Energiepreisexplosion: Was sie für die Modebranche bedeutet und Tipps von einem Modehändler
Wird geladen...
Steigende Energiepreise verunsichern derzeit nicht nur Konsument:innen sondern auch die Modeindustrie. Heute befasst sich der Bundestag wieder damit, ob eine Gaspreisbremse eingeführt werden soll. Eine Zusammenfassung der Lage, Sorgen und Zahlen.
Große Unsicherheit
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine herrscht viel Unsicherheit. Neben der Sicherheitslage sorgen sich die Menschen um steigende Lebenshaltungskosten, die durch steigende Energiepreise verursacht werden.
Jahrelang galt es in der Energiebranche als gesetzt, dass Russland Erdgas nach Deutschland und Europa liefert, aber das hat sich seit dem Krieg in der Ukraine als Trugschluss erwiesen. Drosselungen von russischen Erdgaslieferungen über die Pipeline Nordstream 1 sorgten für Unruhe und steigende Gaspreise an den Terminbörsen.
Der europäische Benchmark-Preis für Erdgas mit Lieferung im November stieg beispielsweise auf knapp 350 Euro pro Megawattstunde Ende August und handelt am Mittwoch zuletzt bei 156 Euro pro Megawattstunde. Dieser Wert ist zwar immer noch dreimal so hoch wie vor einem Jahr, aber deutlich niedriger als in der Spitze. Zum jüngsten Preisverfall trug auch bei, dass die Gasspeicher Deutschlands derzeit gut gefüllt sind. Am Dienstagabend lag der Füllstand bei 94,67 Prozent, fast so hoch wie die 95 Prozent, die das Bundeswirtschaftsministerium in einer Verordnung für den 1. November vorschreibt.
Widersprüchliche Signale
Auf der anderen Seite gibt es auch beunruhigende Signale wie die Beschädigung der Pipeline Nordstream 1, deren Ursache bislang ungeklärt ist. Aber über diese Pipeline hatte Russland seit September ohnehin kein Gas mehr geliefert.
„Die Lage ist angespannt und eine weitere Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden. Die Gasversorgung in Deutschland ist im Moment aber stabil”, sagt die Bundesnetzagentur am Dienstag auf ihrer Webseite. Aber sie weist auch darauf hin, dass Unternehmen und Verbraucher:innen sich wegen der hohen Großhandelspreise für Erdgas auf deutlich steigende Gaspreise einstellen müssen.
Die Konsumstimmung in Deutschland leidet unter dieser Ungewissheit. Denn niemand weiß, wie hoch die Rechnung am Ende ausfällt. Für Strom sehen einige Schätzungen Kostensteigerungen von 30 bis 50 Prozent, für Gas sei von 100 bis 200 Prozent Mehrkosten, auszugehen, heißt es beispielsweise bei der Verbraucherzentrale. Inwieweit eine mögliche Einmalzahlung durch den Staat und Gaspreisbremse steigende Energiepreise abmildern können, ist noch unklar, der Bundestag wird am Mittwoch über diese Vorschläge diskutieren.
Höhere Energiepreise erschweren Textilherstellung in Europa
„Die Energiekrise hat erhebliche Auswirkungen auf die Modebranche, da die gesamte vorgelagerte Lieferkette energieintensiv ist", sagte Carlo Capasa, Leiter des italienischen Modeverbands zum Auftakt der Mailänder Modewoche im September.
Die Energiekosten machten früher etwa 10 Prozent des Endprodukts aus, heute aber mindestens 30 Prozent, so Capasa. Aber Bekleidungshersteller können ihre gestiegenen Kosten für Energie oft nicht unbegrenzt weitergeben.
„Die Preise können nicht unbegrenzt angepasst werden, und das bringt die Unternehmen in die schwierige Lage, sich zu fragen, ob es sich lohnt, sich die Arbeit zu machen", sagte er.
Der deutsche Verband Textil+Mode rechnet vor, ab welchem Gaspreis es sich nicht mehr lohnt zu produzieren. Laut einer Verbandsumfrage aus der Vorwoche liege der maximale Gaspreis, um Produktion und Arbeitsplätze in Deutschland aufrecht zu erhalten, bei 8 Cent pro Kilowattstunde. Bei 10 Cent sei mit weiteren Verlagerungen der Produktion ins Ausland zu rechnen, ab 15 Cent drohten flächendeckende Schließungen.
„Als mittelständische Textil- und Modeindustrie sehen wir dem Winter mit großer Sorge entgegen”, sagte Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie, in einer Mitteilung am Montag. Er weist auch darauf hin, dass nach Empfehlungen der Expertenkommission von Montag, die Industrie einen größeren Einsparbeitrag als Verbraucher:innen leisten müsse. Auch gegen “explodierende” Strompreise gebe es noch kein Konzept der deutschen Bundesregierung.
