Hiltl-CEO: „Wir werden in unserer Branche nie nur Bedarfsdecker sein”
Unter der Führung von CEO Thorsten Grönlund, der seit anderthalb Jahren an der Spitze von Hiltl steht, hat sich das Traditionsunternehmen trotz herausfordernder Marktbedingungen stabil behauptet und seine Präsenz im Handel weiter ausgebaut.
Zum 70. Jubiläum geht der Hosen-Spezialist aus Sulzbach-Rosenburg nun einen weiteren strategischen Schritt: Mit dem neuen Label 55f richtet sich die Marke gezielt an Kund:innen, die bislang nicht in die Premiumlinie investiert haben. Das Konzept setzt auf zwei bewährte Passformen, saisonal abgestimmte Materialien, 15 Farben und einen Einstiegspreis von 99 Euro – ein klares Signal, neue Zielgruppen zu erreichen, ohne die Identität von Hiltl zu verwässern.
Im Interview mit FashionUnited spricht Grönlund über die bisherigen Erfolge seit seinem Antritt, die Bedeutung von Mut und Inszenierung im Handel, die parallele Positionierung von Hiltl zu internationalen Premium-Marken wie Ralph Lauren und die strategischen Überlegungen hinter dem Launch von 55f.
Herr Grönlund, wir sprachen zuletzt vor Ihrem Antritt bei Hiltl. Damals haben Sie schon vom großen Potenzial der Marke gesprochen. Wie lautet Ihr Fazit nach anderthalb Jahren an der Spitze?
Das, was ich bei Hiltl erwartet habe, ist auch eingetroffen: unheimlich viel Kompetenz und Akzeptanz im Handel. Ich habe schon zu meinem Antritt gesagt, dass Hiltl sich ein bisschen gesund geschrumpft hat, auch durch Umstände, die sie im Zweifel gar nicht selbst beeinflussen konnte. Dementsprechend waren die Voraussetzungen wirklich ideal, als ich hier angetreten bin.
Spiegeln sich die Rahmenbedingungen auch in Ihren Zielen?
Natürlich bin ich hier mit zweistelligen Wachstumsplänen angetreten. Die habe ich an der einen oder anderen Stelle nicht erreicht. Aber wenn man in einem insgesamt schrumpfenden Markt immerhin einstellig wächst, dann muss man leider zufrieden sein. Zufriedenheit ist nicht unbedingt meine Kernkompetenz, aber allein mit Blick auf das, was die Kollegen hier jeden Tag leisten, muss man zufrieden sein.
Sie wollten Hiltl wieder stärker am Point of Sale positionieren. Wie haben Sie das bisher umgesetzt?
Genau, der Hauptansatz war damals ganz klar, den POS zu verändern – dem Endverbraucher zu zeigen, wofür wir stehen, und mehr Hiltl-Hosen zu verkaufen. Das ist durch viele spannende Projekte gut aufgegangen. Wir haben Pop-up-Konzepte ausgerollt, was für einen reinen Produkthersteller in einer Stammabteilung wirklich eine Herausforderung ist.
Wir haben außerdem einige Kund:innen auf Depot umgestellt, weil wir die Problematik des Handels sehen. Der geht immer ins Risiko und weiß nie, ob der Kunde nun die braune Hose kauft oder doch die dunkelblaue. Wenn die Grundkonstellation stimmt, übernehme ich deshalb gern die Verantwortung für die Ware – natürlich in Abstimmung mit dem Einkauf. Auch das hat bisher gut funktioniert. Überall dort, wo wir das gemacht haben, sehen wir Zuwächse.
Trotz der nicht ganz einfachen Marktlage lancieren Sie nun eine neue Marke. Ein mutiger Schritt…
Mut wird in unserer Branche oft unterschätzt, und das war in den letzten Saisons auch ein Problem im textilen Handel. Es sah immer alles gleich aus. Ohne den Mut, den Endverbraucher:innen Neues zu zeigen, kommt der Konsum nicht in Gang. Man kann ihn dann nicht dazu bewegen, etwas Neues zu kaufen.
