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Ankorstore: „Wir wollen den Einzelhandel neu erfinden"

Von Nora Veerman

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Business |INTERVIEW

Bild: Ankorstore.

Der Ankorstore ist gerade einmal zwei Jahre alt und auf Erfolgskurs. Gegründet wurde er von vier französischen Branchenveteranen, als eine Online-B2B-Plattform, die Marken mit Einzelhändlern auf dem ganzen Kontinent zusammenbringt. Was er bietet? Ein breites Angebot an Marken, größere Flexibilität für Einzelhändler und sorgenfreie Prozesse für Marken und Einzelhändler gleichermaßen. Vor kurzem hat der Ankorstore in einer von Tiger Global und Bain Capital Ventures angeführten Runde eine Investition von 102 Millionen US-Dollar eingesammelt, und ein neues Büro in den Niederlanden eröffnet. Offenbar ist oder hat die Plattform etwas zu bieten, worauf die Branche gewartet hat. Was ist es?

FashionUnited sprach mit Pierre-Louis Lacoste, Mitbegründer des Ankorstore. Bevor er das Unternehmen gründete, hatte Lacoste bereits viele Seiten der Branche kennengelernt: Er führte mehrere Jahre lang selbst einen Multibrand-Store, arbeitete als Vizepräsident bei der Activewear-Marke Lolë und als Country Manager beim Marktplatz Etsy. Bei Etsy arbeitete er auch an einem Projekt namens Etsy Wholesale, das eine Neuausrichtung auf Business-to-Consumer einleiten sollte. „Ich fand immer, dass es sich um eine verpasste Gelegenheit handelte, aber auch, dass ich selbst ein paar Dinge anders machen würde“, so Lacoste.

Lacoste nahm daraufhin die Dinge selbst in die Hand und schloss sich mit Nicolas D'Audiffret und Nicolas Cohen, den Gründern des Online-Marktplatzes A Little Market, sowie Mathieu Alengrin, technischer Leiter bei Vestiaire Collective zusammen. Gemeinsam gründeten sie die Plattform Ankorstore.

Können Sie uns mehr über die Idee hinter Ankorstore erzählen?

Ich hatte früher ein eigenes Einzelhandelsgeschäft mit mehreren Marken. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es für Einzelhändler ist, die richtigen Marken in ihr Geschäft zu bekommen. Wenn man es endlich schafft, mit einer Marke in Kontakt zu treten, ist es schwierig, eine Vereinbarung zu treffen, die sowohl für die Marke als auch für den Einzelhändler funktioniert. Es braucht Zeit, und es lastet eine Menge Arbeit auf den Schultern der Einzelhändler. Dazu kommt noch der Wettbewerb auf dem Online-Massenmarkt. Die Idee hinter Ankorstore war es, das Spielfeld zu ebnen und die Art und Weise neu zu erfinden, wie der Großhandel bisher sowohl auf der Einzelhandels- als auch auf der Markenseite agiert.

Im August 2019 haben wir die ersten Marken an Bord geholt. Von diesem Moment an ging alles ziemlich schnell. Heute sind etwa hunderttausend Einzelhändler und neuntausend Marken aus 23 verschiedenen Ländern auf der Plattform angemeldet. Wir sind in ganz Europa tätig, unsere Kernmärkte sind Frankreich, Großbritannien , Deutschland, die Niederlande und die nordischen Länder, insbesondere Schweden.

Wie genau funktioniert Ankorstore?

Wenn Sie heute ein Einzelhändler sind, haben Sie es schwer, die richtigen Marken zu erreichen. Man weiß nicht immer genau, wo man sie finden kann, und wenn man eine Marke findet, die einem gefällt, dann muss man einen hohen Mindestbestellwert von etwa eintausend Euro vereinbaren, und sechs Monate im Voraus bezahlen. Auf der Markenseite gibt es die gleichen Probleme. Es ist schwierig, eine Marke zu entwickeln – lokal oder international – und neue Kunden zu finden. Man kümmert sich in der Regel um seinen Hauptkunden, aber manchmal werden die kleineren Kunden und Einzelhändler etwas vernachlässigt.

