Die Apokalypse ist vorbei: 4 Trends, die uns SS23 erwarten
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Schon seit fast zwei Jahren leben die Menschen mit der Pandemie. Diesem Dauerzustand entgegnen Modeschöpfer:innen mit kräftigen Farben oder subtilen Materialien zwischen Technik und Natur.
So entziffert das Deutsche Modeinstitut die gesellschaftlichen Strömungen in seinem jüngsten Online-Seminar und stellt vier Trends für Sommer 2023 vor. Die Mode blickt nach den bedrückenden apokalyptischen Szenarien der Vergangenheit auf die Zukunft mit Hoffnung.
Die Apokalypse ist vorbei
Bereits vor der Pandemie spielte der Modedesigner Demna Gvasalia beim Modehaus Balenciaga gerne mit Dystopien. Und die Beliebtheit der Marke und die vieler Serien mit Weltuntergangsszenarien beweist, dass diese Fantasien die Stimmung der Menschen trifft. Sie sind sich so sehr der globalen Probleme und Miseren bewusst, dass sie keine heile Welt sehen möchten.
„Das Problembewusstsein hat am Ende so sehr zugenommen, bis wir am Ende so woke waren, dass Tagträume nur noch Alpträume waren”, sagt Trendforscher Carl Tillessen bei seinem Online-Vortrag für das Modeinstitut.
Aber glaubt man dem Trendsetter Gvasalia und den Themen der Modenschauen von Balenciaga, könnte Hoffnung bestehen. Bereits vor dem Ausbruch Coronavirus-Krise war Balenciagas SS20-Laufsteg von Nachrichten über beunruhigende Naturphänomenen geprägt. Die Models wirken wie Rechtspopulisten, mit Funktionärsanzügen und schlecht sitzendem Haarschnitt. In der Saison Herbst-Winter 2020 scheint die Apokalypse über die Menschheit gekommen zu sein: Die Models von Balenciaga laufen durch das Wasser, der Himmel steht in Flammen.
Der Präsentation für Herbst-Winter 2021 zeigt in einem digitalen Film, wie die Menschen in einer postapokalyptischen Nachwelt leben. Und hier entspinnt sich ganz untypisch für die finsteren Narrativen von Balenciaga und Gvasalia unter rosa Kirschblüten eine zarte Liebesgeschichte. Und der Modeschöpfer ist nicht der einzige tonangebende Kreative, dessen Stimmung umschwingt.
Entblößend und intim
Die Sängerin Billie Eilish, die vor der Pandemie mit monströsen Bildern und Albumtiteln wie “The party is over” spielte, veröffentlichte dieses Jahr das Album “Happier than ever”, worauf die Musikerin engelsgleich und verklärt wie eine Madonnenstatue schaut. Und sie singt „can’t wait to meet my future.”
„Dieses plötzliche und unwiderstehliche Bedürfnis, sich wieder in seinem Körper zu zeigen, ist ganz eindeutig eine Gegenreaktion auf die erzwungene Isolierung und körperliche Distanz während der Coronakrise,“ erklärt Tillessen.
Für das Phänomen sei auf dem jüngsten Intercolour-Meeting der Begriff “Extimacy” geprägt worden. Cut-outs und bauchfreie Tops und Hosen, Mini-Tops wie enge Kleider sind überall zu sehen – von der Preisträgerin des LVMH-Preises Nensi Dojaka bis auf dem Laufsteg von Dolce & Gabbana. Dieser Trend zeigt sich nicht nur in gewagten Teilen für Frauen, sondern auch für Männer.
Selbst die junge Umweltaktivistin Greta Thunberg scheint statt Panik zu machen das Leben nun mehr genießen zu wollen. Während sie vor der Pandemie noch über die ungezügelte Massenproduktion der Modeindustrie wetterte, posierte sie in diesem Jahr auf dem Cover der ersten Ausgabe der skandinavischen Vogue, bemerkt Tillessen.
