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Bugatti-CBO Florian Wortmann: „Wir sind alle mal zwei, drei Monate entbehrlich“

Die Mode bewegt sich so rasant, dass es fast unmöglich scheint, die ‘Pause-Taste’ zu drücken. Obwohl Entschleunigung auch dabei helfen kann, wieder voller Energie und mit neuen Ideen zurückzukehren, scheint das Thema Auszeit in der Branche – besonders bei Führungskräften– noch geradezu ein Tabuthema zu sein.

Florian Wortmann, Chief Brand Officer bei Bugatti, hat sich zumindest eine kurze Auszeit genommen, um sie mit seinem neugeborenen Sohn zu verbringen. Im Interview berichtet er von seinen Erfahrungen, wie das Thema Homeoffice beim Herforder Bekleidungsanbieter gehandelt wird und warum er als Kind gerne Paketbote werden wollte.

Herr Wortmann, Sie sind gerade aus einem kleinen 'Vaterschaftsurlaub’ zurückgekehrt. Wie selbstverständlich ist eine solche Auszeit in der Modebranche?

Ich habe mir bei meinem Post gar nicht so viele Gedanken gemacht. Ich schaue eher weniger nach links und rechts. Stattdessen überlege ich, was das Richtige für mich ist. Erst als ich darauf angesprochen wurde, habe ich gemerkt, dass es – besonders in der traditionellen Modebranche – nie wirklich thematisiert wird.

Insgesamt befinden wir uns in einer Phase, die durch das Umdenken während der Pandemie, aber auch die Folgen geprägt ist. Die Vier-Tage-Woche, weniger Arbeiten und mehr Freizeit stehen einem nicht ausreichenden Gehalt und Preisanstiegen gegenüber. Dieses „weniger arbeiten, um mein Leben zu leben“ finde ich etwas schwierig.

Was stört Sie genau daran?

Es ist für mich irgendwie falsch, wenn diese Aspekte in einem solchen Ungleichgewicht stehen und einen Zielkonflikt haben. Deswegen halte ich auch nichts vom Begriff „Work-Life-Balance“. Du brauchst eine gute „Life-Balance“ – mit „Work“, ohne „Work“, mit Passion oder viel Freizeit. Es muss für alle individuell passen. „Work“ ist da immer so negativ betitelt.

Arbeit muss nicht unbedingt die größte Passion sein, aber insgesamt scheinen sich viele Leute viel zu wenig Gedanken zu machen, was sie möchten, womit sie Geld verdienen und den Großteil ihres Lebens verbringen wollen. Das fängt aber auch schon in der Schule an, wo die Kinder einfach nicht richtig darauf vorbereitet werden.

Wussten Sie als Kind bereits, wo die Reise hingeht?

Als Kind wollte ich immer Paketbote werden, um Menschen miteinander zu verbinden. Ich wollte aber auch Profi-Fußballer werden, um meiner Leidenschaft nachzugehen. Natürlich ist dann alles anders gekommen.

Ich bin auch nicht in die Modeindustrie gegangen, weil ich dachte: „Da kannst du viel Geld verdienen“. Ich habe in dem Bereich angefangen, weil ich Spaß daran hatte. Es war einfach ein tolles Gefühl, wenn Kund:innen ins Geschäft kamen, man ihnen was an die Hand gegeben hat und sie es dann besser gekleidet verlassen haben.

Meine Eltern haben das damals überhaupt nicht verstanden und meinten, ich müsste nach dem Abitur sowas wie Medizin oder Jura studieren und nicht bei Anson’s im Laden stehen und Krawatten verkaufen. Das Jura-Studium war mir dann aber doch etwas zu lang. [lacht]

Welcher Passion würden Sie heute folgen, wenn Sie die Mode an den Haken

hängen würden?

Wenn ich morgen keine Lust mehr auf die Modebranche hätte, könnte ich mir auch vorstellen, ein kleines Café zu führen und da hinter meiner Barista-Maschine zu stehen. Ich liebe es einfach, mit Leuten zu arbeiten. Das wäre wahrscheinlich ein ganz anderer Lebensstil, aber das würde mich im Punkto Glück nicht groß beeinträchtigen. Der Job muss einfach Spaß machen – egal ob in der Mode oder in einem anderen Bereich.

