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Eine Frage des Tempos: Deshalb ist der Sport von der Krise weniger betroffen

Von Regina Henkel

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Business|ANALYSE

In den letzten Jahren warf man der Sport- und Outdoorbranche immer wieder vor, zu traditionell zu arbeiten. In der aktuellen Krisensituation ist das ein Vorteil.

Weniger Kollektionen als in der Mode

Was der Sportbranche in den letzten Jahren zunehmend als Rückständigkeit ausgelegt wurde, entpuppt sich in Zeiten von Corona als Vorteil: Das Festhalten an den traditionellen Kollektionszyklen mit nur einer Frühjahr-/Sommer- und einer Herbst/Winterkollektion. Zwar gibt es inzwischen auch im Sport verschiedene Lieferfenster, aber neue Kollektionen im Monatstakt - oder gar noch schneller - sind eine Seltenheit. Der traditionelle Sportfachhandel hat schlichtweg nicht die Kapazitäten um mehr als einmal in der Saison neue Kollektionen zu ordern. Er hat oft auch gar kein Interesse daran, denn im Sport geht es vor allem um technische Innovationen, und die sind oft so erklärungsbedürftig, dass sie über längere Zeiträume im Handel präsentiert werden müssen, bis sie beim Konsumenten überhaupt ankommen.

Konkret heißt das: Wenn jetzt die Geschäfte über Wochen geschlossen waren, wartet am Eröffnungstag nicht schon der nächste LKW vor der Ladentür um noch mehr Ware auszuliefern, wie das in der Mode der Fall ist. Die meisten Sport- und Outdoor-Hersteller hatten bis zum Start des Shutdowns in Deutschland bereits den Großteil der Frühjahr-/Sommerkollektionen ausgeliefert. Der Sportfachhandel hat jetzt also den ganzen Sommer lang Zeit, die aufgelaufene Ware zu verkaufen ohne ständig neue Lieferungen zu erwarten und bezahlen zu müssen.

Weniger verderbliche Ware

Das verringerte Tempo drückt sich im Sport auch noch anders aus: Die Ware veraltet nicht so schnell. Das liegt einerseits daran, dass es im Sport eben nicht so stark um die schnelle Umsetzung von kurzfristigen Trends geht. Das verbietet sich zum einen durch die Funktionalität, die Sportkollektionen nun mal aufweisen müssen. Es macht keinen Sinn, ein Running-Top mit Rüschen zu verzieren, Outdoorhosen künstlich altern zu lassen oder Rucksäcke mit allerlei schwerem Metalldekor zu versehen. Zum anderen lebt Sport als ‚Lifestyle-Geber‘ davon, dass er als Sport erkennbar bleibt. Warum tragen plötzlich alle Leggings und Sneaker? Nicht nur weil sie bequem sind, sondern weil sie Sportlichkeit signalisieren. Würden sich Mode- und Sportkollektionen nicht mehr unterscheiden, wie sollte man dieses Signal dann aussenden? Dem Design sind im Sport also Grenzen gesetzt, und das bewahrt den Wert der Produkte über einen längeren Zeitraum.

An diesem Aspekt haben viele Sport- und Outdoorhersteller in den letzten Jahren zunehmend gearbeitet, trotz höheren modischen Anforderungen an die Produkte. Die Kollektionen erfinden sich nicht jede Saison neu. Der Anteil an Durchläufern ist im Vergleich zur Mode wesentlich höher. Fjällräven feierte vor zwei Jahren das 50-jährige Jubiläum seiner Greenland Kollektion! So lange war sie unverändert und ohne Unterbrechung Bestandteil der Kollektion. (Übrigens nur so konnte der Kanken Rucksack zu einem ikonischen Produkt werden.)

Das heißt konkret: Produkte, die in diesem Jahr nicht verkauft wurden, können im Sport einfach im nächsten Jahr verkauft werden ohne rabattiert werden zu müssen. Es gibt keinen eklatanten Unterschied zwischen Alt- und Neuware. Im Kollektionsaufbau achten viele Hersteller auch beim Farbbild darauf, dass die Kollektionen über die Saisons hinweg noch zueinander passen, damit die Ware eben nicht sofort zum Auslaufmodell wird, sobald eine neue Kollektion in den Laden kommt.

Verschiebung aufs nächste Jahr? Geht!

Genau deshalb ist es für viele Sporthersteller und -Händler jetzt möglich, große Teile der aktuellen Frühjahr-/Sommerkollektion ins nächste Jahr zu schieben. Schöffel will 50 Prozent der neuen F/S 2021 Kollektion mit Durchläufern bestücken, in normalen Jahren sind es lediglich 25 Prozent. Dynafit hat vor, 80 Prozent der aktuellen F/S 2020 Kollektion aus den Bereichen Apparel, Footwear und Equipment ins kommende Jahr übertragen, bei La Sportiva wird die neue Sommer 21-Kollektion zu 90 Prozent aus der Kollektion 2020 bestehen. „So müssen die Produkte nicht in den Sommer-Schlussverkauf, weil sie auch im nächsten Jahr noch aktuell sind - und wir wirken der Lagerabwertung entgegen“, sagte Dynafit-Geschäftsführer Benedikt Böhm vor einigen Wochen.

Kategorien, wo diese Verschiebung keinen Sinn machen wird, sind die modischen Sportprodukte. Sneaker werden im nächsten Jahr wahrscheinlich nicht mehr so aussehen dürfen wie in diesem Jahr. Auch bei den Themen Athleisure und Running gibt es große Modeanteile, die im nächsten Jahr vermutlich nicht mehr funktionieren. Das gleiche gilt für einige Bikekollektionen.

Nachhaltigere Kollektionen?

Manch einem könnte jetzt der Gedanke kommen, das alles schon mal gehört zu haben, jedoch in einem anderen Zusammenhang: Genau, beim Thema Nachhaltigkeit. Im Grunde genommen tun viele Sporthersteller und Händler genau das, was Slow-Fashion-Anbieter im Namen der Nachhaltigkeit ebenso für sich proklamieren. Es wäre sicher übertrieben, zu behaupten, Sportkollektionen seien aufgrund ihres geringeren Tempos nachhaltiger als Modekollektionen. Sportkollektionen haben hinsichtlich der Nachhaltigkeit ihre eigenen Probleme. Es darf angesichts der aktuellen Krise aber darüber nachgedacht werden, ob die Entwicklung des Modesystems in den letzten Jahren nicht viel zu heiß gelaufen ist. Und man sollte ernsthaft die Frage stellen, ob sich der Sport tatsächlich an der Mode ein Beispiel nehmen sollte, wie viele Innovatoren der Sportbranche in den letzten Jahren gefordert haben.

Foto: Fjällräven; Dynafit

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