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ILO-Direktor zur Produktion in Bangladesch: „Ergebnisse sprechen für sich“

Von Simone Preuss

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Business|Interview
Tuomo Poutiainen im IAO-Büro in Dhaka. Bild: Sumit Suryawanshi für FashionUnited

Bangladesch ist in den letzten Jahren als Herstellungsland von Konfektionskleidung weit gekommen und ist auf dem besten Wege, China als weltweit größter Exporteur zu verdrängen. Angesichts des Einsturzes das Rana Plaza-Gebäudes im Jahr 2013, das den Tiefpunkt der Bekleidungsindustrie des Landes darstellte, wie konnte sich das Land in so kurzer Zeit zur derzeitigen Spitzenposition entwickeln? Und wie sieht es mit der Sicherheit der Fabriken jetzt aus? FashionUnited sprach mit Tuomo Poutiainen, Direktor der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in Dhaka, Bangladesch.

Könnten Sie ein wenig erläutern, wie Sie zu Ihrer jetzigen Tätigkeit bei der IAO gekommen sind?

Ich arbeite seit über 20 Jahren für die IAO, in verschiedenen Ländern. Ich habe schon früh beschlossen, mich auf Fragen der Arbeitnehmer:innenrechte, ihrer Sicherheit und Gesundheit sowie der Arbeitsbedingungen zu konzentrieren. Ich war etwa acht Jahre lang in Bangladesch, zwar nicht ununterbrochen, aber ziemlich intensiv. Nach dem Rana-Plaza-Unglück kam ich nach Bangladesch, um unsere Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie ins Leben zu rufen. Vor viereinhalb Jahren kam ich als Leiter des Büros hierher, das sich nicht nur mit dem Bekleidungssektor, sondern auch mit anderen Sektoren und Themen wie Arbeitslosigkeit, Arbeitsmigration und Kinderarbeit befasst.

Ich habe mich schon immer für die menschliche Entwicklung interessiert und dafür, wie wir möglichst ausgewogene Chancen für alle schaffen können. Es gibt ein Gemeinwohl und diese Art von Chancen, insbesondere für junge Menschen, gehört dazu. Ich denke, wir alle haben eine Verantwortung, und dafür steht die IAO, die Teil des UN-Systems ist.

Bangladesch ist ein relativ junges und schnell wachsendes Land, und es gibt viele Diskussionen über die Entwicklung von Fertigkeiten und darüber, wie man Chancengleichheit, insbesondere für Mädchen und Frauen, herstellen kann. Aus Sicht der IAO und der UN sagen wir, dass man keines dieser schönen SDGs wirklich erreichen kann, wenn Frauen nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden. Allerdings treten jedes Jahr zwei Millionen Menschen in den Arbeitsmarkt ein, und Bangladesch ist ein relativ kleines Land, das bis zu einem gewissen Grad auf den informellen Sektor angewiesen ist, so dass es eine Herausforderung ist, so schnell so viele Möglichkeiten zu schaffen.

Werden Veränderungen vorgenommen, auf nachhaltige Weise?

Ich denke ja und nein. Die Regierung widmet diesem Thema große Aufmerksamkeit, und sogar die Premierministerin hat dazu aufgerufen, bis 2041 die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, aber wie soll das in die Realität umgesetzt werden, wenn es den Organisationen immer noch an Investitionen mangelt? Aus Sicht der IAO/UN gibt es zwei Schwerpunktbereiche: Investitionen in die Primär- und Sekundärschulbildung und die Gleichstellung der Geschlechter in technischen Berufen, das heißt die Ausbildung von Mädchen und Frauen für technische Berufe trotz der immer noch bestehenden Stigmata auf Schul- und Arbeitgeberebene. Ein weiterer Schwerpunktbereich ist das Unternehmertum. Die meisten Arbeitsplätze werden hier von kleinen Unternehmen, Handwerksbetrieben und KMU geschaffen, wahrscheinlich 60 bis 70 Prozent. Auch hier brauchen wir eine stärkere Beteiligung von Frauen und mehr von Frauen geführte Unternehmen, insbesondere in neueren Branchen.

Die Bekleidungsindustrie und andere Branchen wie die Pharmaindustrie, die Kunststoffindustrie, die Fahrradherstellung und die IT-Branche sind wichtige Sektoren, weil sie Arbeitsplätze auf allen Ebenen, aber auch Chancen und hochrangige Arbeitsplätze bieten, und deshalb ist es wichtig, diese Wege für Frauen zu schaffen. Ein weiterer Sektor, der gute Arbeitsplätze bieten kann, ist der Dienstleistungssektor.

IAO-Büro in Dhaka, Bangladesch. Foto: Sumit Suryawanshi für FashionUnited.

Ihre Arbeit hat Sie in verschiedene Länder wie die Philippinen, Kambodscha, Thailand und Bangladesch geführt - welche länderspezifischen Herausforderungen und Stärken haben Sie beobachtet?