Bild: Ankorstore

Was wir bei Ankorstore machen, ist in erster Linie, Einzelhändler mit Marken zu verbinden. Den Marken sagen wir: 'Okay Marke, du kommst zu Ankorstore, hier ist eine neue Art, mit Einzelhändlern zu verhandeln. Der Mindestbestellwert liegt jetzt bei 100 Euro – nicht 1000 oder 2000. Und ihr müsst nicht mehr für den Versand bezahlen, denn wir werden die Versandkosten erstatten. Außerdem braucht ihre euch keine Gedanken darüber zu machen, wann ihr vom Händler bezahlt werdet, denn wir zahlen im Voraus.

Den Einzelhändlern sagen wir: 'Hier sind ein paar tolle Marken. Wir arbeiten nur mit Top-Herstellern, die das Potenzial haben, Großhandel zu betreiben. Der Mindestbestellwert beträgt nur 100 Euro. Der Versand ist kostenlos bis zu 300 Euro. Die Lieferung erfolgt normalerweise innerhalb von 48 Stunden und nie mehr als zehn Tage, so dass Sie flexibel sind und öfters nachbestellen können. Darüber hinaus haben Sie 30 bis 60 Tage Zeit, um Ihre Bestellung zu bezahlen. Letztendlich bedeutet all das, dass Sie sich auf das konzentrieren können, was wirklich wichtig ist: Ihre Bestseller zum Beispiel oder was auch immer Ihre Zeit in Anspruch nimmt.

Versandkosten erstatten, Marken im Voraus bezahlen – das klingt nach einer ziemlichen Investition. Wie funktioniert Ihr Geschäftsmodell?

Die Marken zahlen uns eine Provision von 20 Prozent auf jede erste Bestellung bei einem neuen Einzelhändler über Ankorstore. Bei Nachbestellungen bei demselben Händler beträgt die Provision zehn Prozent. Die Vorabzahlungen sind immer ein bestimmter Prozentsatz der Gesamtbestellung und werden nicht aus unserem Betriebskapital bezahlt, sondern über einen Dritten vermittelt. Auch der Versand wird als Prozentsatz der Gesamtbestellung berechnet. Für den Versand arbeiten wir mit UPS zusammen, was sehr gut funktioniert.

Letztendlich ist es so, dass ein Einzelhändler, der auf die Plattform kommt, eine Marke entdeckt, dann eine andere und dann noch eine. Das ist natürlich ein Zuwachs für das Geschäftsmodell.

Wie funktioniert Ankorstore speziell für die Modebranche?

Ich habe in der Modebranche gearbeitet und kenne die Arbeit und die Anstrengungen, die von beiden Seiten nötig sind, um etwas auf die Beine zu stellen. Auf der Markenseite muss man lange im Voraus mit der Entwicklung einer neuen Kollektion beginnen, fast zwei Jahre. Man muss sie zwölf Monate im Voraus verkaufen, wenn nicht einmal sicher ist, ob alles so klappt, wie man es sich erhofft. Man muss also mit 20 bis 30 Prozent mehr Inventar rechnen, als tatsächlich verkauft wird. Wiederholte Nachbestellungen, Restbestände... Alles ist so kompliziert. So ist es auch für Einzelhändler. Im Januar für den nächsten Januar zu bestellen, wenn man nicht weiß, ob der Sommer gut laufen wird...Das bereitet einem totales Kopfzerbrechen.

Bei Ankorstore haben wir Erfolge in der Mode gefeiert, aber sie ist auch der Bereich, in dem wir die größten Schwierigkeiten hatten, zu expandieren. Es ist nicht so einfach, die Mindestbestellmengen zu senken, denn die Marken brauchen diese Sicherheiten, um an ihrer nächsten Kollektion zu arbeiten. In dieser Hinsicht ist es anders als beispielsweise im Bereich Home.

Seit Beginn der Pandemie, haben die Leute ihre Cashflows und Inventar neu managen müssen. Ich habe das starke Gefühl, dass in naher Zukunft eine Verkürzung der Produktionszeit, auf etwa drei Monate, der Schlüssel sein wird. Entweder das, oder die Marken müssen den Anteil der Carry-over-Artikel erhöhen [weniger trendige Artikel, deren Attraktivität von einer Saison zur anderen anhält] in ihren Kollektionen erhöhen und mit den Einzelhändlern eine Beziehung aufbauen, bei der sie von diesen feststehenden Produkten ausgehen, weil sie wissen, dass diese Artikel funktionieren werden, und vielleicht zusätzlich ein paar neue Dinge auswählen. Auf diese Weise erreichen Sie eine gesunde Beziehung, nicht nur in Bezug auf die Gespräche, sondern auch in Bezug auf den Cashflow.

