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Kläger nach Fabrikbrand in Pakistan: Lage in nicht verbessert

Von DPA

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In einer Fabrik in Pakistan sterben 2012 mehr als 250 Menschen. Betroffene verklagen den Textildiscounter KiK - in Dortmund. Zentrale Grundsatzfrage in Zeiten der Globalisierung: Haftet ein deutscher Auftraggeber für Missstände bei einem Zulieferer im Billiglohnland?

Mit einem ohrenbetäubenden Knall beginnt das Inferno. Die Fabrik im Vorort der pakistanischen Hafenstadt Karachi ist schnell mit Rauch gefüllt. Arbeiter schreien um Hilfe. Flucht ist kaum möglich. Nur eine Tür soll offen gewesen sein. Nähmaschinen fliegen gegen die Eisengitter vor den Fenstern. Hände reißen an den Stangen, um sie aus der Verankerung zu lösen. Einige springen in Panik aus den Fenstern des dreistöckigen Gebäudes. Viele bleiben gefangen - und verbrennen bis zur Unkenntlichkeit. Die Behörden zählen mehr als 250 Tote und Dutzende Verletzte. Sechs Jahre nach dem schwersten Industrieunfall in der Geschichte Pakistans kommt der Fall nach Deutschland.

Vier Betroffene klagen in einem Aufsehen erregenden und bisher beispiellosen Prozess in Dortmund gegen den Textildiscounter KiK, damals Hauptauftraggeber. Saeeda Khatoon hat ihren Sohn in den Flammen verloren. «Er war 18 Jahre alt», sagt sie am Mittwoch, einen Tag vor Beginn des Zivilverfahrens. Kaum einer habe es am 11. September 2012 aus dem Gebäude geschafft. «Wir haben geschrien, keiner hat geholfen. Mein Kind ist nicht rausgekommen. Am nächsten Morgen haben wir die Leiche meines Kindes erhalten», schildert sie unter Tränen. Sie zeigt sein Foto. «Ich will Gerechtigkeit.»

Auch zwei weitere Kläger trauern um ihre Angehörigen. Außerdem klagt ein Textilarbeiter, der das Unglück schwer verletzt überlebt hat. Die meisten Beschäftigten von Ali Enterprises in Karachi hatten Schulter an Schulter Jeans und Unterwäsche genäht - und zwar vor allem für KiK mit Sitz in Bönen nahe Dortmund. Daher nun der Prozess im Ruhrgebiet. Auf Antrag der Kläger verhandelt das Dortmunder Landgericht nach pakistanischem Recht.

Es geht zum einen um je 30 000 Schmerzensgeld, aber im Grundsatz um viel mehr. Auf dem Prüfstand steht eine zentrale Frage, die die Arbeitsteilung in Zeiten der Globalisierung berührt: Wie weitreichend ist die Verantwortung großer deutscher Unternehmen für die Arbeitsbedingungen und Standards bei ihren Zulieferern in Entwicklungsländern? Die Kläger sehen KiK mitverantwortlich für unzureichende Brandschutzmaßnahmen in der Fabrik und wollen den Discounter dafür haftbar machen.

Es handele sich um einen Präzedenzfall, der Unruhe bei den Unternehmen auslösen dürfte, meint Miriam Saage-Maß von der Menschenrechtsvereinigung ECCHR. Schon die Tatsache, dass eine solche Klage zugelassen worden sei, setze ein Ausrufezeichen und strahle auf die gesamte Branche aus. Das European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR) und die Organisation medico international unterstützen die Kläger in dem Zivilverfahren.

Das Hauptproblem sei, dass sich die «unmenschlichen» Arbeitsbedingungen in Pakistan überhaupt nicht verbessert hätten, kritisiert Gewerkschafter Nasir Mansoor. «Unternehmen und Fabrikbesitzer haben nichts gelernt aus der Tragödie.» Und: «Die Arbeiter haben keine Rechte.» Sicherheitsstandards seien weiterhin unzureichend und beunruhigend. Es könne jederzeit wieder zu einer solchen Katastrophe kommen, warnt Mansoor. Die Textilfabriken produzierten hauptsächlich für den europäischen Markt und Nordamerika. Daher trage man dort ebenfalls Verantwortung, findet Mansoor.

Seibert von medico wird noch deutlicher: Textilunternehmen aus Deutschland lagerten ihre Produktion bewusst in Billiglohnländer wie Pakistan und Bangladesch aus, gerade weil die Standards dort niedrig seien, lautet sein Vorwurf. Es brauche daher verbindliche Regelungen und Sanktionsmöglichkeiten. «Die Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtungen ist vorbei.»

KiK ist überzeugt, dass die Klage scheitern wird. «Wir gehen davon aus, dass das Landgericht die Klage wegen Verjährung abweisen wird», hatte Unternehmens-Anwalt Gunther Lehleiter kürzlich gesagt - und auf ein entsprechendes Gutachten verwiesen, das vom Gericht bestellt worden war. Das Unglück sei die Folge «einer terroristischen Schutzgelderpressung der örtlichen Mafia» gewesen, die das Feuer gelegt habe. Der Discounter hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 6 Millionen US-Dollar (5,3 Mio Euro) Hilfen für die Betroffenen bereitgestellt. Die Schmerzensgeld-Ansprüche weist KiK zurück.

Miriam Saage-Maaß von ECCHR geht nicht von Verjährung aus - der Prozessausgang sei offen. Seibert moniert: Aus «Unwillen oder Schlampigkeit» habe Kläger Muhammad Hanif kein Visum vom deutschen Konsulat erhalten. Am Mittwochnachmittag meldete das ECCHR dann aber, ihnen sei mitgeteilt worden, der einzige Überlebende unter den Klägern könne doch einreisen. Ob Hanif es so kurzfristig nach Dortmund schaffe, um in eigener Sache zu sprechen, sei jedoch unklar. (dpa)

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