Alle Länder sind natürlich sehr unterschiedlich. In Bangladesch und Kambodscha gibt es ein starkes, vom Bekleidungssektor getragenes Wachstum, das mehr oder weniger ausschließlich von einem Sektor bestimmt wird, was eine Fülle von Herausforderungen und Chancen mit sich bringt. Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist wichtig. Wenn es zu Schocks wie der Covidpandemie kommt, stellt dies eine große Herausforderung dar, und Fragen wie Sicherheitsnetze rücken in den Vordergrund - wer wird für die Arbeitnehmer:innen sorgen, wenn der Job weg ist?

Bangladesch und der Bekleidungsindustrie ging es während der Pandemie recht gut. Es gehörte zu den Ländern, die sich relativ schnell impfen ließen, Covid ernst nahmen und sehr schnell Strategien und Praktiken einführten, die das Risiko verringerten. Es gab Zeiten, in denen Fabriken öffneten und schlossen, aber als sich die Gelegenheit bot, wieder zu öffnen, nutzte die Bekleidungsindustrie sie. Allerdings wurde das Fehlen eines Sicherheitsnetzes aufgedeckt, und die Regierung nimmt entsprechende Pläne und Maßnahmen, die Abhilfe schaffen können, sehr ernst. Natürlich gibt es ein Sozialhilfesystem, aber es besteht auch Bedarf an beitragsfinanzierten Programmen auf Seiten der Arbeitgeber:innen. Das ist die Art von Unterstützung, die in Zukunft benötigt wird, wenn Probleme auftreten, und das ist etwas Neues, bei dem die IAO mit Regierungen zusammenarbeitet.

Wie steht es mit der Verantwortung von Marken und Einzelhandelsunternehmen?

Wenn es in der Industrie zu Zwischenfällen kommt, liegt das Augenmerk in der Regel auf der Sicherheit und den Arbeitsbedingungen. Ich würde sagen, dass es echte Verbesserungen und einen echten Lernprozess in der Branche gegeben hat und dass Auftraggeber und Marken eine echte Unterstützung und einen Fokus darauf haben, mit der Branche zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass diese Veränderungen auch wirklich stattfinden und eingehalten werden. Sie müssen sicherstellen, dass die Lieferbetriebe, von denen sie fertigen lassen, die lokalen Gesetze und Praktiken einhalten und sichere Arbeitsbedingungen aufrechterhalten. Heute ist dies bekannt, aber vor zehn Jahren wurde dies vielleicht noch nicht ganz verstanden und schon gar nicht angewandt. Es gibt zwar verschiedene Levels von Betrieben, aber im Allgemeinen hat die Industrie in Bangladesch heute eine viel bessere Sicherheitsbilanz.

Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der Anteil der Fabriken, die die Vorschriften jetzt einhalten?

Es ist schwer, in einer so heterogenen Branche einen Prozentsatz zu nennen, aber wahrscheinlich liegen 70 Prozent der Fabriken jetzt in dem erwarteten Bereich, und der Rest ist irgendwo dazwischen, zumindest die exportorientierten Betriebe. Viele Fabriken sind generell bestrebt, Gutes zu tun, zum Beispiel die Gemeinde kostenlos mit Wasser zu versorgen, die örtliche Moschee zu reparieren, für Kinderbetreuung, Waisenhäuser oder Schulen zu bezahlen. Sie tun Gutes in ihrer Nachbarschaft, ohne eine große Sache daraus zu machen. Sie haben verstanden, dass die Bereitstellung von guten Lebensmitteln und Gesundheitsfürsorge Teil eines guten Geschäftmodells sind. Die Bindung der Arbeitnehmer:innen an das Unternehmen verbessert sich dadurch, und wenn gute Beziehungen zwischen ihnen und dem Management bestehen, läuft alles besser. Sie sind ihr Kapital, und es ist nicht leicht, qualifizierte Mitarbeiter:innen zu finden. Die Grundlage dafür ist eine gegenseitige, respektvolle Beziehung, und eine gute Arbeitsbeziehung funktioniert. Hier ist es auch wichtig, dass sich die Branche ausbreitet und nicht nur in und um Dhaka konzentriert, damit das ganze Land von diesem lokalen Engagement profitieren kann.

Außerdem kann ein Generationswechsel und eine geografische Verschiebung der Produktionsstandorte beobachtet werden. Vor zehn Jahren befanden sich Fabriken noch in Wohngebieten und oft in gemischten Einrichtungen - eine Bekleidungsfabrik, die auch etwas anderes herstellte oder beherbergte. All das gibt es heute fast nicht mehr, denn der Schock von Rana Plaza hat diese Praxis radikal verändert. Die Fabriken sind in zweckgebundene Gebäude in Wirtschaftszonen umgezogen. Dadurch verringert sich das Risiko für die Öffentlichkeit und in gewissem Sinne auch für die Arbeiter:innen, da der Betrieb als Bekleidungsfabrik inspiziert werden kann und Maßnahmen an der gesamten Anlage durchgeführt werden können. Allein durch den Wechsel des Standorts, an dem die Produktion stattfindet, wurden also Transparenz und Sicherheit verbessert.