Die steigenden Gaspreise trieben aber auch die Strompreise an den Börsen in die Höhe, denn Elektrizität wird in Deutschland auch mit Erdgas produziert. Zuletzt sind aber auch hier die Preise wieder gesunken, aber die Schwankungen bleiben im Vergleich zur Vergangenheit extrem.
Was bedeuten steigende Energiepreise für den Modehandel?
Die Energiekosten im Einzelhandel sind seit Jahresbeginn im Durchschnitt um knapp 150 Prozent gestiegen, zeigt eine Umfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) unter 900 Unternehmen aller Standorte und Branchen.
„Viele Handelsunternehmen sehen keinen Ausweg mehr. Einerseits steigen die Energiepreise enorm, andererseits können die meisten die Kosten aufgrund des harten Wettbewerbs nicht einfach an die Kundinnen und Kunden weitergeben", sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth in einer Mitteilung im September. In der Umfrage gaben 86 Prozent der Unternehmen an, dass sie steigende Energiekosten nicht oder nicht vollständig auf die Einzelhandelspreise aufschlagen können.
„Das ist ein existenzbedrohender Zangengriff”, beschreibt Galeria-Geschäftsführer Miguel Müllenbach die aktuelle Situation im deutschen Einzelhandel, der an der sinkenden Konsumstimmung leidet. Während die Menschen bei den Sales am Ende der Sommersaison, noch einkauften, überlegten sich seit dem Start der neuen Saison viele, ob sie das Geld noch haben, sagte Müllenbach in einem Podcast des Warenhauskonzerns im September. Steigende Preise für Strom, Gas und Wärme brächten den Handel in eine Notlage.
Handelsunternehmen erwarten dauerhaft hohe Energiekosten
Laut Berechnungen des Handelsverbandes Textil Schuhe Lederwaren (BTE) vom September lagen die Umsätze der Geschäfte derzeit im Durchschnitt mehr als zehn Prozent unter dem Niveau von 2019.
Andererseits haben die Sorgen der Menschen auch unerwartet positive Effekte auf den Modehandel. Der macht in Deutschland zur Zeit gute Geschäfte mit wärmender Unterwäsche, Socken, Hand- und Hausschuhen sowie mit Biber-Bettwäsche und warmen Decken. „Etliche Kund:innen scheinen bereits Vorkehrungen getroffen zu haben, um die empfohlene Reduzierung der Raumtemperatur in den nächsten Wochen und Monaten bestmöglich auszugleichen", sagte ein Sprecher des BTE am Donnerstag.
Laut HDE-Umfrage rechnen auch mehr als 90 Prozent der Handelsunternehmen dauerhaft mit höheren Energiekosten. Dementsprechend planen mehr als drei Viertel verstärkte Energiesparmaßnahmen. Mehr als 20 Prozent der Befragten sehen sich durch die Energiekosten bereits in den kommenden zwölf Monaten in Existenzgefahr.
Konsumflaute und Energiepreise scheinen dem Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof zu schaffen zu machen. Am Freitag teilte das Unternehmen mit, dass der nach der Fusion mit Verdi geschlossene Tarifvertrag gekündigt worden sei. Damit wurde das Lohnniveau auf dem aktuellen Niveau eingefroren.
Tipps vom Energieexperten mit Modehaus
Andere sozial verträglichere Möglichkeiten, auf steigende Energiepreise zu reagieren, stellte Modehändler Martin Bretterbauer während eines BTE-Webinars vor und während eines Web-Meetings vor. Bevor er seine vier Läden in Lübben im Spreewald eröffnete, arbeitete er bis 2019 in der Energiebranche.
Energiekosten können durch eine systematische Bestandsaufnahme aller Stromverbrauchsquellen optimiert werden. Bis zur letzten Glühbirne kann der Verbrauch so bestimmt und gesenkt werden. Energiefresser wie leuchtende Displays oder Geräte im Standby-Modus können identifiziert werden, wenn Modehändler:innen einmal im Dunkeln durch den Store gehen.
Einzelne Unternehmen haben wenig Möglichkeiten, die Energiepreise an den Börsen zu beeinflussen, aber könnten sich vertraglich eventuell Spielraum verschaffen, so Bretterbrauer. Eine Möglichkeit sei beispielsweise per Vertrag eine Mindestabnahmemenge zu einem Festpreis zu vereinbaren oder eine Energie-Einkaufsgemeinschaft vor Ort mit Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen zu gründen, um mit Energieversorgern einen Rahmenvertrag mit günstigen Konditionen auszuhandeln.