„Uns allen ist klar geworden, dass das Leben kurz ist und dass man den Augenblick genießen muss”, erklärt der Trendforscher den Stimmungsumschwung. „Es ist nicht so, dass wir nicht herumalbern dürfen, wenn die Erderwärmung nicht gestoppt ist. Wir können nicht erst dann wieder Spaß an unserem Körper haben, wenn es keinen Sexismus mehr gibt.”
Die Menschen leben damit weiter im inneren Konflikt zwischen Hedonismus und Verantwortung. Die Mode spannt nun mit vier Trends einen Spagat zwischen diesen zwei Polen .
Trend 1: Joyful Frugality
Bei diesem Trend geht es “um das Vergnügen, um weniger und um Genuss im allerbesten Maß”, erklärt Trendbeobachter Niels Holger Wien. Die Menschen begreifen sich zusehends als Teil des Ganzen und möchten mit ihrer Lebensweise die Ressourcen schonen; statt eines neuen Minimalismus zelebrieren sie das Vergnügen am Wenigen. Materialien werden sparsam mit dem maximalsten Effekt eingesetzt.
Die Farben von einfachen Dingen wie Essen, Pflanzen und Mineralien kommen genießerisch, intensiv und raffiniert in der Mode zum Tragen. Warme, natürliche Braun- und Orangetöne und pflanzliches Grün werden dicht und lebendig strahlend mit mineralischen Tönen wie Gelb und Lila kombiniert. Vegetable Farben bringen die natürliche Unvollkommenheit und Schönheit von Materialien wie Leinen und Hanf zum Vorschein.
Trend 2: Dream Awake
„Es geht um das kreative Träumen, das uns die Realität auf andere Art mit neuen Sichtweisen anders erleben lässt. In den vibrierenden Bildern, Farben und klingenden Bewegungen – real und digital”, sagt Wien. Es geht um offene Möglichkeiten, um die virtuelle Realität in der Realität. Die Farbwelt wird bestimmt von der Leuchtkraft fantastischer Räume, von Collagen, Kunstobjekten und NFTs.
Pastellfarben wie Zitronengelb, Puderrosa und Hellbau fließen ineinander – schimmernd, fluoreszierend und durchscheinend. In den spiegelnden Flächen und unwirklichen Farben wie Lavendelpink und Mangogelb verschwimmen Realität und Virtualität zusehends. Narrative Prints, Blumen, verspielte Vichys, transparente und Degradé-Stoffe verleiten zum Tagträumen.
Trend 3: Spectacular Minimalism
„Technische Innovationen bleiben interessant als zukünftige Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Gegenwart. Es gibt einen positiven Fortschrittsglauben, der auch in die Weite des Weltalls träumt”, leitet Wien das Thema “Spectacular Minimalism” ein. In der Farbwelt des Themas finden Hightech-Materialien und Natur eine Symbiose.
Die futuristische Ästhetik ist reduziert, kühl und neutral. Die Farben sind Sandbeige, weiches Silber oder Moondust. So entsteht die subtil befremdliche und sanfte Mode durch sensible Metalltöne und weiche Formen. Leichtes Tailoring mit Baumwollstoffen stehen für Volumen, seidige Mischungen und metallische Gewebe bringen diesen Trend zum Schimmern.
Trend 4: Singular Us
„Wir haben Lust auf ein kunstvolles Normal”, erklärt Wien den Wunsch der Menschen jeden Tag besonders zu zelebrieren. Das geschieht durch kräftige Farben, die oft den gemeinsamen Raum um uns herum neu definieren. Die Farben stiften das Gemeinschaftsgefühl bei dem Thema „Singular Us”. „Jeder ist einzigartig und gerade deshalb unentbehrlich für die vielfarbige Gemeinschaft”, sagt der Trendforscher.
Das grafische Potential der kräftigen Farben wird zu massiven unifarbenen Kleidungsstücken oder entfaltet sich im Spiel der Kontraste. Die Farben liegen jenseit der Primärfarben; es sind “voll aufgedrehte Zwischentöne” wie Azaleen-Pink, Acid-Green, recyceltes Plastikweiß, Flammenrot, … Betonte Formen und Farben erinnern an die Avantgarde der Sechziger und Couture-Silhouetten, dazu kommen Pailletten, Satin oder Materialien aus dem Wassersport.