Unsere Entscheidung hatte allerdings weniger mit Mut zu tun, sondern mit zwei Themen. Zum einen sind wir dieses Jahr 70 Jahre alt geworden, zum anderen habe ich eine Studie gemacht. 94 Prozent aller Hosen in Deutschland werden unter 100 Euro verkauft. Das heißt, an 94 Prozent des Marktes gehen wir mit unserer Markenpositionierung vorbei. Wir sind stolz auf unsere Premium-Positionierung und unseren Namen, aber das sind nur sechs Prozent des Marktes.
Eines meiner Ziele war, dass mehr Leute Hiltl-Hosen tragen. Das haben wir erreicht, indem wir die Einstiegspreise auf 139 Euro gesenkt und unser Konsument:innenportfolio erweitert haben, allerdings immer noch nicht für Kund:innen, die maximal 100 Euro ausgeben wollen oder können. Um diesen Markt neu zu erschließen, haben wir 55f gegründet.
Ist 55f also vor allem ein kommerzielles Projekt?
Wir haben ein Konzept entwickelt, das simpel und leicht zu verstehen ist und über den Preispunkt von 99 Euro breit und hoch-kommerziell verteilt wird. 55f ist so aufgebaut, dass wir zwei Styles anbieten, mit denen wir die größte Fläche des Marktes abdecken. Beide Modelle gibt es in jeweils 15 Farben. Die Auswahl ist so umfangreich, dass sie am Point of Sale deutlich ins Auge fällt. Darauf ist der Verkaufspreis von 99 Euro klar gesetzt und nachvollziehbar.
Für unsere Händler:innen haben wir zusätzlich eine Handelsspanne von 300 vorgesehen, also eine 300er-Aufschlagskalkulation. Das ist in dieser Kategorie selten. Die wenigsten machen es. Was wir den Händler:innen bieten, ist vor allem die komplette Kompetenz von Hiltl. Wir haben keine neuen Passformen entwickelt, sondern unsere bewährten Erfolgspassformen übernommen.
Wird neben der Passform-Kompetenz von Hiltl auch die Produktion der Marke genutzt?
Nein, wir sind erstmals in Asien in die Produktion gegangen. Für Hiltl ist das auch ein absolutes Tabu. Für 55f haben wir diesen Ansatz komplett verändert und sind nach Indien gegangen, zu einem langjährigen Lieferanten, den ich von vorherigen Rollen gut kenne und dessen Social- und Produktionsstandards ich vertraue. Dort haben wir die Kollektion aufgebaut, was auch erklärt, wie wir als Manufaktur eine Hose für 99 Euro realisieren konnten.
Gab es Bedenken bezüglich Nachhaltigkeit und Produktionsqualität bei der Fertigung in Indien?
Beim Preis entscheidet sich, wie nachhaltig das Ganze sein darf. Und wenn Sie sich preislich zu weit nach oben verabschieden, ist es – leider – eine ganz andere Geschichte als in der Lebensmittelbranche, wo die Leute bereit sind, für lokale Fleischqualität mehr zu bezahlen. Trotzdem ist die Awareness definitiv da. Und das ist für mich auch gar nicht mehr ein Marketingthema, sondern ein Thema von Verantwortung, die man hat, wenn man heute ein Industrieunternehmen leitet. Deswegen auch ganz gezielt: Ja, Indien klingt erstmal nach „die Leute stehen da im Sari knöcheltief in der Textilie“, aber das ist nicht mehr so. Aber was wir trotzdem noch haben – das darf man nicht beschönigen –, sind die Transportwege.
Es gibt einige Parallelen zwischen Hiltl und 55f, dennoch wirkt das neue Label etwas jünger.
Stimmt, die Bildsprache ist deutlich moderner und jünger, um eine klare Abgrenzung zu schaffen. Der Ansatz ist aber nicht, ein Fashion- oder Trendlabel zu kreieren, sondern die Hiltl-Kundschaft, die das Geld für eine Hiltl-Hose nicht ausgeben möchte oder kann, mit unserem Produkt zu bereichern.
Im Zweifel würden Sie sagen, dass sie ein bisschen moderner ist als die Hiltl-Hose. Ich habe nichts dagegen, wenn die 55f-Kundschaft im Schnitt 15 Jahre jünger ist als die von Hiltl, aber das ist nicht mein Ansatz. Alter ist für mich weder ein Zielgruppen- noch ein Kaufkriterium. Die Werte, die wir vertreten – Passform und Preis-Leistung – sind altersunabhängig.