Könnte Bangladesch ein Vorbild für andere bekleidungsherstellenden Länder werden?

Ja, in dem Sinne, dass die Ergebnisse für sich selbst sprechen. Und wenn man sich anschaut, wie diese Ergebnisse erzielt wurden, ist es wirklich wichtig, sich den enormen Druck der internationalen Marken durch ziemlich viele Investitionen anzusehen. Es gab zwei millionenschwere Organisationen, den Accord und die Alliance, die zu diesem Zweck hier waren und diese Veränderungen fast erzwungen haben, die nun von der Industrie verinnerlicht wurden. Die Aufgabe besteht darin, diese Veränderungen und diese Wachsamkeit aufrechtzuerhalten und auch den Wert dieser Investitionen zu verstehen. Das war also der eigentliche Auslöser für den Wandel. Anfangs hieß es: “Das ist passiert, was können wir tun?", aber verwandelte es sich in “Das kann man tun”, “Das müssen wir tun, wenn wir weiterhin in diesem Geschäft bleiben wollen”. Und ja, wir werden als internationale Gemeinschaft helfen. Natürlich werden die Organisationen die Regierungen unterstützen, aber Unternehmen müssen Unternehmen unterstützen, und hier kamen die internationalen Auftraggeber ins Spiel.

Würden Sie sagen, dass der Übergang erfolgreich war?

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass der Übergang von Accord und Alliance zum RMG Sustainability Council damals auf Skepsis und vielleicht auch auf Kontroversen stieß, aber der Grundgedanke, die Verantwortung auf eine neue Organisation zu übertragen, an der die Branche als Ganzes beteiligt ist, war ein guter Weg, um das Projekt aufrechtzuerhalten und fortzuführen, weil man dann eine viel größere Verantwortung hat. Es ist ein viel besserer Weg, sie aufrechtzuerhalten und ein Gremium mit internationalen Gewerkschaften und internationalen Industrie und Marken zu haben, das die Aufsicht behält.

Auf diese Weise kann Glaubwürdigkeit aufrechterhalten werden, und wir haben jetzt Arbeitssicherheit als Ergebnis von zehn Jahren unermüdlicher Arbeit. Und auf diese Weise kann dieses Modell auch für andere Länder funktionieren - ihre Situation mag anders sein, auch ihre Motivation, ihr Widerstand und ihre positive Aufnahme - aber sie können sich ansehen, wie dieser Wandel stattgefunden hat.

Bangladesch profitiert jetzt davon, da die Welt, Handelspartner und Märkte mehr Einhaltung der Vorschriften erwarten - in Bezug auf die Einhaltung von Sozial- und Umweltvorschriften, die Unternehmensführung und die Sorgfaltspflicht im Allgemeinen. Und es gibt immer mehr Gesetze, die Auftraggeber in den Herkunftsländern verpflichten, diese einzuhalten und nachzuweisen, dass sie in Märkten herstellen lassen, in denen die richtigen Bedingungen herrschen. Bangladesch ist also bei diesen Methoden ganz vorne mit dabei und muss dies nun auf andere Sektoren übertragen, denn das Land will auch andere Produkte als RMGs verkaufen, wie Gewürze, Schuhe und Fahrräder. Alle diese Lieferketten müssen untersucht werden.

Was ist mit den Verbrauchern:innen? Wie viel Macht haben sie, wie viel Druck können sie ausüben?

Seit Jahren wird der Blickwinkel der Verbraucher:innen geschärft - wie viel wissen sie, wie viel wollen sie wissen? Wie wirkt sich das auf ihr Kaufverhalten aus? Darauf habe ich keine Antwort, aber ich denke, je klarer Einzelhandelsunternehmen oder Marken in Bezug auf die Verantwortung und die Art und Weise, wie ihre Fabriken liefern, sein können, desto mehr werden Verbraucher :innen dies bei ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen.

Marktregulierungen, die Europäische Union und andere werden dazu beitragen, Mindeststandards festzulegen, so dass Verbraucher:innen gar nicht mehr die Wahl haben, ein minderwertiges Produkt zu kaufen, weil es reguliert ist und auf einem bestimmten Markt nur bestimmte Arten von Produkten zugelassen sind. Und im Laufe der Jahre wurde dies bereits für andere Produkte wie Spielzeug, Elektronik und Lebensmittel eingeführt. Dies ist die nächste Hürde, die genommen werden muss, und es geht jetzt darum, einen Konsens zwischen Regierungen, Verbraucher:innen gruppen und der Wirtschaft zu erreichen.

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Toumo Poutiainen