine reizende Frau an unserer Seite, die sagt, „aber die Hose kannst du doch nicht mehr anziehen“. Und das spiegelt sich dann natürlich auch in den Umsätzen wider.

Carl Gross auf der Pitti Uomo Bild: Carl Gross

Der Zweireiher ist ebenfalls ein Thema. Die Modelle haben bereits einmal wahnsinnig gut funktioniert bei den Männern, dann hat sich der Handel eine Zeit lang nicht mehr getraut. Es macht sicherlich keinen Sinn, den ganzen Laden mit Zweireihern zu bestücken, aber ob als Sakko, Cardigan oder Mantel, das ist ein Thema, das definitiv Potenzial hat. Außerdem werden wir uns wieder von den ganzen Stretch-Qualitäten wegbewegen. Diese braucht man sicherlich, wenn die Silhouette eng ist, doch jetzt wendet sich das Blatt. Das sind so die größten Trigger für uns in der Zukunft. Und bei den Farben wird Schwarz ganz klar wieder stark kommen. Bei den Damen ist es im Moment sogar schon Anthrazit, was bei uns lange Zeit tot war, aber Anthrazit boomt gerade sehr, genau wie Braun. Die ganze Braun-Thematik wird auch wieder stark kommen, nicht direkt über Dunkelbraun, sondern eher über so Nuss-Töne.

Carl Gross auf der Pitti Uomo Bild: Carl Gross

Sie erwähnten gerade mehrfach die Welt der Damenmode…

Was inzwischen tatsächlich auffällt, ist, dass man immer mehr Sachen aus der Damenmode in der Männerwelt adaptieren kann. Die weiten Silhouetten kommen von den Damen und auch die Farbtöne kann man übernehmen oder zumindest als Wegweiser ansehen.

Und etwas zeitversetzt kommen diese Farben und Silhouetten dann auch bei den Herren an?

Ja, zwei bis drei Saisons versetzt.

Sie nehmen nach dieser Orderrunde, im Frühjahr, nach fünf Jahren Abschied von Carl Gross. Wie blicken Sie dem Ende Ihrer Zeit im Unternehmen entgegen?

Wehmütig. Ein lachendes und weinendes Auge. Das ist schon eine wehmütige Veranstaltung. Das ist eine tolle Firma und es war eine tolle Zeit. Aber ich bin jemand, ich brauche Probleme, ich brauche Aufgaben. Und wir sind jetzt hier auf einem Niveau, wo ich sage, ja, da fehlen mir wahrscheinlich die Herausforderungen für die nächsten zwei Jahre.

Und diese neue Herausforderung werden Sie beim Hosenspezialisten Hiltl finden?

Hiltl hat sehr viel Potenzial, sagen wir es mal so. Das Unternehmen kommt von einem ganz hohen Niveau, aber ist dann leider abgerutscht, da der Fokus zu sehr auf Marke lag. Ich bin kein Designer oder Künstler, ich bin jemand, der wirklich von der Fläche, von der Straße kommt. Und da habe ich schon Bock drauf, dass wieder möglichst viele Leute dieses Produkt tragen. Das ist für mich immer das schönste Kompliment, wenn ich das besonders oft sehe, im Handel und auch auf der Straße. Deswegen freue ich mich auf die neue Aufgabe und ich glaube auch, dass das gut wird. Aber es ist extrem schwer zu gehen. Der Abschied ist mir noch nie so schwergefallen.

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