An welcher Zielgruppe orientiert sich Hiltl?
Ich sehe uns grundsätzlich bei Hiltl so ein bisschen wie Ralph Lauren in der Zielgruppenpositionierung. Mein Sohn hatte Anfang Oktober Geburtstag. Er ist zwölf geworden und hat sich einen Ralph-Lauren-Pulli gewünscht – ohne dass er in irgendeiner Form von mir beeinflusst wurde, weil ich die Marke selber kaum trage. Das ist – um wieder zurück zu Hiltl zu kommen – eine Begehrlichkeit, die ich auch für eine Marke wie Hiltl sehe. In dieser ganzen Konstellation mit ‘Old-Money-Style’ und all dem haben wir eine ganz neue Berechtigung bekommen, und das adaptiere ich eins zu eins auf 55f.
Sie haben gerade die Bildsprache und TikTok-Trends wie die ‘Old-Money’-Ästhetik angesprochen. Gibt es konkrete Pläne, die Marke auf den Sozialen Medien zu bewerben?
Social Media ist heute das Hauptverkaufstool, keine Frage. Auch unsere Zuwächse im Online-Shop sind sehr stark Social-Media-getrieben. Und natürlich gerade mit so etwas, wo Sie mit Schlagworten arbeiten können – 99 Euro Verkaufspreis, 15 Farben –, ist das ein sehr Social-Media-affines Thema.
Apropos online, welche Gewichtung hat E-Commerce im Vergleich zum Wholesale bei Hiltl?
Das meiste läuft über den Online-Bereich, weil wir ihn direkt beeinflussen können. Seit Sommer letzten Jahres steuern wir das komplett selbst. Wir können enger verlinken, also steuern, was wir posten und wie unsere Startseite aussieht. Wenn im September der Wintereinbruch kam, konnten wir beispielsweise schnell die Cordhosen auf die Startseite setzen. Das geht online deutlich schneller. Daher – und das wird der Handel nicht gerne hören – verschieben sich die Umsätze weiterhin vom stationären Handel ins Internet, vor allem bei Bedarfsthemen.
Und dennoch haben Sie mit Hiltl seit ihrem Antritt stark auf den Handel gesetzt, warum?
Wir werden in unserer Branche nie nur Bedarfsdecker sein. Wir leben davon, Menschen etwas zu verkaufen, das sie eigentlich gar nicht brauchen. Nur im Handel sehe ich, wie kleine Details und neue Silhouetten ihre Wirkung entfalten. Ich denke dann zum Beispiel „Oh, jetzt sind wieder zwei Bundfalten dran, das sieht cool aus, die ziehe ich mal an.“ Und wenn ich im Geschäft meine dunkelblaue Hose abhole und vor mir acht andere Farben liegen, finde ich, dass dieser Grauton auch noch mal ganz interessant ist. Online geht so etwas oft unter, weil die Kund:innen dort eben nur gezielt ihren Bedarf decken.
Werden sie daher auch mit 55f online und stationär starten?
Nein, wir werden 55f nicht online verkaufen. Perspektivisch kann ich es nicht ausschließen, aber aktuell planen wir es nicht. Zum Start wird das Produkt ausschließlich stationär verfügbar sein.
Und wann ist Start im Handel geplant?
Die erste Auslieferung ist im Juli 2026 geplant.
Wissen Sie bereits, mit welchen Wholesale-Partner:innen der Startschuss fallen wird?
Nicht konkret. Wir haben die Kollektion gerade erst an den Vertrieb übergeben. Sicher ist aber, dass wir in der ersten Saison ganz klar auf einen selektiven Vertrieb setzen werden. Wir möchten wirklich mit Partner:innen starten, die das Produkt verstehen und auch brauchen, um es zusammen mit uns am Point of Sale entsprechend darzustellen. Es nützt nichts, wenn wir in der Preislage zwei Farben irgendwo zwischenhängen.
Nach welchen Kriterien wählen Sie die Handelspartner:innen unter dieser Berücksichtigung aus?