Sie haben gerade schon die Vier-Tage-Woche angesprochen. Als Gegenentwurf haben Sie auch schon mal die Sechs-Tage-Woche ins Gespräch gebracht…

Das war ein etwas ketzerischer Post auf Linkedin. Wenn wir jetzt alle weniger machen und am Ende des Tages mehr dabei schaffen, bin ich auch dafür. Aber man muss sich halt nicht wundern, wenn man dann weniger dafür bekommt.

Insgesamt müssen wir aufpassen, wenn es darum geht, die Arbeit herunterzufahren und weniger leisten zu wollen. Irgendwann reicht das Sozialsystem für die, die nicht arbeiten können, die wirklich schwächer sind und denen es nicht so gut geht, einfach nicht mehr aus.

Wie war das bei Ihnen, als Sie zumindest temporär die Arbeit heruntergefahren haben?

Ich hatte als Vater ja auch neun Monate Zeit, mein Team darauf vorzubereiten. Als ich wusste, dass meine Frau schwanger ist, habe ich meine Abteilungsleitenden ganz früh abgeholt und sie über meine Auszeit informiert. Wir haben über ihre Verantwortungen sowie die Entscheidungen gesprochen, für die sie in meiner Abwesenheit alleine zuständig sind. Darauf haben wir sie vorbereitet und dann hatten wir eine Saison, wo wir üben konnten. Schließlich haben wir den Prozess mit zusätzlichen Coachings abgeschlossen.

Dabei spielt Vertrauen auch eine große Rolle. Fällt es Ihnen schwer, die Verantwortung aus den Händen zu geben?

Wir sind alles keine Oberärzt:innen und wenn wir einen “falschen Schnitt” machen, stirbt hier niemand. Am Ende geht es “nur” um Geld. Wir haben einen Budgetrahmen skaliert, in dem mein Team selbst entscheiden konnte und dann das Worst-Case-Szenario ausgemalt, wenn alle eine Fehlentscheidung treffen würden. Solange das ein überschaubares Risiko bleibt, ist es kein Problem. Ganz ohne Risiko geht es natürlich nicht, weil das auch Teil des Entwicklungsprozesses der Leute ist.

Ich bin immer eher risikofreudig. Dadurch entstehen bessere Entwicklungen und die Leute wertschätzen es, wenn sie einen größeren Verantwortungsbereich haben oder mal mehr entscheiden dürfen. So hat zum Beispiel meine Outerwear-Produktmanagerin in meiner Abwesenheit die finalen Entscheidungen für die NOS-Jacken getroffen – das ist schon eine große Verantwortung, die sie aber super gemacht hat. Das habe ich ihr auch als Feedback so mitgegeben.

Jetzt sind Sie wieder im Einsatz…

...ja, zumindest 60 Prozent, obwohl das bei anderen wohl 100 wären [lacht]. Früher habe ich teilweise um sieben Uhr angefangen und dann ging das auch mal mit Abendessen bis 22, 23 Uhr. Jetzt bringe ich ‘den Kurzen’ in die Kita und mache dann auch viel aus dem Homeoffice oder fahre, wenn es einen wichtigen Termin gibt, nach Herford und dann abends wieder nach Köln, um ihn ins Bett zu bringen. Wie man das plant, obliegt einem selbst, aber diese Zeit wollte ich nicht verpassen.

Ich weiß, dass die nächste Wintersaison kommt, aber Vater bin ich nun zweimal geworden – einmal jetzt und einmal vor sechs Jahren. Das passiert so schnell nicht mehr. Hätte ich das verpasst, hätte ich nicht ein halbes Jahr später einfach in eine “neue Saison” starten können, um es besser zu machen.

Das soll natürlich nicht heißen, dass ich bei schwerwiegenden Problemen, wie einer Insolvenz oder dem Wegfall eines wichtigen Kunden, nicht erreichbar gewesen wäre. Aber insgesamt sind wir alle – ob nun in meiner Position oder zum Beispiel ein:e Mitarbeiter:in aus dem E-Commerce-Team – mal zwei, drei Monate entbehrlich und es lässt sich, mit genügend Vorlaufzeit, die man als werdende Eltern zumindest hat, planen.

Aber bei längeren Auszeiten würde es dann bei Ihnen schon schwieriger werden, oder?

