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Kann Dekolleté wirklich 'out' sein?

Von Vivian Hendriksz

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Mode|MEINUNG

Obwohl Modemagazine den Ton angeben, wenn es darum geht, was ‚in’ und was ‚out’ ist, kann es auch passieren, dass sie gewaltig daneben liegen. Die britische Vogue beispielsweise wollte ihren Lesern in ihrer Dezemberausgabe weismachen, dass das Dekolleté ‚out’ sei und wies auf sein Fehlen im modischen Rampenlicht hin.

„Was ist mit dem Dekolleté passiert?" fragte Redakteurin Kathleen Baird-Murray in einem Artikel mit dem Titel Desperately Seeking Cleavage, in dem sie darauf hinwies, dass das Dekolleté in Form von gepushten Brüsten in diesem Jahr eine auffällige Seltenheit darstellte. Die frühere runde, zusammengequetschte Brustform, wie sie Push-Up-BHs erzeugen, scheint von der Bildfläche verschwunden zu sein. Stattdessen sieht man häufiger eine natürlichere, relaxte Form. Der Halsausschnitt rutschte weiter nach oben in Richtung Schlüsselbein und darüber hinaus. Der neue Fokus von Labels wie Gucci bis hin zu Sonia Rykiel liegt zwischen schulterfrei und Schluppenblusen.

Vogue verkündet das Ende des Dekolletés. Geht das überhaupt?

Anstatt zu viel Ausschnitt zu zeigen, sendeten die Designer dieses Jahr „ein Model nach dem anderen mit Beinen, Midriff und Cut-Outs über den Laufsteg.“ Dies sei laut Vogue eine neue Art, auf zurückhaltende Weise Haut zu zeigen. „Die Brüste werden für die Kerle, oder irgendwen anders nicht zu sehen sein“, schrieb Baid-Murray salopp weiter. Auch die Statistiken zeigen, dass Frauen weniger Push-Up-BH-Styles kaufen und stattdessen einen natürlicheren Look bevorzugen. Beim Luxus-Onlinehändler Net-a-Porter kauft bereits ein Drittel der Frauen BHs ohne Bügel oder Polsterung. Andere Lingerie-Händler, von Victoria’s Secret bis Aerie und Elle MacPherson, setzten im vergangenen Jahr ebenfalls verstärkt auf ungepolsterte Tringel-BHs ohne Bügel.

Kein Dekolleté in Sicht bei der Miu Mius Show SS17

Dieser Wechsel des BH-Modells im vergangenen Jahr steht wohl im Zusammenhang mit sich verändernden Ansprüchen der Kundinnen, die Komfort und Bequemlichkeit höher schätzen denn je zuvor. „Komfort ist derzeit eine vorherrschende Thematik in der Mode im Allgemeinen. Die heutigen BH-Konsumentinnen, insbesondere Millenials, suchen sowohl körperlichen, als auch persönlichen Komfort“, so Marshal Cohen, Chief Industry Analyst, bei The NPD Group, einer Meinungsforschungsgesellschaft in den USA. „Die Charakteristika und Einfachheit von Sport- und nahtlosen BHs passen hervorragend in das allgemeine Kaufklima einer komfortorientierten Gesellschaft. Sie bieten eine größere Passform-Flexibilität und gleichzeitig erleichtern sie den Kauf... nahtlose BH-Styles sind zunehmend erste Wahl bei Konsumentinnen aller Altersklassen.“ Die NPD Group berichtet auch von einem 19-prozentigen Rückgang der Verkäufe von traditionellen BHs bei einem zeitgleichen Anstieg an Kundinnen, die bequeme Alternativen präferieren. Es zeichnet sich also ein klarer Wandel in Büstenhalter-Präferenz der Kundinnen ab.

Die Tatsache, dass Frauen sich zunehmend von einem früheren, sexualisierten Ideal der Brustform zugunsten von Komfort verabschieden, scheint auch auszudrücken, dass sie ihre natürliche Form akzeptieren. Der erste Satz des Vogue Artikels hingegen bezeugt die Sexualisierung des Dekolletés: „Das Dekolleté — diese herrliche Wölbung, die zusammengerückt wird, um sexuelle Ermächtigung auszudrücken, zu verführen und Lust hervorzurufen, oder nur, um anzugeben, — macht eine wohlverdiente Pause.“ Viele Online-Kommentatoren halten diese Aussage Baird-Murrays allerdings für alarmierend und schädlich.

Nur, weil eine Frau zufällig ein Dekolleté besitzt, bedeutet das nicht, dass sie ihren Körper dazu benutzt, eine Aussage zu treffen. Die Körperteile von Frauen sind keine modischen Accessoires und die sexistische Vorstellung, dass Frauen ihre Beine, Arme oder Dekolletés zeigen, um ihren Selbstwert unter Beweis zu stellen, ist total überholt. Mehr noch: Anzudeuten, dass Frauen mit größeren Brüsten nun auf einmal ‚out’ seien, ist genauso schädlich, wie zu sagen, dass Frauen mit kleineren Brüsten diese in wohlgeformte „Wölbungen“ zusammendrücken sollten, um ihr Outfit zu komplettieren.

Die selbsternannte Mode-Bibel ist dafür bekannt, verallgemeinernde Aussagen zu treffen, doch einen weiblichen Körperteil für unmodisch zu erklären, untermauert eine sexistische Wertvorstellung, in der weibliche Körperteile eine Bedeutung zugeschrieben bekommen, welche die Frauen selbst nicht kontrollieren können. Indem Vogue das Dekolleté für ‚out’ erklärt, suggeriert sie Frauen, dass in der Mode aktuell kein Platz für sie ist, wenn sie eine große Brust haben. Der Standpunkt des Magazins sollte uns aber nicht verwundern, denn es hat auch in der Vergangenheit schon andere Körperteile zu Modeaccessoires erklärt.

Ich persönlich bin nicht der Ansicht, dass Designer, Brands, Händler oder Magazine das Recht haben, weibliche Körperteile ‚in’ oder ‚out’ zu erklären. Das schöne an der Mode ist doch, dass sie ihrer Trägerin die Freiheit verleiht, sich individuell auszudrücken — ob mit oder ohne Dekolleté — und das ist etwas, das nicht einmal Vogue ihr nehmen kann.

Photo 1: Victoria's Secret, Facebook

Photo 2: Aerie, Facebook

Photo 3: Miu Mius SS17 show backstage, Facebook

Photo 4: Elle MacPherson Body, Facebook

Photo 5: Victoria's Secret, Facebook

Photo 6: Wonderbra, Facebook

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