Dies wird auch dazu beitragen, den Platzbedarf für die Lagerhaltung zu verringern. Die Menge an Quadratmetern, die Einzelhändler heute für Lagerräume benötigen...Was für eine Verschwendung. Es geht dadurch so viel Geld verloren, weil zwanzig Prozent der Fläche, die Einzelhändler haben, für Lagerbestände verwendet werden. Das wiederum ist eine Folge davon, dass man sechs Monate im Voraus bestellen muss. Die Rechnung geht einfach nicht auf. Stattdessen raten wir unseren Einzelhändlern, ihre Lager zu verkleinern und häufiger zu bestellen. Wir liefern die Produkte dann innerhalb von 48 bis 72 Stunden. Einzelhändler brauchen weniger Lagerraum und haben mehr Verkaufsfläche. Ein Laden ist ein Ort zum Verkaufen, nicht zum Lagern.

Was unterscheidet Ankorstore von anderen B2B-Marktplätzen?

Da gibt es ein paar Dinge. Das erste ist unsere DNA. Wir haben uns so schnell entwickelt, weil wir unsere Einzelhändler kennen, dank unserer Erfahrungen in der Branche. Wenn wir in ein Geschäft kommen, und einem Einzelhändler Ankorstore erklären, und er uns ansieht und sagt: 'Ihr kennt mein Geschäft nicht wirklich, und mein Alltag ist komplizierter als ihr denkt’, sagen wir: 'Doch, das wissen wir, denn wir haben genau das gemacht, was du machst’. Und so schaffen wir es, ziemlich schnell das richtige Feature für die richtigen Leute zu finden. Das Gleiche gilt für Distributoren. Ich habe mit Vertriebspartnern in ganz Europa gearbeitet, ich kenne ihr Geschäftsmodell, ich kenne ihre Probleme. Ich weiß, wie man heute mit ihnen spricht. Wir sprechen ihre Sprache.

Mit so viel Erfahrung, gibt es Dinge, die Sie überraschen, oder die Sie noch lernen?

Am Anfang sind wir davon ausgegangen, dass wir ein technik- und produktorientiertes Unternehmen sein würden. Aber mehr und mehr stellen wir fest, dass es nicht nur das ist. So sehr wir es uns wünschen, wird die Welt nie vollständig digitalisiert sein. Die Menschen brauchen Interaktion. Vor allem Einzelhändler lieben die Interaktion. Wenn sie heute auf eine Messe gehen, machen sie nicht gleich eine große Bestellung. Das Wichtigste ist, dass man Leute trifft. Das ist notwendig, und es macht natürlich auch Spaß. Wir haben also festgestellt, dass Interaktionen extrem wichtig sind. Wir sehen aber auch, dass diese Interaktionen verbessert werden könnten. Einzelhändler und Marken sollten sich nicht über Preise oder Mengen streiten müssen. Stattdessen sollten sie darüber diskutieren, wie sie eine Marke am besten positionieren können. Das ist eine gesündere Form der Interaktion.

Wir lernen viel von Vertretern oder digitalen Fachmessen über Fragen wie: ‘Wie können wir diese Konversationen managen?’ Aber auch: ‘Wie kann Ankorstore selbst persönlicher werden?’ Wie können wir zeigen, dass es sich nicht um eine Maschine handelt, sondern dass Menschen dahinter stehen? Wir wollen sicherstellen, dass jeder einzelne Einzelhändler, mit dem wir zusammenarbeiten, weiß, dass hinter jedem Aspekt von Ankorstore ein Mensch steht. Der Support zum Beispiel ist extrem wichtig. Die Leute müssen wissen, dass das jemanden ist, der ihnen bei der Lösung ihrer Probleme helfen kann.

Kürzlich haben Sie 102 Millionen US-Dollar an Finanzmitteln erhalten, die in IT und Marketing investiert werden. Können Sie uns mehr über Ihre Pläne erzählen?