Ich wurde auch in meinem Freundeskreis gefragt, ob ich mir ein Jahr Elternzeit nehmen würde. Das hätte bei uns im Business Case Auswirkungen von zwei, drei Jahren. Das kann ich natürlich nicht verantworten.

Das Homeoffice wurde bei Bugatti nicht wieder abgeschafft. Wie ist das Thema aktuell bei Ihnen geregelt?

Homeoffice wird bei uns individuell und in Absprache mit den Vorgesetzten organisiert. In der Regel ist es ein Tag pro Woche.

Mit den Mitarbeitenden aus meinem Team führe ich zum Jahresende immer ein Gespräch und dann setzen wir die Ziele für die kommenden zwölf Monate. Funktioniert die Leitung eines jeweiligen Teilbereichs mit Homeoffice und dabei werden Erfolge erzielt, kann das so fortgesetzt werden. Klappt das nicht, müssen wir über Anpassungen bei der Präsenz nachdenken.

Ich hatte zum Beispiel schon mal jemanden im Jahresabschlussgespräch, der erst zwei Tage im Homeoffice war und dann gemerkt hat, dass für ihn ein zusätzlicher Präsenztag nützlicher wäre, um sein Team besser anregen und motivieren zu können.

Sie haben eben bereits erwähnt, dass Sie sich zu einigen Themen auch in den Sozialen Netzwerken äußern. Ist das wichtig für eine Führungsposition in 2025?

Dabei gibt es gegensätzliche Ansichtsweisen. Manche sagen, dass sie die ganzen Posts auf Linkedin nicht mehr lesen und mit der Bubble nichts zu tun haben wollen. Irgendwie postet da ja mittlerweile auch jede:r was und dann muss es für den Algorithmus auch kontinuierlich sein – ein, zwei Mal die Woche.

Ich hatte eine Phase, in der ich mich mit den Beiträgen nicht mehr wohlgefühlt habe, weil ich das Gefühl hatte, ich schreibe nur noch was, um was zu sagen. Und deswegen mache ich jetzt nur noch was, wenn ich auch wirklich ein Thema habe, über das ich sprechen möchte. Dann finde ich es auch wichtig, eine gewisse Haltung zu zeigen.

Insgesamt ist es aber extrem wichtig, dass man sich eine Personal Brand aufbaut. Ich glaube, dass es in ein paar Jahren so weit geht, dass man beim Recruitment nur noch sein Profil als NFT droppt und dort alles verifiziert hinterlegt ist, man dort vielleicht sogar direkt bewertet wird und das Arbeitszeugnis auf einer solchen Plattform wie Linkedin erhält. Der Lebenslauf per Mail ist dann veraltet.

Wie sieht es mit alternativen Führungsmodellen wie Co- und Shared Leadership bei Bugatti aus? Wäre das für bestimmte Positionen denkbar?

Damit haben wir uns bisher noch nicht wirklich beschäftigt, ist aber ein guter Punkt und könnte in einem Fall auch tatsächlich gut passen.

Zum Abschluss. Welche Learnings würden Sie „Young Professionals“ in der Modebranche mitgeben?

Wähle deinen Weg nicht nach der Höhe des Gehalts, sondern nach deiner inneren Passion. Es ist auch wichtig, in sich selbst rein zu hören und nicht was andere sagen. Das gilt auch für Freund:innen und Familie. Du bist für dich selbst verantwortlich!

Ich habe auch schwierigere Zeiten hinter mir, zum Beispiel als ich selbstständig war und Colors & Sons [Anm.d.Red: Deutsche Menswear-Marke] gegründet habe. Zu der Zeit hatte ich etwa zehn Euro am Tag für Essen. Also gab es jeden Tag um 17 Uhr Döner mit Schafskäse, damit ich Mittag- und Abendessen kombiniere. Trotz des eigenen Budgets saß ich dann immer bei den großen Modehändler:innen und musste mich auf Augenhöhe präsentieren, während die ihre Submariners und Daytonas [Anm.d.Red: Uhrenmodelle der Luxusmarke Rolex] am Arm hatten. Mittlerweile habe ich auch eine Vorliebe für Vintage-Uhren von Rolex entwickelt. Dennoch war ich zu der Zeit nicht unglücklich.


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