Greenwashing-Vorwürfe: Wie H&M Nachhaltigkeitswerte geschönt haben soll
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Der Higg-Index soll Modeunternehmen bei der Messung ihrer Umweltauswirkungen unterstützen, aber geriet in den vergangenen Wochen ganz schön ins Kreuzfeuer der Kritik. Die traf auch den Modekonzern H&M. Eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse, die zeigen, wie groß das Risiko von Greenwashing-Vorwürfen für Bekleidungsanbieter ist.
Im vergangenen Mai wurden Scorecards als Teil der Higg Sustainability Profiles und Higg Index Materials eingeführt. Vereinfacht ausgedrückt, bietet eine Scorecard eine standardisierte Möglichkeit, die Leistung verschiedener Produkte und Marken zu vergleichen. Die Konsument:innen sollen so auf einen Blick Produkte mit geringeren Umweltauswirkungen erkennen.
H&M ist ein Mitglied der Lobbyorganisation Sustainable Apparel Coalition (SAC), die den Higg-Index entwickelt hat. Der Modekonzern verwendet den Index und die Scorecards seit ihrer Einführung in seinen Online-Produktangeboten und gibt jedem Artikel eine Punktzahl, die auf den Umweltauswirkungen der zu seiner Herstellung verwendeten Materialien basiert.
Greenwashing-Vorwürfe
Für diese Kennzeichnungen hat die schwedische Bekleidungskette H&M hatte von der norwegischen Verbraucherschutzbehörde NCA Mitte Juni eine Warnung erhalten. Die Behörde wollte nicht, dass H&M Daten aus dem Higg-Index für Marketingzwecke verwendet, da die Verwendung der Daten „irreführend“ sei und als „Verstoß“ gegen die nationalen Marketinggesetze angesehen werden könne.
H&M hat seitdem die Kennzeichnungen von der Webseite genommen. Aber eine Untersuchung von Quartz, einer globalen Nachrichten-Website, hilft ein Gefühl zu bekommen, wofür der Konzern in der Kritik stand.
Auf der Website von H&M werden die Higg-Kennzahlen als Werte von „Baseline“ bis „3“ angegeben. Die Basisnote erhalten Produkte, die aus konventionellen Materialien hergestellt wurden, und die Noten 1, 2 und 3 werden für Produkte vergeben, die aus Materialien hergestellt wurden, die geringere Umweltauswirkungen haben. Auf jedem Produkt lassen sich außerdem detaillierte Daten zu den Auswirkungen in Bezug auf den Wasserverbrauch, die Erderwärmung, den Verbrauch fossiler Brennstoffe und die Wasserverschmutzung ablesen.
Über 50 Prozent der H&M Produkte mit hoher Punktzahl, die behaupteten, die Kleidung habe geringe negative Umweltauswirkungen, waren nicht nachhaltiger als vergleichbare Kleidungsstücke der Konkurrenz, so Quartz.
H&M hat seine Produkte falsch bewertet
„H&M zeigte Daten an, die ein völlig falsches Bild von den Auswirkungen eines Kleidungsstücks auf die Umwelt vermittelten. Diese Fehler kamen zustande, weil die Website des Unternehmens negative Zeichen in den Higg-Index-Werten ignorierte. So wurde zum Beispiel ein Kleid mit einem Wasserverbrauchswert von minus 20 Prozent – das heißt es verbraucht 20 Prozent mehr Wasser als der Durchschnitt – auf der Website von H&M als Kleidungsstück mit einem um 20 Prozent geringeren Wasserverbrauch aufgeführt“, so Quartz.
Letzte Woche hat H&M alle Scorecards von seiner Website entfernt, nachdem Quartz diese Erkenntnisse veröffentlicht hatte.
Die schnelle Reaktion von H&M ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass Fast-Fashion-Unternehmen, so sehr sie sich auch um nachhaltige Praktiken bemühen, aufgrund der schieren Menge der von ihnen produzierten Waren einfach nicht in der Lage sind, die Auswirkungen zu reduzieren. Das ist genau das, was viele als Greenwashing bezeichnen. H&M gab an, dass die Scorecards Transparenz zeigen sollen, doch der Higg-Index ist selbst umstritten, nachdem H&M im Juni von der norwegischen Verbraucherschutzbehörde wegen Irreführung der Kundschaft und Verwendung des Index als Marketinginstrument gerügt wurde.
Anna Palmquist, Nachhaltigkeitsspezialistin bei H&M Group Expansion, ist für die Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens verantwortlich. Laut seiner Website hat H&M 70,8 Prozent des Higg's Index auf Markenebene erreicht. Laut Quartz enthielten über 100 Scorecards für Damenbekleidung Fehler. Also muss sich das Produktteam von H&M entweder verrechnet haben, oder es wollte mit den Produktbewertungen, die es auf seiner Website aufführte, in die Irre führen.
Higg-Scorecards liefern kein vollständiges Bild
Der Index bewertet nicht, ob Kleidungsstücke biologisch abbaubar sind, oder ob durch sie Mikroplastik freigesetzt wird. Philippa Grogan von Eco-Age erklärte gegenüber dem Sourcing Journal, dass der Higg-Index nur einen ausgewählten Teil der Nachhaltigkeit von Kleidungsstücken betrachtet und vom Design über die Ausführung bis zum Ende der Lebensdauer eines Kleidungsstücks gemessen werden müsste, um den Lebenszyklus und die Auswirkungen vollständig zu bewerten.
Die Sustainable Apparel Coalition erklärte am vergangenen Montag, dass sie ihre Daten und ihre Methodik umgehend überprüfen werde. Die letzte Überprüfung fand vor acht Jahren, im Jahr 2016, statt. Die SAC ist zunehmend in die Kritik geraten, da sie sich für synthetische Materialien aus fossilen Brennstoffen gegenüber Naturfasern wie Wolle, Baumwolle und sogar Leder einsetzt. So setzt sie sich beispielsweise auch für recyceltes Polyester ein, einen billigen synthetischen Stoff, den viele seiner Mitglieder, wie H&M, in ihren Kollektionen verwenden. H&M hat zwar keinen Materialfilter für Polyester auf seiner Website, aber eine Suche ergab über 10.000 Artikel, die entweder Polyester enthalten, oder vollständig aus Polyester bestehen.
Greenwashing ist in der Branche, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, leider keine Seltenheit. Wer wirklich die Nachhaltigkeit in der Mode fördern will, sollte am besten weniger kaufen und länger haltbare Produkte erwerben.
Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.uk veröffentlicht. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