In der Tat geht es um mehr als IT und Marketing. Dieses Fundraising ermöglicht es uns, tief in die verschiedenen Märkte einzudringen. Was die IT oder die Technik im Allgemeinen, ist dies größtenteils zentralisiert, und natürlich brauchen wir eine Menge Leute, um alles am Laufen zu halten – aber wir brauchen auch viele Leute 'vor Ort'. Durch das neue Investment können wir also noch vor Ende des Jahres in unserem neuen Büro in den Niederlanden von zehn auf 50 Mitarbeiter aufstocken. Das ist nötig, um unsere geografische Entwicklung fortzusetzen und dann unsere unsere Technik- und Produktteams zu stärken.

Sind weitere Märkte im Visier?

Wir sind derzeit in insgesamt 23 Märkten vertreten. Unser Ziel ist es, die Besten in den Kernmärkten zu sein, die ich bereits erwähnt habe, und gleichzeitig die anderen Märkte, wie Spanien und Italien, nicht zu vergessen. Wir haben starke Anzeichen dafür, dass die Plattform dort wirklich gut funktionieren könnte, also starten wir in diesen Ländern und wir lernen von ihnen. Aber es ist sehr wichtig für uns, uns auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt, und das sind im Moment die Kernländer. 90 Prozent unserer Bemühungen gehen in diese Länder – wir wollen sicherstellen, dass wir dort alles richtig machen. In der Zwischenzeit wird uns alles, was wir von den anderen Ländern lernen, uns ermöglichen, in Zukunft die richtigen Prioritäten zu setzen."

Haben Sie Expansionspläne außerhalb Europas?

Nein. Natürlich sprechen wir immer über Expansion, aber es wäre ein Fehler zu sagen, dass wir irgendwelche Pläne haben, weil wir in Europa so viel zu tun haben. Wir müssen zuerst sicherstellen, dass wir Europa richtig hinbekommen. Sobald das erledigt ist, werden wir wahrscheinlich über den nächsten Schritt sprechen.

Bild: Pierre-Louis Lacoste, Mitbegründer des Ankorstore.

Was sind Ihre Ziele für die Zukunft?

Als wir Ankorstore ins Leben riefen, wollten wir nie nur eine Lösung sein, oder bestehende Tools einfach neu erfinden. Wir wollten ein Katalysator für die Umwelt sein und neue Dinge finden, damit diese Branche besser funktioniert. In der Zukunft sollen die Leute sagen: Wenn du dein Großhandelsgeschäft aufbauen willst, geh zu Ankorstore, weil sie es verstehen, vom Anfang bis zum Ende. Ich möchte, dass Leute wie meine Mutter, die auch ein Geschäft hat, Ankorstore benutzen. Ich möchte, dass sie mehr Zeit damit verbringt, die Dinge zu tun, die sie mag, anstatt die Dinge zu tun, die sie nicht tun muss.

Einzelhändler sind leidenschaftliche Menschen. Sie gründen ihr Unternehmen, weil sie etwas verändern wollen, weil sie ein Erlebnis schaffen wollen. Covid hat der Welt viele Dinge gebracht, unter anderem die Erkenntnis, dass wir unabhängige Einzelhändler unterstützen müssen. Es macht so viel Spaß, dort einzukaufen, vor allem, weil man ein besseres Erlebnis hat. Du möchtest irgendwas bestellen? Geh zu Amazon und du bekommst es. Du willst etwas von einem Händler, der dich seit Ewigkeiten kennt und genau weiß, was du willst? Geh in ein unabhängiges Geschäft, denn Amazon wird dir das nicht bieten können. Nur ein Einzelhändler kann diese Emotion erzeugen. Und das wollen wir erleichtern.

Unser Traum ist es, dass Einzelhändler florieren können und nicht gegen den Massenmarkt ankämpfen müssen. Der Name Ankorstore kommt von 'Ankerladen', normalerweise ein dominantes Einzelhandelsgeschäft in einer belebten Einkaufsgegend, das ein bisschen ist, wie eine leere Schachtel, ohne Philosophie oder DNA. Aber wenn die nächsten Ankerläden diese kleineren Einzelhändler sind, gewinnen wir.

ANKORSTORE
Pierre-Louis Lacoste