Mir ist wichtig, am Anfang Händler:innen zu haben, die sich acht Farben eines Artikels hinlegen und diese epische Farbvielfalt am POS inszenieren können. Das heißt mindestens ein Tisch, eine Rückwand oder Ähnliches. Je nach Größe ergibt sich die Anzahl der Optionen. Deshalb habe ich keine starre Vorgabe gemacht, sondern das Ziel ist ein für die Händler:innen adäquater Auftritt.
Wir sind gerade mittendrin die Partner:innen auszuwählen, mit denen wir starten möchten, und führen mit ihnen Gespräche. Natürlich ist unser Fokus weniger auf Kund:innen, die mit Hiltl erfolgreich sind. Denn unsere erfolgreichsten Hosen kosten im Sommer wie im Winter 179 Euro. Da ist keinem geholfen, wenn man diesen Umsatz in günstigeren Umsatz verwandelt – den Händler:innen am allerwenigsten, denn die Margen werden immer niedriger.
Nun kommt 55f aus dem Hause Hiltl und macht, wie die gleichnamige Marke, Hosen. Besteht die Gefahr, dass Hiltl kannibalisiert wird?
Ich habe keine Angst, dass irgendjemand auf die Idee kommt, Hiltl aus dem Sortiment zu nehmen und 55f stattdessen aufzunehmen. Das wird nicht passieren, denn die Händler:innen würde ihren eigenen Umsatz damit vernichten. Es ist eine ähnliche Situation wie bei Prada und Miu Miu. Natürlich gibt es Unterschiede, weil Miu Miu einen deutlich dekorierteren Weg geht als Prada, aber ähnlich ist es bei uns. Mit 55f verfolgen wir einen casualisierteren, sportlicheren Ansatz, haben aber in der Produktqualität absolute Parallelen zu dieser Konstellation und vor allem in der Preiskonstellation. Selbst die Miu-Miu-Stammkundin weiß selten, dass das aus dem Hause Prada kommt und dass eine Familie dahintersteht.
Planen Sie, 55f auf Messen zu präsentieren?
Nein, doch das liegt hauptsächlich daran, dass es ist wahnsinnig schwer, eine Hose auf einem Messestand sexy zu inszenieren. Und der Mehrwert, den wir dadurch als Marke hätten, steht nicht im Verhältnis zu dem Aufwand, den wir betreiben müssten. Ich will das nicht generell verneinen für die Zukunft – vielleicht wird es mal Themen geben. Aber im Moment stecken wir jeden Euro ins Produkt, wie schon immer, und in den POS.
Ich bin gespannt. Ich bin ein ziemlicher Aktionist und der Meinung, dass man gerade in unserer Branche viel ausprobieren muss. Man muss natürlich immer genau schauen, dass man nichts kaputt macht – da schaue ich schon genau hin. Das ist ein Thema, über das ich mich freue, wenn es aufgeht, und eines, dass perfekt zu unserem 70. Jubiläum passt. Aber ich gehe nicht mit übermäßigen Erwartungen daran.
In dem Fall, lassen Sie mich nicht nach Erwartungen sondern nach Hoffnungen für das kommende Jahr fragen.
Wenn ich generell über die Branche spreche, dann ist meine Hoffnung für 2026 – und ich glaube sogar eine begründete Hoffnung –, dass nach jedem Tal ein Berg kommt. Wir waren jetzt drei, vier Saisons im Tal. Es kann nur nach oben gehen. Wenn dann die Themen draußen passen und es wirklich Neues gibt, bin ich ziemlich optimistisch, dass 2026 wieder eine andere Entwicklung bringen wird und sich die Gesamtbranche nach oben entwickelt.
Und konkret für das Unternehmen Hiltl?
Für Hiltl ist klar, dass 2026 das Jahr wird, in dem wir das, was wir 2025 erfolgreich ausprobiert haben, ausrollen können. Wir haben belastbare Beweise, dass POS-Inszenierung, Schaufenster und die Präsentation von mehr Farbvielfalt funktionieren. Das haben die Händler:innen schwarz auf weiß in der Hand. Jetzt geht es nur noch darum, diese Erfolge zu multiplizieren. Das ist meine klare Erwartung für 2026: dass wir das Duplizieren erfolgreich umsetzen können.
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